Die Spur der Füchse (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
285 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-8387-2253-5 (ISBN)

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Die Spur der Füchse -  Ken Follett
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Binnen weniger Stunden in London: Ein tolldreister Millionenraub wird verübt, ein hoher Politiker begeht einen rätselhaften Selbstmordversuch, ein Großkonzern wird in letzter Minute vor dem Konkurs gerettet und ein Unterweltboß erlebt ein blutiges Fiasko. Als ein junger Reporter dieses Netzwerk aus Korruption und Gewalt entwirrt, wird er zum Schweigen gebracht. Denn selbst die Presse ist nur eine Figur im teuflisch-genialen Plan eines Finanzhais - der Operation Obadja...

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1


Es war die glücklichste Nacht in Tim Fitzpetersons Leben.

Dies war auch sein erster Gedanke, als er die Augen aufschlug und das Mädchen sah, das neben ihm im Bett lag und schlief. Aus Angst, sie zu wecken, bewegte Tim sich nicht, schaute sie aber im kalten, klaren Licht der Morgendämmerung über London beinahe verstohlen an. Sie lag auf dem Rücken, so vollkommen entspannt wie ein kleines Kind. Tim wurde an seine Tochter Adrienne erinnert, als sie noch ein Baby gewesen war, und rasch verdrängte er diesen unwillkommenen Gedanken.

Das Mädchen neben ihm hatte kurzes rotes Haar, das wie eine Mütze auf ihrem kleinen Kopf saß und ihre winzigen Ohren frei ließ. Alles in ihrem Gesicht war klein: Nase, Kinn Wangenknochen, die ebenmäßigen Zähne. Einmal, in der Nacht, hatte Tim mit seinen breiten, plumpen Händen ihr Gesicht betastet und seine Finger behutsam auf ihre Wangen gedrückt, hatte ihr übers Haar gestreichelt und ihre Lippen sanft mit den Daumen geöffnet, als könnte seine Haut ihre Schönheit spüren wie die Hitze eines Feuers.

Tims linker Arm ragte schlaff unter der Bettdecke hervor die so weit heruntergezogen war, dass die schmalen Schultern und eine Brust des Mädchens zu sehen waren; jetzt, im Schlaf war die Brustwarze weich und flach.

Tim und das Mädchen lagen dicht nebeneinander, ohne sich zu berühren, doch er konnte die Hitze ihres Oberschenkels an dem seinen spüren. Er nahm den Blick von ihr und starrte an die Decke, und für einen Augenblick genoss er den wohligen Schauder verbotener Lüste, als er an den ehebrecherischen Beischlaf letzte Nacht dachte.

Dann stand er auf.

Er verharrte neben dem Bett und schaute auf das Mädchen. Sie schlief noch immer friedlich. Selbst im klaren Licht des frühen Morgens sah sie hübsch aus, trotz ihres zerwühlten Haares und der verwischten Überbleibsel eines einstmals kunstvollen Make-ups im niedlichen Gesicht.

Tim wusste, dass das Morgenlicht mit ihm selbst nicht so rücksichtsvoll umging. Deshalb hatte er versucht, das Mädchen nicht zu wecken: Er wollte erst einen Blick in den Spiegel werfen, bevor sie ihn zu Gesicht bekam.

Nackt schlurfte Tim über den stumpfgrünen Wohnzimmerteppich ins Bad. Für einen flüchtigen Moment sah er die Wohnung mit den Augen eines Fremden, der sie zum ersten Mal betritt, und er fand sie hoffnungslos trist: Da waren das Sofa – von einem noch stumpferen Grün als der Teppich –, auf dem verblassende, geblümte Kissen lagen; der schmucklose Schreibtisch aus Holz, wie man ihn in Millionen Büros zu sehen bekam; der Schwarz-Weiß-Fernseher älteren Modells; der Aktenschrank und das Bücherregal, auf dem juristische und wirtschaftswissenschaftliche Lehrbücher sowie mehrere Bände der amtlichen britischen Parlamentsprotokolle standen. Tim hatte sich diese kleine Zweitwohnung in London vor längerer Zeit zugelegt, doch erst letzte Nacht hatte sie sich endlich bezahlt gemacht.

