Back to Blood (eBook)
768 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-09681-6 (ISBN)
Clash of Cultures unter karibischer Sonne: eine brillante und bissige Satire auf den menschlichen Umgang mit gesellschaftlicher Realität.
Die Freiheit ist nur 20 Meter entfernt für den kubanischen Flüchtling, der sich auf den Mast einer Luxusjacht vor Miami geflüchtet hat. Aber dann wird er vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern in einer spektakulären Aktion live verhaftet. Und das ausgerechnet vom netten Nestor, einem Polizisten mit kubanischen Wurzeln, der unter den chauvinistischen Sprüchen seiner weißen Vorgesetzten leidet. Die ganze Stadt ist in zwei Lager gespalten: Für seine Familie und Landsleute ist Nestor ein Verräter, für die Weißen ein Held und Musteramerikaner. Soll der kubanische Bürgermeister ihn suspendieren oder mit Orden schmücken? Versaut ihm dieser Idiot die Wiederwahl?
Genüsslich und packend taucht Tom Wolfe ein in die verrückteste Stadt Amerikas: Miami, wo die Spanisch sprechenden Kubaner inzwischen die Mehrheit, aber die Weißen immer noch das Geld haben. Wo die Jugend am Strand den ewigen Spaß und die Rentner beim Schönheitschirurgen das ewige Leben suchen. Wo die Blutlinien mitten durch den amerikanischen Traum verlaufen.
Tom Wolfe, 1930 in Richmond, Virginia, geboren, arbeitete nach seiner Promotion in Amerikanistik als Reporter u.a. für The Washington Post, Esquire und Harper's. In den 1960er-Jahren gehörte er mit Truman Capote, Norman Mailer und Gay Talese zu den Gründern des 'New Journalism'. Der vielfach preisgekrönte Schriftsteller (National Book Award u.a.) war mit Büchern wie The Electric Kool-Aid Acid Test (1968) international längst als Sachbuchautor berühmt, ehe er mit Fegefeuer der Eitelkeiten (1987) seinen ersten Roman vorlegte, der auf Anhieb zum Weltbestseller und von Brian de Palma mit Tom Hanks verfilmt wurde. Es folgten mit Hooking Up eine Sammlung von Essays und Erzählprosa (Blessing 2001) und weitere erfolgreiche Romane, darunter Ich bin Charlotte Simmons (Blessing 2005) und der SPIEGEL-Bestseller Back to Blood (Blessing 2013). Zuletzt erschien Das Königreich der Sprache (Blessing 2017). Tom Wolfe verstarb im Mai 2018 in New York.
Prolog
Wir sind jetzt
in Mii-ah-mii
You …
You …
You … edit my life … You are my wife, my Mac the Knife — der Witz daran ist, dass er zwar der Chefredakteur vom Miami Herald ist, einer der fünf oder sechs bedeutendsten Zeitungen der Vereinigten Staaten, dass sein Chef aber sie ist. Sie … ist … sein Chef. Letzte Woche hatte er völlig vergessen, im Internat seines Sohnes Fiver anzurufen, in Hotchkiss, bei dem Rektor mit der sanierten Hasenscharte, und Mac, seine Frau, seine Mac the Knife, war verständlicherweise verärgert gewesen … aber dann hatte er ihr mehr schlecht als recht zur Melodie von »You Light Up My Life« seinen kleinen Reim vorgesungen. You … edit my life … You are my wife, my Mac the Knife — und da musste sie gegen ihren Willen lächeln, und das Lächeln löste ihre Laune in Luft auf, die Ich-hab-genug-von-dir-und-deiner-Liederlichkeit-Laune. Würde das jetzt vielleicht noch mal funktionieren? Würde er noch einmal den Mut dazu aufbringen?
Im Augenblick hatte Mac das Kommando. Sie saß am Steuer ihres geliebten und grotesk beengten, brandneuen Mitsubishi Green Elf Hybrid, eines momentan todschicken und moralisch erleuchteten Fahrzeugs. Sie rollten auf dem Parkplatz des Balzac’s, Miamis Jahrhundertnachtklub des Monats gleich um die Ecke vom Mary Brickell Village, an lückenlosen Reihen mit Seitenspiegel an Seitenspiegel parkenden Autos vorbei und suchten vergeblich nach einem freien Platz. Sie fuhr ihren Wagen. Diesmal war sie verärgert — und ja, wieder einmal verständlicherweise — weil seine Liederlichkeit dafür verantwortlich war, dass sie sich hoffnungslos verspätet auf den Weg zum Balzac’s gemacht hatten, weshalb sie darauf bestanden hatte, ihren Green Elf zu nehmen, um zum coolsten aller Nachtklubs zu fahren. Wenn er fahren würde, in seinem BMW, würden sie niemals rechtzeitig ankommen, weil er nämlich ein dermaßen langsamer und zum Verrücktwerden vorsichtiger Fahrer war … und er fragte sich, ob sie damit nicht eigentlich ängstlich und unmännlich meinte. Wie auch immer, sie übernahm die Rolle des Mannes, und der Elf zischte zum Balzac’s wie ein geölter Blitz, und da waren sie nun, und Mac war gar nicht glücklich.
