Mitsukos Restaurant (eBook)
416 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-11187-8 (ISBN)
Solange sie sich erinnern können, sind die beiden Freunde Achim und Wolf Japan- Fans. Da entdecken sie eines Tages in einem rustikalen Vereinsheim am Mittelrhein ein japanisches Spitzenrestaurant. Und dessen geheimnisvolle Chefin Mitsuko. Eine subtil komische Geschichte über die schwärmerische Suche nach strenger Schönheit, purem Genuss und dem ganz Anderen in Gestalt einer Frau nimmt ihren Lauf ...
Christoph Peters wurde 1966 in Kalkar geboren. Er ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungsbände und wurde für seine Bücher vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2018), dem Thomas-Valentin-Literaturpreis der Stadt Lippstadt (2021) sowie dem Niederrheinischen Literaturpreis (1999 und 2022). Christoph Peters lebt heute in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm bei Luchterhand die ersten beiden Teile einer an Wolfgang Koeppen angelehnten Trilogie: 'Der Sandkasten' (2022) und 'Krähen im Park' (2023).
1
Anfangsschwierigkeiten
Am frühen Abend des 19. Mai 1984 fuhren die Abiturienten Achim Wiese und Wolf Erben aus dem niederrheinischen Kaff Huiswyck rund hundert Kilometer nach Düsseldorf, um zum ersten Mal in ihrem Leben japanisch zu essen. Sie hatten sich auf dieses Essen gründlicher vorbereitet als auf irgendeine der zurückliegenden Prüfungen und wußten doch nur schemenhaft, was sie erwartete. Alle, denen sie in den voraufgegangenen Wochen von dem Plan erzählt hatten, waren der Ansicht gewesen, daß es der bei weitem absonderlichste Einfall sei, den ihre für absonderliche Einfälle berüchtigten Köpfe bis dahin hervorgebracht hätten.
Zu dieser Zeit waren japanische Spezialitäten hierzulande noch wenig verbreitet und die Straßen aus der Provinz in die Städte um ein Vielfaches länger. Niemand, den sie kannten, hatte je japanisch gegessen oder auch nur die Karte eines japanischen Restaurants in Händen gehalten. Die meisten Menschen verzogen schon bei dem Wort Sushi den Mund wie sonst höchstens, wenn die Rede auf das Hirn aus den offenen Schädeln lebendiger Affen kam, das Indiana Jones im Tempel des Todes serviert worden war. Achim und Wolf hatten beträchtliche Schwierigkeiten gehabt, überhaupt ein japanisches Lokal in erreichbarer Entfernung aufzutun. Jenseits der holländischen Grenze florierten eine Reihe Chinesen und Indonesier, die trotz des bereits damals abgedroschenen Verdachts, bei ihnen werde Hundefutter verarbeitet, beliebte Ziele niederrheinischer Feinschmecker waren, aber von einem Japaner hatte nicht einmal der berühmte Genneper Tankwart Henk Praats je etwas gehört, der für nahezu alle Wünsche deutscher Autofahrer die passende Adresse kannte. Achim und Wolf wären beinahe aufs Geratewohl nach Amsterdam gefahren, wo man angeblich jede Küche der bekannten Welt probieren konnte, hatten sich aber dann aus Angst, von einem betrügerischen Meister mit vergammeltem Fisch vergiftet zu werden, dagegen entschieden. Zwischenzeitlich berichtete das Kulturjournal facetten über die Eröffnung der ersten Sushi-Bar in München, die Mishimas Garden Palace hieß und wie Witzigmanns Aubergine und Winklers Tantris täglich mit fangfrischer Ware aus den legendären Pariser Hallen beliefert wurde. In Mishimas Garden Palace betrieb man zusätzlich eine Aquarienanlage, damit der Gast sich die Barbe oder Brasse selbst auswählen konnte, die ihm wenig später perfekt zugeschnitten, aber roh, serviert werden sollte. Allerdings lag München über siebenhundert Kilometer von Huiswyck entfernt, so daß Achim und Wolf dort hätten übernachten müssen, was angesichts der