Glück und andere Erzählungen (eBook)

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2012 | 1., Originalausgabe
250 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77480-8 (ISBN)

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Glück und andere Erzählungen - Katherine Mansfield
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»Was kann man denn auch tun, wenn man dreißig ist, in seine eigene Straße einbiegt und plötzlich von einem Gefühl des Glücks überwältigt wird - reinen Glücks! -, als hätte man mit einemmal ein strahlendes Stück dieser Spätnachmittagssonne verschluckt, und nun brannte es einem in der Brust, und winzige Funkenregen stoben durch den ganzen Körper, in jeden Finger und jede Zehe?« »Glück« ist die bekannteste Erzählung der neuseeländischen Autorin, die als Meisterin der Kurzgeschichte in die Weltliteratur eingegangen ist. Die besten und beliebtesten Erzählungen versammelt dieser Band.

<p>Katherine Mansfield, am 14. Oktober 1888 in Wellington/Neuseeland geboren, ging 1903 nach England, um dort zu studieren. Sie reiste viel durch Europa, lebte u. a. in London, Bad Wörishofen und später in Frankreich. Mit ihren Kurzgeschichten erlangte sie anhaltende Berühmtheit. Im Alter von nur 34 Jahren starb Katherine Mansfield am 9. Januar 1923 in Fontainebleu/Frankreich an Tuberkulose.</p>

Cover 
1 
Informationen zum Buch oder Autor 
2 
Titel 
5 
Impressum 
6 
Inhalt 7
Glück 9
Der Mann ohne Temperament 27
Das Gartenfest 45
Mr. Reginald Peacocks grosser Tag 66
Eine Tasse Tee 78
Dillgurke 90
Psychologie 100
Ehe à la mode 110
Eine indiskrete Reise 125
Die kleine Gouvernante 146
Deutsche bei Tisch 165
Der Fremde 171
Je ne parle pas français 189
Die Flucht 228
Anmerkungen 237
Glück (Bliss) 237
Der Mann ohne Temperament (The Man without a Temperament) 238
Das Gartenfest (The Garden Party) 238
Mr. Reginald Peacocks großer Tag (Mr. Reginald Peacock´s Day) 239
Eine Tasse Tee (A Cup of Tea) 239
Dillgurke (A Dill Pickle) 239
Psychologie (Psychology) 240
Ehe à la mode (Marriage à la mode) 240
Eine indiskrete Reise (An Indiscreet Journey) 241
Die kleine Gouvernante (The Little Governess) 242
Deutsche bei Tisch (Germans at Meat) 243
Der Fremde (The Stranger) 243
Je ne parle pas français 244
Die Flucht (The Escape) 245

Glück


Zwar war Bertha Young schon dreißig, aber noch immer gab es für sie Augenblicke wie eben, da es sie danach verlangte zu rennen, statt zu gehen, die Bordsteinkante auf und ab zu tänzeln, einen Reifen zu treiben, etwas in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen oder stillzustehen und zu lachen – über nichts – einfach so über nichts zu lachen.

Was kann man denn auch tun, wenn man dreißig ist, in seine eigene Straße einbiegt und plötzlich von einem Gefühl der Seligkeit überwältigt wird – reiner Seligkeit! –, als hätte man mit einemmal ein strahlendes Stück dieser Spätnachmittagssonne verschluckt, und nun brannte es einem in der Brust, und winzige Funkenregen stoben durch den ganzen Körper, in jeden Finger und jede Zehe? …

Ach, gibt es denn keine Möglichkeit, das auszudrücken, ohne ›öffentliches Ärgernis zu erregen‹? Wie idiotisch doch die ganze zivilisierte Welt ist! Wozu hat man denn einen Körper, wenn man ihn wie eine seltene, ach so seltene Geige in einen Kasten schließen muß?

›Nein, das mit der Geige trifft nicht ganz, was ich meine‹, dachte sie, als sie die Stufen hinauflief, in ihrer Tasche nach dem Schlüssel kramte – sie hatte ihn vergessen, wie üblich – und dann mit dem Briefkastendeckel klapperte. »Das ist's nicht, was ich meine, weil – Danke, Mary« – und sie ging in die Diele. »Ist die Kinderfrau wieder zurück?«

»Ja, Ma'm.«

»Und ist das Obst gekommen?«

»Ja, Ma'm, 's ist alles da.«

»Bringen Sie das Obst bitte ins Eßzimmer, ja? Ich möchte es arrangieren, ehe ich hinaufgehe.«

Im Eßzimmer war es dämmrig und ziemlich kühl. Dennoch warf Bertha den Mantel ab; sie konnte seinen beengenden Druck keinen Augenblick länger ertragen, und die kalte Luft fiel ihr auf die Arme.