Drei Meter über dem Eingang des Restaurants war eine riesige Kunststoffscheibe angebracht, knapp zwei Meter im Durchmesser und knapp einen halben Meter dick, darin eingelassen eine Büste von Honoré de Balzac, eine »Nachempfindung« — so bezeichnen Künstler heutzutage ein Plagiat — der berühmten Daguerreotypie von Nadar. Balzacs Augen waren so verändert worden, dass sie genau in die Augen des eintretenden Gastes blickten, und die Lippen waren an den Mundwinkeln zu einem breiten Lächeln angehoben worden. Der »Nachempfinder« war ein begabter Bildhauer und hatte drinnen eine Lichtquelle angebracht, die die gewaltige Kunststoffscheibe mit einem goldenen Schimmer durchdrang. Tout le monde war begeistert. Das Licht hier draußen auf dem Parkplatz war allerdings miserabel. Industrielaternen auf hohen Masten schufen ein trübes elektrisches Zwielicht, das den Palmwedeln eine eitrig gelbe Farbe verlieh. »Eitrig gelbe Farbe« — na also. Ed fühlte sich klein, klein, klein … festgeschnallt auf dem Beifahrersitz, den er ganz hatte zurückschieben müssen, damit er in Macs klitzekleinem, grasig grünem Green Elf genügend Platz für seine langen Beine hatte. Er kam sich vor wie der Doughnut, der spielzeugkleine Reservereifen im Kofferraum des Elf.
Mac, ein großes Mädchen, war gerade vierzig geworden. Schon vor achtzehn Jahren, als er sie in Yale kennengelernt hatte, war sie ein großes Mädchen gewesen … kräftige Knochen, breite Schultern, groß, fast eins achtzig … schlank, geschmeidig, stark, eine Athletin hoch drei … sonnig, blond, voller Leben … Atemberaubend! Einfach umwerfend, sein großes Mädchen! In der Kategorie der umwerfenden Mädchen sind die großen Mädchen allerdings die ersten, die jene unsichtbare Grenzlinie überschreiten, jenseits deren sie höchstens noch darauf hoffen können, als »sehr gut aussehende Frau« oder »ziemlich beeindruckend, ehrlich« durchzugehen. Mac, seine Frau, seine Mac the Knife, hatte diese Linie überschritten.
Sie seufzte so tief, dass sie beim Ausatmen die Luft durch die Zähne presste. »Man sollte meinen, dass so ein Restaurant einen Parkservice hat. Teuer genug ist der Laden ja.«
»Stimmt«, sagte er. »Du hast recht. Das Joe’s Stone Crab, das Azul, das Caffe Abbracci und dieses Restaurant am Setai — wie heißt das noch? Die haben alle einen Parkservice. Du hast absolut recht.« Dein Weltbild ist meine Weltanschaunung. Reden wir also über Restaurants.
Eine Pause. »Ich hoffe, dir ist klar, dass wir sehr spät dran sind. Es ist zwanzig nach acht. Wir sind schon jetzt zwanzig Minuten zu spät, haben noch keinen Parkplatz, und da drinnen warten sechs Leute auf uns —«
»Na ja, ich weiß nicht, was ich sonst noch hätte tun sollen — Ich hab Christian angerufen und ihm —«
»— du hast sie eingeladen. Schon vergessen? Das weißt du ja wohl noch, oder?«
»Ich hab Christian angerufen, dass sie sich schon mal was zu trinken bestellen sollen. Du kennst doch Christian, das lässt der sich nicht zweimal sagen. Und Marietta auch nicht. Marietta und ihre Cocktails. Außer ihr kenne ich keinen einzigen Menschen, der sich noch Cocktails bestellt.« Plaudern wir also ein bisschen — Obiter dictum — über Cocktails oder Marietta oder beides.
