Hunkeler und die Augen des Ödipus (eBook)

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2013 | 1. Auflage
240 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60043-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hunkeler und die Augen des Ödipus -  Hansjörg Schneider
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Ein havariertes Hausboot auf dem Rhein. Ein verschwundener Intendant. Ein handfester Theaterskandal. Eine unwahrscheinliche Liebe. Und ein paar alte Rechnungen. Peter Hunkeler vom Kriminalkommissariat Basel ermittelt.

Hansjörg Schneider, geboren 1938 in Aarau, arbeitete als Lehrer und als Journalist. Mit seinen Theaterstücken, darunter ?Sennentuntschi? und ?Der liebe Augustin?, war er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker, seine ?Hunkeler?-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Bestsellerliste an. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Basel.

Hansjörg Schneider, geboren 1938 in Aarau, arbeitete als Lehrer und als Journalist. Mit seinen Theaterstücken, darunter ›Sennentuntschi‹ und ›Der liebe Augustin‹, war er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker, seine ›Hunkeler‹-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Bestsellerliste an. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Basel.

[8] Peter Hunkeler, Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, früherer Familienvater, jetzt geschieden, erwachte, da er einen Hahn krähen hörte. Er fragte sich, was da los war, wo er sich befand. War er im Haus seiner Kindheit, das neben einem Bauernhof stand, auf dem er sich jede freie Minute herumtrieb? Im Kuh- oder Rossstall, auf dem Tenn, in der riesigen Küche, in der eine alte Frau Kartoffeln schälte? Davon hatte er wohl bloß geträumt, sehr undeutlich, wie ihm schien. Er konnte sich an kein konkretes Traumbild erinnern.

Nein, das Krähen, das regelmäßig ein- und wieder aussetzte, gehörte zur wirklichen Welt, in die er jetzt widerstrebend zurückfand. Als er die Augen öffnete, wusste er es. So erbärmlich krähte nur Hahn Fritz.

Er befand sich also in seinem Haus im Elsass. Neben ihm lag seine Freundin Hedwig. Er spürte ihren Atem am Hals, sah ihren weißen, schönen Rücken, den sie abgedeckt hatte, obschon eine frische Kühle durchs offene Fenster hereinkam.

Er schob Hedwigs Oberschenkel weg, den sie über sein linkes Bein gelegt hatte. Leise stand er auf, um ihren Morgenschlaf nicht zu stören, zog sich an und durchquerte Stube und Gang. Er öffnete die Küchentür und löffelte den beiden Katzen, die ihm mit aufgestelltem Schwanz gefolgt waren, den Napf mit Büchsenfleisch voll. Dann trat er vors Haus, sah zum Nachbarn hinüber, in dessen Stall Licht brannte, [9] und ging durch die Wiese zum Hühnerstall unter dem Scheunendach. Er schaute hinein in die Ecke, ob Eier dalagen. Es waren drei da. Gespannt sah er zu, wie die Hühner herauskamen. Sie gackerten zögernd, sie ließen sich Zeit, dann setzten sie Fuß vor Fuß. Zuletzt kam der Hahn, der wie gewohnt erst seine Weiber vorgeschickt hatte.

Hunkeler holte die Eier aus der Ecke, trug sie zum Tisch an der Hausmauer und setzte sich. Vom Kirchturm hörte er es sieben schlagen. Das Sonnenlicht fiel flach auf die Bäume, auf Pappel, auf Kirsch- und Birnbaum und die Trauerweide, die ihr erstes, helles Laub bis auf den Boden hängen ließ.

Heute war der 26. April, überlegte er. Ein Sonntagmorgen, ein friedlicher Feiertag. Hedwig hatte gestern Abend einen Butterzopf aus der Stadt mitgebracht. Den würden sie zum Frühstück aufschneiden, mit Honig bestreichen und gemächlich essen. Dann würden sie sich auf den Weg machen zum Sonntagsspaziergang durch den Wald. Nach der Messe, so gegen elf Uhr, wären sie zurück, und er würde die Motorsäge anwerfen, um Brennholz zu machen für den nächsten Winter. Der Sonntag war in diesem Dorf nicht nur ein Tag des Herrn, sondern auch ein Tag der Motorsense, der Motorhacke, der Motorheckenschere. Und Hunkelers Motorsäge würde mitheulen. Er hatte vor, aus seinem Anwesen ein Energiesparhaus zu machen. Nicht mit Isolierung und Wärmedämmung, sondern indem er die nachwachsende Energie, das Holz, verwertete.

