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Frostkuss (eBook)

Mythos Academy 1
eBook Download: EPUB
2012 | 2. Auflage
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-95611-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
2,99 inkl. MwSt
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Im Mittelpunkt der Serie steht die 17-jährige Gwen Frost, die über ein außergewöhnliches Talent verfügt: Sie besitzt die »Gypsy-Gabe« - bei der eine einzige Berührung ausreicht, um alles über einen Gegenstand oder einen Menschen zu wissen. Doch dabei spürt Gwen nicht nur die guten Gefühle, sondern auch die schlechten und die gefährlichen. Auf der Mythos Academy soll sie lernen, mit ihrer Gabe sinnvoll umzugehen. Aber was Gwen nicht weiß: Die Studenten werden dort ausgebildet, um gegen den finsteren Gott Loki zu kämpfen. Und obwohl sie der Meinung ist, an der Mythos Academy nichts verloren zu haben, erkennt Gwen bald, dass sie viel stärker ist als gedacht und all ihre Fähigkeiten brauchen wird, um gegen einen übermächtigen Feind zu bestehen.

Jennifer Estep ist SPIEGEL- und internationale Bestsellerautorin und immer auf der Suche nach ihrer nächsten Fantasy-Romanidee. In ihrer Freizeit trifft sie sich gerne mit Freunden und Familie, macht Yoga und liest Fantasy- und Liebesromane. Außerdem sieht sie viel zu viel fern und liebt alles, was mit Superhelden zu tun hat. Sie hat bereits mehr als vierzig Bücher sowie zahlreiche Novellen und Kurzgeschichten veröffentlicht. Bei Piper erscheinen ihre Young-Adult-Serien um die »Mythos Academy«, »Mythos Academy Colorado«, »Black Blade«, »Die Splitterkrone« und »Gargoyle Queen« sowie die Urban-Fantasy-Reihen »Elemental Assassin«, »Bigtime« und »Section 47«.

Jennifer Estep ist SPIEGEL-Bestsellerautorin und lebt in Tennessee. Sie schloss ihr Studium mit einem Bachelor in Englischer Literatur und Journalismus und einem Master in Professional Communications ab. Bei Piper erscheinen ihre Young-Adult-Serien um die "Mythos Academy", "Mythos Academy Colorado" und "Black Blade" sowie die Urban-Fantasy-Reihen "Elemental Assassin" und "Bigtime".

Kapitel 1 »Ich kenne dein Geheimnis.« Daphne Cruz schob ihr Gesicht näher an den Spiegel über dem Waschbecken und trug eine weitere Schicht hellen Lipgloss auf. Sie ignorierte mich demonstrativ, wie es alle hübschen, beliebten Mädchen taten. Wie es jeder auf der Mythos Academy tat. »Ich kenne dein Geheimnis«, wiederholte ich lauter. Ich stieß mich von der Statue einer Meeresnymphe ab, an der ich gelehnt hatte, schlenderte zur Tür der Mädchentoilette und verschloss sie. Mir mochte es ja egal sein, ob jeder von Daphnes kleinem Geheimnis erfuhr, aber ich hätte darauf gewettet, dass sie am Ende unserer Unterhaltung daran interessiert sein würde, genau das zu verhindern. Sobald Daphne mit dem Glanz ihrer Lippen zufrieden war, ließ sie den Lippenstift in ihrer übergroßen, rosafarbenen Tasche von Dooney & Bourke verschwinden. Als Nächstes zog sie eine Bürste hervor und machte sich daran, ihre glatten, goldenen Strähnen zu kämmen. Sie ignorierte mich immer noch. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte mich gegen die Tür und wartete. Die erhabenen Figuren von Kriegern und Monstern, die in die schwere Holztür geschnitzt waren, drückten sich in meinen Rücken, aber ich ignorierte die seltsamen Formen und Knubbel. Die zweihundert Dollar, die ich für diesen Job bekam, bedeuteten, dass ich es mir leisten konnte, geduldig zu sein. Nach weiteren zwei Minuten, als sie ihre Haare ein Dutzend Mal gekämmt hatte und erkannte, dass ich immer noch nicht, na ja, verschwand, ließ sich Daphne schließlich dazu herab, sich umzudrehen und mich anzusehen. Ihre schwarzen Augen huschten über meine Jeans, das T-Shirt mit dem Comicaufdruck und meine purpurne Kapuzenjacke. Dann gab sie ein leises, angewidertes Schnauben von sich. Offensichtlich beleidigte es ihren Modegeschmack, dass ich nicht wie sie die neuesten Designerfummel trug. Dass ich es nicht draufhatte, mich in die Clique der gleich aussehenden Mädchen einzureihen, wie sie und ihre Freundinnen es taten. Das Motiv des Tages war offensichtlich »Schottenmuster«, denn alles, was Daphne trug, war kariert: vom rosafarbenen Kaschmirschal über ihren schwarzen Faltenrock bis hin zu der schwarz-rosa karierten Strumpfhose, die ihre schlanken Beine hervorhob. Der Kontrast der hellen und dunklen Farben ließ sie noch perfekter wirken und betonte das sanfte Strahlen ihrer bernsteinfarbenen Haut. Genauso wie der Lipgloss. »Du kennst mein Geheimnis ?