Gartengeschichten (eBook)
233 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-73390-4 (ISBN)
Hat der Garten uns, oder haben wir ihn?
Eva Demski begibt sich auf Spurensuche und liefert ein anregendes, kluges und charmantes Buch über des Menschen liebsten Ort. »Er hat mich mehr als einmal gerettet, der Garten: die Dinge zurechtgerückt, mich zum Lachen gebracht, wenn mir zum Heulen war. Er bereitet mir Niederlagen, aber er tröstet mich, wenn die Welt mir welche bereitet.«
Ein schön ausgestattetes Geschenkbuch mit wunderbaren Zeichnungen von Michael Sowa.
Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet.
Der Garten meiner Mutter
»diese dornen – sie sind der beste teil an dir.«
Marianne Moore
Sie starb im Dezember, als ihr Garten sich längst zur Ruhe begeben hatte. Sie war nicht krank gewesen, hatte ihn noch, wie es sich gehört, für den Winter bereitgemacht: die Töpfe in den Keller und ins Treppenhaus geschleppt, die Rosen angehäufelt und etwas zurückgeschnitten, Sorgenkinder abgedeckt, Zwiebeln gelegt. Die holländische Gartenmafia züchtet Zwiebeln, die ein einziges Mal blühen und dann nie mehr, hatte sie sich, wie in jedem Jahr, aufgeregt. Meine Mutter war eine Gartensozialistin mit immer wachem Mißtrauen gegen die Machenschaften der Industrie, die selbst vor so unschuldigen Bereichen wie ihrem Garten nicht haltmachte. Ganz im Gegenteil. Jedes Gartencenter war für sie eine Mahnung, die Revolution nicht zu vergessen.
Sie steckte voller Geschichten über die Pharmaindustrie, von Insektiziden vergiftete Billigarbeiter in Drittweltländern, genverseuchtes Saatgut und was dergleichen grüne Teufeleien mehr sind.
Natürlich hatte sie mit allem recht, ich mochte es aber nicht hören. Der Garten sollte politikfreies Gebiet sein, fand ich. Das sah sie nicht ein, ihr gelang es im Gegensatz zu mir, Entzücken an ihrem paradiesischen Stück Erde und Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit und Finsternis aller menschlichen Existenz jederzeit in Einklang zu bringen.
Nun war sie tot, wir begruben ihre Urne, und ihr Garten schlief noch immer tief. Schnee fiel in diesem Winter, nicht viel, aber genug, um alles gleich aussehen zu lassen – ihren Garten und die Nachbargärten. Über die hatte sie sich oft lustig gemacht: Schwarzwald für Arme. Nagelscherenrasen. Manchmal war sie auch neidisch: Schau dir diese Maréchal Niel an. Bei mir das reinste Läusefestival!
In den drei Jahren, die sie nach dem Tod meines Vaters allein verbrachte, beschwerte sie sich manchmal über ihren Garten wie über ein Lebewesen, das unmäßige Forderungen stellt.
Elfhundert Quadratmeter, viel zuviel für einen einzelnen Menschen. Du weißt ja nicht, was das heißt, du mit deinem Handtuch!
Und schon war es wieder da, unser zuverlässiges Begleitgespenst: das schlechte Gewissen.
Nicht, daß mein Vater der große Gartenhelfer gewesen wäre, sein Gebiet war eher die Grenzüberschreitung zwischen Erdarbeiten und Utopie: Da muß ein Teich hin! Hier könnte man ein Gartenhaus brauchen!
Jetzt fehlten ihr die Pläne, gegen die sie sich hätte wehren können, um dann irgendwann doch nachzugeben. Man könnte sagen, daß aus Zukunft eine zunehmend mühevolle Abfolge von Gegenwärtigkeit geworden war. Schon wieder Hecken schneiden, schon wieder mähen, schon wieder jäten.
Momente des Entzückens stellten sich seltener ein – die blühende Spalieraprikose an der Südwand, die lodernde weiße Strauchpäonie, unter der unser erster Kater, Angkor, begraben lag – er war ein ganz besonderer Liebling gewesen. Die Katzen, die ihm gefolgt waren, hatten ihr Friedhöfchen in der dunklen Kompostecke, jede mit eigenem Stein, auf dem ihr Namen stand: Michi, Afra, Amu, Thymian. Geblieben war ihr Pascha, der vierundzwanzigjährige Kater, der sie um eineinhalb Jahre überleben sollte.
