Die letzte Schöne des Südens (eBook)

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2012 | 1. Auflage
784 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60141-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzte Schöne des Südens -  F. Scott Fitzgerald
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In den Jahren 19251929 verdiente Fitzgerald mit seinen Short Stories so viel wie kein Schriftsteller je zuvor bis der Börsencrash den goldenen Jahren ein Ende setzte. Die letzte Schöne des Südens ist, wie eigentlich das ganze Fitzgeraldsche Werk, die Vorwegnahme dieser Desillusionierung. Was bleibt, ist die Erinnerung an glamouröse Zeiten und bittersüße Melancholie.

F. Scott Fitzgerald, 1896 in St. Paul (Minnesota) geboren, wurde schon mit seinem ersten Roman, ?Diesseits vom Paradies?, auf einen Schlag berühmt und stand mit seiner Frau Zelda im Mittelpunkt von Glanz und Glimmer. ?Der große Gatsby?, sein heute meistgelesenes Buch, war jedoch ein finanzieller Flop. Um Geld zu verdienen, ging Fitzgerald 1937 als Drehbuchautor nach Hollywood, wo er 1940 starb.

F. Scott Fitzgerald, 1896 in St. Paul (Minnesota) geboren, wurde schon mit seinem ersten Roman, ›Diesseits vom Paradies‹, auf einen Schlag berühmt und stand mit seiner Frau Zelda im Mittelpunkt von Glanz und Glimmer. ›Der große Gatsby‹, sein heute meistgelesenes Buch, war jedoch ein finanzieller Flop. Um Geld zu verdienen, ging Fitzgerald 1937 als Drehbuchautor nach Hollywood, wo er 1940 starb.

[9] Der Kindergeburtstag

Immer wenn sich John Andros alt fühlte, fand er Trost in dem Gedanken, dass das Leben durch sein Kind weiterging. Die dunklen Posaunen der Vergänglichkeit tönten weniger laut, sobald er das Getrappel der kleinen Füße hörte oder die Kinderstimme, die ihm durchs Telefon verrücktes Kauderwelsch ins Ohr plapperte. Letzteres geschah jeden Nachmittag um drei, wenn seine Frau von ihrem Häuschen auf dem Land aus im Büro anrief, und er begann sich darauf zu freuen, weil es zu den lebendigsten Minuten seines Tages zählte.

Rein physisch war er nicht alt, aber er hatte sich in seinem Leben etliche Male etliche steile Berge hinaufgekämpft, und jetzt, mit achtunddreißig, da Krankheit und Armut besiegt waren, gab er sich weit weniger Illusionen hin als früher. Selbst für seine kleine Tochter hegte er begrenzte Gefühle. Sie war in seine recht intensive Liebesbeziehung mit seiner Frau eingebrochen, und ihretwegen wohnten sie in einem Ort vor der Stadt, wo sie für die gute Landluft endlose Probleme mit den Bediensteten und das ermüdende Karussell der Pendlerzüge in Kauf nahmen.

Die kleine Edith als greifbares Stück Jugend, das war es, was ihn hauptsächlich interessierte. Er genoss es, sie auf [10] dem Schoß zu halten und ausgiebig ihren duftenden, flaumigen Haarschopf und die Augen mit der morgenblauen Iris zu betrachten. Nachdem er ihr diese Huldigung erwiesen hatte, durfte das Kindermädchen sie gerne wieder mitnehmen. Denn nach zehn Minuten begann ihn eben diese Vitalität des Kindes aufzubringen; wenn etwas kaputtging, verlor er leicht die Beherrschung, und als die Kleine eines Sonntagnachmittags eine Bridgepartie zerstörte, indem sie das Pik-Ass für immer und ewig irgendwo versteckte, hatte er eine solche Szene gemacht, dass seine Frau in Tränen ausgebrochen war.

Das war lächerlich, und John schämte sich dafür. So etwas passierte nun einmal, es war unvermeidlich, und die kleine Edith konnte unmöglich all die Stunden, die sie im Haus verbrachte, oben in ihrem Kinderzimmer bleiben, zumal sie, wie ihre Mutter sagte, täglich mehr zu einer ›richtigen Persönlichkeit‹ heranwuchs.

Sie war zweieinhalb, und heute Nachmittag war sie auf einem Kindergeburtstag eingeladen. Die große Edith, ihre Mutter, hatte im Büro angerufen, um ihm dies zu berichten, und die kleine Ede hatte die Angelegenheit bestätigt, indem sie ›ich geh zu einem ’butstach!‹ in Johns nichtsahnendes linkes Ohr gebrüllt hatte.

