Der Tod macht Schule (eBook)

Bröhmann ermittelt wieder
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-90221-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Tod macht Schule -  Dietrich Faber
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Als ich von der Diensttoilette der Polizeidirektion Alsfeld zurückkehre, drückt sich Praktikant und Schriftstellergott Manfred Kreutzer mal wieder an meinem Schreibtisch herum. «Ahhh, servus, Meister.» Er deutet auf den Zettel mit den Namen, der direkt vor mir liegt. «Den da kenne ich. Den Ludger Munker. Der ist bei uns Grillsportler.» «Grill... was?» «Grillsportler. Mir habbe in Rainrod einen Grillsportverein. Und der Lusi ist aktueller Spareribs-Vereinsmeister», erklärt Kreutzer mit tiefer Ernsthaftigkeit und im Tonfall aufrichtiger Bewunderung. «Das klingt ja spannend», sage ich. «Ei, ich kann dich doch mal mitnehmen zum Grillsport, wenn dich das interessiert. Und da kannst doch ganz nebenbei mit dem Ludger über die Murnau quatschen. Der muss ja net wissen, dass du ein Bulle bist.» Warum eigentlich nicht? An so etwas könnte ich Freude haben. Vogelsberger Männern beim «Grillsport» zuzuschauen und nebenbei vielleicht in den Ermittlungen weiterzukommen. Was will man mehr? Eines will ich dann aber doch noch wissen. «Wie heißt eigentlich euer Verein?» «Die Rainroder Schweinebäuche e.V.»

Dietrich Faber wurde 1969 geboren. Bekannt wurde er als ein Teil des mehrfach preisgekrönten Kabarett-Duos FaberhaftGuth.Bereits sein erster Roman «Toter geht´s nicht» schaffte es auf Anhieb auf die Bestsellerliste. Die Lesungen und Buchshows zu seinen Romanen um den wenig charismatischen Kommissar Bröhmann wurden zu Bühnenereignissen. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Mittelhessenmetropole Gießen.

Dietrich Faber wurde 1969 geboren. Bekannt wurde er als ein Teil des mehrfach preisgekrönten Kabarett-Duos FaberhaftGuth. Bereits sein erster Roman «Toter geht´s nicht» schaffte es auf Anhieb auf die Bestsellerliste. Die Lesungen und Buchshows zu seinen Romanen um den wenig charismatischen Kommissar Bröhmann wurden zu Bühnenereignissen. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Mittelhessenmetropole Gießen.

1. Kapitel


Frau Dr. Ellen Murnau, die Schuldirektorin meiner Tochter, liegt unter ihrem Schreibtisch und schreit.

«Machen Sie doch was, Sie sind doch Polizist!»

Sie meint mich, denn zum einen ist niemand anders im Zimmer, zum anderen bin ich nun einmal tatsächlich bei der Polizei.

Doch auch ein Polizist muss erst einmal die Dinge sortiert bekommen, und daher mache ich zunächst einmal gar nichts. Sage auch nichts, sondern starre auf den golfballgroßen Stein, der vor ungefähr sieben Sekunden durch die Fensterscheibe krachte und nur knapp den adrett frisierten Kopf der Schulleiterin verpasst hat.

Eben noch teilte mir Frau Dr. Ellen Murnau mit abgeklärter Stimme mit, dass Melina nur mit viel Aufwand, Anstrengung und einer veränderten Arbeitseinstellung die Versetzung in Klassenstufe 11 erreichen werde. Nun hat sich die Sach- und vor allem ihre Stimmlage schlagartig verändert. Ich hatte einiges bei diesem Gespräch befürchten müssen und auch mit viel Schlimmem gerechnet, aber nicht unbedingt damit, dass Steine durchs Büro segeln.

«Machen Sie doch was!», brüllt sie erneut, noch immer unter ihrem Tisch kauernd. Irgendwie hat sie ja recht, wenn sie so etwas von einem Hauptkommissar einfordert, aber es bringt doch nun mal nichts, wenn sie mich so anschreit, finde ich. Ich blicke auf die am Boden liegenden Glasscherben und warte darauf, dass sie es ein drittes Mal tut.

Sie tut es.

Ich gucke zum Fenster, als würde ich auf den nächsten Stein warten. Draußen rennt eine schmale Jungengestalt im Kapuzenpullover hastig über den Schulhof der Vogelsbergschule Schotten.

«Da rennt jemand», sage ich zu Frau Dr. Ellen Murnau und zeige mit dem Finger in Richtung Schulhof.