Menüpreise, die in dem Fernsehbeitrag genannt worden waren, weit über ihre finanziellen Möglichkeiten gegangen wäre. Schließlich hatte der Zufall oder das Schicksal in Gestalt ihres Kunstlehrers Heinrich van de Kerkhoff ihnen den Katalog einer Ausstellung japanischer Keramik zugespielt, die seit kurzem im Düsseldorfer HetjensMuseum gezeigt wurde. Am Ende des Katalogs waren sie auf die Anzeige eines ebenfalls in Düsseldorf ansässigen Restaurants namens Kabuki gestoßen: »Erleben Sie japanische Küche, zubereitet von Meistern aus Tokio und Osaka, in original japanischen Räumlichkeiten. – Einmalig in Deutschland!«
Mittlerweile war ihnen von Dr. Riebsamen, dem Direktor des Adam-Rainer-Lynen-Gymnasiums in Cleve, offiziell mitgeteilt worden, daß sie das Abitur bestanden hatten: Wolf mit – in den Worten des Direktors – »unübertrefflichem Ergebnis«, Achim hingegen mit Noten, die seine tiefe Verachtung für das, wie er selbst es ausdrückte, »faschistische Gleichschaltungssystem Schule« widerspiegelten. In neun Tagen würde ein Festakt samt Zeugnisübergabe diese trostloseste aller vorstellbaren Lebensphasen beenden. –
»Verdammter Mist«, brummte Achim, weil ihm zum wiederholten Mal durch plötzliches Abknicken des Blättchens der Tabak auf den Sitz gefallen war und es zusehends unwahrscheinlicherwurde, daß die im Beutel verbliebenen Reste für eine Zigarette reichten.
»Du saust alles voll«, sagte Wolf.
DerWagen, ein dunkelblauer Mercedes 190, war das Abiturgeschenk seiner Eltern, weshalb Wolf sich verpflichtet fühlte, die Mitschüler daran zu hindern, ihn schon vor der Verabschiedung in eine rollende Müllkippe zu verwandeln. Achim gab trotzdem nicht auf, und sein nächster Versuch endete mit einem Tabakstäbchen von gut doppelter Streichholzdicke, das wegen der Trockenheit und des hohen Verdichtungsgrads der Krümel einen scharfen kobaltblauen Rauch ergab.
»Wo bleibt eigentlich der Frühling?« fragte er.
»Wo soll er denn bleiben?« erwiderte Wolf.
»Du meinst, daß schon die Erwartung ein Fehler ist?«
»Wahrscheinlich.«
»Wie bei rohem Fisch.«
»Würde ich nicht vergleichen.«
»Warum?«
»Hört sich komisch an.«
Achim überlegte einen Moment, nickte zustimmend, kurbelte das Fenster hinunter und warf die in wenigen Zügen verglühte Kippe auf die nasse Fahrbahn.
Es hatte den ganzen Tag auf eine dunkle, gleichförmige Weise geregnet, aber kurz hinter Moers war das Grau plötzlich aufgebrochen, und jetzt glänzte die Autobahn golden. Langgezogene Pfützen spiegelten die untergehende Sonne, und in den Baggerseen längs der Strecke kräuselte sich das fahle Gelb des östlichen Himmels wie ein Seidentuch, das langsam auf eine Schwertklinge zutrieb.
»Aquaplaning«, stellte Wolf fest.
»Ich dachte, das Auto ist neu.«
»Halt einfach die Klappe.«
Am Horizont strahlten Industrieanlagen im Zwielicht, als wären sie Kulissen für einen schmutzigen Ruhrgebietskrimi, und über den Schloten räkelten sich Rauchschwaden wie dicke Nutten am Tatort. Wolf fuhr deutlich zu schnell, trotzdem würden sie es heute nicht mehr schaffen, die Ausstellung zu besuchen. Ihre Abfahrt hatte sich um Stunden verzögert, weil Wolfs Freundin Maria am Vormittag von einem ihrer plötzlichen, wenngleich nicht grundlosen Eifersuchtsanfälle überwältigt worden war. Achim hatte Wolfs Anruf um kurz vor elf kommentarlos hingenommen. Er war auf die überdachte Terrasse seines Elternhauses getreten, hatte sich in einen der mit Plastikplanen verpackten Liegestühle gesetzt, in den Regen gestarrt und der Tatsache gedacht, daß er diesen Ort bald für immer verlassen würde. Obwohl es philosophisch gesehen falsch war und die Zukunft so nah wie nie zuvor, hatte er sie herbeigesehnt.
