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Am Strand (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
208 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60026-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
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Das Schlimmste am Heiraten ist die Hochzeitsnacht. Zumindest für Edward und Florence, 1962 im prüden England. Begierde und Befangenheit, Anziehung und Angst sind miteinander im Widerstreit in der Hochzeitssuite mit Blick aufs Meer. Die Nacht verändert das Schicksal der Liebenden - für immer.

Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg ?Abbitte? ist jeder seiner Romane ein Bestseller, viele sind verfilmt, zuletzt ?Am Strand? (mit Saoirse Ronan) und ?Kindeswohl? (mit Emma Thompson). Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts, der American Academy of Arts and Sciences und Träger der Goethe-Medaille.

 

[7] Sie waren jung, gebildet und in ihrer Hochzeitsnacht beide noch unerfahren, auch lebten sie in einer Zeit, in der Gespräche über sexuelle Probleme schlicht unmöglich waren. Einfach sind sie nie. In der Hochzeitssuite eines georgianischen Landhaushotels setzte sich das Brautpaar zum Abendessen an den Tisch. Nebenan sah man durch die offene Tür ein ziemlich schmales Himmelbett, dessen Überwurf so makellos weiß und so erstaunlich glatt gestrichen war, als hätte ihn nie eine Menschenhand berührt. Edward erwähnte mit keinem Wort, daß er zum ersten Mal in einem Hotel übernachtete, wohingegen Florence, die ihren Vater als Kind auf vielen Reisen begleitet hatte, als Dame von Welt gelten konnte. Auf den ersten Blick schienen sie beide gehobener Stimmung zu sein. Ihre Hochzeit in der Kirche St. Mary in Oxford war reibungslos verlaufen, der Gottesdienst erbaulich gewesen, der Empfang vergnügt, der Abschied von Studien- und Schulfreunden fröhlich und turbulent. Anders als befürchtet, hatten sich die Eltern von Florence nicht herablassend gegenüber Edwards Eltern benommen, und Edwards Mutter war auch nicht aus der [8] Rolle gefallen, hatte sogar den Anlaß der Feier nicht völlig vergessen. In einem kleinen Auto, das der Mutter von Florence gehörte, waren die Frischvermählten davongefahren und am frühen Abend im Hotel an der Küste von Dorset angekommen, das Wetter ließ sich zwar weder den Umständen angemessen noch ideal für Mitte Juli nennen, war aber ganz passabel: Es regnete nicht, doch fand Florence es auch nicht warm genug, um auf der Terrasse vor dem Haus zu essen, was sie eigentlich gern getan hätten. Edward war anderer Ansicht, aber viel zu rücksichtsvoll, als daß er auch nur daran gedacht hätte, ihr zu widersprechen, schon gar nicht an diesem Abend.

Also aßen sie auf ihrem Zimmer – die Glastür einen Spalt geöffnet, so daß sie auf den Balkon sehen konnten, auf den Ärmelkanal und den endlosen Kieselstrand von Chesil Beach. Von einem Servierwagen im Flur bedienten sie zwei junge Männer im Smoking, bei deren Kommen und Gehen durch die Hochzeitssuite die gebohnerten Eichendielen in der Stille komisch knarrten. Der stolze, fürsorgliche Bräutigam aber achtete eifersüchtig darauf, daß die Bewegungen und Mienen der Bediensteten nur ja keine Belustigung verrieten. Er hätte nicht das leiseste Kichern geduldet. Doch die Burschen aus dem nahe gelegenen Dorf bedienten sie mit gebeugtem [9] Rücken und verschlossenem Gesicht; ihr Benehmen wirkte zaghaft, und ihre Hände zitterten, wenn sie etwas auf dem gestärkten Leinentischtuch abstellten. Sie waren selbst nervös.

