Arthur & George (eBook)

Roman
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2012 | 1. Auflage
528 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30538-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Arthur & George -  Julian Barnes
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»Dieser Roman zeigt Julian Barnes auf dem Höhepunkt seines Könnens.« P.D. James Zwei Männer, geprägt vom ausgehenden 19. Jahrhundert in Großbritannien, begegnen sich in einer entscheidenden und dramatischen Phase ihres Lebens: Arthur Conan Doyle, der Erfinder von Sherlock Holmes, und George Edalji, ein kleiner Provinzanwalt. Julian Barnes schildert sie auf faszinierende Weise vor dem Hintergrund ihrer Zeit. Arthur und George könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine, aus niederem schottischen Adel stammend, wird Augenarzt, dann ein erfolgreicher Schriftsteller und einer der berühmtesten Männer seiner Zeit. Der andere, braves Kind eines anglikanischen Dorfpfarrers indischer Herkunft, wird ein kleiner Rechtsanwalt in Birmingham. Beide sind sie zutiefst den Konventionen und Ehrvorstellungen ihrer Epoche verhaftet, Arthur leidet zudem unter einer schwierigen Liebesbeziehung. Ihre Wege kreuzen sich, als Arthur ein einziges Mal in seinem Leben in die Rolle des Sherlock Holmes schlüpft, um George zu helfen, der Opfer eines skandalösen, rassistisch motivierten Justizirrtums geworden ist. Das Verfahren wird wieder aufgerollt. Arthur gelingt es, Georges Ehre zu retten. Arthur & George stand wochenlang auf den Bestsellerlisten in England und den USA sowie auf der Shortlist für den Man Booker Prize 2005.

Julian Barnes, 1946 in Leicester geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Literaturpreise erhielt, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor, darunter »Flauberts Papagei«, »Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln« und »Lebensstufen«. Für seinen Roman »Vom Ende einer Geschichte« wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Julian Barnes lebt in London.

Julian Barnes, 1946 in Leicester geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Literaturpreise erhielt, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor, darunter »Flauberts Papagei«, »Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln« und »Lebensstufen«. Für seinen Roman »Vom Ende einer Geschichte« wurde er mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Julian Barnes lebt in London. Gertraude Krueger, geboren 1949, lebt als freie Übersetzerin in Berlin. Zu ihren Übersetzungen gehören u.a. Sketche der Monty-Python-Truppe und Werke von Julian Barnes, Alice Walker, Valerie Wilson Wesley, Jhumpa Lahiri und E.L. Doctorow.

Zwei Anfang mit einem Ende


George


Das Ende der Verfolgungen fällt in denselben Monat wie der zwanzigste Jahrestag von Shapurji Edaljis Berufung nach Great Wyrley; danach wird das zwanzigste – nein, einundzwanzigste – Weihnachtsfest im Pfarrhaus gefeiert. Maud bekommt ein gesticktes Lesezeichen geschenkt, Horace eine eigene Ausgabe von Vaters Vorlesungen über den Brief des Paulus an die Galater, George einen Sepiadruck von Mr Holman Hunts Das Licht der Welt mit der Anregung, das Bild in seinem Büro aufzuhängen. George bedankt sich bei seinen Eltern, kann sich aber gut vorstellen, was seine Vorgesetzten denken würden: dass ein Rechtspraktikant, der erst seit zwei Jahren in der Kanzlei und im Wesentlichen mit der Reinschrift von Dokumenten betraut ist, wohl kaum über die Einrichtung der Räume zu befinden hat; und weiter, dass ein Mandant bei einem Solicitor Beistand einer bestimmten Art sucht und Mr Hunts Werbung für eine andere Art durchaus verwirrend finden könnte.

Während die ersten Monate des neuen Jahres vergehen, werden die Vorhänge jeden Morgen in der wachsenden Gewissheit aufgezogen, auf dem Rasen nichts anderes vorzufinden als den glänzenden Tau Gottes, und das Eintreffen des Briefträgers löst keine Angst mehr aus. Der Pfarrer sagt jetzt häufig, sie seien einer Feuerprobe unterworfen gewesen und hätten diese Prüfung mithilfe ihres Glaubens an den Herrn überstanden. Die zarte und fromme Maud wurde so weit wie möglich in Unwissenheit gelassen; Horace, der inzwischen ein kräftiger und offenherziger Junge von sechzehn Jahren ist, weiß mehr und gesteht George insgeheim, seiner Ansicht nach sei der alte Brauch des »Auge um Auge, Zahn um Zahn« ein durch nichts zu übertreffendes Justizsystem, und sollte er jemals jemanden dabei erwischen, wie er tote Amseln über die Hecke wirft, werde er ihm höchstpersönlich den Hals umdrehen.