«, wiederholte Daphne höhnisch. »Und was für ein Geheimnis sollte das sein ?« Dann wollte die Walküre also pampig werden. Kein Problem. Ich lächelte. »Ich weiß, dass du das Armband mit den Anhängern gestohlen hast. Das Bettelarmband, das Carson Callahan Leta Gaston schenken wollte, um sie zu fragen, ob sie mit ihm auf den Homecoming-Ball geht. Du hast es gestern in seinem Zimmer vom Schreibtisch geklaut, als er dir bei deinem Aufsatz für Englische Literatur geholfen hat. « Zum ersten Mal flackerten Zweifel in Daphnes Augen auf, und ihr hübsches Gesicht verzog sich ungläubig, bevor sie es schaffte, ihre Gefühle zu verbergen. Jetzt sah sie mich an - sah mich wirklich an - und versuchte herauszufinden, wer ich war und was ich wollte. Nach einem Moment kniff sie die Augen zusammen. »Du bist dieses Gypsymädchen«, murmelte Daphne. »Das, das Dinge sieht.« Dieses Gypsymädchen. So wurde ich von fast allen auf der Mythos Academy genannt. Hauptsächlich, weil ich die einzige Gypsy auf dieser Schule für magische Krieger-Freaks war. Das Mädchen aus der Mittelschicht, dessen seltsame Gabe es hier zwischen die Reichen, Beliebten und unzweifelhaft Mächtigen geführt hatte. Wie Daphne Cruz, eine verwöhnte, verzogene Möchtegernprinzessin, die zufällig auch eine Walküre war. »Wie heißt du ?«, fragte Daphne. »Gail ? Gretchen ?« Wow. Ich war beeindruckt, dass sie überhaupt wusste, dass mein Name mit einem G anfing. »Gwen«, antwortete ich. »Gwen Frost.« »Also, Gwen Frost«, sagte Daphne und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Handtasche. »Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wovon du redest.« Ihre Stimme und Miene waren beide genauso glatt wie der goldumrahmte Spiegel vor ihr. Ich hätte ihr sogar geglaubt, hätten ihre Hände nicht ein winziges bisschen gezittert, als sie ihre Bürste zurück in die Tasche steckte. Und hätte ich nicht gewusst, wie phantastisch brave Mädchen wie sie lügen konnten. Wie gut fast jeder lügen konnte. Ich griff in meine graue Umhängetasche und zog einen durchsichtigen Plastikbeutel hervor. Darin glitzerte ein winziger silberner Anhänger in Form einer Rose. Daran gemessen, wie Daphne davor zurückschreckte, hätte es genauso gut eine Tüte voller Hasch sein können. »Woher ... woher hast du das ?«, flüsterte sie. »Carson hatte noch nicht alle Anhänger an Letas Armband befestigt, als er es dir während der Nachhilfestunde gestern Nachmittag gezeigt hat«, erklärte ich. »Den hier habe ich ganz hinten hinter seinem Schreibtisch gefunden. Er ist runtergefallen, als du dir das Armband geschnappt hast, um es in deine Tasche zu stopfen.« Daphne lachte auf und blieb damit bei ihrer Scharade. »Aber warum sollte ich so etwas tun ?« »Weil du verrückt bist nach Carson. Du willst nicht, dass er mit Leta ausgeht. Du willst ihn für dich haben.« Daphne sackte in sich zusammen und ließ die Hände auf eines der Waschbecken sinken, die sich in einer Reihe unter dem Spiegel entlangzogen. Ihre Finger umfassten kurz einen der silbernen Wasserhähne, die geformt waren wie Hydraköpfe, bevor sie ins Becken rutschten. Ihre langen, gepflegten Fingernägel glitten über den Marmor, während fahle, rosafarbene Funken aus ihren Fingerspitzen schossen. Daphne mochte ja ebenso wie ich erst siebzehn sein, aber Walküren waren unglaublich stark. Ich wusste, dass Daphne Cruz, sollte ihr der Sinn danach stehen, dieses Waschbecken leichter aus der Wand reißen konnte als der Hulk. Vielleicht hätte ich mich vor der Walküre fürchten sollen. Vor den seltsamen Funken in prinzessinenhaftem Rosa und besonders vor ihrer Stärke und dem, was sie mir damit antun konnte. Aber ich hatte keine Angst. Ich hatte bereits eine der Personen verloren, die mir im Leben am meisten bedeutet hatten. Im Vergleich dazu verblasste alles andere. »Woher weißt du das alles ?«, fragte Daphne. Sie sprach so leise, dass es fast ein Flüstern war. Ich zuckte mit den Achseln. »Wie du sagtest, ich sehe Dinge. Und sobald ich diesen Anhänger gefunden hatte, wusste ich, dass du diejenige warst, die das Armband gestohlen hat. « Ich erzählte Daphne sonst nichts über meine Gypsygabe, über meine Fähigkeit, die Geschichte eines Objektes zu erfahren, indem ich es einfach nur berührte, und sie fragte nicht weiter nach. Stattdessen starrte die Walküre mich weiterhin aus ihren schwarzen Augen an. Nach ungefähr dreißig Sekunden Schweigen hatte sie offensichtlich eine Entscheidung getroffen. Daphne nahm die Schultern zurück, griff ein weiteres Mal in ihre Tasche und zog ihre Geldbörse hervor. Sie