Woher wir kommen (eBook)

Roman
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2012 | 1. Auflage
367 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-0469-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Woher wir kommen - Barbara Frischmuth
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Nach dem Verlust beginnt das Leben neu Ada hat nach dem Selbstmord ihres Freundes auch als Malerin gerade mit ganz neuen Bildern begonnen, als plötzlich drei lebhafte Kinder und ihr Jugendfreund Jonas in ihr Leben eindringen. Ihre Mutter Martha musste es verwinden, dass ihr Mann gemeinsam mit seinem kurdischen Freund Vedat spurlos im Ararat-Gebirge verschwand. Seitdem trifft sie sich einmal im Jahr mit Vedats Frau Lale, um sich gemeinsam ihrer Männer zu erinnern, auch wenn sie keinen Ort haben, um zu trauern. Lilofee, die Tante, hatte als junges Mädchen in den Bergen einen Kriegsgefangenen versteckt und musste mitansehen, wie er, ihre große Liebe, verraten und verschleppt wurde. Nie wird sie das vergessen können, aber sie rächt sich. Barbara Frischmuth erzählt klug und mit der nur ihr eigenen souveränen Leichtigkeit, die das Unerträgliche nie vergessen lässt, wie jede dieser Frauen es lernen muss, im Jetzt zu leben und Liebe wieder zuzulassen. 'Eine der gefährlichsten Fragen ist: Was wäre gewesen, wenn? Mit ihr fängt jegliches Erzählen an.'



Barbara Frischmuth, 1941 in Altaussee (Steiermark) geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Seit über 25 Jahren lebt sie wieder in Altaussee.

Nach ihrem von der Kritik hochgelobten Debüt »Die Klosterschule« und dem Roman »Das Verschwinden des Schattens in der Sonne« wurde sie vor allem mit der zauberhaften und verspielten Sternwieser-Trilogie bekannt, der die Demeter-Trilogie folgte. Neben weiteren Romanen wie »Die Schrift des Freundes«, »Der Sommer, in dem Anna verschwunden war«, »Vergiss Ägypten«, »Woher wir kommen« und »Verschüttete Milch« veröffentlichte sie u. a. Erzählungen und Essays. »Der unwiderstehliche Garten« war das vierte ihrer literarischen Gartenbücher.

ADA


Ada heißt Insel, das bedeutet, von Wasser umgeben zu sein. Sie lag mitten im See, den Rücken durchgestreckt, die Arme ausgebreitet, die Beine gespreizt. Das Wasser war so ruhig, dass nicht die leiseste Strömung an ihr leckte. Toter Mann nennt man diese Stellung, aber soweit sie sich erinnern konnte, hatte Olli nie die Geduld aufgebracht, sich ohne Bewegung so im Wasser einzurichten, dass es ihn trug.

Von ferne hörte sie das Tuten des Schiffes, das zwischen den drei Anlegestellen verkehrte. Das Geräusch seines Motors wurde manchmal von den Stimmen der Menschen am Strand übertönt, daher kündigte es sich mit diesem Hornton an. Es war ein überdachtes Schiff mit zwei Decks, das man abends für Feste mit Freunden mieten konnte, für Geburtstagsfeiern oder für Hochzeiten.

Schon spürte sie die Ausläufer der Bugwellen näher kommen. Bevor sie über ihr Gesicht hinwegschwappten, hob sie den Kopf, richtete sich, Wasser tretend, auf, schaute dem Schiff zu, wie es am Steg zur Terrasse des Strandcafés festmachte.

Zeit, zurückzuschwimmen. Sie kraulte ein Stück, um rascher voranzukommen, bewegte sich mit weit ausholenden Tempi zügig Richtung Ufer. Angekommen, blieb sie ein paar Minuten auf einem der Steine sitzen, die nur bei Hochwasser unter dem Seespiegel lagen. Als sie sich anzog, waren ihre Haare beinahe trocken, sie brauchte sie nur noch vor dem winzigen Taschenspiegel in Form zu zupfen. Langsam holte die Sonne wieder den hellen Messington hervor, den sie sich strähnchenweise eingefärbt hatte.

