Im Zeichen des weißen Delfins (eBook)

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2013 | 2. Auflage
272 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-41916-1 (ISBN)

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Im Zeichen des weißen Delfins -  Gill Lewis
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Spannende und berührende Freundschaftsgeschichte um die Rettung eines Delfinbabys  Kara liebt das Meer. Wenn sie mit ihrem Vater zum Fischen rausfährt, sind die Delfine oft ihre Begleiter. Doch die Idylle wird gestört durch den skrupellosen Doughie Evans, der vor den Riffen riesige Schleppnetze auswirft. Als Kara und ihr Freund Felix ein gestrandetes Delfinbaby finden, das sich darin verfangen hat, wissen sie, dass sie handeln müssen - und zwar schnell!

Schon als Kind betrieb Gill Lewis im elterlichen Gartenschuppen ein Tierkrankenhaus, in dem sie Mäuse, Vögel und andere Kleintiere verarztete. Später studierte sie Tiermedizin und war als Tierärztin tätig. Heute ist sie freischaffende Autorin und lebt mit ihrer Familie in Somerset. Ihr erster Roman, >Der Ruf des Kulanjango<, erschien auf Anhieb in 20 Sprachen. Mehr über die Autorin auf www.gilllewis.com  

Schon als Kind betrieb Gill Lewis im elterlichen Gartenschuppen ein Tierkrankenhaus, in dem sie Mäuse, Vögel und andere Kleintiere verarztete. Später studierte sie Tiermedizin und war als Tierärztin tätig. Heute ist sie freischaffende Autorin und lebt mit ihrer Familie in Somerset. Ihr erster Roman, ›Der Ruf des Kulanjango‹, erschien auf Anhieb in 20 Sprachen. Mehr über die Autorin auf www.gilllewis.com  

Kapitel 3


»Warte!«, brülle ich. »Warte!«

Ich sehe die Moana, bevor ich Dad sehe. Verglichen mit anderen Booten, die im Hafen liegen, sieht sie klein aus. Mit ihren terrakottafarbenen Segeln und dem offenen, hölzernen Deck hebt sie sich vom gleichförmigen Weiß der modernen Jachten ab. Ich klettere ein paar Stufen hinunter und renne den Ponton entlang. Meine Schritte dröhnen auf den Planken. Die Moana treibt langsam auf die schmale Ausfahrt zwischen den hohen Hafenmauern zu. Dad sitzt am Ruder.

»Dad«, schreie ich, »warte auf mich!«

Dad reißt das Ruder herum und die Segel der Moana flattern locker, während sie sich wieder zum Wind dreht. Sie treibt auf mich zu und der Schiffsrumpf wirft gewellte, blassblaue Farbmuster aufs Wasser. Das Schiff hätte auch von einem der hundert Jahre alten Hafenfotos aus lossegeln können.

Als die Moana gegen den Ponton stößt, bringe ich mich in Stellung, packe das Schiffstau und ziehe das Boot heran. »Nimm mich mit«, sage ich.

Dad beschattet seine Augen, um mich im Gegenlicht sehen zu können. »Warum bist du nicht in der Schule?«

»Ich kann nicht in der Schule bleiben«, sage ich. »Nicht heute, heute wirklich nicht, Dad.«

Dad sitzt einfach da, die Hand am Ruder, und schaut mich an. Ich möchte gern wissen, ob der heutige Tag auch für ihn etwas bedeutet, ob auch er sich an etwas erinnert. Über unseren Köpfen plustern sich die Segel auf. Die Moana kann es kaum erwarten davonzusegeln.

»Lass mich mitkommen, Dad«, sage ich. Ich möchte ihn gern fragen, ob das wahr ist, was man sich über die Moana erzählt. Aber irgendetwas hält mich davon ab, weil ich ein letztes Mal mit ihr lossegeln möchte, ohne zu wissen, ob es stimmt, dass er sie verkaufen will. Etwas nicht zu wissen, macht ein wenig fröhlicher. Es lässt einem einen Funken Hoffnung.

Dad reibt sein stoppeliges Kinn. »In Ordnung«, seufzt er, »komm rüber.«

Ich klettere an Bord, ziehe mir die Rettungsweste über und stoße die Moana vom Ponton ab. Hier, hinter den langen Armen der Hafenmauern, ist das Wasser tief und grün und still. Auf seiner Oberfläche kräuseln sich regenbogenfarbene Ölflecken. Dad setzt das Hauptsegel und ich ziehe den Klüver ein. Ich beobachte, wie das dreieckige Segel über mir den Wind einfängt und sich strafft. Und dann gleiten wir im Schatten des Hafens hinaus in die offene See.