Doch in ihrer Brust spürte sie noch immer diese strahlende Glut – diese winzigen Funkenregen, die davon ausstoben. Es war beinahe unerträglich. Sie wagte kaum zu atmen, aus Angst, die Flammenglut höherzufächeln, und doch holte sie ganz, ganz tief Luft. Sie wagte kaum, in den kalten Spiegel zu sehen – aber sie schaute hinein, und er warf das Bild einer Frau zurück, strahlend, ein Lächeln um die bebenden Lippen, mit großen dunklen Augen und einer Miene, als lausche sie, als warte sie darauf, daß etwas – Himmlisches geschehe … das, sie wußte es … ganz sicher … geschehen müsse.

Auf einem Tablett brachte Mary die Früchte herein, dazu eine Glasschüssel und eine blaue Schale, sehr hübsch, die ganz seltsam schimmerte, als wäre sie in Milch getaucht worden.

»Soll ich das Licht anmachen, Ma'm?«

»Nein, danke. Ich kann genug sehen.«

Da waren Mandarinen und Äpfel mit erdbeerroten Flecken. Gelbe seidenweiche Birnen, helle, mit einem silbernen Hauch überzogene Weinbeeren und eine üppige purpurrote Traube. Letztere hatte sie gekauft, weil sie so gut zu dem neuen Teppich im Eßzimmer paßte. Ja, das klang wohl ziemlich ausgefallen und lächerlich, aber sie hatte sie wirklich deswegen gekauft. Sie hatte in dem Geschäft gedacht: ›Ich muß purpurrote mitnehmen, damit sich die Farbe des Teppichs auf dem Tisch wiederfindet.‹ Und es war ihr dabei ganz vernünftig vorgekommen.

Als sie damit fertig war und aus diesen glänzenden runden Formen zwei Pyramiden gebaut hatte, trat sie vom Tisch zurück, um die Wirkung zu prüfen – und die war wirklich recht seltsam. Denn der dunkle Tisch schien mit dem Dämmerlicht zu verschmelzen, und die Glasschüssel und die blaue Schale schwebten gleichsam in der Luft. Das war besonders in ihrer augenblicklichen Stimmung so unglaublich schön … Sie brach in Lachen aus.

»Nein, nein. Ich werde langsam hysterisch.« Und sie ergriff Tasche und Mantel und lief hinauf ins Kinderzimmer.

 

Die Kinderfrau saß an einem niedrigen Tischchen und fütterte Klein-B nach dem Bad die Abendmahlzeit. Das Baby hatte ein weißes Flanellkleidchen und ein blaues Wolljäckchen an, und sein feines dunkles Haar war zu einer lustigen kleinen Tolle gebürstet worden. Es sah auf, als es seine Mutter erblickte, und begann zu strampeln.

»Nun, mein Schatz, iß schon auf wie ein braves Mädchen«, sagte die Kinderfrau. Dabei kniff sie ihren Mund auf eine Art zusammen, die Bertha kannte und die soviel hieß, daß sie wieder einmal zum falschen Zeitpunkt ins Kinderzimmer gekommen war.

»Ist sie brav gewesen, Nanny?«

»Sie ist den ganzen Nachmittag über ganz lieb gewesen«, flüsterte Nanny. »Wir waren im Park, und da hab ich mich auf einen Stuhl gesetzt und sie aus dem Wagen genommen, und da kam ein großer Hund an und hat seinen Kopf auf mein Knie gelegt, und da hat sie ihn am Ohr gepackt und daran gezogen. Oh, Sie hätten sie sehen sollen!«

Eigentlich wollte Bertha fragen, ob es nicht zu gefährlich wäre, sie einen fremden Hund am Ohr ziehen zu lassen. Aber sie traute sich nicht. Sie stand da, die Hände an der Seite, wie das arme kleine Mädchen vor dem reichen kleinen Mädchen mit der Puppe, und sah ihnen zu.

Das Baby blickte wieder zu ihr hoch, starrte sie an und lächelte dann so entzückend, daß Bertha gar nicht anders konnte, als zu rufen: »Ach, Nanny, lassen Sie sie mich doch zu Ende füttern, während Sie die Badesachen wegräumen.«

»Na ja, Ma'm, sie sollte beim Füttern eigentlich nicht in andere Hände kommen«, sagte Nanny, sie flüsterte noch immer. »Das bringt sie durcheinander. Das regt sie bestimmt auf.«

Das war ja nun wirklich absurd. Wozu hat man denn ein Baby, wenn es – zwar nicht in einem Kasten, wie eine ganz, ganz seltene Geige – in den Armen einer anderen Frau gehalten wird?

»Ach, ich muß einfach!« sagte sie.

Zutiefst beleidigt, reichte Nanny sie herüber.

»Nun regen Sie sie aber nicht so auf nach ihrem Abendessen. Sie wissen doch, daß Sie das immer machen. Und ich habe es dann immer so schwer mit ihr!«

Gott sei Dank! Nanny ging mit den Badetüchern aus dem Zimmer.