Frau Dr. Murnau, inzwischen wieder aus ihrem Schreibtischversteck herausgekrochen, streift sich ihren himmelblauen Hosenanzug glatt, richtet hektisch ihre Hochsteckfrisur und befiehlt mir in einem Tonfall, mit dem sie sonst vermutlich Fünftklässler maßregelt, die ihre Hausaufgabenhefte nicht ordentlich geführt haben, dass ich doch nun gefälligst hinterherlaufen solle.

Auf diese Idee bin ich aber auch schon selbst gekommen.

Ich renne los und stolpere über das Kabel eines Overheadprojektors, ein Gerät, von dem ich dachte, dass es so etwas im 21. Jahrhundert in Deutschlands Schulen gar nicht mehr gäbe. Nicht so mitten in Hessen. Ich sprinte. Ging auch schon mal schneller und schmerzfreier, denke ich, als ich an diesem milden Frühlingsdienstagnachmittag mit meinen 39 Jahren durch die leeren Schulgänge keuche.

Auf dem Schulhof angekommen, mein linkes Knie und die rechte Hüfte machen sich schon schmerzhaft bemerkbar, ist kein Kapuzenbursche mehr zu sehen. Ich entscheide mich daher für einen dynamischen Gehschritt, der mir trotzdem ermöglicht, eine Zigarette anzuzünden, und schreite in Richtung Waldrand. Meine Hände tasten mich ab und finden mein Handy nicht. Ich kann also im Moment nicht einmal meine Kollegen anrufen und sie auf die Jagd schicken.

Plötzlich entdecke ich in der Nähe des Einkaufsmarktes den Kapuzenpulli. Ich überquere die Straße und renne zielstrebig auf ihn zu. Er sieht mich, verschärft sein Tempo und spurtet Richtung Wald. In wenigen Sekunden hat sich der Abstand zwischen uns verdoppelt.

«Stehen bleiben, stehen bleiben», rufe ich in die Vogelsberger Weite.

Ich bleibe stehen, keuche noch stärker und stelle fest, dass er weg ist. Ich habe Seitenstechen, wie früher die dicken Mädchen im Turnunterricht. Wie erbärmlich.

Ich weiß, dass ich gleich zurückmuss, zur Schule, zu Frau Dr. Ellen Murnau. Doch jetzt noch nicht, später, entscheide ich, wische mir den Schweiß von der Stirn, begutachte die nassen Flecken unter den Armen, zünde mir eine weitere Zigarette an und setze mich mit Blick auf die Gesamtschule auf einen Baumstumpf. Hier also wird meine Tochter Melina ein weiteres zusätzliches Jahr verbringen dürfen. Wenn nicht ein Wunder geschieht oder sie den Plan, das Abitur zu erreichen, vorzeitig in den Vogelsberger Wind schießt. Hauptsache nur, sie wird nicht von einem Stein erschlagen.

 

Urplötzlich muss ich an DAS denken. DAS, was mein Leben ins Wanken brachte. DAS, was alles durcheinanderwarf und so vieles veränderte. Sogar mich. Über ein Jahr ist das nun schon alles her. In den letzten Monaten ist es mir immer häufiger gelungen, Gedanken und Erinnerungen daran zu vermeiden. Man kann sogar sagen, dass wieder so etwas wie Ruhe eingekehrt ist.

Ich habe mich entschieden, dass das, was in der Polizeiakte steht, die Wahrheit ist. Es ist auch meine Wahrheit geworden. Der Doppelmörder wurde gefasst, starb kurz darauf in Haft und fertig. Alles andere bleibt Privatsache. So sehe ich das. So will ich es sehen. Und zwar für meine Frau Franziska, für meine Tochter Melina, für meinen Sohn Laurin und für mich, Henning Bröhmann, der sich in diesem Moment auf den Weg zurück zur Schule, zurück zu Frau Dr. Ellen Murnau macht, um sich vermutlich dafür beschimpfen zu lassen, dass er den Steineschmeißer von Schotten nicht mit bloßen Händen zu fassen bekommen hat.

 

«Diese Saukerle, links und rechts gehört dene eine mitgegebe, dass den Hör’n und Seh’n vergeht! Und was macht ihr mit dene? Ihr dut die zum Bsüscholoche stecke, wo sie dann verhätschelt wer’n!», quäkt mich mit nasaler Stimme Uwe Niespich an, während er die restlichen Scherben im Büro der Schuldirektorin beseitigt. «Hab isch rescht, oder hab isch rescht?»

Uwe Niespich ist der Hausmeister der Schule. Er bewegt sich irgendwo in einem Alter zwischen 25 und 60 und hat tatsächlich einen grauen Kittel an. Und ich dachte, nur mittelmäßige Kabarettisten tragen heute noch graue Kittel, wenn sie dem «Volk aufs Maul schauen» und mal wieder einen Hausmeister auf der Bühne darstellen. Doch ich dachte ja auch, es gäbe keine Overheadprojektoren mehr. Es würde mich nun auch nicht mehr wundern, wenn ich gleich Matrizenblätter auf Frau Dr. Ellen Murnaus Schreibtisch entdeckte.