»Eigentlich schmeckt grüner Tee fies«, sagte Achim.
»Den besseren bekommen wir gar nicht, den behalten die Japaner für sich«, entgegnete Wolf.
»Ich meine: ohne Zucker.«
»Mein Vater ist mal von einem französischen Kollegen zum besten Chinesen in Paris eingeladen worden und wollte Zucker zum grünen Tee. Der Kellner hat genickt und ist gegangen. Fünf Minuten später hat mein Vater den Kellner noch mal gerufen und ihn an den Zucker erinnert. Der Kellner hat sich entschuldigt und ist wieder gegangen. Nach dem dritten Mal hat der Kollege, dem das Ganze ziemlich peinlich war, zu meinem Vater gesagt: ›In diesem Restaurant für diesen Tee Zucker zu verlangen, ist so, als ob Sie im Maxim’s Zucker für ihren Château Lafite bestellen würden. Der Mann will Sie nicht brüskieren, deshalb sagt er nichts, aber er wird Ihnen keinen Zucker bringen.‹«
»Das waren Chinesen.«
»Für Chianti classico würde dasselbe gelten.«
»Du meinst für Sake.«
»So oder so.«
»Der schmeckt nicht schlecht.«
»Mag sein.«
»Solltest du probieren.«
»Hast du schon – ich weiß.«
Wer von ihnen sich als erster mit Japan beschäftigt hatte, war eine Streitfrage, die sich nicht mehr klären ließ. Fest stand, daß ihre Beschäftigung unterschiedliche Ursprünge hatte: Während Wolf über seine Begeisterung für traditionelles Kriegshandwerk und Kurosawas Historienfilme auf Japan gestoßen war, hatte Achim, ausgehend von eigenen Holzschnittversuchen, mit van de Kerkhoffs Büchern über Hokusei und Utamaro zunächst die japanische Kunst für sich entdeckt. Später war er bei seiner Suche nach den Schlüsseln der Weltweisheit auf die Schriften Suzukis und Okakuras gestoßen.
»Neulich habe ich eine Dokumentation gesehen, da hieß es, Rikyū sei des öfteren voll mit Sake durch die Gegend getorkelt«, sagte Wolf.
»Kann sein.«
»Darf er das als Tee-Meister und Zen-Priester überhaupt?«
Achim überhörte die Provokation und antwortete nicht.
Wie immer freitags um diese Uhrzeit geriet der Verkehr, je näher sie dem Stadtzentrum kamen, zunehmend ins Stokken. Tausende hatten sich in Kleinwagenverbänden und Bus-Konvois aufgemacht, um die Sinnlosigkeit ihres Daseins für ein Wochenende in der Düsseldorfer Altstadt zu ertränken. Im Gegensatz zu Wolf, der dieses Revier selbst zuweilen nutzte, um ohne Mühe und frei von späteren Komplikationen Frauen für spontanen Geschlechtsverkehr zu werben, fand Achim den Bezirk billig.
»Der Mob auf dem Weg in die Versenkung«, sagte er, als sie neben einem mit fünf winkenden Mädchen besetzten Opel Corsa zum Stehen kamen, woraufhin Wolf in obszönes Gelächter ausbrach, »Schneckchen« schmatzte und zurückwinkte, als hätte er seine Pläne für den Abend soeben geändert.
»Arschloch«, brummte Achim. Einige hundert Meter weiter auf der Oberkasseler Brücke, immer noch im Schrittempo, deutete er nach rechts und sagte: »Da hinten wohnt Beuys.«
Wolf zuckte mit den Achseln.
»Beuys hat sich auch viel mit Japan beschäftigt«, sagte Achim.
»Ein Mißverständnis.«
»Die Japaner sehen das...
Erscheint lt. Verlag | 22.3.2013 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Deutschland • eBooks • Frau • Freunde • Geheimnis • Humor • Japan • Komödie • lustig • lustige • Mittelrhein • Restaurant • Roman • Romane • Unterhaltung |
ISBN-10 | 3-641-11187-0 / 3641111870 |
ISBN-13 | 978-3-641-11187-8 / 9783641111878 |
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