»Jetzt hab ich dich ganz für mich, mein kleiner Schatz«, frohlockte Bertha, als sich das Baby an sie schmiegte.

Es war ganz entzückend, wie sie aß. Sie machte den Mund weit auf für den Löffel und zappelte dann mit den Händchen. Manchmal wollte sie den Löffel gar nicht wieder loslassen, und manchmal, gerade wenn Bertha wieder mit dem vollen Löffel kam, patschte sie den Brei in alle Himmelsrichtungen davon.

Als der Brei alle war, drehte sich Bertha dem Feuer zu. »Du bist so süß – du bist so, so süß!« sagte sie und küßte ihr warmes Baby. »Ich mag dich. Ich hab dich ja so gern.«

Und tatsächlich liebte sie Klein-B so sehr – ihren Nacken, als sie sich vorbeugte, die köstlichen kleinen Zehen, wie sie vom Feuer durchschienen wurden –, daß das ganze Gefühl der Seligkeit wieder da war, und wieder wußte sie nicht, wie sie es ausdrücken sollte – was sie damit machen sollte.

»Sie werden am Telefon verlangt«, triumphierend kam Nanny zurück und nahm sich ihre Klein-B.

 

Sie flog geradezu hinunter. Es war Harry.

»Oh, bist du's, Ber? Hör mal. Bei mir wird's etwas später. Ich werd mir ein Taxi nehmen und so schnell wie möglich kommen, aber laß das Dinner um zehn Minuten verschieben, ja? In Ordnung?«

»Ja, natürlich. Oh, Harry!«

»Ja?«

Was hatte sie denn noch zu sagen? Sie hatte nichts weiter zu sagen. Sie wollte nur noch einen Augenblick länger Kontakt mit ihm haben. Sie konnte doch nicht so albern sein und rufen: »Ist das nicht ein himmlischer Tag gewesen!«

»Was ist?« ließ sich die leise Stimme hören.

»Nichts. Entendu13,« erwiderte Bertha und legte den Hörer auf, dabei dachte sie, wie ungemein idiotisch die zivilisierte Welt doch war.

 

Sie erwarteten Gäste zum Dinner. Die Norman Knights – ein sehr tüchtiges Paar – er war dabei, ein Theater aufzumachen, und sie interessierte sich irrsinnig für Innenarchitektur; einen jungen Mann, Eddie Warren, von dem gerade ein kleiner Gedichtband erschienen war und den alle Welt zum Essen einlud; und eine ›Entdeckung‹ von Bertha, die Pearl Fulton hieß. Was Miss Fulton machte, wußte Bertha nicht. Sie hatten sich im Klub kennengelernt, und Bertha hatte sich in sie verliebt, wie sie sich immer in schöne Frauen verliebte, die etwas Eigenartiges an sich hatten.

Das Aufreizende daran war, daß, obgleich sie miteinander hier und da gewesen waren und sich etliche Male getroffen und wirklich unterhalten hatten, Bertha aus ihr nicht klug werden konnte. Bis zu einem gewissen Punkt war Miss Fulton von einer seltenen, wundervollen Offenheit, aber diesen gewissen Punkt gab es, und darüber hinaus würde sie nicht gehen.

Gab es überhaupt etwas darüber hinaus? Harry meinte: »Nein.« Hielt sie für ziemlich langweilig und ›kalt wie alle blonden Frauen, womöglich mit einer leichten Anämie des Gehirns‹. Aber Bertha teilte seine Meinung nicht; jedenfalls noch nicht.

»Nein, die Art, wie sie dasitzt, den Kopf leicht auf einer Seite, und lächelt, da ist etwas dahinter, Harry, und ich muß herauskriegen, was dieses Etwas ist.«

»Höchstwahrscheinlich ist's ein guter Magen«, antwortete Harry. Er hatte es sich zum Prinzip gemacht, Bertha mit dergleichen Antworten unterzukriegen … ›Leber verhärtet, mein liebes Mädchen‹, oder ›die reine Blähsucht‹ oder ›nierenkrank‹ … und so weiter. Aus einem unerfindlichen Grunde gefiel das Bertha, und sie bewunderte es nahezu an ihm.

Sie ging ins Wohnzimmer und zündete das Feuer an; dann hob sie die Kissen, die Mary so ordentlich in Reih und Glied hingelegt...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2012
Übersetzer Heide Steiner
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Erzählungen • Glück • insel taschenbuch 4149 • IT 4149 • IT4149 • Katherine Mansfield • Kurzgeschichte • Mansfield • Neuseeland • Short Stories
ISBN-10 3-458-77480-7 / 3458774807
ISBN-13 978-3-458-77480-8 / 9783458774808
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