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Das Herz ihrer Tochter (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
512 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-95976-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
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June Nealon war eine glückliche Frau. Bis Shay Bourne in einem einzigen Augenblick ihrem Glück ein Ende bereitete. Für den Mord an ihrem Mann und ihrer ersten Tochter erwartet Bourne nun die Todesstrafe. Doch mit einer ungeheuerlichen Tat will er das Leben ihrer zweiten Tochter retten und alles wieder gutmachen.

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton Creative Writing und in Harvard Erziehungswissenschaften.1992 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und gehört heute zu den beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt mit ihrem Mann und zahlreichen Tieren in Hanover, New Hampshire.

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton Creative Writing und in Harvard Erziehungswissenschaften.1992 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und gehört heute zu den beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Hanover, New Hampshire.

Sieben Monate später

MICHAEL

Shay Bourne war ganz anders, als ich erwartet hatte.

Ich hatte mich auf einen Schrank von Mann gefasst gemacht, einen mit Hammerfäusten und Stiernacken und verkniffenen Augen, so schmal wie Schlitze. Immerhin ging es hier um das Verbrechen des Jahrhunderts in unserer Gegend – ein Doppelmord, der ganz New Hampshire aufgewühlt hatte. Ein Verbrechen, das umso schlimmer wirkte, weil die Opfer ein kleines Mädchen und ein Polizeibeamter, noch dazu ihr Stiefvater, gewesen waren. Es war die Art von Verbrechen, bei der man sich fragt, ob man in seinen eigenen vier Wänden noch sicher ist, ob sich die Menschen, denen man vertraut, nicht jeden Augenblick gegen einen wenden können – und vielleicht war das der Grund, weshalb die Staatsanwaltschaft von New Hampshire zum ersten Mal seit achtundfünfzig Jahren die Todesstrafe forderte.

Der Medienrummel hatte zu Recht Zweifel daran aufkommen lassen, ob es überhaupt noch möglich war, zwölf Geschworene zu finden, die sich noch keine Meinung über die Tat gebildet hatten, dennoch gelang es, uns ausfindig zu machen. Mich stöberten sie in der Unibibliothek auf, wo ich meine Abschlussarbeit in Mathematik vorbereitete. Ich hatte seit einem Monat keine anständige Mahlzeit mehr zu mir genommen, geschweige denn eine Zeitung gelesen, und das machte mich zum perfekten Kandidaten für die Jury im Mordprozess gegen Shay Bourne.

Als wir das erste Mal im Gänsemarsch aus unserem kleinen Beratungsraum im Kammergericht kamen – wo ich mich schon bald wie zu Hause fühlen würde –, dachte ich, der Gerichtsdiener hätte uns vielleicht in den falschen Saal geführt. Der Angeklagte war klein und schmächtig – jemand, der bestimmt als Kind zahllose Hänseleien hatte einstecken müssen. Er trug eine Tweedjacke, in der er fast ertrank, und sein Krawattenknoten stand beinahe senkrecht vom Hals ab, als würde er von einer unsichtbaren Kraft abgestoßen. Die Hände, in Handschellen, ruhten schlaff in seinem Schoß, und sein Haar war bis auf die Kopfhaut geschoren. Er hielt den Blick gesenkt, selbst als der Richter seinen Namen nannte, der wie Dampf aus einem Heizungsventil durch den Saal zischte.

Der Richter und die Anwälte klärten gerade irgendwelche Formalitäten ab, als die Fliege hereinkam. Sie fiel mir aus zweierlei Gründen auf: Im März sieht man nicht viele Fliegen in New Hampshire, und ich fragte mich, wie man es anstellen sollte, eine Fliege zu verscheuchen, wenn man Handschellen trug, die an einer Kette um die Taille festgemacht waren. Shay Bourne starrte auf das Insekt, als es auf dem Schreibblock vor ihm landete, und dann hob er mit metallischem Klirren die gefesselten Hände und ließ sie auf den Tisch krachen, um die Fliege zu töten.

Das dachte ich zumindest, bis er die Handflächen nach oben drehte, die Finger behutsam öffnete und das Insekt davonschwirrte, um jemand anderen zu ärgern.