»Komm doch nach der Arbeit noch bei den Markeys vorbei, ja, Liebling?«, schaltete sich ihre Mutter wieder ein. »Es wird sicher lustig. Ede wird todschick aussehen in ihrem neuen pinkfarbenen Kleidchen…«

Das Gespräch endete jäh mit einem Kreischen; offenbar war das Telefon heftig zu Boden gerissen worden. John lachte und beschloss, am Abend einen Zug früher zu [11] nehmen. Die Aussicht auf einen Kindergeburtstag in anderer Leute Haus ließ ihn schmunzeln.

›Was für ein herrliches Durcheinander!‹, dachte er amüsiert. ›Ein Dutzend Mütter, von denen jede ausschließlich Augen für ihr eigenes Kind hat. Die Kleinen machen ständig irgendwas kaputt und grapschen nach der Torte, und auf dem Nachhauseweg denkt jede Mama bei sich, dass ihr Kind allen anderen auf subtile Art überlegen ist.‹

Heute war er guter Dinge – alles in seinem Leben lief besser als je zuvor. Als er an seiner Haltestelle ausstieg, fertigte er einen aufdringlichen Taxifahrer mit einem Kopfschütteln ab und machte sich im kühlen Dezemberzwielicht zu Fuß auf den Weg den langen Hügel zu seinem Haus hinauf. Es war erst sechs Uhr, doch der Mond war schon aufgegangen und schien mit stolzem Glanz auf den dünnen, zuckrigen Schnee, der die Vorgärten bedeckte.

Während er so lief und seine Lungen mit kalter Luft vollsog, stieg seine Stimmung noch, und die Vorstellung eines Kindergeburtstags gefiel ihm immer besser. Er begann sich zu fragen, wie Ede wohl im Vergleich zu den anderen Kindern ihres Alters abschnitt und ob ihr pinkfarbenes Kleid aus dem Rahmen fiel und sie reifer wirken ließ. Er beschleunigte den Schritt und kam in Sichtweite seines Hauses, wo die Lichter eines ausgedienten Weihnachtsbaums noch im Fenster glühten, doch er ging daran vorbei. Die Geburtstagsfeier fand nebenan bei den Markeys statt.

Als er die Steinstufen hinaufstieg und an der Tür klingelte, hörte er drinnen Stimmen und freute sich, dass er nicht zu spät kam. Dann hob er den Kopf und horchte – es waren keine Kinderstimmen, sondern laute, zornige, die [12] sich überschlugen; mindestens drei konnte er unterscheiden, und eine, die gerade zu einem hysterischen Schluchzen anschwoll, erkannte er augenblicklich als die Stimme seiner Frau.

›Da muss etwas vorgefallen sein‹, dachte er.

Er legte die Hand an die Klinke, fand die Tür unverschlossen und öffnete sie.

Der Kindergeburtstag hatte um halb fünf begonnen, doch Edith Andros hatte schlau kalkuliert, dass das neue Kleid im Vergleich zu bereits zerknitterten noch mehr Aufsehen erregen würde, und deshalb ihren und Klein-Edes Auftritt für fünf Uhr geplant. Als sie eintrafen, war die Feier bereits in vollem Gang. Vier kleine Mädchen und neun kleine Jungen, jedes einzelne mit der ganzen Liebe eines stolzen und eifersüchtigen Mutterherzens gelockt, gewaschen und herausgeputzt, tanzten zur Musik eines Grammophons. Zwar tanzten nie mehr als zwei oder drei gleichzeitig, doch da alle unaufhörlich hin und her rannten, um sich von ihren Müttern ermuntern zu lassen, war der Effekt derselbe.

Als Edith und ihre Tochter hereinkamen, wurde die Musik vorübergehend von einem Chor übertönt, der hauptsächlich aus dem Wort »süß« bestand und sich auf die kleine Ede bezog, die dastand, sich schüchtern umschaute und am Saum ihres pinkfarbenen Kleidchens zupfte. Sie wurde nicht geküsst – man lebte schließlich im Zeitalter der Hygiene –, dafür aber an einer Reihe von Mamas entlanggeführt, die allesamt ›sü-üß‹ zu ihr sagten und ihr kleines rosa Händchen hielten, bevor sie sie an die nächste weiterreichten. Nach einiger Ermunterung und dem einen [13] oder anderen sanften Schubser mischte sie sich unter die Tanzenden und nahm bald lebhaft am Geschehen teil.