Das Badezimmer besaß einen mannshohen Spiegel. Nicht Tim hatte ihn gekauft, sondern seine Frau Julia – damals, in den alten Zeiten, bevor Julia sich völlig aus dem Großstadtleben zurückgezogen hatte. Tim drehte den Warmwasserhahn auf und blickte in den Spiegel, während er darauf wartete, dass die Wanne volllief. Er fragte sich, was an dem Körper mittleren Alters dran sein mochte, den er nun im Spiegel sah. Wie konnte ein solcher Körper ein bildschönes Mädchen von – hm, fünfundzwanzig Jahren? – in eine so rauschhafte Lust versetzen? Tim war gesund, aber nicht fit – jedenfalls nicht in dem Sinne, wie dieser Begriff zumeist benutzt wird: um einen schlanken, durchtrainierten Mann zu bezeichnen, der Sport trieb und Fitnessstudios besucht. Tim war klein, und sein von Natur aus untersetzter Körper wirkte der überflüssigen Fettpolster wegen – besonders an Brust, Hüften und Gesäß – noch gedrungener. Für einen Mann von einundvierzig Jahren war seine Konstitution zwar in Ordnung, doch was den Sex betraf, war er, wie er wusste, weiß Gott keine Offenbarung.

Der Spiegel beschlug vom Wasserdampf, und Tim stieg in die Wanne. Er aalte sich im heißen Wasser, bettete den Kopf an die Wandung und schloss die Augen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er weniger als zwei Stunden geschlafen hatte; dennoch fühlte er sich einigermaßen ausgeruht. In seinem konservativen Elternhaus hatte man ihn gelehrt, dass Schmerz und Unbehagen, wenn nicht sogar Krankheiten, Folgeerscheinungen von langen Nächten, Tanzen, Ehebruch und starken Drinks seien. Und alle diese Sünden auf einen Streich zu begehen, wie in Tim Fitzpetersons Fall, hätte eigentlich den Zorn Gottes auf den Frevler herabbeschwören müssen.

Doch weit gefehlt: Für Tim war der Lohn der Sünden ungetrübte Freude. Träge seifte er sich ein und dachte an den gestrigen Abend zurück. Die ganze Geschichte hatte bei einem dieser grässlichen Dinner begonnen: Grapefruit-Cocktails und übergare Steaks und Überraschungseisbombe ohne Überraschung für dreihundert Mitglieder einer überflüssigen Organisation. Tims Rede war nur einer von vielen Erklärungsversuchen zur derzeitigen Regierungspolitik gewesen, deren Sinn und Zweck ohnehin niemand nachvollziehen konnte, wenngleich Tim seine Rede emotional befrachtet hatte, um sich des besonderen Wohlwollens der Zuhörerschaft zu versichern. Nach Ende der Veranstaltung hatte er sich einverstanden erklärt, mit einem seiner Kollegen – einem begabten jungen Wirtschaftswissenschaftler im Regierungsdienst – und zwei halbwegs interessanten Leuten aus der Zuhörerschaft auf einen Drink in ein nettes Lokal zu gehen.

Das nette Lokal erwies sich als Nachtclub, der für Tims Geschmack normalerweise zu teuer gewesen wäre, aber jemand hatte bereits das Eintrittsgeld bezahlt. Und als Tim erst mal drinnen war, hatte er sich herrlich amüsiert – so herrlich, dass er mit seiner Kreditkarte eine Flasche Champagner bestellte. Weitere Personen hatten sich zu ihrer kleinen Partyrunde gesellt: der leitende Angestellte einer Filmgesellschaft, von dem Tim flüchtig gehört hatte; ein Stückeschreiber, von dem er noch nie gehört hatte; ein politisch links orientierter Wirtschaftsfachmann, der mit trockenem Lächeln Hände schüttelte und sorgsam vermied, über die Arbeit zu reden. Und schließlich waren da die Mädchen gewesen.

Der Champagner und die Bühnenshow brachten Tim ziemlich auf Touren. In den alten Zeiten hätte er sich irgendwann seine Julia geschnappt, wäre mit ihr nach Hause gefahren und hätte mit ihr geschlafen – wild und hastig und lustbetont. Hin und wieder gefiel Julia diese Art von Sex. Aber jetzt kam sie ja nicht mehr nach London, und Tim besuchte für gewöhnlich keine Nachtclubs.

Die jungen Damen in der Bar waren den Herren nicht vorgestellt worden. Tim fing ein Gespräch mit dem Mädchen an, das ihm am nächsten saß, einer schlanken, flachbrüstigen Rothaarigen in einem langen Kleid von blasser Farbe. Sie sah wie ein Model aus, behauptete aber, Schauspielerin zu sein. Tim hatte damit gerechnet, dass dieses Mädchen ihn langweilte und dass sie entsprechend gelangweilt auf ihn reagierte. Doch bald schon spürte er, dass diese Nacht etwas Besonderes werden würde: Das Mädchen schien von ihm fasziniert zu sein.