Das Wasser draußen in der Bucht ist sehr unruhig. Ständig weht eine Brise vom Land her und wirbelt kleine Wellen hoch, auf denen weiße Schaumkronen tanzen. Als sich die Moana dem Kap nähert, schäumt Salzwasser über den Bug. Ich sitze da und beobachte, wie das Hafenviertel und der helle Streifen aus goldgelbem Sand langsam in der Ferne verschwinden. Die Schule und das Haus von Tante Bev verlieren sich bald im Gewirr aus Straßen und Häusern, die sich über den Hafen erheben. Auch die Jachten und Fischkutter und das lange weiße Dach des Fischmarktes scheinen jetzt, weit entfernt, fast in einer anderen Welt zu liegen.

Und wieder gibt es nur noch uns allein.

Die Moana, Dad und mich.

Ich sitze neben Dad, aber er schaut mich nicht an. Seine Augen sind auf den fernen Horizont gerichtet, als würden sie einen Ort fixieren, den ich nicht sehen kann. Das ist fast so, als segle er mit einem anderen Boot auf einem anderen Meer. Ich schließe meine Augen und versuche mich zu erinnern, wie es früher war.

Draußen vor dem Kap weht ein starker und kalter Wind und ich wünsche mir, dass ich eine Jeans angezogen oder wenigstens an einen Pullover gedacht hätte. Ich schlinge die Arme um die Knie und beobachte, wie sich die Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet.

»Bist du okay, Kara?«

Dad schaut mich an. Ich nicke, aber meine Zähne klappern trotzdem.

»Nimm deine Decke, wenn dir kalt ist«, sagt er.

Ich rutsche nach vorn zur Sitzbank am Vorderdeck und öffne die kleine Backskiste. Dort, wo man sie immer findet – im niedrigen Ablagefach über dem Werkzeugkasten und der Leuchtrakete –, sind drei ordentlich gefaltete Wolldecken verstaut. Ich ziehe meine hervor und wickle sie um mich. In ihrem satten Türkisblau, in das silberne Streifen eingewoben sind, sieht sie aus wie das sommerliche Meer. Ich kauere mich in eine Nische, vergrabe den Kopf in den dicken Falten der Decke und atme den salzigen Modergeruch ein. Unter uns braust der Ozean, Wellen klatschen wie Herzschläge gegen den Rumpf der Moana. Ich berühre das angestrichene Holz, um zu spüren, wie es gegen meine Hand pulst. Irgendwo unter den dicken Lackschichten befinden sich die Bleistiftskizzen von springenden Delfinen, die Mum für mich gezeichnet hat. Ich versuche, mit meinen Fingern ihren Konturen nachzuspüren. Fast kann ich das Sägemehl und das behandelte Holz im Bootshaus riechen, in dem Mum und Dad die Moana wieder zusammengebaut haben. Wenn ich meine Augen schließe, kann ich immer noch Dad sehen, wie er gedämpfte Holzplanken biegt, um den Rumpf zu formen, wie Mum weißen Kitt zwischen die Bretter drückt, um das Boot wasserdicht zu machen, und wie ich im Dreck sitze und Papierschiffchen übers weite Pfützenmeer gleiten lasse.

Mum, Dad und ich.

Diese Bleistiftdelfine befinden sich immer noch unter dem Lack und ich versuche, sie mir wieder in Erinnerung zu rufen. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie vergessen würde, aber irgendwie scheint es so, dass ich sie jetzt nicht mehr sehe, so sehr ich mein Gedächtnis auch anstrenge.

Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn als ich aufwache, hat der Wind nachgelassen und auf der Moana ist es ganz still. Die Segel sind gerefft, das Boot schaukelt sanft und ankert im Schutz der Bucht, in der unsere Hummerkörbe liegen. Der Duft von heißem, süßem Kaffee weht mir aus Dads rotem Blechnapf entgegen. Die Sonne wärmt mir den Rücken und das Meer ist türkisblau, durchzogen von silbernen Lichtstreifen. Irgendwo über uns schreit eine Möwe, sonst aber herrscht Stille.

Dad lehnt an der Bordwand und zieht an einem Tau, das sich tropfnass und voller Seetang an Deck windet. Er hebt einen Hummerkorb an Bord und stellt ihn auf den Boden. Im Korb sehe ich ein Gewirr von Hummerbeinen und Fühlern. Das ist ein großes Exemplar und bringt auf dem Markt bestimmt einen guten Preis. Ich weiß, dass wir das Geld brauchen.

