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100 Jahre Kiepenheuer-Verlage -

100 Jahre Kiepenheuer-Verlage (eBook)

eBook Download: PDF | EPUB
2012 | 1. Auflage
424 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-086-1 (ISBN)
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Vierzig Autoren stellen eine der spannendsten deutschen Verlagsgeschichten des 20. Jahrhunderts vor, die auf einzigartige Weise mehrere politische Systeme spiegelt. 1910 von Gustav Kiepenheuer gegründet, avancierte der Verlag in der Weimarer Republik mit Autoren wie Anna Seghers, Bertolt Brecht, Georg Kaiser, Joseph Roth und Arnold Zweig zu einem kulturellen Leitverlag, der für Expressionismus und Neue Sachlichkeit stand. Nach der Bücherverbrennung von 1933 gingen wichtige Lektoren ins Exil, Kiepenheuer versuchte sich im Land zu behaupten.
Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg spaltete auch den Verlag. Neben dem Stammsitz in Weimar entstand der Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln, und in Berlin nahm der Kiepenheuer Bühnenvertrieb seine Arbeit eigenständig auf. In Leipzig wurde unter Regie der SED 1977 die Verlagsgruppe Gustav Kiepenheuer (mit den Verlagen Insel, List und Dieterich) geschaffen, die nach der deutschen Einheit in den Strudel der Privatisierung geriet. Archivdokumente und historische Fotos, Texte von Buchwissenschaftlern, Germanisten und Kulturhistorikern sowie die Erinnerungen beteiligter Zeitzeugen verweben sich hier auf höchst unterhaltsame Weise zu einer gesamtdeutschen Geschichte.

Siegfried Lokatis: Jahrgang 1956; Studium der Geschichte, Archäologie und Philosophie in Bochum und Pisa; 1993 – 2001 Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam; seit 2006 Professur für Buchwissenschaft in Leipzig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Verlagsgeschichte, zuletzt: 'Heimliche Leser in der DDR. Kontrolle und Verbreitung unerlaubter Literatur', Berlin 2008. Ingrid Sonntag: Jahrgang 1953; Germanistikstudium in Leipzig; Lektorin im Mitteldeutschen Verlag Halle und in der Gustav Kiepenheuer Verlagsgruppe Leipzig; Geschäftsführerin der Freien Akademie der Künste zu Leipzig; seit 2009 wiss. Mitarbeiterin an der Universität Leipzig. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. 'Heimliche Leser in der DDR', Berlin 2008.

Siegfried Lokatis

Der Zauberstab des Verlegers

Einleitung

Vierzig Autoren stellen die vielleicht spannendste deutsche Verlagsgeschichte des 20. Jahrhunderts vor. Die politischen Wechselfälle des vergangenen Jahrhunderts sind ihr auf einzigartige Weise eingeschrieben. Gleich einem Proteus wechselt dieser Verlag die Gestalt, Ort und Programm, Größe, Namen und rechtliche Form, er bildet Absplitterungen und vervielfältigt sich. Dabei ist jede einzelne seiner Erscheinungsformen auf eigene Weise faszinierend, bedeutsam und lehrreich.

Gustav Kiepenheuer startet auf dem ästhetisch ambitionierten spätbürgerlichen Buchmarkt des Kaiserreichs als aufstrebender Kulturverleger mit bibliophilen Kostbarkeiten, lässt im 1. Weltkrieg aber auch gehobenen patriotischen Schund folgen. In seltsam scharfem Kontrast dazu steht der Umbau des Programms ab 1917, die Entstehung eines »linken« Angebotssegments. Die Verlagsgeschichtsschreibung in der DDR in Gestalt des ehrwürdigen Jubiläumskatalogs von 1984 Thema – Stil – Gestalt. 1917–1932 umschiffte schlitzohrig das Problem, indem man unter Ausklammerung dunklerer Seiten erst um 1917 mit der Darstellung einsetzte und sich auf die Goldenen Zwanziger des Verlages konzentrierte. Diesen Mythos bediente die 1977 in Leipzig zusammengeschweißte Verlagsgruppe Gustav Kiepenheuer, zu der auch die Verlage Insel, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung und Paul List gehörten.

Kiepenheuer war ein Leuchtturm der Weimarer Republik, ein Zentrum des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, ein Seismograph, der Autoren wie Bert Brecht und Anna Seghers entdeckte, der Verlag von Gottfried Benn, Carl Einstein, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Ernst Gläser, Hans Henny Jahnn, Georg Kaiser, Joseph Roth, George Bernhard Shaw, Upton Sinclair, Ernst Toller, Carl Zuckmayer und Arnold Zweig. Das Verlagsarchiv zeigt die »Halbgötter« von einer erfrischend menschlichen Seite: Sie quengeln in schrecklicher Geldnot, schreiben geistreiche Klosprüche (»Hier nehm ich Platz, ich Ringelnatz«) und feiern rauschende Gelage. Das Glasauge des Verlegers kullert über den Tisch.