passte perfekt zu ihrer Handtasche. »In Ordnung«, sagte sie. »Wie viel willst du dafür, dass du mir diesen Anhänger gibst und die ganze Geschichte vergisst ? Hundert Dollar ? Zwei ? « Dieses Mal waren es meine Hände, die sich zu Fäusten ballten. Sie versuchte, mich zu bestechen. Ich hatte nichts anderes erwartet, aber trotzdem machte es mich wütend. Wie jeder andere auf der Mythos Academy konnte Daphne Cruz sich das Beste von allem leisten. Ein paar hundert Dollar bedeuteten ihr gar nichts. Sie hatte eine solche Summe für ihre verdammte Handtasche ausgegeben. Aber für mich waren ein paar hundert Dollar deutlich mehr als nichts. Für mich bedeuteten sie Kleidung und Comics und ein Handy und ein Dutzend anderer Dinge, um die sich Daphne nie in ihrem Leben hatte sorgen müssen. »Carson hat mich bereits bezahlt«, sagte ich. »Und ?«, sagte sie. »Ich zahle dir mehr. So viel du willst. « »Tut mir leid. Sobald ich jemandem mein Wort gegeben habe, halte ich es auch. Und ich habe Carson versprochen, dass ich das Bettelarmband für ihn finde.« Daphne legte den Kopf schief, als wäre ich ein seltsames Wesen, das sie noch nie zuvor gesehen hatte - ein mythologisches Monster, das sich lediglich als Teenager tarnte. Vielleicht war es dumm von mir, das angebotene Geld nicht zu nehmen. Aber meine Mom hätte Daphnes Geld nicht genommen, nicht wenn sie schon jemand anderem ein Versprechen gegeben hätte. Meine Mom, Grace, war eine Gypsy gewesen, genau wie ich. Mit einer Gabe, genauso wie ich sie hatte. Für einen Moment krampfte sich mein Herz in einem Anfall von Schuldgefühlen und Sehnsucht zusammen. Meine Mom war tot, und ich vermisste sie so sehr. Ich schüttelte den Kopf in dem Versuch, den Schmerz zu vertreiben. »Hey, gib mir einfach das Armband. Mehr will ich nicht. Mehr will auch Carson nicht.« Daphne presste die Lippen zusammen. »Er ... er weiß es ? Dass ich das Armband gestohlen habe ? Und warum ?« »Noch nicht. Aber er wird es erfahren, wenn du es mir nicht gibst. Und zwar jetzt.« Ich öffnete die Plastiktüte und hielt sie ihr entgegen. Daphne starrte den Rosenanhänger an, der darin glitzerte. Dann biss sie sich auf die Lippe, sodass Lipgloss auf ihre Zähne geriet, und wandte den Blick ab. »Schön«, murmelte sie. »Ich weiß sowieso nicht wirklich, warum ich es überhaupt genommen habe.« Ich wusste es, weil Daphne vor meinem inneren Auge aufgeblitzt war, als ich den Anhänger berührt hatte. Kaum dass meine Finger über die silberne Rose geglitten waren, war das Bild der blonden Walküre in mir aufgestiegen. Ich hatte gesehen, wie Daphne an Carsons Schreibtisch saß und das Armband anstarrte, während sich ihre Finger um die Metallglieder schlossen, als wollte sie sie zerreißen. Ich hatte auch die Gefühle des anderen Mädchens gespürt, so wie es immer geschah, wenn ich einen Gegenstand oder sogar eine andere Person berührte. Ich hatte Daphnes heiße, kochende Eifersucht gefühlt bei dem Gedanken, dass Carson auch nur darüber nachdachte, Leta um ein Date zu bitten. Und das warme, weiche, übersprudelnde Gefühl von Daphnes Schwärmerei für Carson, obwohl er ein Musikfreak war, während sie zur Gruppe der Beliebten gehörte. Ihre kalte, schmerzhafte Verzweiflung darüber, dass sie in jemanden verliebt war, den der Rest ihrer hochnäsigen Freunde nicht gutheißen würde. Aber das erzählte ich Daphne nicht. Je weniger die Leute über meine Gabe wussten und über die Dinge, die ich sah und fühlte, desto besser. Daphne riss das Armband aus ihrer Tasche. Carson Callahan mochte ja ein Musikfreak sein, aber er hatte auch Geld, also war das Bettelarmband ein schweres, teures Stück mit Dutzenden Anhängern daran, die bei jeder Bewegung klirrten. Daphnes Nägel kratzten über einen der Anhänger, ein kleines Herz, und wieder stiegen pinkfarbene Funken in die Luft wie Glühwürmchen. Ich streckte erneut die Plastiktüte aus, und Daphne ließ das Armband hineinfallen. Ich schloss den Beutel und verknotete ihn, wobei ich sorgfältig darauf achtete, das Schmuckstück nicht zu berühren. Ich wollte keine weiteren Einblicke in die Psyche von Daphne Cruz. Schon beim ersten Mal hatte ich fast Mitleid mit ihr empfunden. Aber jedes Mitgefühl, das ich vielleicht für Daphne gehegt hatte, verschwand, als die Walküre mich mit einem kalten, hochnäsigen Blick bedachte, den mir vor ihr schon so viele andere bösartige Tussen geschenkt hatten. »Wenn du irgendwem davon erzählst, Gwen Frost, werde ich dich mit deinem scheußlichen purpurnen Kapuzenshirt erwürgen. Verstanden ?