Halbmast (eBook)

Ostfrieslandkrimi
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-45491-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Halbmast -  Sandra Lüpkes
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Spannung an Deck: Tod auf einem Luxusliner. Die Fotografin Carolin dokumentiert für ein Magazin die komplizierte Überführung des Luxuskreuzfahrtschiffes Poseidonna von der Werft über die Ems bis nach Holland. Die junge Frau ist begeistert über den attraktiven Auftrag, doch plötzlich verschwindet ihr Kollege Leif. Warum hat die Werftleitung kein Interesse, ihn zu finden? Keiner kann von Bord gehen - auch nicht Carolin, die sich auf eine gefährliche Suche macht. «Dass sich deutsche Romane keinesfalls hinter skandinavischen Krimis à la Mankell oder Nesser verstecken müssen, beweist der Roman von Sandra Lüpkes, der mitten in Ostfriesland spielt. (...) Sandra Lüpkes hat es wieder einmal geschafft, eine spannende Handlung mit der vertrauten norddeutschen Atmosphäre zu verbinden. Das Buch bietet Hochspannung mit Niveau.» (Delmenhorster Kreisblatt)

Sandra Lüpkes wurde 1971 in Göttingen geboren und lebte viele Jahre auf der Nordseeinsel Juist. Sie ist Autorin zahlreicher Romane, Sachbücher, Erzählungen und Drehbücher. Heute wohnt sie gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen Kehrer in Berlin.

Sandra Lüpkes wurde 1971 in Göttingen geboren und lebte viele Jahre auf der Nordseeinsel Juist. Sie ist Autorin zahlreicher Romane, Sachbücher, Erzählungen und Drehbücher. Heute wohnt sie gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen Kehrer in Berlin.

Carolin


Erst gestern hatte Carolin den Seesack vom Dachboden geholt. Am Boden war eine Naht gerissen, doch die Stelle hatte sich mit einem handtellergroßen Stück Jeansstoff flicken lassen. Carolin war rekordverdächtig schnell im Sachenpacken. Vielleicht lag es daran, dass sie in ihrem Job mehr unterwegs war als zu Hause in ihrer Hamburger WG. In ihren Koffern fand sie mehr Platz als im schmalen Sperrholzschrank ihres Zimmers. Es war schon einmal vorgekommen, dass sie eine zwischenzeitliche Mitbewohnerin der Fünf-Zimmer-Altbauwohnung erst bei deren Auszugsparty richtig kennen gelernt hatte. Damals war sie für eine Bildreportage des Nachrichtenmagazins Objektiv mehr als drei Monate in der Ukraine unterwegs gewesen, um mit ihrer Kamera Hunger und Wodka und Waisenhäuser abzulichten. Anschließend hatte es diese Flüchtlingslager im Irak gegeben, dann Waldbrände in Kanada. In dieser Zeit hatte Carolin das Kofferpacken verinnerlicht.

Zwei unempfindliche Hosen mit möglichst vielen Taschen und zwei weiße Hemden. Carolin trug eigentlich immer weite weiße Hemden. Nur für alle Fälle ein knitterfreies schwarzes Kleid, dazu die passenden Schuhe. Unterwäsche und Socken, ein T-Shirt zum Schlafen, Kulturbeutel und das meiste der Fotoausrüstung passten zwar problemlos hinein, doch der Seesack wog nun sicher mehr als zehn Kilo.

Ein gewöhnlicher Rucksack wäre vielleicht praktischer gewesen, ein Rollkoffer mit Sicherheit komfortabler, aber Carolin hatte sich, wenn sie an den anstehenden Auftrag dachte, stets mit dem Marinesack ihres Vaters über der Schulter auf einem schmalen Steg an Bord gehen sehen. So wie Elvis Presley damals, als er in Bremerhaven seinen Militärdienst angetreten hatte.

Natürlich ist es immer anders, als man es sich im Voraus ausmalt.

Es gab diesen schmalen Steg gar nicht. Stattdessen lief man eine asphaltierte Brücke entlang und befand sich auf einmal auf dem Schiff, ohne dass man es gemerkt hätte. Kein Schwanken oder kurzes Tiefersacken beim ersten Schritt an Bord. Die Poseidonna schien Carolins Ankunft zu ignorieren. Genau wie all die gestresst aussehenden Menschen in Blaumännern, mit Helmen auf den Köpfen und ihren Funkgeräten in den Händen.

Nur Leif Minnesang stand ruhig neben seinem stabilen, chromfarbenen Samsonite und hielt sich eine Hand über die Augen, als müsse er ihre Ankunft mühsam vor gleißendem Sonnenlicht ausmachen. Dabei war hier im Inneren des Schiffes beinahe mehr Licht als draußen im grauen Aprilwetter der ostfriesischen Stadt Leer.