Sie schulterte die Tasche mit den Badesachen, zog sich an den unteren Ästen einer Erle hoch, fasste im Steig an der Böschung Tritt, erreichte den Stein, der als natürliche Stufe diente, griff noch einmal ins Gestrüpp, um beim Sichaufrichten mit der Badetasche nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Von da an ging der Steig, flacher werdend, langsam in den Weg um den See über. Kurz davor, zwischen einer Fichte und einem Berberitzenstrauch, der ihn gegen den Weg hin abschirmte, befand sich der Ameisenhaufen. Sie hob einen bereits nadellosen Zweig vom letzten Jahr auf, stocherte damit in dem Haufen, bis sie – es schien ihr selbst wie ein Wunder – auf die Reste des Skeletts der Ringelnatter, die sie und Seppi vor zwei Jahren darauf abgelegt hatten, stieß. Wahrscheinlich war die Schlange Opfer eines zu schnellen Radfahrers geworden. Sie hatten sie bei einem Abendspaziergang mitten auf dem Weg gefunden. Ihr Kopf schien gequetscht, hinter den gelben Wangenflecken war etwas Blut ausgetreten, ansonsten war sie unverletzt.

Immer mehr der blank genagten Knöchelchen schimmerten durch die rostigen Fichtennadeln. Sie versuchte, sie hockend zu bergen, schüttelte mehrmals die Ameisen von ihrem Arm, die allenthalben aus dem Haufen quollen und eine ätzende Flüssigkeit ausschieden, die auf der Haut brannte.

Sie war nicht wirklich davon überzeugt gewesen, Seppi hatte sich sogar über ihren Kinderglauben lustig gemacht. Dennoch hatte sie für alle Fälle eine leere Krawattenbox aus Ollis Kleiderschrank mitgenommen, Luxusausführung, mit Futterseide ausgeschlagen, in der sie nun die einzelnen Teile, von denen sie die Ameisen pustete, vorsichtig verstaute. Anschließend legte sie sie, in ihr feuchtes Badetuch gewickelt, auf den nassen Badeanzug, damit sie gegen zu starke Erschütterungen geschützt wären.

Hexe, konnte sie Seppis Stimme in ihrem Kopf hören, gib zu, dass du die Ameisen besprochen hast.

Nichts hatte sich verändert, seit sie zuletzt an dieser Stelle zum Ufer hinuntergegangen war, außer der Länge der Äste, der Breite des Gestrüpps und der Höhe des Ameisenhaufens, dessen Nadelschicht sich merkbar stärker wölbte. Auch nicht am Haus. Als Kind hatte sie nicht verstanden, warum es Seehaus hieß. Wenn es ohnehin am See liegt, hatte sie zu Olli gesagt. Ich heiße ja auch nicht Mädchen, sieht doch jeder, dass ich ein Mädchen bin.

Nicht jeder, so wie du rumläufst.

Du trägst auch Hosen.

Aber ich bin kein Mädchen. In Istanbul hast du nie Hosen getragen.

Das war, als sie bereits hier zur Schule gingen.

Später hatte sie herausgefunden, dass Seehaus der ursprüngliche Name war, den der Erbauer ihm gegeben hatte, ein Dichter, der es Mitte des 19. Jahrhunderts als Sommerhaus nutzte.

Ihr Ururgroßvater hatte die Villa kurz nach der Jahrhundertwende gekauft, ihr Urgroßvater hatte sie dann in den dreißiger Jahren winterfest gemacht, mit Kupferdach, Zentralheizung, Doppelfenstern, auch zwei neue Bäder wurden eingebaut.

Erst als Martha nach ihrer Rückkehr ein Restaurant daraus machte, wurde wieder in großem Stil renoviert. Das war Anfang der Neunziger. Baustelle hier, Baustelle dort, Marthas Vorstellungskraft holte weit aus, bis sie das Haus endlich so hatte, wie sie es haben wollte.

In den Zweitausendern war dann alles so geblieben, wie es war, bloß die südseitigen Fensterrahmen mussten Jahr für Jahr frisch gestrichen werden, auch gab es in der ebenerdigen Veranda neue Tische und Stühle aus Rattan, leichter zu heben als die früheren aus massivem Holz. Mit einem Mal sahen die Kreuzstichkissen, die sie immer gehasst hatte, nach etwas aus. Antique chic, sie wollte, dass ihr das eingefallen wäre. Demnächst würde sie sich wieder auf dem Dachboden umsehen, wenn Martha sie ließ. Ihre Mutter hatte die Hand auf diesen Dingen, besonders wenn sie noch aus Lilofees Zeit oder aus der davor stammten. Letztes Jahr war Martha plötzlich mit zwei Vasen aus den Wiener Werkstätten heruntergekommen, Vasen, von denen Ada glaubte, sie noch nie gesehen zu haben. Und sie hatte ein Gedächtnis für kunstvoll gestaltete Gebrauchsgegenstände.

