Die Liste (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
496 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-11026-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Liste -  John Grisham
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Sein spektakulärster Roman seit 'Die Jury'
Ein junger Zeitungsreporter trägt mit exklusivem Material zur Aufklärung eines grausamen Mordes bei, woraufhin der Jubel groß ist. Doch als der mächtige Verurteilte in aller Öffentlichkeit das Leben der Geschworenen bedroht und Rache schwört, verstummen die Jubelrufe. Neun Jahre später kommt der Mörder frei und macht sich daran, seine Drohung in die Tat umzusetzen.


John Grisham ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Seine Romane sind ausnahmslos Bestseller. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und Jugendbücher veröffentlicht. Seine Werke werden in fünfundvierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia.

1


Nach Jahrzehnten des Missmanagements und der liebevollen Vernachlässigung war die Ford County Times 1970 finanziell am Ende. Die Eigentümerin und Herausgeberin der Zeitung, Miss Emma Caudle, war dreiundneunzig Jahre alt und in einem Pflegeheim in Tupelo im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt. Der Chefredakteur, ihr Sohn Wilson Caudle, hatte die siebzig schon überschritten und als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg eine Metallplatte im Kopf zurückbehalten. Oben auf seiner hohen, fliehenden Stirn, wo der Chirurg sie eingesetzt hatte, prangte ein kreisrundes, dunkleres Stück transplantierter Haut. Diesem Fleck verdankte es Mr Caudle, dass er seither den Spitznamen »Spot« ertragen musste: Spot hat dies getan, Spot hat das getan. Spot hier, Spot da.

In jüngeren Jahren hatte er als Journalist über Gemeindeversammlungen, Footballspiele, Wahlen, Gerichtsverfahren, kirchliche Veranstaltungen und alle möglichen anderen Ereignisse in Ford County berichtet. Er war ein guter Reporter, gründlich und besaß eine schnelle Auffassungsgabe. Offensichtlich hatte die Kopfverletzung sein journalistisches Talent nicht in Mitleidenschaft gezogen. Doch irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Metallplatte in seinem Kopf augenscheinlich etwas gelockert, und Mr Caudle beschloss, sich exklusiv dem Schreiben von Nachrufen zu widmen. Er liebte Nachrufe. Stundenlang beschäftigte er sich damit, noch das unbedeutendste Mitglied der Gesellschaft von Ford County mit einem ausführlichen, in schwungvoller Prosa abgefassten Nekrolog zu ehren. Starb gar ein wohlhabender oder prominenter Mitbürger, nutzte Mr Caudle die Gunst der Stunde und hievte den Nachruf auf die Titelseite. Nie verpasste er eine Totenwache oder eine Beerdigung, kein einziges Mal ließ er auch nur ein schlechtes Wort über den Verblichenen fallen. Auf den posthumen Glorienschein musste niemand verzichten – Ford County war ein idealer Platz zum Sterben. Und Spot, wenngleich verrückt, ein äußerst beliebter Mann.

Die einzige wirkliche Krise seiner journalistischen Laufbahn ereignete sich im Jahr 1967, ungefähr zu der Zeit, als sich die Bürgerrechtsbewegung schließlich auch in Ford County bemerkbar machte. Bisher hätte man der Zeitung nicht einmal ansatzweise entnehmen können, dass sie um Toleranz in Rassenfragen bemüht gewesen wäre. Schwarze Gesichter, von Verbrecher- oder Fahndungsfotos abgesehen, suchte man auf ihren Seiten vergebens. Heiratsanzeigen von Schwarzen, herausragende schwarze Studenten, schwarze Baseballteams – Fehlanzeige. Doch im Jahr 1967 machte Mr Caudle eine bestürzende Entdeckung. Eines Morgens ging ihm mit dem Erwachen ein Licht auf: In Ford County starben Schwarze, ohne dass sie angemessen gewürdigt worden wären. Für einen Verfasser von Nachrufen war damit ein ganz neues, fruchtbares Feld zu bestellen, und Mr Caudle machte sich auf in die gefährlichen, unbekannten Gewässer. Am Mittwoch, dem 8. März 1967, brachte die Ford County Times als erste weiße Wochenzeitung in Mississippi die posthume Würdigung eines Schwarzen, doch der Nachruf blieb weitgehend unbeachtet.