Baustrahler und Neonröhren schienen grell gegen die Wände. Nachdem sie durch eine schwere Stahltür getreten waren, empfing sie angenehmeres Halogenlicht.

Leif rollte nun den Koffer hinter sich her und bewegte sich durch den langen Korridor, als sei er hier zu Hause. Er hatte, wie er ihr erzählte, zwei Tage lang über den Plänen gebrütet und sich überlegt, was er sich alles anschauen musste und welche Winkel er ausleuchten wollte. Nun kannte er sich auf der Poseidonna aus, während es Carolin vor den Fluren grauste, die ohne Fenster waren und alle gleich auszusehen schienen. Die Wegweiser waren noch nicht montiert worden, einige heraushängende Kabel verrieten jedoch, dass in ein paar Wochen an jeder Ecke gut beleuchtet die Richtung ausgewiesen sein würde. Aber jetzt gab es nur links und rechts und Tür an Tür, zum Glück schon mit Kabinennummern versehen, und zwischendurch gläserne Zwischentüren, die wahrscheinlich als Brand-, Lärm- oder Überflutungsschutz dienten.

Leif lief vor ihr, stieß die nächste Tür auf, aber statt sie Carolin aufzuhalten, ging er weiter. Ihr schnellte das schwere Türblatt entgegen und warf sie samt Seesack beinahe um. Rücksicht war noch nie eine von Leifs herausragenden Charaktereigenschaften gewesen.

Als bei der Redaktionskonferenz bekannt gegeben wurde, wer denn nun die begehrte Reportage bei der Überführung des bislang größten und luxuriösesten in Deutschland gebauten Kreuzfahrtschiffes machen sollte, da war ihr aus dem Kollegenkreis eine Mischung aus Glückwunsch und Beileidsbekundung zuteil geworden. Klar wollte jeder nach Ostfriesland und auf das Schiff, eine solche Dokumentation steht nicht jeden Tag auf dem Programm. Vierundzwanzig Stunden mit einem Ozeanriesen auf einem schmalen Flüsschen Richtung Nordsee unterwegs sein. Doch mit Leif Minnesang? Da musste man abwägen. War das Thema reizvoll genug, dass man einen Besserwisser und Nörgler an seiner Seite ertragen konnte? Und das über mehrere Tage? Leif Minnesang war einer der älteren in der Redaktion, Mitte bis Ende vierzig, Berufserfahrung aus allen möglichen Ländern, sogar Kriegsberichterstattung. Aber dieses Wissen schmierte er gern jedem aufs Brot. Er galt zweifelsohne als einer der besten beim Objektiv. Zudem stammte er hier aus der Gegend, hatte seine Jugend in den siebziger Jahren in Emden verbracht. Es war klar, er war die Idealbesetzung für diese Reportage.

Sie hatte bereits eine dreistündige Autofahrt mit ihm hinter sich. Obwohl Leif Minnesang, aus welchen Gründen auch immer, keinen Führerschein besaß, musste sie sich während der ganzen Fahrt vom Redaktionsbüro in Hamburg bis nach Ostfriesland seine klugen Ratschläge über Fahrweise, Abkürzungen und optimalen Benzinverbrauch anhören. Mehrmals hätte sie am liebsten angehalten und ihn aus dem Auto geschmissen. Verdient hätte er es.

«Das Casino aus dem Blickwinkel eines Jetons», sagte Leif. Er hielt sich den Mini-Disc-Recorder vor den Mund, um seine Gedanken auf eine kleine CD zu bannen. So machte er es immer. Aus diesem Grund schien jedes seiner Worte gleich ein besonderes Gewicht zu bekommen. «Den Pool aus der Vogelperspektive, die Küche in der Flucht.» Er ließ an einer Flurkreuzung seinen Koffer stehen und schaute sich um. «Und diese Gänge als 180-Grad-Panorama.»

«Minnesang, hör mal zu: Du bist der Mann fürs Wort. Aber ich werde die Fotos machen!»

Er ließ den Recorder sinken. «Du kannst nicht irgendwelche Fotos machen. Wir müssen dieselbe Sprache sprechen, du in Bildern und ich mit meinen Worten. Und das gelingt uns nur, wenn wir uns austauschen. Rund um die Uhr!»