Er stand sechs Wochen vor seiner Pensionierung. Wohlverdient, wie Staatsanwalt Suter bemerkt hatte. Er wolle ihn nicht gerade als Auslaufmodell bezeichnen, hatte er in seiner humorigen Art gemeint. Aber es sei Zeit, langsam ans [10] Aufhören zu denken und einen neuen Anlauf zu nehmen, einen Anlauf in die Freiheit des Alters.

Hunkeler grinste bitter. War vielleicht Hahn Fritz ein Auslaufmodell? Nein, der pickte geschäftig mit den Hennen im Gras herum, als ob es sein Leben gegolten hätte. Obschon am Abend leckere Körner auf ihn warteten. Der würde weiterhin picken und scharren, was das Zeug hielt, bis er von der Stange fiel. Aus dem einfachen Grund, weil Hunkeler es nicht übers Herz brachte, ihn totzuschlagen.

Die Freiheit des Alters, was war denn das? Die Freiheit, zu verblöden bis zur endgültigen Senilität? Er spürte ein Grauen in sich aufsteigen. Es war ihm, als sträubten sich seine Nackenhaare. Vorsichtig strich er über seinen Hinterkopf.

Gewiss, die Rente war ihm sicher. In diesem Punkt fühlte er sich solidarisch mit Hahn Fritz. Die Schweiz war eine direkte Demokratie. Hier wurde über wichtige Dinge wie zum Beispiel Rentenkürzungen abgestimmt. Bei Abstimmungen hatten die Senioren die Mehrheit. Die würden in geschlossenen Viererkolonnen zur Urne marschieren, wenn es um ihre Rente ging. Auch wenn niemand wusste, woher das Geld kommen sollte.

Wieder grinste Hunkeler, mit einiger Bitternis. Er mochte sein Land. Er fand die Volksherrschaft richtig, obwohl er das Volk manchmal stupide fand.

Er selbst war überzeugt, dass er noch gebraucht werden würde. Seine Erfahrung, seine Menschenkenntnis, fand er, waren unersetzlich. Im Allgemeinen hielt er sich für die Bescheidenheit in Person. Jetzt merkte er, dass er doch eine hohe Meinung von sich hatte. Aber dies war ja wohl die Meinung aller alten Knacker, die in Rente gingen.

[11] Immerhin würde er seinen letzten Fall in allem Anstand abschließen. Vor einer knappen Woche war auf dem Basler Dreispitz aus einem Möbellager ein Tresor entwendet worden. Offenbar waren es zwei Minderjährige aus einer fahrenden Familie, die bei Magstatt-le-Bas einen Standplatz hatte, gewesen. Zwei Jungen, die am frühen Morgen eine Menge Dynamit in die Luft gejagt hatten, um den Tresor loszusprengen. Paul Wirz von der Gendarmerie St. Louis, mit dem Hunkeler in diesem Fall zusammenarbeitete, vermutete, dass der Tresor irgendwo in der Nähe der Grenze versteckt war. Aufsprengen würden ihn die beiden Jungen wohl nicht können, dazu brauchte es mehr als Dynamit. Am Schluss des Verfahrens würden die Kinder zwar verurteilt, aber nicht eingesperrt werden, weil sie nach Strafrecht zu jung waren. Ein Bagatellfall also, der Hunkeler die Gelegenheit gab, sich gemächlich auf den Ruhestand vorzubereiten.

Eigenartig war bloß die Tatsache, dass auf dem Dreispitz zur Tatzeit ein weißer Kastenwagen mit Pariser Kennzeichen gesichtet worden war, von zwei Taxifahrern, die unabhängig voneinander behaupteten, darin hätten zwei junge Männer arabischen Aussehens gesessen. Auf die Frage, wie sie dies zu nächtlicher Stunde hätten feststellen können, hatten beide erklärt, sie hätten die Führerkabine mit dem Fernlicht gestreift. Der eine war der Meinung, es seien zwei Männer aus Marokko gewesen, der andere tippte auf Algerien.

