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Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur (eBook)

Fischer Klassik PLUS
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
640 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402291-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Mit einem Nachwort von Erich Kleinschmidt. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk. Alfred Döblins wichtigste Schriften über Kunst und Literatur Ob er gegen den Futurismus oder die Psychologie des Romans polemisiert, ob er mehr »Tatsachenphantasie« oder größere politische Verantwortung fordert - stets ist Döblin auch auf dem Feld der ästhetischen Reflexion ein radikal gegenwärtiger Autor, der sich aus der Dynamik der eigenen literarischen Praxis heraus einmischt und sich bei keiner These beruhigen kann. Diesem unorthodoxen, engagierten Grundzug seiner Essays verdankt sich ihre Lebendigkeit bis heute, und ihre produktive Unruhe macht sie zu wichtigen Impulsgebern auch für gegenwärtiges Nachdenken über Kunst, Musik und Literatur.

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ›Berlin Alexanderplatz‹. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Viertes Gespräch: Die Meerfahrt


Von den Tönen und Geräuschen

(Die Meerfahrt. Das offene graugrüne Meer. Starker Wind. In einem Vielruderer mit schlagendem Segel lugt Kalypso am Steuer. Der Musiker hält ein Tau, springt lavierend herum; er ist jetzt ohne Nasenkette.)

 

MUSIKER (Kalypso zujubelnd)

Kalypso, Δῖα ϑεάων!

[KALYPSO]

– Die nun, welche dem jähen Verderben entronnen waren, –

MUSIKER

Krochen auf der Erde herum und holten sich den Tod.

KALYPSO

Und taten gut daran.

MUSIKER (In gleichem Ton)

Andere aber wandelten sich in Getier, in Vögel und Kröten.

KALYPSO (Gelassen)

Liebes Kind, Du bist noch nicht reif dazu. – Gestern Abend soll einer stundenlang am Strand gestanden, die Hände gerungen haben; er schluchzte und predigte – den Fischen.

MUSIKER (Wirft sich auf die Steuerbank.)

So laß ihn predigen. Ich glaube Dir nicht mehr und Deinem Gesicht. Du wärst mir zwar schuldig, zu verraten, was um Dich und so um mich ist. Aber nun beginnt mich dein Schweigen zu beruhigen. Ich habe manchmal Lust, dich zu trösten.

KALYPSO

Weil dich Narren nichts vor dem Grabe des Olympiers anpackte, in der Klippe, weil ich noch immer deiner schone, um – mit Dir zu plaudern.

MUSIKER

Die Säule auf dem Grabe dröhnte, der Rauch stieg zwischen den Steinquadern auf.

KALYPSO

Er brennt unten, nichts verbrennt ihn, nichts erstickt ihn. Wohl dir, daß du vor ihm betetest.

MUSIKER

Der Mund seines Bildes auf der Säule war in schrecklicher Wut verzogen. Aber Du sahest auch die lange Schmerzfalte, die sich zwischen den weitoffenen Augen aufstellte; und darum, Kalypso, weintest Du und wandtest Dich wortlos.

KALYPSO (Kalt)

Du Weiser. (Legt sich, die scharfe Seeluft einziehend, weit zurück.) Es gibt größere Rätsel als Deines der Musik. (Steht auf, ruft hart in den Schiffsraum.) Zieht an! Ihr schlaft! Wind, Wind[,] oh, Meer, Meer! (Sie reckt sich.) Die Fische beneide ich, die Algen auf dem Wasser; am meisten die Sturmmö[w]en. Ich möchte ein Segel sein, oder ein scharfes Schiffskiel. Nicht sachte und hündisch vorwärts traben, durch die fließenden Wellen drängen, den bittren Wind zerschneiden. (Über das Deck hinjauchzend.) Kastor, steh mir nimmer bei, reiß meine Masten in Stücke, leg die Bretter aufs Wasser. Kastor! Kastor[,] mein Schwesterkind! (Sie sitzt wieder lachend am Steuer, zum Musiker.) Auf der der starrste Tod ruht.

MUSIKER (Küßt inbrünstig ihre Füße.)

KALYPSO

Sieh dieses steife, schwere Rot dort. Es gibt Sturm.

