Amphitryon (eBook)
90 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401969-7 (ISBN)
Heinrich von Kleist, dessen Werk bereits auf die Moderne vorausweist, wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt/Oder geboren. Die Beschäftigung mit Kants Philosophie löste 1801 eine Krise aus, die zur Infragestellung der Lebenspläne Kleists führte. Es folgten Reisen durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz. 1807 wurde Kleist von französischen Behörden unter Spionageverdacht verhaftet. 1809 publizierte er patriotische Lieder und Aufsätze gegen die französische Besatzung. Von 1810 bis 1811 war er Herausgeber der ?Berliner Abendblätter?, zunehmende Schwierigkeiten mit der Zensur führten zu deren Verbot. Gemeinsam mit der krebskranken Henriette Vogel beging Kleist am 21. November 1811 am Ufer des Wannsees in Berlin Selbstmord.
Heinrich von Kleist, dessen Werk bereits auf die Moderne vorausweist, wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt/Oder geboren. Die Beschäftigung mit Kants Philosophie löste 1801 eine Krise aus, die zur Infragestellung der Lebenspläne Kleists führte. Es folgten Reisen durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz. 1807 wurde Kleist von französischen Behörden unter Spionageverdacht verhaftet. 1809 publizierte er patriotische Lieder und Aufsätze gegen die französische Besatzung. Von 1810 bis 1811 war er Herausgeber der ›Berliner Abendblätter‹, zunehmende Schwierigkeiten mit der Zensur führten zu deren Verbot. Gemeinsam mit der krebskranken Henriette Vogel beging Kleist am 21. November 1811 am Ufer des Wannsees in Berlin Selbstmord.
Zweite Szene
Merkur tritt in der Gestalt des Sosias aus Amphitryons Haus. Sosias.
MERKUR für sich
Wenn ich den ungerufnen Schlingel dort
Beizeiten nicht von diesem Haus entferne,
So steht, beim Styx, das Glück mir auf dem Spiel,
Das in Alkmenens Armen zu genießen,
Heut in der Truggestalt Amphitryons
Zeus der Olympische, zur Erde stieg.
SOSIAS ohne den Merkur zu sehn
Es ist zwar nichts und meine Furcht verschwindet,
Doch um den Abenteuern auszuweichen,
Will ich mich vollends jetzt zu Hause machen,
Und meines Auftrags mich entledigen.
MERKUR für sich
Du überwindest den Merkur, Freund, oder
Dich werd ich davon abzuhalten wissen.
SOSIAS
Doch diese Nacht ist von endloser Länge.
Wenn ich fünf Stunden unterwegs nicht bin,
Fünf Stunden nach der Sonnenuhr von Theben,
Will ich stückweise sie vom Turme schießen.
Entweder hat in Trunkenheit des Siegs
Mein Herr den Abend für den Morgen angesehn,
Oder der lockre Phöbus schlummert noch,
Weil er zu tief ins Fläschchen gestern guckte.
MERKUR
Mit welcher Unehrbietigkeit der Schuft
Dort von den Göttern spricht. Geduld ein wenig;
Hier dieser Arm bald wird Respekt ihm lehren.
SOSIAS erblickt den Merkur
Ach bei den Göttern der Nacht! Ich bin verloren.
Da schleicht ein Strauchdieb um das Haus, den ich
Früh oder spät am Galgen sehen werde.
– Dreist muß ich tun, und keck und zuversichtlich.
Er pfeift.
MERKUR laut
Wer denn ist jener Tölpel dort, der sich
Die Freiheit nimmt, als wär er hier zu Hause,
Mit Pfeifen mir die Ohren vollzuleiern?
Soll hier mein Stock vielleicht ihm dazu tanzen?
SOSIAS
– Ein Freund nicht scheint er der Musik zu sein.
MERKUR
Seit der vergangnen Woche fand ich keinen,
Dem ich die Knochen hätte brechen können.
Mein Arm wird steif, empfind ich, in der Ruhe,
Und. einen Buckel von des deinen Breite,
Ihn such ich just, mich wieder einzuüben.
SOSIAS
Wer, Teufel, hat den Kerl mir dort geboren?
Von Todesschrecken fühl ich mich ergriffen,
Die mir den Atem stocken machen.
Hätt ihn die Hölle ausgeworfen,
Es könnt entgeisternder mir nicht sein Anblick sein.
– Jedoch vielleicht gehts dem Hanswurst wie mir,
Und er versucht den Eisenfresser bloß,
Um mich ins Bockshorn schüchternd einzujagen.