Ein weißer Kastenwagen mit Pariser Kennzeichen war auch in Kappelen gesichtet worden, wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Wie Paul Wirz berichtete, gehörte er [12] zwei Tunesiern, die in den Dörfern des Sundgaus von Haus zu Haus gingen und kleine Teppiche feilboten. Was nichts Außergewöhnliches war, abgesehen davon, dass es sich bei diesen fliegenden Händlern meist um Schwarze handelte. Paul Wirz hatte sie als wahre Landplage zu bezeichnen beliebt. Was keineswegs politisch korrekt war, aber, so Wirz, seinem nationalen Denken entsprach.

Hunkeler hatte zwei Eier gekocht, Kaffee und Schwarztee aufgegossen, Tee für sich, Kaffee für Hedwig. Er hatte im Herd ein Feuer gemacht und die Kaminklappe so gestellt, dass der heiße Rauch durch die Ofenkunst in der Stube zog. Jetzt saß er am Küchentisch, auf dem Sims draußen die Katzen im Sonnenlicht, und aß. Erst ein Ei, dann ein Stück Zopf, das er mit Butter und Honig bestrichen hatte.

Die Tür ging auf, Hedwig kam herein, im blauen Morgenrock. Sie setzte sich und klopfte das Ei auf, das er ihr hingestellt hatte. Sie schaute ihn an.

»Ach so«, sagte sie, »du hältst es nicht aus.«

»Was halte ich nicht aus?«

Sie klaubte sorgfältig die Schale vom Ei, streute Salz und Pfeffer drauf.

»Das Nichtstun. Du solltest dich langsam gewöhnen daran.«

»Ich mache schon Fortschritte«, sagte er. »Ich hocke den ganzen Morgen und den ganzen Nachmittag im Büro, löse Kreuzworträtsel und lese im Internet Zeitung. Ich kenne mich bestens aus im aktuellen Zeitgeschehen. Ich bin schon gestern Mittag hierhergefahren, um Holz zu hacken. Aber weißt du was? Ich sterbe vor Langeweile.«

[13] Hedwig biss in ein Stück Zopf, goss Milch in den Kaffee und trank. Sie tat das mit langsamen, trägen Bewegungen.

»Mir graut«, sagte sie, »wenn ich an deine Pensionierung denke.«

»Verstehe ich gut, mir auch. Aber was soll ich tun?«

»Warum kannst du nicht loslassen?«

»Was soll ich loslassen?«, brüllte er. »Mein Leben? Oder dich?«

Er erhob sich so abrupt, dass die beiden Katzen auf den Rasen hinuntersprangen. Er schmiss die Küchentür hinter sich zu, ging in die Scheune und warf die Motorsäge an. Dafür war es zwar noch zu früh, er hätte bis nach der Messe warten sollen. Aber das war ihm egal. Die konnten ihn alle mal, und zwar kreuzweise, diese Heuchler vor dem Herrn, die in der Kirchenbank knieten und sangen. Kein Mensch im ganzen Dorf glaubte mehr an die Wiederauferstehung Christi, davon war er überzeugt. Kein einziger!

Er machte sich über den Stamm der Rottanne her, die der Sturm vor zehn Jahren umgeworfen hatte. Er sah das Sägeblatt durch den Stamm fahren, das Holzmehl wegstieben, er roch den Duft von Harz. Eine schöne, gute Arbeit. Er würde die ganze Scheune mit Holz füllen, kunstvoll aufgeschichtet. Vielleicht würde er draußen unter dem Nussbaum eine Beige in Igluform aufbauen, wie man es früher gemacht hatte. Und zwar so, dass alle Scheite leicht gegen außen abfielen und den Regen abtropfen ließen.

Als der Stamm der Tanne in handliche Stücke zersägt war, hatte er sich wieder beruhigt. Das fing ja gut an, dachte er, wenn er schon jetzt, wo er noch in Amt und Würden war, durchdrehte wie der letzte Choleriker.

[14] Er sah Hedwig hereinkommen. Sie hatte sein Handy bei sich. Er stellte die Motorsäge ab.

»Es tut mir leid«, sagte er. »Es soll nicht mehr...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2013
Reihe/Serie Kommissär Hunkeler
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Basel • Hausboot • Krimi • Kriminalroman • Liebe • Pensionierung • Rhein • Skandal • Theatermilieu • Verschwinden
ISBN-10 3-257-60043-7 / 3257600437
ISBN-13 978-3-257-60043-8 / 9783257600438
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