« »Sicher«, erklärte ich freundlich. »Aber du solltest dich vor der nächsten Stunde vielleicht noch etwas frisch machen. Dein Lipgloss ist verschmiert.« Die Walküre verengte die Augen zu Schlitzen, aber ich ignorierte ihre giftigen Blicke, entriegelte die Toilettentür und ging. Kapitel 2 Ich trat aus der Mädchentoilette auf den Flur. Irgendwo tiefer im Gebäude ertönte die Pausenglocke und warnte mich, dass ich nur noch fünf Minuten bis zur nächsten Stunde hatte. Also reihte ich mich in den Strom der Schüler ein, um in den Westflügel des Geschichtsgebäudes zu kommen. Von außen sah die Mythos Academy aus wie ein Elitegymnasium, obwohl sie in Cypress Mountain lag, knapp außerhalb von Asheville im westlichen Hochland von North Carolina. Alles an der Akademie roch nach Geld, Macht und Snobismus. Von den efeubewachsenen Steingebäuden über die perfekt gepflegten Grasvierecke bis zum Speisesaal, der eher an ein Fünf-Sterne-Restaurant erinnerte als an eine Schulcafeteria. Ja, von außen gesehen wirkte die Akademie exakt wie der Ort, an den reiche Leute ihre verzogenen Treuhandfond-Kinder schicken würden, um sie auf Yale, Harvard, Duke oder ein anderes, angemessen teures College vorzubereiten. Von innen sah es ganz anders aus. Auf den ersten Blick wirkte alles normal, wenn auch ein wenig spießig und altmodisch. Ihr wisst schon, polierte Rüstungen in den Gängen, von denen jede eine scharfe, spitze Waffe umklammerte. Steinreliefs und teure Ölgemälde von mythologischen Schlachten an den Wänden. Weiße Marmorstatuen von Göttern und Göttinnen in den Ecken, die sich mit vorgehaltener Hand gegenseitig ansahen, als würden sie über die Personen lästern, die an ihnen vorbeikamen. Dann waren da noch die Schüler. Sie waren zwischen sechzehn und einundzwanzig, Schüler im ersten bis zum sechsten Jahr, in allen Formen, Größen und Ethnien, mit Büchern und Taschen in der einen und Handys in der anderen Hand, die gleichzeitig SMS schrieben, sich unterhielten und sich ihren Weg durch die Gänge bahnten. Und alle trugen die teuerste Kleidung, die ihre Eltern sich leisten konnten, inklusive Prada, Gucci und natürlich Jimmy Choos. Aber wenn man die Designerklamotten und die teure Elektronik einmal ausblendete, fielen einem andere Dinge auf. Seltsame Dinge. Wie die Tatsache, dass viele der Schüler Waffen trugen. Überwiegend Schwerter, Bögen und Kampfstäbe, alle in Hüllen verstaut, die an überkandidelte Tennistaschen erinnerten. Natürlich farblich an die Kleidung des Tages angepasst. Die Waffen waren auf Mythos einfach nur Accessoires. Statussymbole, die verkündeten, was man war, was man konnte und wie viel Geld die jeweiligen Eltern hatten. Genauso wie die farbigen Funken und Magieentladungen, die wie statische Elektrizität in der Luft hingen. Selbst der letzte Trottel hier wusste, wie man jemandem mit einem Schwert den Kopf abschlug, oder konnte einem mit einem gemurmelten Zauberspruch die Innereien zu Brei verwandeln. Es war, als ginge man in einer Folge von Xena - Die Kriegerprinzessin zur Schule. Denn das waren alle Schüler auf der Mythos Academy: Krieger. Echte, lebende mythologische Krieger. Oder zumindest die Urururenkel mythologischer Krieger. Die Mädchen waren überwiegend Amazonen oder Walküren, während es sich bei den Jungs meistens um Römer oder Wikinger handelte. Aber es gab auch noch andere Arten von Kriegern: Spartaner, Perser, Trojaner, Kelten, Samurai, Ninjas und alles dazwischen. Sie stammten aus jeder alten Kultur, jedem alten Mythos oder Märchen, das man je gehört hatte - und aus vielen, die so gut wie niemand kannte. Alle besaßen eigene, spezielle Fähigkeiten und eigene Magie - und die dazu passenden Egos. Und alle waren sie reich, gut aussehend und gefährlich. Alle außer mir. Niemand beachtete mich, und niemand sprach mit mir, als ich zu meiner sechsten Stunde schlurfte - Mythengeschichte. Ich war einfach nur dieses Gypsymädchen und dementsprechend nicht reich, mächtig, beliebt, hübsch oder wichtig genug, um für irgendwen interessant zu sein. Es war Ende Oktober, das Herbstsemester lief bereits seit fast zwei Monaten, und ich hatte immer noch keine Freundin. Es gab noch nicht mal jemanden, mit dem ich beim Mittagessen im Speisesaal zusammensitzen konnte. Aber es machte mir nichts aus, keine Freunde zu haben. Seit dem Tod meiner Mom vor sechs Monaten machte mir nur sehr wenig etwas aus. Kurz bevor die Glocke bimmelte und damit allen verkündete, dass jetzt jeder in seinem Klassenzimmer sein sollte, schob ich mich auf meinen Platz in Professor Metis' Mythengeschichtsstunde. Carson Callahan drehte sich auf seinem Stuhl um, der direkt vor meinem stand. »Hast du es schon gefunden ?