Tod in den Anden (eBook)

Roman
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2012 | 1. Auflage
384 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73635-7 (ISBN)

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Tod in den Anden -  Mario Vargas Llosa
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Auf ihrem Posten in den peruanischen Anden sitzen Korporal Lituma und sein Helfer Tomás wie in einer Falle. Unter ständiger Bedrohung durch Terrorkommandos und eine gewalttätige Natur sollen sie das mysteriöse Verschwinden dreier Menschen aufklären. Überall schlägt ihnen Mißtrauen entgegen, unheimliche Geschichten dringen an ihr Ohr. Hätte Tomás nicht die brennende Erinnerung an seine abenteuerliche Liebesgeschichte mit Mercedes, von der er Lituma Nacht für Nacht erzählt, die beiden müßten eingehen in dieser feindseligen, abergläubischen Bergwelt.
So abweisend das Klima und so verstörend die Bruchstücke der Wahrheit, die sie nach und nach ans Licht bringen, sie lassen nicht locker. Was in den Bergen geschah, hat die Ausmaße eines unfaßbaren Dramas.



<p>Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, studierte Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid. Bereits w&auml;hrend seines Studiums schrieb er f&uuml;r verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und ver&ouml;ffentlichte erste Erz&auml;hlungen, ehe 1963 sein erster Roman <em>Die Stadt und die Hunde</em> erschien. Der peruanische Romanautor und Essayist ist stets als politischer Autor aufgetreten und ist damit auch weit &uuml;ber die Grenzen Perus hinaus sehr erfolgreich. Zu seinen wichtigsten Werken z&auml;hlen <em>Das gr&uuml;ne Haus</em>, <em>Das Fest des Ziegenbocks</em>, <em>Tante Julia und der Schreibk&uuml;nstler </em>und <em>Das b&ouml;se M&auml;dchen</em>.<br /> Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europ&auml;ischer Universit&auml;ten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard, Princeton und Oxford. 1990 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democr&aacute;tico (FREDEMO) bei den peruanischen Pr&auml;sidentschaftswahlen und unterlag in der Stichwahl. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zur&uuml;ck.<br /> Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis f&uuml;r Literatur. 2021 wurde er in die Acad&eacute;mie Fran&ccedil;aise aufgenommen. Heute lebt Mario Vargas Llosa in Madrid und Lima.</p>

Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, studierte Geistes- und Rechtswissenschaften in Lima und Madrid. Bereits während seines Studiums schrieb er für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und veröffentlichte erste Erzählungen, ehe 1963 sein erster Roman Die Stadt und die Hunde erschien. Der peruanische Romanautor und Essayist ist stets als politischer Autor aufgetreten und ist damit auch weit über die Grenzen Perus hinaus sehr erfolgreich. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Das grüne Haus, Das Fest des Ziegenbocks, Tante Julia und der Schreibkünstler und Das böse Mädchen. Vargas Llosa ist Ehrendoktor verschiedener amerikanischer und europäischer Universitäten und hielt Gastprofessuren unter anderem in Harvard, Princeton und Oxford. 1990 bewarb er sich als Kandidat der oppositionellen Frente Democrático (FREDEMO) bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen und unterlag in der Stichwahl. Daraufhin zog er sich aus der aktiven Politik zurück. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. Heute lebt Mario Vargas Llosa in Madrid und Lima.    

Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 2
Impressum 4
Tod in den Anden 5
Widmung 6
Motto 7
Erster Teil 9
I 11
II 44
III 85
IV 125
V 179
Zweiter Teil 223
VI 225
VII 264
VIII 300
IX 345
Epilog 381
X 383
Inhalt 421

I


Als er die Indiofrau in der Tür der Hütte auftauchen sah, ahnte Lituma, was die Frau sagen würde. Und sie sagte es, aber in Quechua, vor sich hin mümmelnd, während ein dünner Speichelfaden aus dem Winkel ihres zahnlosen Mundes rann.