MUSIKER

Was brauche ich Musik?

KALYPSO (Nachdem sie lange geschwiegen haben, schweratmend.)

So sprechen wir. Ich war nicht immer so wie jetzt; ich schwamm sonst meines Wegs, wie am glatten Himmel ein federleichtes Wölkchen. Nur zu wissen gelüstete mich schon sonst. Wenn die Masten sich biegen, die Segel heulen und scharren, mein Gewand sich wie ein Hengst wirft und aufbäumt, bebt in mir die Lust, vieles zu begreifen, und die Sucht, mich in die Dinge einzufinden. Aber manchmal glaubte ich: [Der,] in dessen Knien alle Bestimmung ruht, habe eifersüchtig und furchtsam alles für sich behalten; in kleine Gärtchen habe er uns gesperrt.

MUSIKER

Das Ungeheuer, das diese Welt ist, hat ein gar weiches Fell; wir sinken ein und können über kein Härlein schauen. (Das Schiff schlingert stark. Ein auf- und abschwellendes Rollen, Pfeifen und Brüllen geht über das Meer.)

KALYPSO (Freudig lauschend)

Meine Festmusik! Verstehst Du sie? – Wer kann sprechen von ihr, wer muß nicht singen? – Wer ist es, der so wild über mein Meer jauchzt?!

MUSIKER

Kalypso, ja, es jauchzt!

KALYPSO

Oh, meine Festmusik. Das Meer singt. Es sind die Töne des Meeres, die herüberkommen.

MUSIKER

– Auch ich habe nie ohne Erschütterung dem Meere zugehört. Um dieses, um das Singen der Dinge bin ich schon manchmal geschlichen. Aber die Dinge enthüllen sich nicht gern. – Wie unendlich sie verbreitet sind, die Töne in der Welt. An Masten, Giebeln, scharfen Halmen, Dachfenstern hängen die Töne wie Schwalbenscharen; die Luft scheucht sie da auf. Die Luft ist eine schamlose Diebin, wo sie sich durch Spalten stiehlt, erhebt sie noch laut ihre Stimme. Die Luft steigt auf und schwimmt mit den Meeresströmen. Wärme und Kälte sind ihre Herrinnen; sie führen sie, heben, senken sie; im Rollen der Erde wird sie umgeschleudert und gleitet fort. Wärme und Schwingen der Erde wirft die Luft herum und gegen Masten[,] Giebel, scharfe Halme, scheucht die Schwalben auf.

Letzten Endes muß ich den heißen Stern, die Sonne, Mutter der Töne nennen.

KALYPSO

Wohl gleitet die Luft hin; die schweren Gemische schüttern, die die Unrast treibt. Sie schlitzen sich wie Haifische an Korallen den Leib auf, an Schiffen und Klippen[,] ringen noch mit sich und wimmern vor Schmerz. Während wir sitzen, geht die Luft, die riesige Wanderin, über das Weltmeer, mit bloßen Füßen, naß schleppenden Gewändern. – Aber vergißt Du nicht das Kind über der Mutter? Vielleicht klingt kein Ton ohne die Luft, aber der Ton ist etwas anderes, als die Luft. Wenn meine Perlen zusammenschlagen, so klirren sie; die Barke dröhnt vom Ruderschlag. Die Dinge sind es, die an der Luft tönen. Eines ist der Ton, das andere das Ding, das tönt. Wo die Dinge rasch gegeneinander dringen, »entsteht« der Ton, – das Geräusch, wie Du es nennen magst. Und kein Laut fällt, wenn sie ruhen. Vielleicht sogar, daß auch das Ruhende tönt, daß alles tönt, weil alles gegeneinander drängt – wenn auch zu fein für unser Ohr. Das müssen seltsame Geräusche sein, in denen das wachsende Gras erklingt. Ach, was mag hören, wessen Ohr sich stark bewaffnete, also wie das Auge mit scharfen Linsen.

MUSIKER

Wir hören wenig. Du nanntest das Gehör einen geselligen Sinn; so nenn ich ihn, darum weil er ein beschränkter, enger Sinn ist, der sich in nahen Grenzen ergeht. Es muß verschiedene weite und enge Gehörsbezirke geben, gleich Terrassen, die trichterförmig in die Tiefe führen; und so erscheinen auf jeder Stufe aufwärts größere umfassendere Klänge und breitere dickere Töne, vielfach eigentümliche Musiken auch, unfaßbare, fremde Musiken.

