Die Erben von Sevenwaters (eBook)
560 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41402-6 (ISBN)
Juliet Marillier wurde in Neuseeland geboren und wuchs in Dunedin auf. Bereits seit frühester Kindheit begeistert sie sich für keltische Musik und irische Geschichte. Sie lebt heute mit ihrer Familie in Perth, Australien. Zu ihren großen internationalen Erfolgen gehört der Sevenwaters-Romanzyklus (»Die Tochter der Wälder«, »Der Sohn der Schatten«, »Das Kind der Stürme« und »Die Erben von Sevenwaters«).
Juliet Marillier wurde in Neuseeland geboren und wuchs in Dunedin auf. Bereits seit frühester Kindheit begeistert sie sich für keltische Musik und irische Geschichte. Sie lebt heute mit ihrer Familie in Perth, Australien. Zu ihren großen internationalen Erfolgen gehört der Sevenwaters-Romanzyklus (»Die Tochter der Wälder«, »Der Sohn der Schatten«, »Das Kind der Stürme« und »Die Erben von Sevenwaters«).
Kapitel 1
Die Finger taub vor Kälte, befestigte ich ein Stück goldbesticktes Band am Weißdorn und murmelte ein Gebet an alle Geister, die mich hören konnten. »Wenn es Zeit ist, dass das Kind geboren wird, bitte, lasst meine Mutter nicht sterben.« Ein weiteres Band wickelte ich höher oben in die Zweige, an denen sich frisches Frühlingsgrün zeigte. »Und bitte, lasst das Kind gesund sein.« Dann folgte ein drittes, das ich zwischen die Zweige steckte, so dass die Dornen mir die Haut blutig stachen. »Und wenn ihr könnt, macht, dass es ein Junge wird. Mutter wünscht sich nichts sehnlicher als einen Sohn.«
Ich steckte die Hände zurück in meine Schaffellfäustlinge und schloss für einen Moment die Augen, um meine Gedanken zu sammeln. Der einsame Weißdorn, der auf einer Lichtung im großen Wald von Sevenwaters stand, war mit vielen Opfergaben behangen: Bändern, Spitzen, Wollfetzen und Ketten aus Holzperlen. Bei solchen dornigen Bäumen, die ganz für sich standen, kamen nämlich die Feen zusammen, wie jeder wusste. Jeden Tag war meine Mutter mit einer Gabe hergekommen und hatte gebetet, sie möge endlich mit einem gesunden Sohn gesegnet werden. Bis ihr Kindsbauch zu schwer wurde, als dass sie den Weg hierher gefahrlos hätte gehen können. Nun führte ich an ihrer Stelle das Ritual aus.
Es war Zeit, wieder nach Hause zu gehen. Meine Schwester heiratete morgen, und ich hatte viel zu tun. Deirdre und ich waren Zwillinge, und obwohl sie ein klein wenig älter war als ich, war ich diejenige, der man Mutters Haushaltspflichten übertragen hatte, als sie zu müde wurde, ihnen selbst nachzukommen. Was einleuchtend war, denn Deirdre ging fort. Morgen Nachmittag würden sie und ihr Mann Illann zurück zu seinem Zuhause im Süden reiten, wo sie fortan ihren eigenen Haushalt führen sollte. Ich blieb. In nächster Zukunft wäre mein Leben vornehmlich der Aufgabe gewidmet, die Knechte und Mägde zu befehligen, Vorräte zu verwalten, häusliche Unstimmigkeiten beizulegen und über meine beiden jüngsten Schwestern zu wachen, Sibeal und Eilis. Ich hatte diese Pflichten nicht vorausgesehen, weil niemand ahnte, dass Mutter in so späten Jahren noch ein Kind empfangen würde. Wir alle waren aufgeregt. Mutter nannte es ein Geschenk der Götter. Die Übrigen von uns schwiegen aus Furcht, die schreckliche Wahrheit auszusprechen. Frauen ihres Alters gebaren keine gesunden Kinder. Eher mussten wir darauf gefasst sein, dass sie und das Kind zwischen diesem und dem nächsten Vollmond starben.