In der Geschichte der englischen Kochkunst war dies nicht gerade eine ruhmreiche Zeit, doch bis auf Besucher aus dem Ausland störte sich damals niemand daran. Und wie seinerzeit so viele Festessen begann auch dieses Dinner mit je einem Stück Melone, verziert von einer einzigen Cocktailkirsche. Im Kerzenlicht der Warmhalteplatten warteten auf silbernen Tellern bereits seit längerem gebratene Rindfleischscheiben in einer Mehlschwitze, dazu gab es weichgekochtes Gemüse und bläulich schimmernde Kartoffeln. Der Weißwein kam aus Frankreich, woher genau, war nicht zu erkennen, da das Etikett einzig eine pfeilschnelle Schwalbe zierte. Einen Rotwein zu bestellen wäre Edward nicht in den Sinn gekommen.

Während nun Edward und Florence sehnsüchtig darauf warteten, daß die Kellner sie allein ließen, wandten sie sich auf ihren Stühlen dem Ausblick zu und betrachteten den breiten, moosigen Rasenstreifen mit der dahinterliegenden Wildnis blühender Bäume und Büsche, die sich an die steile Küstenböschung klammerten. Sie konnten einige [10] schlammige Stufen erkennen, einen Pfad, gesäumt von in die Höhe geschossenen Gewächsen, die wie gigantischer Rhabarber oder Riesenkohl aussahen und deren Stengel sich unter dem Gewicht dunkler, dickadriger Blätter beugten. In ganzer Pracht breitete sich der Garten vor ihnen aus, sinnlich, beinahe tropisch, eine üppige Fülle in dem grauen, weichen Licht vor dem hauchzarten Dunstschleier über dem Meer, das in stetigem Wechsel von Angriff und Rückzug wie leiser Donner grollte und dann wieder über die Kiesel zischelte. Nach dem Essen wollten sie ihr festes Schuhwerk anziehen und auf der berühmten Landzunge von Chesil Beach zwischen dem offenen Meer und der Fleet-Lagune spazierengehen. Sollten sie den Wein bis dahin noch nicht ausgetrunken haben, würden sie ihn mitnehmen und sich wie verwegene Seeräuber gelegentlich einen Schluck aus der Flasche gönnen.

Sie hatten so viele Pläne, hochfliegende Pläne für die neblig verhangene Zukunft, vielfältig ineinander verwoben wie die Sommerflora an der Küste von Dorset – und ebenso schön: wo und wie sie leben wollten, wer ihre engsten Freunde sein würden, seine Stelle in der Firma ihres Vaters, ihre musikalische Karriere und was sie mit dem Geld anfangen würden, das Florence von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte, aber auch, warum sie nicht wie [11] andere Leute sein wollten, innerlich jedenfalls nicht. Zu jener Zeit – sie würde später in diesem legendären Jahrzehnt zu Ende gehen – empfand man Jungsein noch als Bürde, als ein Kainsmal der Bedeutungslosigkeit, einen leicht peinlichen Zustand, der mit der Hochzeit ein Ende fand. Einander beinahe fremd standen sie in noch ungewohnter Zweisamkeit vor einem Höhepunkt ihres Lebens, froh, daß ihr neuer Status versprach, sie von ihrer ewigen Jugend zu erlösen – Edward und Florence, endlich frei! Dabei gehörte die Kindheit zu den Themen, über die sie sich gern unterhielten, doch drehten sich ihre Gespräche weniger um deren Freuden als um den Nebel komischer Mißverständnisse, aus dem sie nun aufgetaucht waren, die überholten Erziehungsmethoden und die vielen Irrtümer ihrer Eltern, die sie ihnen nun vergeben konnten.

Von ihrer neuen Höhe herab hatten sie eine klare Sicht, doch konnten sie einander gewisse sich widerstreitende Empfindungen nicht beschreiben: Beide fürchteten auf je eigene Weise jenen Moment nach dem Abendessen, in dem ihre neugewonnene Reife auf die Probe gestellt werden sollte und sie sich voreinander vollständig entkleiden würden, um gemeinsam ins Himmelbett zu steigen. Seit mehr als einem Jahr war Edward von dem Gedanken daran wie benommen, daß der empfindlichste Teil seiner [12] selbst an einem bestimmten Tag im Juli für eine gewisse Zeit, und sei sie noch so kurz, in der natürlichen Höhlung dieser fröhlichen, liebenswerten und so außerordentlich intelligenten Frau weilen würde. Die Frage, wie dies ohne Enttäuschungen oder Peinlichkeiten zu bewerkstelligen war, ließ ihm keine Ruhe. Dabei rührten seine Bedenken vor einer möglichen Übererregung, dem, was jemand einmal »zu früh kommen« genannt hatte, von einem einzigen unglückseligen Vorfall her. Schon der bloße Gedanke daran verfolgte ihn, doch so große Angst er auch vor dem Versagen hatte, sein Verlangen nach Glückseligkeit, nach dem Ende aller Zweifel, war weit größer.