George hat bei Sangster, Vickery & Speight kein eigenes Büro, auch wenn seine Eltern das annehmen. Er hat einen Hocker und einen Schreibtisch mit Aufsatz in einem teppichlosen Winkel, in den nur dann ein Sonnenstrahl fällt, wenn es einem fernen Oberlicht beliebt. Er besitzt noch keine Taschenuhr, geschweige denn eine eigene Reihe von Gesetzbüchern. Doch er hat einen standesgemäßen Hut, einen Bowler zu drei Shilling Sixpence von Fenton’s in der Grange Street. Und obwohl sein Bett nach wie vor keine drei Meter von dem seines Vaters entfernt steht, spürt er die ersten Regungen eines unabhängigen Daseins in sich. Er hat sogar die Bekanntschaft zweier Rechtspraktikanten aus benachbarten Kanzleien gemacht. Greenway und Stentson sind etwas älter als er und haben ihn in der Mittagspause einmal in ein Wirtshaus geführt, wo er eine Weile so tat, als schmecke ihm das scheußliche saure Bier, für das er bezahlte.

Während er auf das Mason College ging, hatte George die große Stadt um das College herum wenig beachtet. Für ihn war sie nichts als ein Wall aus Lärm und Betriebsamkeit zwischen dem Bahnhof und seinen Büchern; wenn er ehrlich war, flößte sie ihm Angst ein. Doch nun hat er sich schon etwas eingelebt und möchte die Stadt besser kennenlernen. Wenn ihre Vitalität und Energie ihn nicht erdrücken, wird er sich hier eines Tages vielleicht zu Hause fühlen.

Er liest Bücher über die Geschichte Birminghams. Zuerst findet er sie ziemlich langweilig; da geht es um Messerwaren, Schmiede und Metallverarbeitung, dann um den Bürgerkrieg und die Pest, die Dampfmaschine und die Lunar Society, die »Church and King«-Ausschreitungen und die Chartistenaufstände. Doch dann, vor nur rund zehn Jahren, beginnt der Aufschwung Birminghams zu einer modernen Großstadt, und auf einmal kommt George alles real und relevant vor. Er macht die schmerzliche Entdeckung, dass er einen der größten Momente Birminghams verpasst hat: den Tag im Jahre 1887, als Ihre Majestät den Grundstein zum Justizpalast Victoria Law Courts legte. Seitdem wird ein neues Bauwerk nach dem anderen errichtet, eine neue Einrichtung nach der anderen gegründet: das General Hospital, die Chamber of Arbitration, der Fleischmarkt. Zurzeit wird Geld für die Gründung einer Universität aufgebracht, der Bau einer neuen Temperance Hall ist in Planung, und es ist ernsthaft die Rede davon, dass Birmingham vielleicht schon bald Bischofssitz wird und nicht mehr der Diözese Worcester untersteht.

Als Queen Victoria damals in der Stadt weilte, kamen 500000 Menschen zu ihrer Begrüßung zusammen, und trotz dieser riesigen Menge gab es weder Zwischenfälle noch Verletzte. George ist beeindruckt, wenngleich nicht überrascht. Der allgemeinen Meinung zufolge herrscht in den Städten Gewalt und Übervölkerung, während es auf dem Lande ruhig und friedlich zugeht. Er selbst hat die gegenteilige Erfahrung gemacht: Auf dem Land ist es turbulent und primitiv, während das Leben in der Stadt in geordneten Bahnen verläuft, wie es der modernen Zeit entspricht. Natürlich ist Birmingham nicht frei von Verbrechen, Laster und Zwietracht – sonst fänden hier nicht so viele Solicitors ihr Auskommen –, doch wie George scheint, benehmen sich die Menschen hier rationaler und gesetzestreuer, mit einem Wort, zivilisierter.

Die tägliche Fahrt in die Stadt ist für ihn bedeutungsvoll und tröstlich zugleich. Eine Reise mit einem Ziel: Man hat ihm beigebracht, das ganze Leben so zu begreifen. Zu Hause ist das Himmelreich das Ziel; in der Kanzlei ist das Ziel Gerechtigkeit, und das heißt, ein gutes Resultat für den eigenen Mandanten; doch auf beiden Reisen gibt es Scheidewege und vom Gegner gelegte Fallen. An der Eisenbahn kann man sehen, wie es sein sollte, sein könnte: eine ruhige Fahrt zu einer Endstation auf in gleichmäßigen Abständen verlegten Schienen und nach einem vereinbarten Fahrplan, wobei sich die Fahrgäste auf Wagen der ersten, zweiten und dritten Klasse verteilen.