In diesem Moment sah er mich an, und mir wurden zwei Dinge klar: Erstens, er hatte panische Angst. Zweitens, er war ungefähr so alt wie ich.

Dieser Doppelmörder, dieses Monster, sah aus wie der Kapitän der Wasserballmannschaft, der letztes Semester neben mir im Statistikseminar gesessen hatte. Er hatte Ähnlichkeit mit dem Pizzaboten von dem Italiener, wo die Pizzen so waren, wie ich sie am liebsten mochte: dünn und knusprig. Er erinnerte mich sogar an den Jungen, den ich auf dem Weg zum Gericht durch den Schnee hatte stapfen sehen, für den ich das Fenster runtergekurbelt hatte, um ihn zu fragen, ob ich ihn ein Stück mitnehmen könne. Anders ausgedrückt, er sah nicht so aus, wie ein Mörder meiner Vorstellung nach aussehen würde, sollte mir je einer über den Weg laufen. Er hätte irgendein x-beliebiger junger Mann Anfang zwanzig sein können. Ich hätte er selbst sein können.

Bis auf einen entscheidenden Unterschied: Er saß in Hand- und Fußschellen ein paar Meter von mir entfernt, und es war meine Aufgabe zu entscheiden, ob er es verdiente weiterzuleben oder nicht.

Einen Monat später wusste ich, dass der Dienst als Geschworener himmelweit von dem entfernt ist, was man aus Film und Fernsehen kennt. Ständig ging es zwischen Gerichtssaal und Geschworenenzimmer hin und her; das angelieferte Essen war mies; manche Anwälte hörten sich furchtbar gern reden, und glauben Sie mir, nicht jede Staatsanwältin ist so sexy wie die in Law & Order. Noch nach vier Wochen hatte ich beim Betreten dieses Gerichtssaales das Gefühl, ohne Reiseführer in einem fremden Land anzukommen … aber hier konnte ich meine Unwissenheit nicht damit entschuldigen, Tourist zu sein. Man erwartete von mir, dass ich die fremde Sprache fließend sprach.

Der erste Teil des Prozesses war abgeschlossen: Wir hatten Bourne für schuldig befunden. Die Staatsanwaltschaft hatte reichlich Beweise dafür vorgelegt, dass Kurt Nealon in Ausübung seines Dienstes als Polizeibeamter bei dem Versuch erschossen worden war, Shay Bourne festzunehmen, nachdem er ihn mit seiner Stieftochter überrascht hatte, deren Unterwäsche in Bournes Tasche gefunden worden war. Als June Nealon, die bei einer Ultraschalluntersuchung gewesen war, nach Hause kam, erwartete sie ein Aufgebot an Rettungs- und Polizeifahrzeugen: Ihre Tochter war tot, ihr Mann tödlich verletzt. Gegen die überwältigende Beweislast der Staatsanwaltschaft hatte die Verteidigung keine Chance. Erschwerend kam hinzu, dass Bourne selbst nicht in den Zeugenstand gerufen worden war, vielleicht aufgrund seiner mangelhaften Ausdrucksfähigkeit … oder weil er nicht nur schuldig wie die Sünde war, sondern auch weil sein eigener Verteidiger ihn für ein unkalkulierbares Risiko hielt.

Jetzt waren wir kurz davor, den zweiten Teil des Prozesses abzuschließen – die Festlegung des Strafmaßes –, genauer gesagt, den Teil, der diesen Prozess von jedem anderen Mordprozess im vergangenen halben Jahrhundert in New Hampshire unterschied. Hatte Bourne, von dem wir nun wussten, dass er der Täter war, die Todesstrafe verdient?

Dieser zweite Teil war sozusagen eine aufs Wesentliche reduzierte Version des ersten Teils. Die Staatsanwaltschaft fasste die Beweismittel noch einmal zusammen, dann erhielt die Verteidigung Gelegenheit, Mitgefühl für einen Mörder zu wecken. Wir erfuhren, dass Bourne von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht worden war. Dass er mit sechzehn im Haus seiner Pflegeeltern einen Brand gelegt und dafür zwei Jahre im Jugendgefängnis gesessen hatte. Er litt an einer unbehandelten bipolaren Störung, einer zentral-auditiven Verarbeitungsstörung, einer Überempfindlichkeit gegenüber Sinnesreizen, und er hatte Probleme mit dem Lesen und Schreiben.