«Klar doch!» Carolin verdrehte die Augen. Minnesang war bekannt dafür, dass er sich gern und oft in die Arbeit anderer einmischte und das dann als konspirativen Austausch bezeichnete. «Wir haben aber, hoffe ich zumindest, getrennte Kabinen. Bitte klopf nicht nachts an meine Tür, weil du irgendetwas mit mir austauschen willst. Verstanden?» Carolins Schlagfertigkeit war eine ihrer liebsten Waffen, um sich vor Menschen wie Leif Minnesang zu behaupten.

Er schnaubte kurz. Niemand, den sie sonst kannte, machte ein solches Geräusch. Wie ein unzufriedenes Pferd ließ er beim Ausatmen die Lippen gegeneinander vibrieren. Irgendwie passte es jedoch zu ihm, zu seiner kleinen, drahtigen Gestalt. Minnesang brachte mit Sicherheit kaum siebzig Kilo auf die Waage und wirkte ständig konzentriert, wie auf der Hut, mit seinen hochgezogenen Schultern und den besonders hervorstehenden Sehnensträngen am Hals. Wäre er nicht so angespannt gewesen, dann hätte er attraktiv sein können, denn seine dunklen, nur an wenigen Stellen mit grauen Strähnchen durchsetzten Haare waren schön dicht und glänzend und seine durchdringenden hellblauen Augen von schwarzen Wimpern gesäumt. Lachfalten besaß er keine, dafür eine ausgeprägte Denkerstirn und strenge Kerben um den Mund. Noch nie hatte er blass oder ungesund ausgesehen, aber immer leicht nervös, wie im Fieber.

Er war schwer zu durchschauen. Vielleicht arbeitete deshalb niemand von der Bildredaktion gern mit ihm zusammen. Er ließ keinen an sich heran, nahm so gut wie nie an gemeinsamen Unternehmungen nach Feierabend teil, auch nicht, wenn man eine besonders gute Auflagenzahl des Objektiv zu begießen hatte. Vielleicht genoss er es auch, sich geheimnisvoll zu geben.

Sie gingen weiter, das hieß: Er ging weiter und hastete mit seinem Gepäck durch die Gänge. Carolin folgte ihm stolpernd und hatte keine Zweifel, dass er genau wusste, wo sie steckten und wohin sie gehen mussten. Sie konnte seinem Schritt nicht ganz folgen. Der Seesack war schwer und zog ihr die Schulter nach unten. Ständig stieß Carolin damit gegen Kanten und Ecken. Manchmal konnte sie Leif nur noch gerade eben um eine Ecke verschwinden sehen. Hätte sie ihn verloren, dann wäre sie wahrscheinlich auf der Stelle stehen geblieben und hätte sich nicht gerührt, bis er ihr Fehlen bemerkt und sie gesucht hätte.

Sie war keineswegs dumm. Sie war nur mit einer eklatanten Störung des Orientierungssinnes ausgestattet. Unter Fotografen kam das öfter vor. Bildkünstler sehen die Welt in einem Höhe-mal-Breite-Format. Sie fokussieren auf die Umwelt, aber wenn sie ohne Kamera vor dem Auge um sich blicken, fehlt ihnen der Rahmen.

Endlich fanden sie sich vor einer Treppe wieder. Nun hatte selbst Carolin eine Vorstellung, wo sie sich befanden. Dies war eine Zwischentreppe zu den Kabinen. Nicht das gewaltige Atrium, von dem sie gehört hatte, dass die gläsernen Aufzüge und frei schwebenden Marmortreppen einem den Atem verschlugen. Aber schon diese Zwischentreppe im Kabinenbereich wirkte prachtvoll, denn sie war so breit, dass problemlos zehn Männer nebeneinander die Stufen hätten hinaufsteigen können. Sie waren nun irgendwo im Herzen des riesigen Schiffes, mit dem sie morgen in aller Frühe auf eine kurze, aber eindrucksvolle Reise gehen würden. Ganz unten, also noch fünf Etagen unter ihnen, befanden sich die preiswertesten Kabinen und ein großer Teil der Schiffstechnik. Die Aufzüge links und rechts schienen noch nicht in Betrieb zu sein. Das Ende der Treppe war mit einer Tür...

Erscheint lt. Verlag 2.1.2012
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Arbeitslosigkeit • Ausbeutung • Ems • Fotografin • Investoren • Kammerspiel • Katharina Peters • Klaus-Peter Wolf • Kreuzfahrt • Kreuzfahrt Krimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis und Thriller deutsch • Mord • Niederlande • Nordsee • Nordsee Krimi • Ostsee • Ostsee Krimi • Tod auf dem Nil • Überführung • Umweltschutz • Werft
ISBN-10 3-644-45491-4 / 3644454914
ISBN-13 978-3-644-45491-0 / 9783644454910
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