»Trotzdem — es gehört sich einfach nicht, alle so warten zu lassen. Ich meine — also wirklich, Ed, ich mein’s ernst. Das ist so liederlich, das halte ich einfach nicht aus.«
Jetzt! Das war seine Chance! Das war der Spalt in der Wörterwand, auf den er gewartet hatte! Eine Öffnung! Riskant, aber … Und nur ein bisschen falsch fängt er an zu singen.
»You …
You …
You … edit my life … You are my wife, my Mac the Knife …«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Und, scheint mir ja nicht viel zu bringen, oder?« … Na ja, egal! Da, was kroch da so hinterhältig über ihre Lippen? War das etwa ein Lächeln, ein kleines, zögerliches Lächeln? Tatsächlich. Und dieses Ich-hab-genug-von-dir, wieder einmal begann es sich in Luft aufzulösen.
Sie waren etwa die Hälfte der Parkreihe abgefahren, als im Licht der Scheinwerfer zwei Gestalten auftauchten, die auf den Elf und das Balzac’s zugingen — zwei Mädchen, dunkelhaarig, plaudernd, die anscheinend gerade ihren Wagen abgestellt hatten. Sie waren höchstens neunzehn oder zwanzig. Die Mädchen und der suchende Elf bewegten sich schnell aufeinander zu. Die Mädchen trugen Jeansshorts, deren Gürtellinie dem Venushügel gefährlich nahe kam und deren Beine praktisch erst … hier … am Hüftansatz abgeschnitten und an den Rändern ausgefranst waren. Die jungen Beine hatten Modelmaße, da sie auch noch glänzende, mindestens fünfzehn Zentimeter hohe High Heels trugen. Die Absätze waren anscheinend aus Plexiglas. Wenn Licht darauf fiel, strahlten sie wie durchsichtiges Gold. Die beiden Mädchen trugen so viel Mascara, dass es schien, als schwämmen ihre Augen in vier schwarzen Tümpeln.
»Wirklich sehr attraktiv«, murmelte Mac.
Ed konnte sich nicht losreißen von dem Anblick. Es waren Latinas — obwohl er nicht hätte erklären können, warum er das wusste. Er wusste nur, dass Latina und Latino spanische Wörter waren, die es nur in Amerika gab. Die beiden Latinas sahen trashig aus, sicher, aber auch Macs ironische Bemerkung änderte nichts an der Wahrheit. Attraktiv? »Attraktiv« war nur ein schwacher Ausdruck für das, was er wahrnahm! So schöne, zarte, lange Beine. So kurze kleine Shorty-Shorts. So kurz, dass sie sich einfach so herausschälen konnten. In null Komma nichts konnten sie ihre saftigen kleinen Lenden und ihre perfekten kleinen Schnuckelhintern freilegen … für ihn! Das war offensichtlich das, was sie wollten! In seinen eng geschnittenen Jockeys spürte er die Schwellung, für die Männer leben. Oh, ihr unsagbar versauten Mädchen!
Als Mac an ihnen vorbeirollte, zeigte eines der Mädchen auf den Green Elf, und beide fingen an zu lachen. Die lachten. Anscheinend wussten sie nicht zu würdigen, wie exklusiv GRÜN war … oder wie hip oder wie cool der Elf. Noch weniger konnten sie ermessen, mit welch grünen Accessoires und diversen esoterischen Umweltmessgeräten plus Rotwild-Protector-Radar der Elf vollgestopft war — sie konnten nicht ermessen, dass dieses kleine Elfchen von Auto $135 000 kostete. Er hätte alles dafür gegeben, um zu erfahren, worüber sie redeten. Aber in dem Kokon aus thermoisolierten Lexan-Scheiben, Türen und Verkleidungen aus Fiberglas sowie dem Brummen der vollautomatischen Kohlendioxidfilter- und Außenluftrecycling-Klimaanlage konnte man nicht mal ansatzweise irgendein Außengeräusch hören. Sprachen die überhaupt Englisch? Ihre Lippen bewegten sich anders als bei Englisch sprechenden Menschen, stellte der große audiovisionäre Linguist fest. Das konnten nur Latinas sein. Oh, ihr unsagbar versauten Latina-Mädchen!
»Großer Gott«, sagte Mac. »Wo um alles in der Welt kann man bloß High Heels kaufen, die so...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2013 |
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Übersetzer | Wolfgang Müller |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Back to Blood |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | eBooks • Einwanderung • Miami • Miami, Einwanderung, Satire • Roman • Romane • Satire |
ISBN-10 | 3-641-09681-2 / 3641096812 |
ISBN-13 | 978-3-641-09681-6 / 9783641096816 |
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