»Was sagt sie, Tomasito?«

»Ich versteh sie nicht richtig, Herr Korporal.«

Sein Amtshelfer wandte sich, ebenfalls in Quechua, an die Frau, wobei er ihr mit den Händen zu verstehen gab, sie solle langsam sprechen. Die Indiofrau wiederholte diese ununterscheidbaren Töne, die Lituma wie eine barbarische Musik vorkamen. Plötzlich fühlte er sich sehr nervös.

»Was sagt sie da?«

»Ihr ist der Ehemann abhanden gekommen. Vor vier Tagen, scheint’s.«

»Damit sind es drei«, brachte Lituma mühsam hervor und spürte, wie sein Gesicht sich mit Schweiß bedeckte.

»Verdammte Scheiße.«

»Also, was machen wir, Herr Korporal.«

»Setz das Protokoll auf.« Ein Schauer lief Litumas Wirbelsäule hinauf und hinunter. »Sie soll dir erzählen, was sie weiß.«

»Was geht hier eigentlich vor«, rief der Gendarm. »Erst der kleine Stumme, dann der Albino. Jetzt einer der Vorarbeiter vom Straßenbau. Das kann doch nicht sein, Herr Korporal.«

Es konnte nicht sein, aber es passierte, und das zum dritten Mal. Lituma stellte sich die ausdruckslosen Gesichter vor, die kleinen eisigen Augen, mit denen die Leute von Naccos, die Hilfsarbeiter des Lagers, die Indios der Bauerngemeinschaft ihn betrachten würden, wenn er sie fragen würde, ob sie wußten, wo der Mann dieser Frau abgeblieben war, und er spürte die gleiche Trostlosigkeit und Ohnmacht wie zuvor, als er versucht hatte, sie über die beiden anderen Verschwundenen auszufragen: Köpfe, die verneinten, einsilbige Antworten, scheue Blicke, gekräuselte Lippen und gerunzelte Brauen, ein Vorgefühl von Bedrohung. Es würde dieses Mal genauso sein.

Sein Amtshelfer Tomás hatte mit der Befragung der Frau begonnen; er machte Notizen in ein Heft, mit einem schlecht gespitzten Bleistift, den er ab und zu mit der Zunge anfeuchtete. ›Wir haben sie schon auf dem Hals, die Terroristen‹, dachte Lituma. ›In irgendeiner Nacht werden sie kommen.‹ Es war ebenfalls eine Frau gewesen, die das Verschwinden des Albinos angezeigt hatte: Mutter oder Ehefrau, sie hatten es nie erfahren. Der Mann war zur Arbeit gegangen oder von der Arbeit gekommen und nicht an sein Ziel gelangt. Und Pedrito war ins Dorf hinuntergegangen, um eine Flasche Bier für die Polizisten zu kaufen, und nie zurückgekehrt. Niemand hatte sie gesehen, niemand hatte bei ihnen Angst, Besorgnis oder Krankheit bemerkt vor ihrem spurlosen Verschwinden. Hatten vielleicht die Berge sie verschluckt? Nach drei Wochen lebten der Korporal Lituma und der Gendarm Tomás Carreño genauso auf dem Mond wie am ersten Tag. Und jetzt, der dritte. Eine Riesenscheiße. Lituma wischte sich die Hände an der Hose ab.