Die Sorgen von Florence wogen schwerer, so schwer, daß sie auf dem Weg von Oxford nach Dorset immer wieder kurz davor gewesen war, all ihren Mut zusammenzuraffen und sich Edward anzuvertrauen. Doch was sie beunruhigte, ließ sich nicht in Worte fassen; sie konnte es sich selbst kaum verständlich machen. Während Edward bloß an der üblichen Nervosität vor der ersten Nacht litt, plagte Florence eine tiefsitzende Furcht, ein hilfloser Widerwille so heftig wie die Seekrankheit. Eine Zeitlang– während all der Monate, in denen sie voller Vorfreude ihre Hochzeit planten – gelang es ihr, diesen Schatten über ihrem Glück zu ignorieren, [13] doch sooft sie sich in Gedanken jener engen Umarmung näherte – wie sie es lieber nannte –, zog sich ihr der Magen zusammen, und sie spürte Brechreiz in sich aufsteigen. In einem fortschrittlichen, modernen, für angehende Bräute angeblich hilfreichen, in fröhlichem Ton verfaßten Handbuch mit vielen Ausrufezeichen und numerierten Illustrationen war sie auf Übelkeit erregende Worte und Wendungen gestoßen: Schleimhaut etwa oder das bösartig glitzernde Wort Penisspitze. Andere Ausdrücke beleidigten ihre Intelligenz, vor allem jene, bei denen es ums Eindringen ging: Kurz bevor er in sie eindringt… oder nun endlich dringt er in sie ein und erlöst läßt sie, gleich nachdem er in sie eingedrungen ist… Wurde von ihr etwa erwartet, daß sie sich in dieser Nacht für Edward in ein Portal verwandelte, eine Art Vorhalle, durch die er Einzug hielt? Vor allem ein Wort schien ihr nichts als Schmerz zu verheißen: Penetration, ein Wort, als ob jemand Fleisch mit einem Messer zerteilte.

In optimistischeren Momenten redete sie sich ein, sie leide bloß an einer ausgeprägten Form von Überempfindlichkeit, die sich gewiß bald legte. Allerdings ließ allein der Gedanke an Edwards unter dem erigierten Penis – noch so ein abscheulicher Ausdruck – baumelnde Hoden ihre Oberlippe zittern; und schon die bloße Vorstellung, »da unten« [14] von jemandem angefaßt zu werden, und sei es von dem Mann, den sie liebte, fand sie ebenso widerwärtig wie etwa den Gedanken an eine Augenoperation. Babys aber waren von ihrer Überempfindlichkeit ausgenommen. Sie hatte Kinder gern, hatte sich gelegentlich auch schon um die kleinen Jungen ihrer Kusine gekümmert und durchaus Gefallen an ihrer Aufgabe gefunden. Es würde ihr sicherlich gefallen, von Edward schwanger zu sein, und zumindest theoretisch hatte sie auch keine Angst vor der Geburt. Wenn sie doch bloß wie die Jungfrau Maria durch ein Wunder in diesen...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2012
Übersetzer Bernhard Robben
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Original-Titel On Chesil Beach
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 60er Jahre • bewegend • Ehe • England • Englische Literatur • Hochzeit • Hochzeitsnacht • Hotel • Liebe • Paar • Sechziger Jahre • Sex • Trennung
ISBN-10 3-257-60026-7 / 3257600267
ISBN-13 978-3-257-60026-1 / 9783257600261
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