»Ich danke euch«, sagte ich über meine Schulter, als ich vom Weißdorn fort in den Schatten des Waldes ging. Es war besser, sich mit dem Feenvolk gutzustellen, egal was man von ihnen halten mochte. Der Wald von Sevenwaters war gleichermaßen ihre Heimat wie unsere. Vor langer Zeit war unserer Familie die Aufgabe übertragen worden, diesen Ort für sie zu beschützen. Er war eine der letzten Zufluchtsstätten der alten Arten in ganz Erin, denn überall wurden die großen Wälder gefällt, um Weideflächen zu schaffen, und die christliche Religion, die sich beständig weiter ausbreitete, verdrängte die Druiden und weisen Frauen. Einzig in den geschütztesten und geheimsten Winkeln des Landes wurde der alte Glaube noch gepflegt. Sevenwaters war einer dieser Winkel.
Der Weg nach Hause schlängelte sich durch dichte Eichenwälder, bevor er zum Seeufer hinunterführte. An jedem anderen Tag wäre ich mit Freuden langsamer gegangen, um die unzähligen Schattierungen frischen Grüns zu genießen, den zarten Gesang der Vögel und das gesprenkelte Licht auf dem Waldboden. Heute aber musste ich mich beeilen, denn am Abend würde unser Haus voller Gäste sein, und bis dahin stand mir noch eine lange Liste von Aufgaben bevor. Ich schuldete es meinen Eltern, alle häuslichen Vorkehrungen mit derselben Gründlichkeit zu besorgen, wie es meine Mutter getan hätte. Vater wäre eine spätere Vermählung Deirdres lieber gewesen, im Herbst vielleicht, und das nicht bloß, weil Mutter gerade so zerbrechlich war. Doch kaum hatte Illann ein Auge auf meine Zwillingsschwester geworfen, wollte er sie ohne Aufschub heiraten, und für Vater war die Verbindung zu ihm sehr wertvoll. Er wollte keinen Unfrieden stiften, denn Illann war der Stammesfürst der südlichen Uí Neill und ein naher Verwandter des Königs. Die Vermählung Deirdres mit Illann war das, was die Leute eine segensreiche Partie nannten. Zum Glück schien Deirdre Illann beinahe so sehr zu mögen wie er sie. Seit dem Tag, als sie ihm erstmals begegnet war, plapperte sie immerfort von ihm.
Über mir ragten die Eichen hoch auf, deren moosbewachsene Stämme im gefilterten Sonnenlicht aufschienen. Meine Schritte waren lautlos auf dem weichen Waldboden. Zwischen den Bäumen bewegten sich flüchtige Gestalten, spinnwebfein und schemenhaft, kaum zu sehen. Im dichten Laub und im Reisig an den Wurzeln der großen Eichen regten sich winzige Wesen, huschend, raschelnd, knisternd und flüsternd. Der Wald von Sevenwaters war die Heimat von vielen. Dachs, Hirsch und Hase, Käfer, Waldsänger und Libelle lebten hier Seite an Seite mit den anderweltlichen Waldbewohnern. Es würde seltsam für Deirdre, all dies zu verlassen. Das Haus ihres Bräutigams, Dun na Ri, teilte sich eine Grenze mit dem südwestlichen Landbesitz meines Vaters, aber ich wusste, dass es nirgends so sein konnte wie in Sevenwaters.
Wenn ich beim Haus war, würde ich gleich nachschauen, ob meine kleinen Schwestern ihre Kleider für das abendliche Fest bereit hatten. Und ich würde versuchen, allein mit Vater zu sprechen, damit ich ihn fragen konnte, wie es ihm ging; ich wusste, dass er sich wegen Mutters Müdigkeit sorgte, und wollte ihn beruhigen. Ebenso sollte ich Mutter ihre Sorge nehmen, indem ich ihr sagte, dass alles vorbereitet war. Dann müsste ich mit meinen beiden Druiden-Onkeln sprechen, sobald sie eintrafen. Conor musste gefragt werden, ob die Pläne für das morgendliche Frühlingsritual und die Vermählung in seinem Sinne waren. Und Ciarán bräuchte einen Platz, an den er sich zurückziehen konnte. Er kam häufig zu uns, wo er Sibeal in die Druidenkunde einführte, denn es war fast ausgemacht, dass sie in wenigen Jahren in die Gemeinschaft der Druiden eintreten sollte. Seine junge Schülerin im Garten oder einer abgelegenen Kammer zu unterrichten, war eine Sache, in ein Haus voller Gäste zu kommen hingegen eine gänzlich andere. Ciarán war ungern unter vielen Menschen. Zudem brachte er manchmal seinen Raben mit, den die Leute unheimlich fanden.