Es hatte zu regnen begonnen. Die dicken Tropfen prasselten mit unregelmäßigen, lauten Tönen auf das Wellblech des Daches und ließen es erzittern. Es war noch nicht drei Uhr nachmittags, aber das Unwetter hatte den Himmel verdunkelt, und die Nacht schien hereingebrochen. In der Ferne war Donner zu hören, der in den Bergen widerhallte, ein stoßweises Grollen, das aus dem Innern der Erde aufstieg, von dem diese Hochlandtrottel glaubten, es sei von Stieren, Schlangen, Kondoren und Geistern bevölkert. Glauben die Indios das wirklich? Aber ja, Herr Korporal, sie beten doch sogar zu ihnen und bringen ihnen Opfergaben. Haben Sie nicht die kleinen Teller mit Essen gesehen, die sie ihnen in den Engpässen der Kordillere hinstellen? Wenn man ihm solche Dinge in Dionisios Kantine oder bei einem Fußballspiel erzählte, wußte Lituma nie, ob man im Ernst sprach oder sich über ihn, den Küstenbewohner, lustig machte. Von Zeit zu Zeit zuckte eine kleine gelbliche Schlange durch die Wolken, in der Öffnung, die sich in einer der Hüttenwände befand. Glaubten die Indios wirklich, daß der Blitz die Eidechse des Himmels war? Der dicht herabströmende Regen hatte die Baracken, die Mischmaschinen, die Planierraupen, die Jeeps und die Häuschen der Bauern verschwimmen lassen, die zwischen den Eukalyptusbäumen auf dem gegenüberliegenden Berg hervorschauten. ›Als wären alle verschwunden‹, dachte er. Es gab fast zweihundert Hilfsarbeiter, sie kamen aus Ayacucho oder Apurímac, aber vor allem aus Huancayo und Concepción, in Junín, und aus Pampas, in Huancavelica. Von der Küste hingegen stammte niemand, soviel er wußte. Nicht einmal sein Amtshelfer kam von der Küste. Aber Tomás wirkte wie ein Kreole, obwohl er in Sicuani geboren war und Quechua sprach. Er hatte den kleinen Stummen Pedro Tinoco mit nach Naccos gebracht, der als erster verschwunden war.

Er war ein gradliniger Mensch, der Gendarm Carreño, wenn auch etwas trübsinnig. In den Nächten öffnete er Lituma sein Herz und zeigte sich zugänglich für freundschaftliche Gefühle. Der Korporal hatte ihm kurz nach seiner Ankunft gesagt: »So, wie du bist, hättest du verdient, an der Küste geboren zu sein. Sogar in Piura, Tomasito.« »Ich weiß, wenn Sie das sagen, dann heißt das viel, Herr Korporal.« Ohne seine Gesellschaft wäre das Leben in dieser Einsamkeit düster gewesen. Lituma seufzte. Was hatte er hier auf der Hochebene zwischen wortkargen, mißtrauischen Indios verloren, die die Politik dazu brachte, sich gegenseitig umzubringen, und die obendrein auch noch verschwanden? Warum war er nicht in seiner Heimat? Er stellte sich vor, wie er, von Bierflaschen umgeben, in der Río-Bar saß, zwischen den Unbezwingbaren, seinen alten Kumpanen, in einer warmen piuranischen Nacht mit Sternen, valses und dem Geruch nach Ziegen und Johannisbrotbäumen. Ein plötzlicher Anfall von Traurigkeit verursachte ihm ein dumpfes Ziehen in den Zähnen.

»Fertig, Herr Korporal«, sagte der Gendarm. »Die Señora weiß nicht viel, in Wahrheit. Und sie ist halbtot vor Angst, sehen Sie das nicht?«

»Sag ihr, wir werden unser möglichstes tun, um ihren Mann wiederzufinden.«

Lituma versuchte ein Lächeln und gab der Indiofrau mit der Hand zu verstehen, daß sie gehen konnte. Sie schaute ihn an, ohne eine Regung im Gesicht. Sie war klein und alterslos, ihre Knochen wirkten zerbrechlich wie die eines Vogels, und sie verschwand fast unter den zahlreichen dicken Röcken und dem zerfransten Hut, der halb heruntergerutscht war. Aber in ihrem Gesicht und in ihren runzligen kleinen Augen lag etwas Unzerstörbares.