Edith stand an der Tür, wo sie mit Mrs. Markey plauderte und die kleine Gestalt im pinkfarbenen Kleid im Auge behielt. Mrs. Markey war ihr nicht besonders sympathisch; sie fand sie ebenso schnippisch wie ordinär, doch da John und Joe Markey einander mochten und jeden Morgen zusammen mit dem Pendlerzug fuhren, verwandten die beiden Frauen große Mühe darauf, den Schein warmer Freundschaftlichkeit zu wahren. Sie hielten sich ständig gegenseitig vor, dass die andere ›nicht mal vorbeischaute‹, und planten unablässig gemeinsame Unternehmungen, was meistens so begann: »Sie müssen bald zu uns zum Abendessen kommen, und demnächst gehen wir mal zusammen ins Theater«, aber sich nie über dieses Stadium hinaus entwickelte.

»Die kleine Ede sieht einfach bezaubernd aus«, sagte Mrs. Markey lächelnd und befeuchtete sich die Lippen auf eine Art, die Edith besonders abstoßend fand. »So erwachsen – kaum zu glauben

Edith überlegte, ob die Formulierung »die kleine Ede« auf den Umstand anspielte, dass Billy Markey, obwohl er einige Monate jünger war als Ede, annähernd fünf Pfund mehr wog. Sie nahm dankend eine Tasse Tee und setzte sich zu zwei anderen Damen auf einen Diwan, wo sie sich dem eigentlichen Zweck des Nachmittags widmete, der natürlich darin bestand, die jüngsten Meisterleistungen und kleinen Tollpatschigkeiten ihres Kindes zu schildern.

Eine Stunde verging. Das Tanzen verlor seinen Reiz, und die Kleinen suchten sich einen ernsteren Zeitvertreib. [14] Sie liefen ins Esszimmer, umrundeten den großen Tisch und probierten die Schwingtür zur Küche aus, vor der sie von mütterlichen Expeditionsstreitkräften gerettet wurden. Nachdem man sie eingefangen hatte, rissen sie sofort wieder aus und rannten ins Esszimmer, um sich erneut auf die vertraute Schwingtür zu stürzen. Das Wort »überhitzt« machte die Runde, und kleine weiße Stirnen wurden mit kleinen weißen Taschentüchern abgetupft. Allseits versuchte man, die Kleinen zum Hinsetzen zu bewegen, doch sie wanden sich mit energischen »Runter, runter!«-Rufen von den Schößen, und der Sturm auf das faszinierende Esszimmer begann von neuem.

Diese Phase des Geburtstags fand ein Ende, als zur Stärkung eine große Torte mit zwei Kerzen sowie Schälchen mit Vanilleeis serviert wurden. Billy Markey, ein stämmiger, etwas o-beiniger, fröhlicher Junge mit roten Haaren, blies die Kerzen aus und legte probehalber den Finger in den weißen Tortenguss. Torte und Eis wurden verteilt, und die Kinder aßen – gierig, aber ohne großes Durcheinander; sie hatten sich den ganzen Nachmittag über bemerkenswert gut benommen. Es waren moderne kleine Kinder, die regelmäßig aßen und schliefen, weshalb sie in guter Verfassung waren und gesund und rosig aussahen – eine so friedliche Geburtstagsfeier wäre vor dreißig Jahren nicht möglich gewesen.

Nach der Stärkung begann der allgemeine Aufbruch. Edith schaute besorgt auf die Uhr – es war fast sechs, und John war noch nicht aufgetaucht. Er sollte doch Ede mit den anderen Kindern sehen, sollte erleben, wie wohlerzogen, höflich und intelligent sie war und dass sie nur einen [15] einzigen Eiscremefleck auf ihrem Kleid hatte, und auch das nur, weil etwas von ihrem Kinn getropft war, als jemand sie von hinten angestoßen hatte.

»Du bist ein Schatz«, flüsterte sie ihrem Kind...

Erscheint lt. Verlag 26.6.2012
Übersetzer Melanie Walz, Dirk van Gunsteren, Alexander Schmitz, Walter Schürenberg, Anna Cramer-Klett
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Börse • Crash • Desillusionierung • Erinnerung • Erzählung • Fitzgerald • Glamour • Goldene Jahre • Klassiker • Krise • Kurzgeschichte • Sammlung • Schwarzer Freitag • Short Story • USA • Verlust
ISBN-10 3-257-60141-7 / 3257601417
ISBN-13 978-3-257-60141-1 / 9783257601411
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