Richard Münch ist Professor für Soziologie an der Otto- Friedrich-Universität Bamberg und Sprecher des Graduiertenkollegs »Märkte und Sozialräume in Europa«. Zuletzt erschien 2007 von ihm das viel diskutierte Buch »Die akademische Elite«.
Richard Münch ist Professor für Soziologie an der Otto- Friedrich-Universität Bamberg und Sprecher des Graduiertenkollegs »Märkte und Sozialräume in Europa«. Zuletzt erschien 2007 von ihm das viel diskutierte Buch »Die akademische Elite«.
Inhalt 6
Vorwort 10
Einleitung: Die juristische und die semantische Konstruktion Europas auf der Grundlage der europäischen Arbeitsteilung 12
1. Die juristische Konstruktion Europas 19
2. Die semantische Konstruktion Europas 27
1. Das Recht als Grundstruktur der modernen Gesellschaft 32
1.1 Römisches Recht 35
1.2 Mittelalterliche Stadt, Christentum und Juristenstand 47
1.3 Die Nation als Klammer der Rechtsordnung 53
1.4 Moralischer Universalismus und ethischer Individualismus und ihre rechtliche Konkretisierung in den Menschen- und Bürgerrechten 59
2. Die juristische Konstruktion der europäischen Gesellschaft 65
2.1 Politikwissenschaftliche Forschungsansätze zur europäischen Integration 66
2.2 Eine soziologische Annäherung an die rechtliche Integration Europas 69
2.3 Formale Grundlagen der Europäisierung des Rechts: Vorabentscheidungsverfahren, direkte Wirkung und Vorrang des europäischen Rechts 76
2.4 Substantielle Grundlagen der Europäisierung des Rechts: Freizügigkeit und Nicht-Diskriminierung als Leitidee 93
2.5 Die Gemeinschaft der europäischen Juristen als prägende Kraft der verbindlichen Durchsetzung des europäischen Rechts 107
2.6 Der Sinn des rechtlichen Wandels: von der funktionalen Anpassung zur Konstruktion einer legitimen Ordnung 123
Zwischenfazit 143
3. Die Semantik des moralischen Universalismus und des ethischen Individualismus 146
3.1 Handlungsspielräume, Funktionslogiken und Ordnungen 146
3.2 Moralischer Universalismus und ethischer Individualismus I: die Reformation 153
3.3 Moralischer Universalismus und ethischer Individualismus II: die Aufklärung 159
4. Konventioneller Liberalismus und Republikanismus: Modelle für die semantische Konstruktion Europas? 165
4.1 Die Semantik des konventionellen Liberalismus 165
4.2 Die Semantik des Republikanismus 178
4.3 Konventioneller Liberalismus und Republikanismus vor den Herausforderungen der europäischen Integration 184
5. Die Europäische Union zwischen Supranationalismus und nationaler Souveränität: das britische Dilemma 187
5.1 Die institutionelle Konstruktion Europas 189
5.2 Die britische Ablehnung einer europäischen Identität 215
Schlussbemerkungen 227
6. Die Europäische Union zwischen ökonomischem Liberalismus und politischem Republikanismus: das französische Dilemma 230
6.1 Die institutionelle Konstruktion Europas 232
6.2 Europäische Identität auf der Grundlage eines gemeinsamen kulturellen Erbes? 252
Schlussbemerkungen 275
7. Legalismus: Ein Modell für die semantische Konstruktion Europas? 278
7.1 Die Vertragstheorie Immanuel Kants 279
7.2 Die Idee des demokratischen und sozialen Rechtsstaats 291
7.3 Der Legalismus vor den Herausforderungen der europäischen Integration 302
8. Die Europäische Union zwischen Verfassungspatriotismus und Volkssouveränität: das deutsche Dilemma 310
8.1 Die institutionelle Konstruktion Europas 310
8.2 Verfassungspatriotismus als Verkörperung einer europäischen Identität? 332
Schlussbemerkungen 339
Schlussbetrachtung: Konstitutioneller Liberalismus als Modell für die semantische Konstruktion Europas? 342
1. Die Entwicklung und die semantische Konstruktion sozialer Ordnungen 343
2. Eigenart und historische Formung des konstitutionellen Liberalismus 350
3. Offenheit nach außen und innere Differenzierung als Inklusionsprogramm 360
4. Europa: Auf dem Weg zu einer Semantik und institutionellen Form des konstitutionellen Liberalismus? 365
5. Die Konstruktion Europas als hegemoniales Projekt der Liberalisierung 373
Anhang 385
1. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes 385
2. Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts 387
3. Personenliste zum intellektuellen Diskurs (Kap. 5, 6 und 8) 388
Abkürzungen 392
Literatur 393
Personenregister 428
Sachregister 437
Veröffentlichungsnachweise 446