Das alles erfuhren wir allerdings aus dem Mund von Zeugen. Wieder einmal war es nicht Shay Bourne persönlich, der uns um Gnade bat.

Jetzt war es Zeit für die Schlussplädoyers, und ich sah, wie der Staatsanwalt seine gestreifte Krawatte glatt strich und vortrat. Ein großer Unterschied zwischen einem herkömmlichen Prozess und der Strafzumessungsphase in einem Prozess, in dem die Todesstrafe beantragt wurde, besteht darin, wer das letzte Wort bekommt. Ich selbst hatte keine Ahnung von so was, aber Maureen – eine reizende ältere Geschworene, die ich liebend gern als Großmutter gehabt hätte – verpasste nicht eine einzige Folge von Law & Order und hatte quasi ein Jurastudium im Fernsehsessel absolviert. In den meisten Prozessen kam die Staatsanwaltschaft mit ihrem Schlussplädoyer als Letzte zu Wort … sodass einem ihre Worte noch in den Ohren klangen, wenn man sich mit den übrigen Geschworenen zur Beratung zurückzog. Aber in einem Prozess, in dem es um die Todesstrafe ging, sprach die Staatsanwaltschaft zuerst, und dann hatte die Verteidigung eine letzte Chance, die Meinung der Geschworenen zu ändern.

Schließlich ging es hier um Leben oder Tod.

Der Staatsanwalt blieb vor der Geschworenenbank stehen. »Es ist achtundfünfzig Jahre her, seit in New Hampshire zuletzt ein Vertreter meines Amtes eine Jury bitten musste, eine so schwere und ernste Entscheidung zu fällen wie die, die jetzt von Ihnen verlangt wird. Eine solche Entscheidung trifft niemand leicht, aber es ist eine Entscheidung, die der Faktenlage in diesem Fall angemessen ist, und es ist eine Entscheidung, die gefällt werden muss, um dem Andenken an Kurt Nealon und Elizabeth Nealon gerecht zu werden, deren Leben auf so brutale und abscheuliche Weise ein Ende gesetzt wurde.«

Er nahm ein großformatiges Foto von Elizabeth Nealon und hielt es direkt vor meiner Nase hoch. Elizabeth war eines von diesen kleinen Mädchen gewesen, die mit ihren Fohlenbeinchen und Mondscheinhaaren aussehen, als wären sie federleicht, die Sorte, bei der man denkt, sie würden vom Klettergerüst schweben, wenn das Gewicht ihrer Turnschuhe sie nicht dort halten würde. Aber dieses Foto war aufgenommen worden, nachdem sie erschossen worden war. Blut war ihr ins Gesicht gespritzt und hatte ihre Haare verklebt; die Augen waren noch weit geöffnet. Ihr Kleid war im Fallen hochgerutscht und ließ erkennen, dass sie von der Hüfte abwärts nackt war. »Elizabeth Nealon wird niemals Algebra lernen oder Reiten oder Handstandüberschlag. Sie wird niemals zur Tanzschule gehen oder zum Highschool-Abschlussball. Sie wird niemals ihr erstes Paar hochhackige Schuhe anprobieren oder ihren ersten Kuss bekommen. Sie wird ihrer Mutter niemals ihren ersten Freund vorstellen. Sie wird niemals von ihrem Stiefvater zum Traualtar geführt werden. Sie wird niemals ihre Schwester Claire kennenlernen. Sie wird all diese Augenblicke und noch unzählige mehr verpassen – nicht wegen eines Autounfalls oder einer Leukämieerkrankung, sondern weil Shay Bourne entschied, dass sie nichts von all dem...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2012
Übersetzer Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Allein erziehende Mutter • Alleinerziehende Mütter • Erinnerung • Feind • Kind • Krankheit • Lebensretter • Mutter • Mutter und Tochter • Roman • Tod • Vergangenheit
ISBN-10 3-492-95976-8 / 3492959768
ISBN-13 978-3-492-95976-6 / 9783492959766
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