Halt, Kauz, das kann ich auch. Und überdies,
Ich bin allein, er auch; zwei Fäuste hab ich,
Doch er nicht mehr; und will das Glück nicht wohl mir,
Bleibt mir ein sichrer Rückzug dort – Marsch also!
MERKUR vertritt ihm den Weg
Halt dort! Wer geht dort?
SOSIAS
Ich.
MERKUR
Was für ein Ich?
SOSIAS
Meins mit Verlaub. Und meines, denk ich, geht
Hier unverzollt gleich andern. Mut Sosias!
MERKUR
Halt! mit so leichter Zech entkommst du nicht.
Von welchem Stand bist du?
SOSIAS
Von welchem Stande?
Von einem auf zwei Füßen, wie Ihr seht.
MERKUR
Ob Herr du bist, ob Diener, will ich wissen?
SOSIAS
Nachdem Ihr so mich, oder so betrachtet,
Bin ich ein Herr, bin ich ein Dienersmann.
MERKUR
Gut. Du mißfällst mir.
SOSIAS
Ei das tut mir leid.
MERKUR
Mit einem Wort, Verräter, will ich wissen,
Nichtswürdger Gassentreter, Eckenwächter,
Wer du magst sein, woher du gehst, wohin,
Und was du hier herum zu zaudern hast?
SOSIAS
Darauf kann ich Euch nichts zur Antwort geben
Als dies: ich bin ein Mensch, dort komm ich her,
Da geh ich hin, und habe jetzt was vor,
Das anfängt, Langeweile mir zu machen.
MERKUR
Ich seh dich witzig, und du bist im Zuge,
Mich kurzhin abzufertigen. Mir aber kommt
Die Lust an, die Bekanntschaft fortzusetzen,
Und die Verwicklung einzuleiten, werd ich
Mit dieser Hand hier hinters Ohr dir schlagen.
SOSIAS
Mir?
MERKUR
Dir, und hier bist dessen du gewiß.
Was wirst du nun darauf beschließen.
SOSIAS
Wetter!
Ihr schlagt mir eine gute Faust, Gevatter.
MERKUR
Ein Hieb von mittlern Schrot. Zuweilen treff ich
Noch besser.
SOSIAS
Wär ich auch so aufgelegt,
Wir würden schön uns in die Haare kommen.
MERKUR
Das wär mir recht. Ich liebe solchen Umgang.
SOSIAS
Ich muß, jedoch, Geschäfts halb, mich empfehlen.
Er will gehn.
MERKUR tritt ihm in den Weg
Wohin?
SOSIAS
Was gehts dich an, zum Teufel?
MERKUR
Ich will wissen,
Sag ich dir, wo du hingehst?
SOSIAS
Jene Pforte
Will ich mir öffnen lassen. Laß mich gehn.
MERKUR
Wenn du die Unverschämtheit hast, dich jener
Schloßpforte dort zu nähern, sieh, so rasselt
Ein Ungewitter auf dich ein von Schlägen.
SOSIAS
Was? soll ich nicht nach Hause gehen dürfen?
MERKUR
Nach Hause? sag das noch einmal.
SOSIAS
Nun ja.
Nach Haus.
MERKUR
Du sagst von diesem Hause dich?
SOSIAS
Warum nicht? Ist es nicht Amphitryons Haus?
MERKUR
Ob dies Amphitryons Haus ist? Allerdings,
Halunk, ist dies das Haus Amphitryons,
Das Schloß des ersten Feldherrn der Thebaner.
Doch welch ein Schluß erfolgt? –
SOSIAS
Was für ein Schluß?
Daß ich hinein gehn werd. Ich bin sein Diener.
MERKUR
Sein Die–?
SOSIAS
Sein Diener.
MERKUR
Du?
SOSIAS
Ich, ja.
MERKUR
Amphitryons Diener?
SOSIAS
Amphitryons Diener, des Thebanerfeldherrn.
MERKUR
– Dein Name ist?
SOSIAS
Sosias.
MERKUR
So –?
SOSIAS
Sosias.
MERKUR
Hör, dir zerschlag ich alle Knochen.
SOSIAS
Bist du
Bei Sinnen?
MERKUR
Wer gibt das Recht dir, Unverschämter,
Den Namen des Sosias anzunehmen?
SOSIAS
Gegeben wird er mir, ich nehm ihn nicht.
Mag es mein Vater dir verantworten.
Erscheint lt. Verlag | 21.10.2011 |
---|---|
Reihe/Serie | Fischer Klassik Plus |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • Ausrutscher • Doppelgänger • Identitätsverlust • Jammerlappen • Kadavergehorsam • Mythologie • Preußentum |
ISBN-10 | 3-10-401969-X / 310401969X |
ISBN-13 | 978-3-10-401969-7 / 9783104019697 |
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