KALYPSO

Der Ton ist etwas anderes als die Luft und die Dinge. Wie aber sind die Töne mit den Dingen verbunden? Die Dinge bewegen einander, drängen einander; da summt der Ton auf, aber er – er bewegt nichts; eine Todgeburt, aus der Vermählung des Lebendigen erzeugt. Er ändert nichts, ist ohnmächtig. Die Luft dreht Mühlen, der Ton leistet nichts. Ich dachte mir einmal, ein Teil der Kraft, mit dem ich das Ruder auf den Bord schlage, geht in das Dröhnen auf, aber der Ton paßt in keine Rechnung, keine Kraft wird in den Tönen frei. So können die kraftvollen, rüstigen Dinge, schloß ich, wenn auch verbunden mit den Tönen, nicht Ursache der Töne sein. Wenngleich sie so innig unlöslich mit den Dingen verbunden sind, wenngleich es doch die Dinge sind, die tönen. Die Wellen schlagen gegen die Bretter, es klatscht, meine Ketten klirren, wo ich mich erhebe; ich stoße mit der Faust auf das Steuer; nun dumpft es. Mit also erstaunlichen Gaben sind die Dinge ausgestattet; wunderbares lauert hinter ihnen. –

(Die Schiffer im Bug des Vielruderers singen eine kurze sich unendlich wiederholende Tonreihe im Takt der Ruder. Die Windbewegung läßt nun nach. Kalypso und der Musiker lauschen eine lange Zeit. Kalypso sinnt mit rückwärts geworfenem Kopf.) Weit trägt ein Ton; löst die Enge des Raums, sprengt eherne Mauern. Regsam ist er, ein Feind des Todes, haucht seinen Geist kühl hin über die Landschaft, ehe er versinkt in das Leblose des ungeheuren Schweigens. – Ich will mich nicht daran verlieren. Wo eine Kraft gegen die andere sich spannt, reißt sich der Laut los. Nichts tönt selbstwillig aus sich heraus. Nur in Wehr und Gegenwehr; der Laut ist ein Begleiter des Kampfes. Der Schlegel hämmert gegen das Fell, der Bogen sägt und reißt an der Saite, die Luft schüttelt an den Stäbchen; und wo die Zerstörung sich rüstig ans Werk gibt, spreizt sich der Laut. Er wächst nicht mit der Wut des Kampfes. Das machtlose Blech lärmt, schwere Taten geschehen lautlos. So lose also bindet sich Ton an Kampf. –

Die Kämpfer selbst, ja das ist es, der Stoff, der Stoff, er tönt. Das Meer tönt in seiner Art, der Stein, das Holz, das Silberblech. Es ändert nichts am Ton, ob der Olympier auf dem Metall gezeichnet ist, oder Sophokles oder ein Räuber. Wie für das Auge nur Farbe und Form gilt, so für das Ohr nur der Stoff – und seine Bewegung. Der Ton zeigt hinter das Sichtbare, das Fühlbare, enthüllt ohne Scham tief Verborgenes. Verrät uns nicht die Stimme, erröten wir nicht, wenn wir uns hören? Einbegriffen, hineingerissen in das Zeitliche und Geschehen ist der Stoff selbst, hineingerissen ist unser Wesen selbst und kann sich nicht zurückhalten. Wir liegen hell bestrahlt an der Sonne, gestreckt und nackt liegen wir da; gefordert, gejagt aus unseren Hütten und Höhlen. Blühen geschehend in das Geschehen hinein. – Das Formlose, Ungestaltete, die Wasser, die Steine, die Lüfte haben kein Werkzeug zum Tönen, sie tönen...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2013
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Ästhetik • Kunst • Literatur • Moderne • Poetologie • Produktionsprozess • Reflexion • Schriften • Schriftstellerei • Theorie • zwanzigstes
ISBN-10 3-10-402291-7 / 3104022917
ISBN-13 978-3-10-402291-8 / 9783104022918
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