Der Weg verengte sich, als er zwischen dichten Holundersträuchern hindurchführte, deren Stämme sich mit der Anmut von Waldnymphen bogen. Wind brachte das Laub zum Zittern, und plötzlich wurde mir kalt. Jemand beobachtete mich, das spürte ich. Ich schaute mich um, konnte jedoch niemanden sehen. »Wer ist da?«, rief ich. Keine Antwort außer dem Säuseln der Blätter und dem Schrei eines Vogels, der über die Baumkronen hinwegflog. Ich bekam eine Gänsehaut. Unser Heim war außerordentlich gut geschützt, denn Vaters Wachen waren meisterlich. Außerdem beschützte der Wald, was sein war. Keiner konnte sich hier einschleichen. Doch wenn es jemand aus unserem Haushalt war, warum antwortete er dann nicht auf mein Rufen?
Etwa hundert Schritte vom Weg bewegte sich etwas unter einer Gruppe hoher Eichen. Ich erstarrte und sah genauer hin. Nun rührte sich nichts mehr. Nachdem ich drei Schritte gegangen war, blieb ich abermals stehen. Meine Haut kribbelte unangenehm. Dort war etwas, und das war kein Reh oder Wildschwein.
Ich verhielt mich sehr still, blickte in die tiefen Schatten unter den Bäumen, konnte aber nichts außer den Mustern von Licht und Schatten erkennen. Unter den breiten Eichenästen taten sich anscheinend weite Fernen auf, als wären sie Tore zu einem Reich von sehr viel größerem Ausmaß, als es der Wald erlauben dürfte. Natürlich sagte man von Sevenwaters, hier gäbe es ganz besondere Portale: Pforten in die Anderwelt. Durch eine solche Pforte zu schreiten, war so erstaunlich wie gefährlich, denn an jenem Ort verging die Zeit anders. Ein Mann oder eine Frau könnte eine Nacht dort verbringen und bei der Rückkehr feststellen, dass in der menschlichen Welt hundert Jahre vergangen waren. Oder man blieb ein halbes Leben unter dem Feenvolk, hatte aber hinterher nicht einmal eine Jahreszeit in der eigenen Welt versäumt. Es war klüger, sich nicht in diese Bereiche des Waldes zu begeben, es sei denn, man schätzte Abenteuer über alles.
Wieder glaubte ich, etwas zu sehen. Keine Bewegung, eher ein … War das ein Mann, der an dem Stamm eines großen Baumes lehnte? Ein Mann in einem schattengrauen Kapuzenumhang?
»Wer bist du?«, rief ich. »Komm heraus und stelle dich!«
Noch während ich es aussprach, kam mir der Gedanke, dass ich schlecht gerüstet war, sollte mir derjenige tatsächlich gehorchen. Ich konnte keinerlei Fertigkeiten im Kampf vorweisen und hatte nicht einmal ein Gemüsemesser bei mir. Also raffte ich meine Röcke und rannte.
Für eine Weile war das einzige Geräusch das meiner Schritte auf dem weichen Weg. Oder waren das zwei Paar Füße, die ich hörte? Ich lief schneller, und wer immer mir folgte, rannte ebenso schnell. Mein Atem wurde keuchend, trotzdem hörte ich, wie hinter mir nicht minder laut geatmet wurde. Mir pochte das Herz wild in der Brust. Meine Haut war klamm vor Angst. Es war, als würden die Bäume wirbeln und hüpfen, während die Abstände zwischen ihnen größer wurden. Ja, sie luden mich ein, den Weg zu verlassen und umherzustreunen. »Das tue ich nicht«, murmelte ich vor mich hin. »Ich tue es einfach nicht.« Leider half es nicht.
Eine Stimme sprach in meinem Kopf. Clodagh! Clodagh, wo bist du? Ich stolperte über einen Stein und fiel bäuchlings auf den Weg,...
Erscheint lt. Verlag | 12.9.2011 |
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Reihe/Serie | Die Sevenwater-Saga |
Die Sevenwater-Saga | |
Übersetzer | Sabine Schilasky |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction | |
Schlagworte | Abenteuer • Altes Volk • Bruder • Das Kind der Stürme • Der Sohn der Schatten • Die Tochter der Wälder • Elfen • Fantasy • Fantasy-Reihe • Fantasyroman • Fantasy-Saga • Feen • Feenvolk • High Fantasy • Irland • Kelten • magische Geschöpfe • Märchen • Saga • Schwester • Wechselbalg |
ISBN-10 | 3-426-41402-3 / 3426414023 |
ISBN-13 | 978-3-426-41402-6 / 9783426414026 |
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