1933 landen drei viertel des Programms auf dem Scheiterhaufen. Kiepenheuers legendäre jüdische Lektoren Hermann Kesten, Fritz Landshoff und Walter Landauer fliehen aus Deutschland und organisieren zunächst in den Niederlanden bei Querido und Allert de Lange eine Heimstatt für die Crème de la Crème der emigrierten Schriftsteller. Es gibt auch noch die Verleger Bermann-Fischer und Oprecht, doch die Geschichte der literarischen Emigration wird maßgeblich von der Kiepenheuer-Tradition geprägt. Gustav Kiepenheuer selbst bleibt zurück in Berlin und unternimmt gewaltige Anstrengungen, um sich in der ihm feindlichen Umwelt des Dritten Reiches irgendwie zu behaupten. Keinem gelingt das besser als ihm. Es hat lange gedauert, bis die Geschichte der literarischen Emigration die gebührende wissenschaftliche Aufmerksamkeit fand, und das gleiche lässt sich über die verdrängte Geschichte des Buchhandels- und Verlagswesens innerhalb des Dritten Reiches sagen. Bislang wurde entweder das eine oder das andere Thema behandelt, die Realgeschichte der Literatur in der Emigration oder die Literaturgeschichte des nationalsozialistischen Deutschlands. Eine Darstellung der Kiepenheuer-Geschichte fordert hingegen, beide Aspekte zu thematisieren.


Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg spaltete auch den Verlag. Neben Gustav Kiepenheuer in Weimar verselbständigte sich der Kiepenheuer Bühnenvertrieb in Berlin und auf juristisch umstrittene Weise entstand der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. Mancher westdeutsche Leser assoziiert bis heute fälschlicherweise mit dem Namen Gustav Kiepenheuer ausschließlich das westdeutsche Unternehmen. Die Bücher Kiepenheuers aus den zwanziger und dreißiger Jahren werden in bibliographischen Angaben von Antiquaren gern mit dem vermissten »Witsch« geschmückt, obwohl Kiepenheuer & Witsch erst seit 1951 unter diesem Namen, und zwar ohne den »Gustav«, publizierte.

In der Festschrift 90 Jahre Gustav Kiepenheuer Verlag versuchte im März 2000 dessen damaliger Eigentümer Bernd F. Lunkewitz noch einmal das bundesdeutsche Publikum mit der glorreichen Geschichte des »Jahrhundertverlegers« vertraut zu machen. Bis zum »100. Jubiläum … und darüber hinaus« versprach er dem Publikum gute Bücher in der Tradition Gustav Kiepenheuers.1 Tatsächlich hat die inzwischen von Lunkewitz verkaufte Aufbau-Verlagsgruppe das 100. Verlagsjubiläum am 1. April 2010 abgewartet und die Stilllegung des Gustav Kiepenheuer Verlages drei Wochen später verkündet. Wie es hieß, sei es die unvermeidliche Konsequenz aus Marktanalysen gewesen, welche die unerschütterliche Marktdominanz von Kiepenheuer & Witsch im gesamtdeutschen Buchhandel belegten.

Bis 1990 hatte der Gustav Kiepenheuer Verlag hauptsächlich für den Buchmarkt der DDR produziert und war in der Bundesrepublik nur indirekt präsent, dies allerdings in erheblichem Ausmaß. Der Buchexport in die Bundesrepublik bildete geradezu die Raison d’ être der Kiepenheuer Verlagsgruppe – nur erschienen die Bücher als Lizenzausgaben im Westen hauptsächlich bei C. H. Beck, im Verlag Modernes Antiquariat und bei Dausien.

In umgekehrter Richtung war Kiepenheuer & Witsch in der DDR aktiv und ebenfalls unsichtbar. Dort genossen zwar die Bücher seiner Hausautoren Gabriel García Márquez und J. D. Salinger geradezu Kultstatus, doch sie erschienen in der Regel in Häusern wie Aufbau, Volk und Welt und Reclam unter deren Namen. Zudem war die SED in höchstem Maße skeptisch gegenüber einem Verlag, der im »Kalten Krieg« die DDR mit geschmuggelten, auch vom Ballon abgeworfenen Tarnbroschüren überschwemmt hatte, der Wolfgang Leonhards Bestseller Die Revolution entläßt ihre Kinder, Carola Sterns Ulbricht-Biographie und Manès Sperbers antikommunistische Trilogie Wie eine Träne im Ozean herausbrachte. Hier erschien auch das SBZ-Archiv (der Vorläufer des Deutschland-Archivs) und später, nach dessen Ausbürgerung, Bücher Wolf Biermanns: Alles Literatur für den Giftschrank, die offiziell nicht die Grenze passieren konnte.2 Eine seltsame Koinzidenz: Beide Kiepenheuer-Buchverlage operierten auf diskrete Weise im großen Stil gesamtdeutsch, versteckte Bücherströme überkreuzten sich.