Die europapolitische Debatte innerhalb der deutschen Intellektuellenlandschaft wurde in den letzten Jahren insbesondere durch die Diskussion über eine europäische Verfassung bestimmt. Es kommt darin die Prägung der Debatte durch das juristische Denken in der deutschen kodifikationsrechtlichen Tradition unmittelbar zum Ausdruck. Die unterschiedlichen Positionen in dieser Diskussion lassen sich auf zwei Polen verorten: Skeptiker versus Optimisten. Unter den Verfassungsskeptikern finden sich hauptsächlich Verfassungsrechtler, während unter den Fürsprechern einer europäischen Verfassung prominente Geistes- und Sozialwissenschaftler wie Jürgen Habermas vertreten sind. Die Skeptiker stehen in der Tradition des Hegelschen Denkens, nach dessen demokratisch gewendeter Gestalt jede Rechtsordnung der demokratischen Legitimation bedarf. Für die Skeptiker ist das auf absehbare Zeit nur dort möglich, wo Volkssouveränität tatsächlich und nicht nur formell ausgeübt werden kann. Das ist für sie die nationalstaatliche Ebene im europäischen Mehrebenensystem. Die Optimisten stehen in der Tradition des Kritischen Denkens, nach dem das Recht selbst eine Rechtsgemeinschaft jenseits partikularer traditioneller Bindungen konstituiert, aus der letztlich auch eine postnationale Gemeinschaft europäischer Bürger hervorwachsen kann. 8.1 Die institutionelle Konstruktion Europas Lange bevor sich die Europäische Union dazu entschloss, einen Konvent zur Ausarbeitung eines Vertrages über eine Verfassung für Europa einzuberufen, der den EG-Vertrag und den EU-Vertrag zugunsten einer einheitlichen Struktur der EU ablösen sollte, führten Dieter Grimm und Jürgen Habermas eine Debatte über die Notwendigkeit einer europäischen Verfassung, die richtungsweisend für die intellektuelle Anschlusskommunikation in Deutschland war. Aus diesem Grund werden die Beiträge von Grimm und Habermas etwas ausführlicher dargestellt, da sie bereits wesentliche Argumente anderer Autoren enthalten, auf die im weiteren Verlauf nur kurz eingegangen wird. Die Debatte wird durch einen zentralen Gegensatz bestimmt, duch den Gegensatz zwischen einem geschlossenen, dem Nationalstaat verhafteten und einem offenen, der supranationalen Erweiterung zugewandten Modell der demokratischen Legitimation des Rechts (vgl. Diedrichs und Wessels 2005; Jopp und Matl 2005). Grimms juristische Prägung als Verfassungsrechtler wird deutlich, wenn er in seinem Aufsatz 'Braucht Europa eine Verfassung' (Grimm 1995) die beiden widerstreitenden Argumente bezüglich einer Europäischen Verfassung ausschließlich juristisch begreift. Folglich kann es aus der juristischen Perspektive nur zwei Auffassungen geben. Auf der einen Seite steht die Auffassung, eine Verfassung sei unnötig, da die vorhanden EG/EU-Verträge bereits als höheres Recht die Handlungsspielräume der Nationalstaaten begrenzen und somit als Quasi-Verfassung wirken. Auf der anderen Seite steht die Auffassung, eine Verfassung sei nur dann nötig, wenn man behauptet, dass die Verträge unzureichend sind und deswegen durch eine Verfassung ersetzt werden müssten. Falls die Verträge wie eine Verfassung wirken, muss ermittelt werden, was Europa fehlt und ob dieser Mangel überhaupt beseitigt werden kann, beziehungsweise beseitigt werden soll. Falls die Verträge keine Verfassung darstellen, muss dargelegt werden, worin sich eine Verfassung inhaltlich von den Verträgen unterscheiden würde. Durch völkerrechtliche Verträge wurden der EU faktisch Hoheitsrechte übertragen, wodurch sie handlungsregulierend bzw. handlungsleitend in die Rechtsordnungen der Nationalstaaten eingreifen kann. Ihre innerstaatliche Wirkung ist demnach insbesondere in den Politikbereichen, die in ihren Kompetenzbereich fallen, durchaus mit der eines Souveräns zu vergleichen. Die eingeschränkte supranationale Souveränität der EU ist dagegen insbesondere am intergouvernementalen Charakter der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu erkennen. Das von Grimm bei einer Europäischen Verfassung identifizierte Hauptproblem ist die Ablösung der Verfassung vom Staat. Dass mit dieser Ablösung eine fehlende Rückbindung der EU an übergeordnetes Recht einhergeht, kann Grimm nicht erkennen. Seines Erachtens existiert die EU, 'mangels eines vorgängigen sozialen Substrats, überhaupt nur als Rechtsgemeinschaft' (Grimm 1995: 585). Diese ist an das primäre Gemeinschaftsrecht gebunden, das zwar nicht in einer