Nicht einmal die Trauer über alles Verlorene konnte ihr Erstaunen über das, was in jedem Frühjahr aus unscheinbaren Samenkörnchen wurde, mindern. Sie hatte sich in ihrem letzten Winter schon Jiffy-Pots und vielversprechende Tütchen für den März zurechtgelegt.
Der Garten meiner Eltern war ein Sechzigerjahregarten auf zwei Ebenen, mit Pool in der oberen, am Haus. Das Grundstück war, als sie es kauften, eine bezaubernde Wildnis aus Flieder- und Brombeerbüschen, alten Obstbäumen und jeder Menge Kanadischer Goldruten gewesen, der Lieblingsplatz aller Kinder der Umgebung. Die haßten jetzt meine Eltern, die Käufer.
Reihenweise verschwanden damals die Kinderwildnisse – Brachen, Trümmergrundstücke, anarchische Traum- und Sündenorte, wunderbares, erwachsenenfreies Land, wo man rauchen und sich in der Liebe versuchen konnte. Die Erwachsenen holten es sich zurück und machten Besitz daraus. Ich fühlte mit den Vertriebenen, denn mir war es wenige Jahre zuvor genauso gegangen. Auf meinem Kinderkontinent am Frankfurter Alleenring wurden die Erweiterungsbauten des Hessischen Rundfunks errichtet. Kurz danach war ich dann erwachsen. So ging es den erbitterten Kindern aus unserer neuen Nachbarschaft auch, und später kamen sie zu uns zum Schwimmen.
Während der obere Teil des Gartens nach und nach völlig in elterliche Gewalt – gelegentlich auch in ihre widerstreitende Macht – geriet, hielt sich im unteren Teil immer ein wenig von der vergangenen glücklichen Wildnis. Die alten Obstbäume hatten alle stehenbleiben dürfen und standen auch noch, als die drei Trauerweiden, auf die mein Vater beim Einzug bestanden hatte, ihr ungestümes Gastspiel längst hatten beenden müssen. Der Wunsch, im Wasser badende Weidenzweige betrachten zu können, war mit drei derart besitzergreifenden Monstern im Garten offenbar zu teuer bezahlt. Weiden gehören an Bäche und Tannen in den Wald, wer es anders haben will, wird das bereuen. In kurzer Zeit hatten die Trauerweiden vom oberen Gartenteil Besitz ergriffen, unter ihnen war Wüste, neben ihnen kein Leben, und so wurden sie abgeholzt. Ein breiter Baumstumpf blieb übrig. Meine Mutter stellte einen Korb Geranien drauf. Manchmal streckte der Stumpf ein paar Zweige aus, nur mal so, um zu probieren, ob man es vielleicht wieder mit dem Wachsen wagen könnte? Aber die Gartenbesitzer waren gewarnt und paßten auf.
Seit dem Weidenexperiment hatte meine Mutter Oberwasser, und so entstand ihre bewunderte, kontrolliert wild blühende Simulation eines Bauerngartens mit Rosen, Margeriten, Schafgarben, Cosmeen, Schwertlilien und noch hundert anderen Blumenarten, in jeder Jahreszeit blühte irgendwas Schönes. Es gelang meiner Mutter, einer eleganten Städterin, die Blumen bisher nur mit Papier drum herum gekannt hatte, in wenigen Jahren die Geheimnisse eines Gartens zu entschlüsseln. Wahrscheinlich hat sie auch erkannt, daß der Garten die einzige Möglichkeit für sie war, ohne zu trauern alt zu werden.
Sie hatte vor dem Alter immer Angst gehabt. Entsetzlich, wenn nicht einmal die Bauarbeiter mehr pfeifen, sagte sie.
So wanderten die Schiaparelli- und St.-Laurent-Kleider in den Keller, ordentlich in alte Bettbezüge gehüllt wie in Leichentücher. Meine Mutter trug fürderhin Overalls, und wenn sie ihrer Schönheit nachtrauerte, ließ sie es keinen merken. Sie hatte der Welt den Rücken zugedreht und sah dafür ihrem Garten ins Gesicht. Sie war und ist nicht die einzige Frau, die das so macht, ob sie es sich eingesteht oder nicht.