«, flüsterte er. Carson war ein großer Junge, gut einen Meter achtzig, und schlaksig. Er schien nur aus spitzen Kanten zu bestehen, von den Knöcheln über die Knie bis hin zu den Ellbogen, und erinnerte mich deswegen immer an ein Dreieck. Selbst seine Nase war gerade und spitz. Er hatte hellbraune Haut und ebensolche Haare, und das eckige Gestell seiner Brille ließ seine Augen wirken wie braune Schokokugeln. Ich verstand allerdings, warum Daphne ihn mochte. Carson war lieb und freundlich, auf diese scheue, ruhige Art, die Freaks so oft an sich haben. Aber Carson war nicht einfach irgendeine Art von Freak - er war ein Hardcore-Musikfreak und der Tambourmajor in der Marschkapelle der Mythos Academy. Und das, obwohl er erst siebzehn und wie ich im zweiten Jahrgang war. Carson war ein Kelte und hatte angeblich ein magisches Talent für Musik. Er war ein Kriegsbarde oder etwas in der Art. Überwiegend bemühte ich mich, nicht darüber nachzudenken. Ich ignorierte eine Menge Dinge auf Mythos - besonders die Tatsache, wie wenig ich hierher gehörte. Ich übergab Carson das Armband in seiner Tüte und achtete sorgfältig darauf, ihn nicht zu berühren, damit der Musikfreak keine Vision in mir aufblitzen ließ. Denn zusätzlich zu Daphnes Gefühlen hatte ich gestern, als ich den Rosenanhänger hinter dem Schreibtisch hervorgefischt hatte, auch einen Einblick in Carsons Gefühle erhalten. Ich sah nicht nur die Person, die einen Gegenstand zuletzt berührt hatte - ich konnte jeden blitzen, der das Ding je in der Hand gehabt hatte. Jemals. Was bedeutete, dass ich wusste, wem Carson das Armband wirklich geben wollte. Und es war entgegen seinen Behauptungen nicht Leta Gaston. »Wie versprochen«, sagte ich. »Du bist dran.« » Danke, Gwen. « Er legte einen Hundert-Dollar-Schein, die zweite Hälfte meines Finderlohns, auf meinen Tisch. Ich nahm das Geld und schob es in die Hosentasche. Grundsätzlich ignorierte ich alle Schüler auf Mythos, und sie ignorierten mich - zumindest, bis sie etwas finden mussten. Dasselbe hatte ich schon auf meiner alten, öffentlichen Highschool getan, wann immer ich ein wenig zusätzliches Geld brauchte. Für eine angemessene Summe fand ich Dinge, die verloren gegangen, gestohlen worden oder auf andere Weise verschwunden waren. Schlüssel, Geldbeutel, Handys, Haustiere, herrenlose BHs und verknitterte Boxershorts. Ich hatte in einer Mathestunde mitbekommen, wie sich eine Amazone darüber beschwerte, dass sie ihr Handy verloren hatte, also hatte ich angeboten, es für sie zu finden, wenn sie mir einen kleinen Finderlohn zahlte. Sie hatte mich für verrückt gehalten - bis ich ihr Handy aus den Tiefen ihres Schrankes gezogen hatte. Es stellte sich heraus, dass sie es in einer anderen Handtasche vergessen hatte. Danach sprach sich meine Begabung herum. Bis jetzt war es nicht gerade ein Erfolgsgeschäft, aber ich hatte mein Auskommen. Da meine Gypsygabe mich dazu befähigte, einen Gegenstand zu berühren und sofort seine Geschichte zu wissen, zu sehen und zu fühlen, war es nicht allzu schwer für mich, Dinge zu finden oder Vorgänge zu erschließen. Sicher, wenn etwas fehlte, konnte ich das Ding selbst nicht berühren - sonst wäre es ja nicht verloren. Aber die Leute hinterließen überall Schwingungen - in Bezug auf alles Mögliche. Was sie zum Mittagessen gegessen hatten, welchen Film sie am Abend anschauen wollten, was sie von ihren angeblich besten Freunden wirklich hielten. Gewöhnlich musste ich nur die Finger über den Schreibtisch eines Kerls gleiten lassen oder mich einmal durch die Handtasche eines Mädchens graben, um eine ziemlich gute Vorstellung davon zu bekommen, wo er seinen Geldbeutel liegen gelassen oder wo sie ihr Handy hingeschmissen hatte. Und wenn sich mir der exakte Fundort des verlorenen Gegenstandes nicht sofort erschloss, berührte ich einfach weiter Dinge, bis ich ihn fand - oder ein Bild von demjenigen vor meinem inneren Auge aufblitzte, der ihn vielleicht gestohlen hatte. Wie das Bild von Daphne Cruz, die das Bettelarmband von Carsons Schreibtisch nahm. Manchmal fühlte ich mich wie Kalle Blomquist oder vielleicht eher wie Gretel, die einer Spur aus übersinnlichen Brotkrumen folgt, bis sie findet, wonach sie sucht. Es gibt sogar einen Namen für das, was ich kann - Psychometrie. Eine schicke, pseudowissenschaftliche Bezeichnung dafür, dass in meinem Kopf Bilder und die Gefühle anderer Leute aufblitzten - ob ich es nun will oder nicht. Trotzdem, ein Teil von mir mochte es, die