Das innige Gespräch zwischen Tim und der Rothaarigen isolierte die beiden nach und nach von den anderen Teilnehmern der Party, bis jemand den Vorschlag machte, in einen anderen Club weiterzuziehen – worauf Tim sofort erklärte, dass er nach Hause wolle. Doch die Rothaarige packte seinen Arm und bat ihn, mit ihr zu gehen. Tim, der seit zwanzig Jahren keiner hübschen jungen Frau mehr den Hof gemacht hatte, war auf der Stelle einverstanden.

Als er nun aus der Badewanne stieg, fragte er sich, worüber er sich eigentlich so lange mit dem Mädchen unterhalten hatte. Die Arbeit eines Staatssekretärs im Energieministerium konnte man schwerlich als geeignetes Thema für eine lockere Cocktailpartykonversation bezeichnen, und sofern es sich nicht um technische Dinge handelte, war es ohnehin eine streng vertrauliche Angelegenheit. Wahrscheinlich, ging es Tim durch den Kopf, haben wir ganz allgemein über Politik geredet.

Hatte er pikante Anekdoten über hochrangige Politiker erzählt in dem trockenen Tonfall, der für ihn die einzige Möglichkeit war, sich humorvoll zu geben? Tim konnte sich nicht mehr erinnern. Er wusste nur noch, wie das Mädchen dagesessen hatte. Fast jeder Körperteil war hingebungsvoll ihm zugewandt: Kopf, Schultern, Knie, Füße – eine Körperhaltung, die gleichermaßen komisch, veralbernd und intim aussah.

Tim wischte den Wasserdampf vom Rasierspiegel und rieb sich prüfend übers Kinn. Er hatte sehr dunkles Haar, und sein Bart, falls er ihn sprießen ließe, wäre dicht und struppig. Der Rest seines Gesichts war – milde ausgedrückt – durchschnittlich. Das Kinn war zu kurz, die Nase spitz, und zu beiden Seiten des Nasenrückens befanden sich zwei weiße Punkte, wo seit fünfunddreißig Jahren das Gestell einer Brille ruhte. Der Mund war zwar nicht klein, aber ein bisschen verkniffen, die Ohren waren zu groß, und die Stirn war intellektuell hoch.

Ein Gesicht, in dem nichts zu lesen war, weil es nichts zu lesen gab. Ein Gesicht, das darauf trainiert war, Gedanken zu verbergen, statt Gefühle zu zeigen.

Tim schaltete den Elektrorasierer an, zog eine Grimasse, um die gesamte linke Wange ins Blickfeld zu bekommen, und begann mit der Rasur.

Hässlich war er nicht gerade. Manche Mädchen fuhren auf hässliche Männer ab, hatte er sich sagen lassen – ob derartige Verallgemeinerungen über Frauen zutrafen, konnte er aus Mangel an Erfahrung nicht beurteilen –, doch Tim Fitzpeterson passte nicht einmal in diese zweifelhaft beneidenswerte Kategorie von...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2013
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Original-Titel Paper Money
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1976 • 20. - 21. Jahrhundert • Alpes-Maritimes • an einem Tag • Arrondissement de Grasse • Cannes • Cardiff • Castle • Countdown • Dedektiv • detective • Detektiv • Deutsche Krimis • Die Unbestechlichen • England • England / Großbritannien • Enthüllungsjournalismus • Entscheidungsschlacht • Ermittler • Ermittlung • Ermittlungen • Finanzthriller • Frankreich • Ghostwriter • Groschenheft • Groschenroman • Großbritannien • Investigativjournalismus • Journalist • Ken Folett • Ken Follet • Kenn Follett • Kill the Messenger • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimi Bestseller • Kriminalpolizei • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimis • Krimis; England / Großbritannien • Kripo • London • Mord • Mörder • Mystery • paper money • Politthriller • Polizei • Polizist • Privatdetektiv • Provence-Alpes-Côte d’Azur • Psychothriller • Reporter • Serienkiller • Serienmörder • spannend • Spannung • Spannungsroman • Spotlight • Tatort • Thriller • Verbrechen • Verbrecher • Verfolgt • verfolgter Journalist • Verschwörung
ISBN-10 3-8387-2253-1 / 3838722531
ISBN-13 978-3-8387-2253-5 / 9783838722535
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