»Es scheint, als hätte sie das mit ihrem Mann erwartet, Herr Korporal. ›Es würde passieren, es mußte passieren‹, sagt sie. Aber von den Terroristen oder von der Miliz von Sendero hat sie natürlich nie was gehört.«

Ohne den Kopf zum Abschied zu neigen, drehte die Frau sich um und trat in den strömenden Regen hinaus. Nach wenigen Minuten hatte sie sich, Richtung Lager, in der bleiernen Feuchtigkeit aufgelöst. Der Korporal und der Gendarm verharrten eine ganze Weile, ohne etwas zu sagen. Schließlich klang Lituma die Leichenbitterstimme seines Amtshelfers in den Ohren:

»Ich werde Ihnen was sagen. Sie und ich kommen hier nicht lebend raus. Sie haben uns umzingelt, machen wir uns doch nichts vor.«

Lituma zuckte die Schultern. Im allgemeinen war er es, der den Mut verlor, und sein Amtshelfer hob die Stimmung. Heute tauschten sie die Rollen.

»Mach dir nicht unnötig das Leben schwer, Tomasito. Sonst sind wir halb wahnsinnig, wenn sie kommen, und können uns nicht mal mehr wehren.«

Der Wind brachte das Wellblech des Daches zum Klirren, und der heftig herabstürzende Regen betröpfelte hier und da das Innere der Unterkunft. Sie bestand aus einem einzigen Raum, der durch einen hölzernen Wandschirm unterteilt und durch eine Palisade aus mit Steinen und Erde gefüllten Säcken geschützt war. Auf der einen Seite befand sich der Posten der Gendarmerie mit einem dicken Brett auf zwei Böcken – dem Schreibtisch – und einer Truhe, in der das Registerbuch und die Dienstmeldungen aufbewahrt wurden. Auf der anderen Seite, dicht nebeneinander, weil es so eng war, die beiden Pritschen. Licht erhielten sie durch Kerosinlampen, und sie besaßen ein batteriebetriebenes Radio, mit dem sie, wenn es keine atmosphärischen Störungen gab, Radio Nacional und Radio Junín hereinbekamen. Der Korporal und der Gendarm hockten die Nachmittage und Abende vor dem Apparat und versuchten, die Nachrichten aus Lima oder Huancayo zu hören. Auf dem Boden aus gestampfter Erde lagen Lama- und Schaffelle; außerdem gab es einen kleinen Kochherd, einen Spirituskocher, Gefäße aus Porongokürbissen, Töpfe, die Koffer von Lituma und Tomás und einen Schrank ohne Boden – die Waffenkammer –, in dem sie die Gewehre, die Patronentaschen und die Maschinenpistole aufbewahrten. Die Revolver trugen sie immer bei sich und legten sie nachts unter das Kopfkissen. Sie saßen unter dem vergilbten Herz-Jesu-Bild – eine Werbeanzeige von Inca-Cola – und hörten einige Minuten lang dem Regen zu.

»Ich glaube nicht, daß sie sie umgebracht haben, Tomasito«, sagte Lituma schließlich. »Sie werden sie eher mitgenommen haben, für ihre Miliz. Vielleicht waren die drei sogar Terroristen. Läßt Sendero etwa die Leute verschwinden? Sie bringen sie einfach um und lassen ihre Pappschilder zurück, damit man es weiß.«

»Pedrito Tinoco, ein Terrorist? Nein, Herr Korporal, das kann ich Ihnen garantieren«, sagte der Gendarm. »Es bedeutet einfach, daß Sendero schon vor der Tür steht. Uns werden die Terroristen nicht für ihre Miliz rekrutieren. Uns werden sie eher zu...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2012
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aberglaube • Anden • Belletristische Darstellung • Guerilla • Landbevölkerung • Peru • ST 2774 • ST2774 • suhrkamp taschenbuch 2774 • Unteroffizier
ISBN-10 3-518-73635-3 / 3518736353
ISBN-13 978-3-518-73635-7 / 9783518736357
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