Uwe Niespich brabbelt noch eine Weile weiter, wohl mehr mit sich, als an mich gewandt. Jedenfalls höre ich nicht zu, was ihm nichts auszumachen scheint. Ich sitze wieder wie vorhin auf dem Stuhl gegenüber dem Platz der Direktorin und warte auf dieselbige. Sie wolle sich nach dem kleinen Schreck, wie sie selber sagte, noch ein wenig frischmachen und gleich zurück sein.

«Sache Se doch mal jetzt ehrlisch», plärrt mir Hausmeister Niespich ins linke Ohr. «Jetzte mal ganz unter uns Priesterfrauen: Wie viel Prozent von dene Strafanfällischkeite wird von …» – nun dämpft er seine Stimme und blickt verstohlen um sich – «… also, wie viele Verbreschereie werden von Netdeutschen … äh verbroche?»

«Netdeutsche?», frage ich nach und stelle mich blöd.

«Na ja, von dene Ausländä.»

«1,3 Prozent, weltweit», antworte ich.

«Sisste!», antwortet Niespich, ohne dass ich den Eindruck gehabt hätte, dass er meine Antwort gehört, geschweige denn verstanden hat, und verlässt mit dem Scherbeneimer das Büro.

Die Minuten, in denen Frau Dr. Ellen Murnau noch auf sich warten lässt, nutze ich damit, etwas Sinnvolles zu tun, und notiere, was mir an Details vom Äußeren des mutmaßlichen Steinewerfers in Erinnerung geblieben ist. Schwarzer Kapuzenpulli und eine Mütze, die seinen Kopf vollständig verdeckt hatte, schmächtige Gestalt, maximal 1,60 groß, blaue Jeans …

Dann betritt Frau Dr. Ellen Murnau in zackigem Tempo ihr Büro. Sie nimmt hinter ihrem Schreibtisch Platz, lächelt mir souverän zu und sagt: «Herr Bröhmann, ich finde das sehr aufmerksam von Ihnen, doch Sie hätten meinethalben gar nicht mehr wiederkommen müssen. Wir waren doch so weit durch, oder? Melina muss deutliche Signale setzen, um noch eine Chance zu haben. Vor allem in puncto Disziplin ist sie wieder …»

«Verzeihung», unterbreche ich die Schulleiterin zaghaft, «ich bin jetzt eigentlich nicht mehr wegen meiner Tochter zurückgekommen. Ich möchte mit Ihnen über den Vorfall mit dem Stein sprechen.»

«Ach das», sagt sie und lächelt gekünstelt wie eine Bundeskanzlerin, die Bundespräsidenten verteidigt, die sich von Multimillionären den ein oder anderen hübschen Urlaub bezahlen lassen. «Das ist doch längst vergessen. Da machen wir mal einen hübschen Haken dran.»

Wo ist die kreischende Frau geblieben, die noch vor einer knappen Stunde unter dem Schreibtisch kauerte?

«Wie meinen Sie das?», frage ich nach. «Sie wollen keine Anzeige erstatten? Sie wissen schon, dass der Stein Sie nur um Zentimeter verfehlt hat?»

Die Schulleiterin stützt ihre Ellenbogen auf den Tisch, legt ihr Kinn auf die Fäuste und sieht mich an. Sie war bestimmt mal eine recht schöne Frau, denke ich, bevor so eine strenge, stracke Maskerade ihr gut fünfzig Jahre altes Gesicht prägte.

«Was würde denn passieren, wenn ich Anzeige erstatte? Dann stünde morgen doch alles in der Zeitung. Es gäbe unnötige Aufregung bei den Eltern und Unruhe in der Schülerschaft. Steht das in einem Verhältnis zu einem Dumme-Jungen-Streich? Ich glaube doch eher nicht, oder?»

Ich bin überrascht, und mein Gehirn sendet diese Reaktion auch an mein Gesicht, denn Frau Dr. Ellen Murnau ergänzt:

«Das mag Sie vielleicht verwundern, aber ich sehe das hier wirklich nicht so dramatisch. Wissen Sie, wir bauen hier in der Schule in den letzten Jahren etwas richtig Gutes auf. Wir geben uns alle Mühe, dass sich auch hier bei uns, in der überall so belächelten Provinz, selbst mit...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2012
Reihe/Serie Bröhmann ermittelt
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bröhmann • Bröhmann ermittelt • Frankfurt • Hessen • Provinzkrimi
ISBN-10 3-644-90221-6 / 3644902216
ISBN-13 978-3-644-90221-3 / 9783644902213
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