Geheimnisse der anderen zu kennen - all diese großen und kleinen Dinge zu wissen, die sie so verzweifelt vor anderen und manchmal sogar vor sich selbst versteckten. Es gab mir das Gefühl, klug und stark und mächtig zu sein - und löste in mir eine tiefe Entschlossenheit aus, niemals etwas Dummes anzustellen, wie mich zum Beispiel in Unterwäsche von einem Kerl fotografieren zu lassen. Verlorene Handys wiederzufinden mochte nicht gerade der glamouröseste Job der Welt sein, aber es war besser, als bei MacD fettige Pommes zu wenden. Und hier auf Mythos verdiente ich damit um einiges besser als auf meiner alten Highschool. Dort hätte ich mich schon glücklich schätzen können, für ein verlorenes Armband zwanzig Dollar zu bekommen statt den zweihundert, die Carson mir gegeben hatte. Das zusätzliche Geld gehörte zu den wenigen Dingen, die ich an der dämlichen Akademie mochte. »Wo war es?«, fragte Carson. »Das Armband, meine ich?« Für einen Moment erwog ich, Daphne zu verpetzen und Carson von ihrer Schwärmerei für ihn zu erzählen. Aber nachdem die Walküre mich nicht übermäßig unfreundlich behandelt hatte und mir nur ein winziges bisschen gedroht hatte, entschied ich, diese Information für eventuell schlechtere Zeiten aufzusparen. Nachdem ich kein Geld hatte, nicht stark und auch nicht übermäßig magisch begabt war wie der Rest der Schüler auf der Akademie, waren Informationen mein einziges echtes Druckmittel. Ich sah keinen Grund, warum ich sie nicht schon einmal für alle Fälle sammeln sollte. »Oh, ich habe es hinter deinem Schreibtisch im Wohnheim gefunden.« Na ja, den Rosenanhänger zumindest. Er war zwischen dem Schreibtisch und der Wand eingeklemmt gewesen. Carson runzelte die Stirn. »Aber da habe ich gesucht. Ich weiß, dass ich gesucht habe. Ich habe überall danach gesucht. « »Ich nehme an, dann hast du nicht genau genug hingeschaut«, gab ich unbestimmt zurück, bevor ich mein Buch über Mythengeschichte aus der Tasche zog. Carson öffnete den Mund, um eine weitere Frage zu stellen, aber in diesem Moment klopfte Professor Metis mit dem altmodischen Silberzepter, das sie als Zeigestab verwendete, auf den Tisch. Metis war griechischer Abstammung wie so viele Professoren und Schüler der Akademie. Sie war eine kleine, untersetzte Frau mit bronzefarbener Haut und schwarzem Haar, das sie immer hoch am Kopf zu einem strengen Dutt drapierte. Sie trug einen grünen Hosenanzug, und auf ihrer Nase saß eine silberne Brille. Sie wirkte streng und ernst, aber Metis war eine der besseren Lehrkräfte auf Mythos. Zumindest versuchte sie, ihre Mythengeschichte interessanter zu machen, indem wir manchmal Spiele spielen durften oder Rätsel lösen, statt einfach immer nur langweilige Fakten auswendig zu lernen. »Öffnet eure Bücher auf Seite neununddreißig«, sagte Professor Metis, während ihre weichen, grünen Augen von Schüler zu Schüler wanderten. »Heute werden wir noch ein wenig über das Pantheon reden, dessen Krieger gekämpft haben, um Loki und seine Schnitter des Chaos zu besiegen. « Anscheinend war heute keiner der unterhaltsamen Tage. Ich verdrehte die Augen und folgte ihrer Anweisung. Zusätzlich zu der Tatsache, dass ich mit all den mythologischen Kriegerkindern auf eine Schule ging, musste ich auch noch ihre ganze dämliche Geschichte lernen. Und natürlich gab es da eine Gruppe guter Magiekerle, die sich unter dem Namen »Pantheon« zusammengeschlossen hatten, um gegen eine Gruppe böser Magiekerle zu kämpfen, die Schnitter genannt wurden und, na ja, das Chaos über alle hereinbrechen lassen wollten. Bis jetzt hatte Professor Metis nur sehr vage darüber gesprochen, was genau das Chaos war, und ich hatte diesem ganzen magischen Hokuspokus auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Meiner Vermutung nach bedeutete es Tod, Zerstörung und Blablabla. Ich las viel lieber die Comics, die ich in meiner Umhängetasche mit mir herumtrug. Zumindest beschäftigten die sich ansatzweise mit der Realität. Genetische Mutationen gab es immerhin wirklich. Aber miteinander kämpfende Götter und Göttinnen, die magische Wunderkinder einsetzten, um antike Kriege in moderner Zeit auszufechten ? Mit mythologischen Monstern, die einfach für den Spaß an der Sache auch noch mitmachten ? Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich das alles glaubte. Aber alle hier auf Mythos taten es. Für sie waren Mythen nicht einfach nur Geschichten - sie waren Geschichte, sogar Fakt, und alles war absolut real. Während Professor Metis sich wieder einmal darüber ausließ, wie absolut böse die Schnitter waren, starrte ich aus dem Fenster und musterte mein Spiegelbild in der Scheibe. Lockige braune Haare, ein paar Sommersprossen auf meiner herbstlich bleichen Haut und Augen in einem seltsamen Purpurton, der von der Farbe meines Kapuzenpullis noch betont wurde. Purpurne Augen sind lächelnde Augen, hatte meine Mom mich immer aufgezogen. Ihre Augen hatten dieselbe Farbe gehabt, aber ich war immer der Meinung gewesen, dass sie bei ihr wunderschön aussahen, während sie mich nur wirken ließen wie einen Freak. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in meinem Herzen aus. Ich wünschte mir nicht zum ersten Mal, ich könnte die Zeit zurückdrehen und dafür sorgen, dass alles wieder so wurde, wie es gewesen war, bevor ich auf die Mythos Academy gekommen war. Vor sechs Monaten war ich ein normaler Teenager gewesen. Na ja, so normal, wie ein Mädchen mit einer seltsamen Gabe eben sein konnte. Aber die Gypsygabe lag nun einmal in der Familie Frost. Meine Oma, Geraldine, konnte in die Zukunft sehen. Meine Mom, Grace, hatte allein durch Zuhören bestimmen können, ob Leute logen oder die Wahrheit sagten. Und ich hatte die Fähigkeit, Dinge zu sehen, zu wissen und zu fühlen, indem ich einfach nur eine Person oder einen Gegenstand berührte. Aber unsere Gypsygaben waren immer nur das gewesen - Gaben, wenig aufsehenerregende Fähigkeiten -, und ich hatte nicht allzu viel darüber nachgedacht. Weder darüber, woher sie kamen, noch darüber, ob andere Leute wohl ähnliche Magie besaßen. Bis zu dem Tag, an dem ich nach dem Sportunterricht Paige Forrests Haarbürste angefasst hatte. Wir standen nach einem Basketballspiel in der Umkleide und zogen uns um. Ich hasste Basketball, weil ich total unbegabt war. Wirklich, ich war schrecklich. So schlecht, dass ich es schaffte, mir selbst den Ball an den Kopf zu knallen, wenn ich versuchte, auf den Korb zu werfen. Nach dem Unterricht war mir heiß, ich war verschwitzt, und ich wollte mir die Haare zu einem Pferdeschwanz binden. Paiges Bürste lag auf der Bank zwischen uns. Paige war keine meiner engeren Freundinnen, aber wir gehörten zur selben, halb beliebten Gruppe relativ kluger Mädchen. Manchmal unternahmen wir etwas zusammen, wenn die Clique sich traf, also hatte ich sie gefragt, ob ich ihre Bürste benutzen durfte. Paige starrte mich eine Sekunde lang an, und in ihren Augen stand ein seltsamer Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. » Sicher. « Ich hob die Bürste hoch, ohne ernsthaft damit zu rechnen, etwas zu spüren. Trotz meiner Psychometrie empfing ich gewöhnlich kaum Schwingungen von normalen Alltagsgegenständen wie Stiften, Computern, Tellern oder Telefonen - Dinge an öffentlichen Orten, die von vielen Leuten benutzt wurden oder die einfache, klar definierte Aufgaben erfüllten. Richtige Knüller, tiefe, lebhafte, hochauflösende Visionen blitzten gewöhnlich nur auf, wenn ich Sachen berührte, zu denen Leute einen persönlichen Bezug hatten - wie ein besonders geliebtes Foto oder ein Schmuckstück, mit dem jemand besondere Erinnerungen verband. Aber sobald sich meine Hand um die Bürste schloss, hatte ich ein Bild von Paige im Kopf, die mit einem älteren Mann auf ihrem Bett saß. Er bürstete ihr genau einhundert Mal ihr langes, schwarzes Haar, wie man es angeblich immer machen soll. Dann, als er fertig war, öffnete der Mann Paiges Bademantel, drängte sie dazu, sich auf den Rücken zu legen, und begann, sie zu berühren, bevor er seine Hose öffnete. In diesem Moment hatte ich angefangen zu schreien, und ich hörte nicht mehr auf. Nach ungefähr fünf Minuten fiel ich in Ohnmacht. Meine Freundin Bethany erzählte mir später, dass ich trotzdem weitergeschrien hatte, selbst als der Notarzt kam, um mich ins Krankenhaus zu bringen. Alle dachten, ich hätte einen epileptischen Anfall oder etwas in der Art. Doch ich glaube, Paige wusste es. Sie wusste von meiner Gypsygabe und meinen Fähigkeiten. Zwei Wochen zuvor hatte sie mich gebeten, ihr verloren gegangenes Handy zu finden. Ich war durch Paiges Zimmer gewandert und hatte ihren Schreibtisch, ihren Nachttisch, ihre Tasche und ihre Bücherregale berührt. Schließlich war ein Bild ihrer kleinen Schwester vor meinem inneren Auge aufgeblitzt, die das Telefon klaute, um Paiges SMS zu lesen. Manchmal frage ich mich, ob Paige ihre Bürste auf die Bank gelegt hatte, damit ich sie aufhob. Einfach, damit jemand davon erfuhr, damit jemand mitfühlte, was genau sie durchmachen musste. Später an diesem Tag war ich im Krankenhaus wieder aufgewacht. Meine Mom, Grace, war da, und