Ein Garten ist eine von allen respektierte Art, der Welt mitzuteilen, daß sie einen nicht mehr interessiert. Da meine Mutter jeden Morgen um fünf Uhr Deutschlandfunk hörte und auch sonst keine Nachrichtensendung, keinen Dokumentarfilm über Pharma-, Wirtschafts-, Korruptions- und sonstige Politikskandale versäumte (nur solche über Tiertransporte konnte sie nicht anschauen), hatte sie eine ebenso klare wie düstere Meinung über das Leben. Von außen hätte man ihres für komfortabel, ja sogar glücklich halten können, aber das war es nicht. Sie war eine jener Pessimistinnen, die grade deshalb die schönsten Gärten zustande bringen. Sie zeigen nämlich der verrotteten, dreckigen und kranken Gegenwart, wie sie aussehen könnte, wenn gärtnerische Vernunft regierte. Plato wollte Philosophen als Könige haben, meine Mutter Gärtner. Natürlich keine professionellen, die waren Teil des weltweiten Mörder- und Vergifterkartells.
Es gelangen ihr geniale Kombinationen von Farben und Pflanzen, ich beneidete sie um vieles und konkurrierte niemals – ich mit meinem »Handtuch«. Zu Lebzeiten meines Vaters durfte sie keinen Kitsch aufstellen und hielt sich mit Geschenken an mich schadlos, Steinamphoren und allerlei Terrakotta. Ein abstraktes eisernes Gebilde, das er als Kunstwerk ernster Art in Sichtweite des Hauses auf den Rasen betoniert hatte, bepflanzte sie mit Clematis der Sorte Montana Rubens, ein wunderbares und temperamentvolles Gewächs, unter dem man auch das Frankfurter Polizeipräsidium schnell unsichtbar werden lassen könnte, wenn man nur wollte.
In kurzer Zeit war aus dem Kunstwerk eine duftige, aber kompakte Wolke geworden, im April mit Hunderten von vierblättrigen rosa Blüten bedeckt, die sich in kleine gelbe Knöpfe und dann in sehr dekorative weiße Spiralnebelchen verwandelten. Wenn man etwas zu einem schönen Verschwinden bringen will, ist die Montana Rubens allererste Wahl.
Mein Vater hängte trotzig eine verdrehte, bearbeitete und etwa mannshohe Wurzel so hoch an die Hauswand, wie es ging, und sagte, die sei schließlich Natur, irgendwie.
Die Favoriten meiner Mutter wechselten. Sie ging mit Pflanzen um wie ein Intendant mit seinen Schauspielern. Wer in einer Spielzeit zu viele Hauptrollen hatte, mußte sich in der nächsten mit Nebenrollen begnügen. Und wie ein Intendant konnte sie sich manchmal nicht entscheiden, wen sie nun mehr liebte: die fulminant auftretenden Feuerwerkstypen, prachtvoll, aber schnell schlapp – zum Beispiel Schwertlilien –, oder die verläßlichen Darsteller, von sanfterer, aber haltbarer Schönheit wie manche Polyantharosen, die den ganzen Sommer unermüdlich Blüten nachschieben. Das ist ein verbreitetes gärtnerisches...
Erscheint lt. Verlag | 16.11.2010 |
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Illustrationen | Michael Sowa |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 50plus • Anthologie • Best Ager • Buch für den Strand • Buch für den Urlaub • Garten • Generation Gold • George-Konell-Preis 2018 • Golden Ager • Göttinger ELCH 2013 • illustriert • insel taschenbuch 4003 • IT 4003 • IT4003 • mit Illustrationen • Preis der Frankfurter Anthologie 2008 • Prosa • Rentner • Rentnerdasein • Ruhestand • Senioren • Sommer-Lektüre • Stoltze-Preis 2024 • Strand-Buch • Urlaubslektüre |
ISBN-10 | 3-458-73390-6 / 3458733906 |
ISBN-13 | 978-3-458-73390-4 / 9783458733904 |
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