Sie war von der südlichen, der schilffreien Seite des Sees gekommen. Ihre Haut spannte leicht an Hals und Schultern, daher nahm sie die Badetasche ab, trug sie in der Hand, blieb einen Augenblick an der Klause stehen, um den Forellen zuzuschauen, die kurz vor dem Wehr in der Strömung schwänzelten. Ging dann am Grand Hotel vorbei, an dem Badeplatz, zu dem man, als einzigem, mit dem Auto fahren konnte, an den Tennisplätzen, von denen das Geräusch der aufschlagenden Bälle sie bis zum Seehaus begleitete.

Die paar Tische im Gastgarten, einer geräumigeren Laube mit zwei Kastanien davor, schienen bis auf einen besetzt. Die neue Serviererin, die gerade mit einem vollen Tablett aus der Küche kam, grüßte zu ihr herüber, Ada hob kurz die Hand, beschloss, ohne stehenzubleiben, durch den Haupteingang an der Veranda ins Haus zu gehen.

Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, beugte sich gerade über das in einem Buggy schlafende Kind, während ein anderes, etwas größeres, schluchzend an seiner Hosentasche zerrte, ihm offenbar etwas zu sagen versuchte. Das dritte Kind, ein etwa siebenjähriges Mädchen, wollte ihn an der Hand zu dem freien Tisch in der Laube hinziehen.

Es war diese mehrfach geforderte Aufmerksamkeit, die seinen Körper in einen nach vor geneigten Oberkörper, eine attackierte Seite und eine weit von sich gestreckte Hand dreizuteilen schien. Ein Augenblick der Hilflosigkeit. Die Andeutung eines sich in die Umstände fügenden Achselzuckens ließ diesen Körper ungewöhnlich jung erscheinen, schrieb sich als solche in Adas Wahrnehmung ein, obwohl er gleich darauf dem Mädchen die Hand entzog, den Kopf zur Seite neigte, um den schluchzenden Kleinen zu besänftigen, dessen Finger von seiner Hosentasche nahm und ihm mit ruhiger Stimme etwas erklärte.

Jonas?

Er drehte sich um, ein ungeschützter Blick mit Spuren von Erschöpfung und Ungeduld, doch als er sie erkannte, riss er die Augen auf wie einer, dem zwar nicht nach Lächeln zumute ist, der jedoch die Mundwinkel hochzieht, hoffend, sich dabei auch so zu fühlen, wie man sich fühlt, wenn man lächelt.

Ada!

Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Er bückte sich nach dem immer noch schluchzenden Buben, wischte ihm Tränen und Rotz ab. Das ist Walker. Er ist heute vier geworden und möchte jetzt unbedingt ein Eis. Das Mädchen hatte wieder begonnen, ihn in Richtung Laube zu ziehen.

Und das ist Jenny, die große Lust auf ein Erdbeertörtchen hat.

Was spricht dagegen?

Dass Jeremy wahrscheinlich die Hosen voll hat und, sobald er aufwacht, randalieren wird.

Wir haben im Haus einen Wickeltisch.

Wie ich annehme, in der Damentoilette.

Erraten, aber du kannst auch im Bügelzimmer seine Windeln wechseln.

Na dann, auf die Plätze! Jenny nahm Walker an der Hand, lief mit ihm auf den freien Tisch zu. Jeremy schlief noch, obwohl öfter ein Zucken über sein Gesicht lief. Vielleicht träumte er etwas Aufregendes. Jonas stellte den Buggy in den Kastanienschatten.

Jenny fragte Walker und Jonas, was sie haben wollten, gab die Bestellung gleich an die Serviererin weiter, die gerade an den Tisch gekommen war. Sie sprach mit kaum merkbarem Akzent und richtiger Wortstellung.

Ada hatte sie zum Tisch begleitet, blieb, halb zum Durchgang ins Haus gewendet, stehen.

Ich sage nur Martha Bescheid, dass ich mit euch hier sitze.

Martha saß am Computer, hob den Kopf, schaute über den Rand ihrer Lesebrille. Das Büro war der kleinste Raum im Haus, die Tür stand beinahe immer offen, des Überblicks wegen.

Du bist zu lange in der Sonne gelegen, Ada, deine Schultern sind rot. Das ist gar nicht gut für deine Haut.

Ada wandte den Blick zu ihrer linken Schulter, machte ph!. Weißt du, mit wem ich in der Laube sitze?

Martha lächelte. Du wirst es mir...

Erscheint lt. Verlag 14.8.2012
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Familie • Frauen • Generationen • Leben • Liebe • Roman
ISBN-10 3-8412-0469-4 / 3841204694
ISBN-13 978-3-8412-0469-1 / 9783841204691
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