ich erzählte ihr, was ich gesehen hatte. Das sollte man tun, wenn einer Freundin etwas Schreckliches zustößt. Ich tat es außerdem, weil meine Mom eine Ermittlungsbeamtin bei der Polizei war, die ihr Leben damit verbracht hatte, anderen Leuten zu helfen. Ich wollte einmal genau so werden wie sie. An diesem Abend verhaftete meine Mom Paiges Stiefvater wegen sexuellen Missbrauchs. Meine Mom rief mich vom Polizeirevier aus an und erklärte mir, dass Paige jetzt in Sicherheit sei. Sie versprach mir, in einer Stunde zu Hause zu sein. Sie wollte nur noch die Berichte fertig machen. Sie kam nie zu Hause an. Das Auto meiner Mom wurde an diesem Abend, nachdem sie das Polizeirevier verlassen hatte, von einem betrunkenen Fahrer gerammt. Grandma Frost erklärte mir, sie sei sofort tot gewesen. Sie habe nie auch nur gesehen, wie das andere Auto auf sie zuraste, und auch beim Aufprall keinen Schmerz mehr gespürt. Ich hoffte inständig, dass das der Wahrheit entsprach, weil meine Mom in dem Unfall so zerquetscht worden war, dass bei der Beerdigung der Sarg geschlossen blieb. Zumindest, soweit ich mich erinnern konnte. Danach war ich nicht mehr an meine alte Schule zurückgekehrt. Meine Freunde waren supernett gewesen, besonders Bethany, aber ich wollte niemanden sehen. Ich hatte nichts anderes mehr getan, als auf meinem Bett zu liegen und zu weinen. Aber eines Tages, drei Wochen nach der Beerdigung meiner Mom, war Professor Metis im Haus von Grandma Frost aufgetaucht. Ich wusste nicht genau, was Metis ihr gesagt hatte, aber danach hatte Grandma verkündet, dass es endlich Zeit für mich sei, auf die Mythos Academy zu gehen, um zu lernen, meine Gypsygabe voll zu nutzen. Ich hatte gedacht, ich könnte meine Psychometrie schon recht gut kontrollieren, und ich hatte nie wirklich verstanden, was meine Grandma meinte, als sie endlich gesagt hatte. Als hätte ich schon längst in die Mythos Academy gehen sollen oder irgendwas ... » ... Gwen ? « Mein Name riss mich aus den Erinnerungen. »Was ?« Metis musterte mich über die Gläser ihrer Brille hinweg. »Ich habe dich gefragt, welche Göttin für den Sieg des Pantheons über Loki und die Schnitter verantwortlich war. « »Nike, die griechische Göttin des Sieges«, antwortete ich automatisch. Professor Metis runzelte die Stirn. »Woher weißt du das, Gwen ? Ich habe Nike noch gar nicht erwähnt. Hast du bereits das nächste Kapitel gelesen ? Sehr fleißig.« Ich hatte genau das am gestrigen Abend getan, hauptsächlich, weil ich mich unglaublich gelangweilt hatte und nichts Anständiges im Fernsehen gelaufen war. Angesichts meines Mangels an Freunden in Mythos war es ja nicht so, als hätte ich sonst viel zu tun. Ich ging nicht davon aus, dass Metis mich mit ihren Worten bloßstellen wollte, trotzdem breitete sich leises Kichern im Raum aus. Ich wurde rot und ließ mich ein wenig tiefer in meinen Stuhl sinken. Großartig. Jetzt würden mich alle für diese Strebergypsy halten, die nichts Besseres zu tun hatte, als vorzulernen. Vielleicht war es ja wahr, und vielleicht war ich tatsächlich unglaublich stolz auf meinen Einser-Schnitt, aber ich wollte nicht, dass die anderen davon erfuhren. Dann ging mir auf, dass ich keine Ahnung hatte, woher ich die Antwort auf Metis' Frage wusste. Ich hatte keinerlei Erinnerung an eine Erwähnung von Nike in dem Kapitel, das ich gelesen hatte. Aber nachdem das bei Weitem nicht das Seltsamste war, das mir bisher auf Mythos passiert war, verdrängte ich die Frage wieder. Professor Metis brachte den Jungen, der am lautesten lachte, mit einem strengen Blick zum Schweigen, bevor sie ihm eine sogar noch abwegigere Frage über die Schnitter stellte. Sobald ich mir sicher war, dass Metis mich nicht noch einmal aufrufen würde, starrte ich wieder aus dem Fenster und brütete weiter über der Tatsache, dass ich am Tod meiner Mutter schuld war, weil ich die Haarbürste des falschen Mädchens hochgehoben hatte.

Erscheint lt. Verlag 12.3.2012
Reihe/Serie Mythos Academy
Mythos Academy
Übersetzer Vanessa Lamatsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Romane / Erzählungen
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte abgeschlossene Fantasy Serie • auftakt • Buch • Bücher • Campus • eBook • fantasy ab 14 • Fantasy Bücher • Fantasy für Mädchen • Fantasy Reihe • Fantasy Serie • Freundschaft • Götter • Gwen Frost • Liebe • Loki • Mythos Academy • Schnitter • spiegel bestseller • Young Adult
ISBN-10 3-492-95611-4 / 3492956114
ISBN-13 978-3-492-95611-6 / 9783492956116
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