Der erste Blick auf die langfristigen Prozesse suggeriert eine irreführende Parallele: Beide Kiepenheuer-Verlage begannen nach dem Krieg als Privatunternehmen, beide fanden sich schließlich in eine Verlagsgruppe eingebettet, KiWi bei Holtzbrinck, Gustav Kiepenheuer zu DDR-Zeiten in der »Viererbande« – dem Leipziger »Erbe-Kombinat« – und danach in der Aufbau-Gruppe in Berlin. Der Konzentrationsprozess in der DDR war allerdings politisch induziert. Die wenigen, bis Anfang der siebziger Jahre geduldeten privaten Verlage waren einer konsequenten Diskriminierung in der Besteuerung und bei der Papierverteilung ausgesetzt.

An Devisen war für Noa Kiepenheuer in den fünfziger und sechziger Jahren kaum zu denken, und in der Literaturarbeitsgemeinschaft kämpfte sie tapfer um die von Aufbau und Reclam belassenen Brosamen des »kleinen Erbes«. Trotzdem gelang es Noa, sich in Weimar einzurichten und ihre Nische zu basteln, in die ihre einstigen Mitarbeiter – der studentische Untermieter und (bis zu seiner Verhaftung) designierte Cheflektor Jürgen Israel und der Grafiker Artur Liebig – dem interessierten Leser seltene Einblicke gewähren. Wie sie mit Mysie und Minckwitz, ihrem Hund und ihrem Lektor, um den Schreibtisch herum ein Schneckenhaus baute und dem branchenüblichen Kontakt auswich, grenzt an Realitätsverweigerung – welch ein Kontrast zu ihrem agilen Lieblingsfeind »Witschi«, dem redegewaltigen Renaissancemenschen, der in Köln sein verlegerisches Genie entfaltete und in vielen Töpfen zu rühren verstand.

Und welch ein Kontrast auch zu den späteren Verlegern des Gustav Kiepenheuer Verlages, der sich zur Leitfirma der Verlagsgruppe mauserte. Nachdem die Tochter Noa Kiepenheuers, Eva Mayer, den nominellen Verkauf an den Kinderbuch-Verlag abgewickelt hatte, wurde der Verlag Parteieigentum der SED, woraus seine führende Rolle in der Zukunft resultieren sollte. Hingegen galt der Insel Verlag weiterhin – es gab auch einen volkseigenen Anteil – als treuhänderisch verwaltetes Privatunternehmen, wobei die Gültigkeit des 1963 erfolgten Verkaufs des westdeutschen Insel Verlages an Siegfried Unseld für das Leipziger Unternehmen von der DDR nicht anerkannt beziehungsweise (aus Rücksicht auf den Handelspartner Suhrkamp) als schwebende Frage lieber im Dunkeln belassen wurde.

Bei der im Mai des Jahres auf den 1. Januar 1977 rückdatierten Bildung der Verlagsgruppe Kiepenheuer wurde der Paul List Verlag weitgehend stillgelegt, seine Gegenwartsautoren zum Mitteldeutschen Verlag nach Halle ausgelagert, das Papierkontingent im Wesentlichen Kiepenheuer zugeschlagen. Die Sammlung Dieterich war nicht viel mehr als eine allerdings legendäre und exportträchtige Buchreihe. Die Verlagsgruppe bezog ihren Hauptsitz im Gebäude des Insel Verlages in der Mottelerstraße 8 im Leipziger Norden. Vom Insel Verlag kamen 29 Mitarbeiter, darunter der neue, früh verstorbene Verlagsdirektor Hans Klähn und fünf Lektoren, die fortan bei Kiepenheuer angestellt waren.3 Kiepenheuer selbst brachte kaum mehr als zwei Mitarbeiter ein, darunter allerdings den künftigen Cheflektor Friedemann Berger.

Diese Lösung, der Ausbau zu einem großen Leipziger Erbe-Verlag, erlaubte insgesamt eine beträchtliche ökonomische Stärkung, wie sie üblicherweise nur Parteiunternehmen zugute kommen konnte. Sie eröffnete vor allem (für...

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