Dad öffnet die Klappe und fährt mit der Hand über die gepanzerte Rückenschale des Hummers. Er zieht ihn heraus. Die Scheren des Tieres schlagen um sich. Die roten Fühler schnellen vor und zurück.

Dad dreht ihn um. In der weichen, geschützten Wölbung seines Körpers kleben, zusammengebündelt, Hunderte winziger Eier, die im Licht der Sonne schwarz glitzern.

»Sie ist trächtig«, sage ich. »Wir können sie nicht verkaufen. Schau dir all diese Eier an.«

Dad blickt hoch. Eben hat er gemerkt, dass ich wach bin. »Wir nehmen sie mit und lassen sie im Reservat frei«, sagt er.

»Was nützt das?«, frage ich. Ich schaue ihn missmutig an. »Jake sagt, dass sein Vater mit den Schleppnetzen jedes Fleckchen Reservat durchpflügt, wenn das Fangverbot aufgehoben ist.«

Dad setzt den Hummer in einen großen schwarzen Eimer, den er mit einem Handtuch abdeckt. Dads Blick ist finster und angespannt und über sein Gesicht ziehen sich tiefe Furchen. Er weiß, dass wir nichts tun können, um Dougie Evans davon abzuhalten, das Riff zu zerstören.

»Halt dich von Jake fern«, sagt er. »Er sucht immer Zoff, wie sein Vater.«

Ich unterdrücke ein Lachen und stelle mir Jake vor, wie er mit blutendem Gesicht im Dreck liegt. »Das ist jetzt erst mal vorbei.«

Dad blickt hoch. Ich versuche, mein Grinsen zu verbergen, aber ich weiß, dass er es längst bemerkt hat.

»Steckst du in Schwierigkeiten, Kara?«, fragt Dad.

Ich hebe das Handtuch hoch und betrachte das Hummerweibchen. Sie glotzt mich mit ihren kleinen schwarzen Augen an. »Sie braucht Meerwasser«, sage ich.

»Was hat Jake noch gesagt?«, fragt Dad.

Ich decke den Eimer wieder mit dem Handtuch ab, lehne mich zurück, damit ich Dad in die Augen sehen kann, und stelle ihm die Frage, die mich schon die ganze Zeit bewegt. »Willst du die Moana verkaufen?«

Dad jedoch wendet sich ab. Er bindet ein Stück Makrele als Köder in den Hummerkorb und wirft ihn zurück ins Wasser. Die Taurolle wickelt sich ab und verschwindet in den flackernden Lichtstrahlen, die auf der Meeresoberfläche tanzen.

»Es stimmt, oder?«, sage ich. »Du verkaufst sie. Du verkaufst die Moana

Ich möchte von ihm hören, dass es nicht wahr ist, weil mich Dad nie anlügt.

Aber das sagt er nicht.

Er dreht sich um und schaut mich an. »Ja«, sagt er, »es stimmt.«

Mehr sagt er nicht. Doch es fühlt sich an, als ob mir jemand die Luft zum Atmen geraubt hätte.

»Aber das kannst du nicht machen!« Ich kann die Worte kaum flüstern.

»Wir haben keine Wahl, Kara«, sagt er. »Ich hab mehr Schulden, als ich jemals verdienen kann. Wir können uns nicht mal die Liegegebühren leisten.«

Ich winde und winde die Enden der Decke in meinen Händen. »Was ist mit Mum?«, murmle ich.

Dad schüttet die letzten Tropfen seines Kaffees ins Meer und schraubt den Deckel der Thermoskanne fest. »Es gibt keine andere Lösung.«

»Was ist mit Mum?« Dieses Mal sage ich es lauter, damit er mich auch tatsächlich hört.

»Mum hat uns verlassen«, sagt er und schaut mir direkt in die Augen. »Heute vor einem Jahr ist sie weggegangen. Glaubst du, ich weiß das nicht? Sie hat uns verlassen. Jetzt gibt es nur noch dich und mich.«

Ich starre ihn an. Dad hat monatelang nicht von Mum gesprochen. »Mum...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2013
Übersetzer Siggi Seuß
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Abenteuergeschichte • Albino-Delfin • Cornwall • Delfin • Familiengeschichte • Freundschaftsgeschichte • Junior • Kinderroman • Leben von Delfinen • Leben von Walen • Ökologie • Schleppnetz • Schullektüre • Schullektüre 5. Klasse • Schullektüre 6. Klasse • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Schutz der Meere • Tiergeschichte • Tierschutz • Überfischung • Umgang mit Konflikten • Umgang mit Trauer • Umweltschutz • Wal
ISBN-10 3-423-41916-4 / 3423419164
ISBN-13 978-3-423-41916-1 / 9783423419161
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