Vielleicht verspürt George deshalb einen stillen Zorn, wenn jemand der Eisenbahn Schaden zufügen will. Es gibt Jugendliche – vielleicht sogar Männer –, die mit Messern und Rasierklingen auf die ledernen Fensterriemen losgehen, ohne Sinn und Verstand die Bilderrahmen über den Sitzen demolieren, auf Fußgängerbrücken herumlungern und versuchen, Backsteine in den Schornstein der Lokomotiven zu werfen. Dies alles ist George unverständlich. Es mag wie ein harmloses Spiel wirken, einen Penny auf das Gleis zu legen und sich anzusehen, wie er von einem vorbeifahrenden Zug zur doppelten Größe ausgewalzt wird; doch George meint, wer so etwas tut, ist schon vom rechten Pfad abgewichen und zerstört am Ende auch ganze Eisenbahnzüge.

Solche Taten unterliegen natürlich dem Strafgesetz. George aber interessiert sich mehr und mehr für das zivilrechtliche Verhältnis zwischen Fahrgast und Eisenbahngesellschaft. Ein Reisender löst eine Fahrkarte, und mit Übergabe und Annahme eines Entgelts entsteht ein Vertragsverhältnis. Würde man diesen Reisenden jedoch fragen, welchen Vertrag er soeben abgeschlossen habe, welche Verpflichtungen die Parteien eingegangen seien, welche Entschädigungsansprüche im Falle von Verspätung, technischer Panne oder Unfall gegen die Eisenbahngesellschaft erhoben werden könnten, so bekäme man keine Antwort. Den Reisenden trifft dabei vielleicht gar keine Schuld: Die Fahrkarte verweist auf einen Vertrag, doch dessen genaue Bestimmungen sind nur auf bestimmten Bahnhöfen an den Hauptstrecken und in den Büros der Eisenbahngesellschaft ausgehängt – und welcher eilige Reisende nimmt sich die Zeit für einen Umweg, um sich diese Bestimmungen anzusehen? Dennoch wundert sich George über die Briten, die der Welt die Eisenbahn geschenkt haben und sie nur als ein bequemes Transportmittel betrachten und nicht als ein dichtes Geflecht vielfältiger Rechte und Pflichten.

Er beschließt, Horace und Maud zu Herrn und Frau Durchschnittsbürger zu ernennen – oder im vorliegenden Fall zu Herrn und Frau Fahrgast im Zug zwischen Walsall und Cannock & Rugeley. Er darf das Schulzimmer als seinen Gerichtshof benutzen. Er lässt Bruder und Schwester in den Bänken Platz nehmen und legt ihnen einen Fall vor, auf den er vor Kurzem in der Urteilssammlung von Entscheidungen aus dem Ausland gestoßen ist.

»Es war einmal«, beginnt er, wobei er auf eine Art auf und ab geht, die ihm für die Geschichte notwendig erscheint, »ein dicker, fetter Franzose namens Payelle, der über drei Zentner wog.«

Horace fängt an zu kichern. George sieht seinen Bruder tadelnd an und umfasst seine Revers wie ein Barrister beim Plädoyer. »Kein Gelächter im Gerichtssaal«, verlangt er. Er fährt fort. »Monsieur Payelle erwarb eine Fahrkarte dritter Klasse für einen französischen Zug.«

»Wohin wollte er?«, fragt Maud.

»Wohin er wollte, tut nichts zur Sache.«

»Warum war er so dick und fett?«, will Horace wissen. Diese ad hoc zusammengerufenen Geschworenen scheinen zu glauben, sie könnten Fragen stellen, wann immer es ihnen beliebt.

»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich war er noch gefräßiger als du. Ja, er war so gefräßig, dass er bei der Einfahrt des Zuges nicht durch die Wagentür zur dritten Klasse passte.« Bei der Vorstellung fängt Horace an zu giggeln. »Darum versuchte er es als Nächstes bei einem Wagen der zweiten Klasse, aber auch dafür war er zu dick. Also versuchte er es bei einem Wagen der ersten Klasse …«

»Und dafür war er auch zu dick!«, ruft Horace, als wäre das die Pointe von einem Witz.

»Nein, meine Damen und Herren Geschworenen, diese Tür war in der Tat breit genug für ihn. Er setzte sich also hin, und der Zug fuhr ab nach – nach...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2012
Übersetzer Gertraude Krueger
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Anwalt • Belletristik • England • Großbritannien • Julian Barnes • Justiz-Irrtum • Kiepenheuer & Witsch • Lebensgeschichten • P.d • Rassismus-Opfer • Roman • Sherlock Holmes • Sir Arthur Conan Doyle • UN-Recht
ISBN-10 3-462-30538-7 / 3462305387
ISBN-13 978-3-462-30538-8 / 9783462305388
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