In der folgenden Woche legte Mr Caudle mit drei Abgesängen auf verstorbene Schwarze nach. Die Leute begannen zu reden, und in der vierten Woche sah er sich einem regelrechten Boykott ausgesetzt. Abonnenten kündigten, Anzeigenkunden zahlten nicht. Mr Caudle schätzte die Situation zwar richtig ein, war aber schon zu sehr in seine Rolle als Vorkämpfer der Gleichberechtigung Schwarzer vernarrt, um sich noch über Bagatellen wie Auflage und Gewinne Gedanken zu machen. Sechs Wochen nach dem historischen Nekrolog erklärte er der Öffentlichkeit seine neue Strategie, auf der Titelseite und in Fettdruck: Er werde nur noch veröffentlichen, was ihm gefalle, und falls das irgendwelchen Weißen nicht in den Kram passe, werde er kurzerhand die Zahl der ihnen gewidmeten Nachrufe zurückfahren.

Ein würdiger Abgang ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens in Mississippi, für Schwarze und Weiße, und der bloße Gedanke, ohne einen von Spots ruhmreichen Nekrologen zur letzten Ruhe gebettet zu werden, war für die meisten Weißen unerträglich. Sie wussten, dass er verrückt genug war, seine Drohung wahr werden zu lassen.

In der nächsten Ausgabe fanden sich, unter Aufhebung der Rassentrennung, ordentlich alphabetisch geordnet, Nachrufe auf Schwarze und Weiße. Die Auflage war bald ausverkauft, und für die Ford County Times folgte eine kurze Phase der Prosperität.

Der Bankrott wurde »unfreiwilliger Konkurs« genannt, als gäbe es andere Formen der Pleite, die man bevorzugte. Die Meute der Gläubiger wurde von einem Geschäft für Druckereibedarf aus Memphis angeführt, das Außenstände von sechzigtausend Dollar geltend machen konnte. Andere hatten seit einem halben Jahr kein Geld mehr gesehen. Die gute alte Security Bank forderte einen Kredit zurück.

Obwohl ich noch nicht lange bei der Zeitung arbeitete, hatte ich schon Gerüchte gehört. Ich saß im vorderen Büro der Redaktion und las gerade eine Illustrierte, als ein Zwerg mit spitzen Schuhen hereinspaziert kam und nach Wilson Caudle fragte.

»Ist im Bestattungsinstitut«, erwiderte ich.

Er war ein großspuriger Wicht. Unter seinem zerknitterten marineblauen Blazer konnte man eine Waffe erkennen, die offenbar auch gesehen werden sollte. Wahrscheinlich hatte er sogar einen Waffenschein. Doch eigentlich brauchte man den in Ford County nicht, zumindest nicht im Jahr 1970. Tatsächlich lösten Waffenscheine eher ein Stirnrunzeln aus. »Ich muss ihm diese Papiere zustellen«, sagte der Zwerg und fuchtelte mit einem Umschlag herum.

Eigentlich hatte ich nicht vor, mich hilfsbereit zu zeigen, aber es ist schwierig, einem Zwerg gegenüber ruppig zu werden. Selbst wenn er bewaffnet ist. »Er ist im Bestattungsinstitut« , wiederholte ich.

»Dann lasse ich sie Ihnen hier.«

Obwohl ich an einem College im Norden studiert hatte und noch keine zwei Monate bei der Times war, hatte ich doch schon ein paar Dinge gelernt. So etwa, dass gute Nachrichten nie persönlich zugestellt, sondern in der Regel mit der Post befördert wurden. Diese Papiere bedeuteten Ärger, und ich wollte nichts damit zu tun haben.

»Ich nehme sie nicht an«, sagte ich.