Verfassung, aber doch in den Verträgen niedergelegt ist. Schließlich konstituiert das Recht die Gemeinschaft, setzt ihr übergeordnete Ziele, richtet die Organe ein, nimmt Kompetenzzuweisungen vor und ordnet das Verfahren. Die bestehenden Verträge sind also für Grimm bereits ein funktionales Äquivalent zu einer europäischen Verfassung, wenngleich er erkennt, dass durch die Abwesenheit von Grundrechten grundlegende Verfassungsprinzipien wie Gleichheit und Freiheit nicht adäquat repräsentiert sind. Es ist insbesondere der Verfassungsbegriff, der nach Grimm Probleme aufwirft. Eine europäische Verfassung ginge nicht auf ein europäisches Staatsvolk zurück, sondern hätte allenfalls den Charakter eines völkerrechtlichen Vertrages (Grimm 2005). Die Entscheidungskriterien über diese Verfassung sind nicht einem abstrakten Gemeinwohl geschuldet, sondern sind nationalstaatlich verhaftet. Diese fehlende demokratische Legitimität bringt in dem Sinne ein Demokratiedilemma zum Ausdruck, dass auf nationalstaatlicher Ebene zwar Demokratie existiert, gleichzeitig allerdings Regulierungskompetenzen entschwinden, während auf EU-Ebene die Kompetenzen immer mehr anwachsen, ohne jedoch demokratisch legitimiert zu sein. Hoffnungen, durch die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments die EU zu demokratisieren, zerstreut Grimm durch den Hinweis, dass Demokratie neben dem Parlamentarismus noch andere Elemente, wie zum Beispiel Massenmedien und eine europäische Öffentlichkeit, benötigt (Grimm 1995, 2004). Insbesondere hinsichtlich der Frage der Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit identifiziert Grimm eine Diskrepanz zwischen einer europäisierten Elite und der nichteuropäisierten Basis. Die aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Sprache immer noch nationalen Rezeptionskontexte europäischer Entscheidungen verhindern die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit. Weil eine solche gemeinsame Öffentlichkeit fehlt, ist nach Grimm die Entwicklung einer kollektiven europäischen Identität nicht möglich. Diese sei allerdings wünschenswert, um die gewaltlose Lösung von Interessenkonflikten zu gewährleisten. Da diese strukturellen Probleme nicht kurzfristig gelöst, ja schon gar nicht ihre Lösung erzwungen werden kann, ist per definitionem Demokratie auf europäischer Ebene nicht vorhanden und somit keine Verfassung als höhere Ordnung möglich. Er plädiert deshalb anstelle einer Verfassung für einen Kernvertrag, der detaillierte Ausführungen einfach weglässt und somit ein nötiges Maß an Symbolik bietet. So könnte man gesellschaftlichen Entwicklungen zwar institutionell vorgreifen, würde aber gleichzeitig grundlegende Prinzipien wie die begrenzte Einzelermächtigung durch die Mitgliedstaaten nicht durch die Kompetenz-Kompetenz der Europäischen Union verletzen (vgl. Hurrelmann 2005: 15-20). Die EU hätte die Kompetenz, sich die Kompetenzen und die Mittel selbst zuzuweisen, und das Gemeinschaftsrecht wäre nicht mehr Folge des erteilten Anwendungsbefehls der Mitgliedstaaten, sondern Folge des Verfassungsauftrags. Diese 1995 publizierten Ausführungen von Dieter Grimm sind konsistent mit seiner späteren Beurteilung der tatsächlichen Ausarbeitung eines europäischen Verfassungsvertrags. Grimm unterstreicht nachdrücklich, dass es nicht um eine Verfassung im eigentlichen Sinne geht, sondern um einen Verfassungsvertrag, da sich die EU die Kompetenzen nicht selbst nehmen darf, sondern von den Mitgliedstaaten nach den nationalen Regelungen übertragen bekommt. Da die bereits genannten strukturellen Defizite der EU auch mittels Verträgen nicht beseitigt werden können, muss aus seiner Sicht die funktionale Hoffnung, die mit der Ausarbeitung des Verfassungsvertrages verbunden ist, enttäuscht werden: Der Verfassungsvertrag kann nach seiner Auffassung nicht den Kristallisationspunkt für eine europäische Identität darstellen und integrationsfördernd wirken.
Erscheint lt. Verlag | 15.9.2008 |
---|---|
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien | |
Schlagworte | Europäische Integration • Europäischer Gerichtshof • Europäische Verfassung • Europapolitik • Legalismus • Liberalismus • Republikalismus |
ISBN-10 | 3-593-40455-9 / 3593404559 |
ISBN-13 | 978-3-593-40455-4 / 9783593404554 |
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