Der Natur gehorchend, verhalten sich Zwerge als gelehrige, friedliebende Wesen, und dieser Winzling machte keine Ausnahme. Die Waffe diente nur dekorativen Zwecken. Er blickte sich mit einem affektierten Grinsen im Büro um, wusste aber, dass die Situation hoffnungslos war. Also ließ er den Umschlag mit einer übertrieben schwungvollen Bewegung in der Tasche seines Jacketts verschwinden. »Wo ist das Bestattungsinstitut?«

Ich beschrieb ihm den Weg, und der Zwerg verschwand. Eine Stunde später stolperte Spot durch die Tür, hysterisch schreiend und mit den Papieren herumfuchtelnd. »Es ist vorbei! Das war’s!« Während er weiterjammerte, nahm ich ihm die Dokumente aus der Hand – es war ein Konkursantrag der Gläubiger. Margaret Wright, die Sekretärin, und Hardy, der Drucker, kamen nach vorn und versuchten, Spot zu trösten. Er setzte sich auf einen Stuhl, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen, und schluchzte mitleiderregend. Ich las den Konkursantrag laut vor.

Darin stand, Mr Caudle habe in einer Woche in Oxford vor Gericht zu erscheinen, um sich mit dem Richter und seinen Gläubigern zu treffen. Dort solle entschieden werden, ob die Zeitung weiter erscheinen könne, während ein Treuhänder die Lage zu klären versuche. Ich hatte den Eindruck, dass Margaret und Hardy sich eher um ihre Jobs als um Mr Caudle und seinen Nervenzusammenbruch Sorgen machten, aber sie klopften ihm trotzdem tapfer auf die Schulter.

Als der Weinkrampf vorbei war, stand Spot abrupt auf und biss sich auf die Unterlippe. »Ich muss es meiner Mutter sagen«, meinte er.

Wir anderen drei blickten uns an. Miss Emma Caudle hatte dieses Leben schon seit Jahren hinter sich gelassen, und ihr schwaches Herz funktionierte gerade noch gut genug, um die Beerdigung ein bisschen hinauszuschieben. Sie wusste nicht mehr, welche Farbe der Wackelpudding hatte, mit dem man sie fütterte, und es war ihr auch egal, und das Schicksal von Ford County und seiner Zeitung war ihr mit Sicherheit genauso egal. Sie war blind und taub, wog deutlich unter vierzig Kilogramm, und jetzt kam Spot auf die Idee, mit ihr über einen unfreiwilligen Konkurs zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass auch er schon nicht mehr in unserer Welt lebte.

Er begann erneut zu weinen und verließ das Büro. Wenige Monate später sollte ich seinen Nachruf schreiben.

Weil ich das College besucht und die Papiere an mich genommen hatte, erhofften Margaret und Hardy von mir guten Rat. Ich war Journalist, kein Jurist, sagte aber zu, mit den Unterlagen den Familienanwalt der Caudles aufzusuchen. Seinen Rat würden wir dann beherzigen. Sie bedachten mich mit einem matten Lächeln und machten sich wieder an die Arbeit.

Mittags fuhr ich nach Lowtown – das schwarze Viertel von Clanton – und kaufte bei Quincy’s One Stop ein Sixpack. Anschließend machte ich mit meinem Spitfire einen Ausflug. Es war Ende Februar und für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Ich zog das Verdeck auf und fuhr zum See. Unterwegs fragte ich mich, nicht zum ersten Mal, was ich in Mississippi und Ford County eigentlich verloren hatte.

 

Ich war in Memphis aufgewachsen und hatte fünf Jahre lang in Syracuse im Staat New York Publizistik studiert, bevor meine Großmutter es satt hatte, für eine Ausbildung zu zahlen, die für ihren Geschmack zu lange dauerte. Meine Noten waren alles anderes als spektakulär, und von einem Examen trennten mich noch...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Last Juror
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Agententhriller • Aufklärung • Bedrohung • eBooks • Freilassung • Gefahr • Gefängnis • Geschworene • Journalismus • Jury • Justiz • Liste • Mord • Mörder • Politthriller • Rache • Reporter • Roman • Spannung • Thriller • USA • Verurteilung • Zeitung
ISBN-10 3-641-11026-2 / 3641110262
ISBN-13 978-3-641-11026-0 / 9783641110260
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