Ein makelloser Tod (eBook)
552 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-55854-6 (ISBN)
Phyllis Dorothy James, seit 1991 Baroness James of Holland Park, wurde 1920 in Oxford geboren und verstarb im November 2014 ebendort. Da ihr Mann unheilbar krank aus dem Weltkrieg zurückkehrte, musste sie für sich und die beiden Töchter selbst sorgen. Erst nach langen Jahren in der Krankenhausverwaltung und in der Kriminalabteilung des Innenministeriums konnte sie sich ab 1962 ganz der Schriftstellerei widmen. P. D. James, weltweit als Queen of Crime gerühmt, wurde mit Auszeichnungen und Preisen überhäuft; ihr Commander Adam Dalgliesh, der die meisten Fälle löst, ist in die Literaturgeschichte eingegangen.
Phyllis Dorothy James, seit 1991 Baroness James of Holland Park, wurde 1920 in Oxford geboren und verstarb im November 2014 ebendort. Da ihr Mann unheilbar krank aus dem Weltkrieg zurückkehrte, musste sie für sich und die beiden Töchter selbst sorgen. Erst nach langen Jahren in der Krankenhausverwaltung und in der Kriminalabteilung des Innenministeriums konnte sie sich ab 1962 ganz der Schriftstellerei widmen. P. D. James, weltweit als Queen of Crime gerühmt, wurde mit Auszeichnungen und Preisen überhäuft; ihr Commander Adam Dalgliesh, der die meisten Fälle löst, ist in die Literaturgeschichte eingegangen.
4
In einem beliebten Restaurant wie dem Ivy durfte man nicht auf Anonymität hoffen, aber so wichtig ihr gesellschaftliche Diskretion auf allen anderen Gebieten war, im Zusammenhang mit Robin machte sie sich darum keine Gedanken. In einer Zeit, in der es für einen schlechten Ruf immer skandalöserer Indiskretionen bedurfte, hätte nicht einmal das trostloseste Klatschblatt der Enthüllung, dass die bekannte Journalistin Rhoda Gradwyn mit einem zwanzig Jahre jüngeren Mann zu Mittag aß, auch nur einen Absatz gewidmet. Sie hatte sich an ihn gewöhnt; er amüsierte sie. Er öffnete ihr die Bereiche des Lebens, in denen sie – wenn auch nur indirekt – Erfahrungen sammeln wollte. Und er tat ihr leid. Das war nicht gerade eine Basis für Vertraulichkeiten, und was sie anging, gab es auch keine. Er beichtete, sie hörte zu. Aber eine gewisse Befriedigung musste ihr die Beziehung wohl doch verschaffen, wie hätte sie sich sonst erklären sollen, dass sie immer noch bereit war, ihm Zugang zu einem der Sperrgebiete ihres Lebens zu gewähren? Wenn sie über diese Freundschaft nachdachte, was selten genug vorkam, erschien sie ihr wie eine Gewohnheit, die keine größeren Investitionen erforderte als ein gelegentliches Mittag- oder Abendessen auf ihre Kosten, und mit ihr Schluss zu machen würde wahrscheinlich mehr Zeit und Mühe kosten, als sie fortzusetzen.
Wie immer erwartete er sie an seinem Lieblingstisch bei der Tür, den sie vorbestellt hatte, und als sie hereinkam, hatte sie Gelegenheit, ihn noch kurz beim Studium der Speisekarte zu beobachten, ehe er aufblickte und sie bemerkte. Sie war – jedes Mal wieder – von seiner Schönheit beeindruckt. Er selbst schien sich ihrer gar nicht bewusst zu sein, auch wenn es schwerfiel zu glauben, dass ein so durch und durch solipsistischer Mensch nicht erkannte, mit welchem Kapital Schicksal und Gene ihn beschenkt hatten, und es nicht zu seinem Vorteil zu nutzen versuchte. Bis zu einem gewissen Grade tat er es ja, aber offenbar ohne großes Engagement. Es fiel ihr immer wieder schwer, zu glauben, was die Erfahrung sie lehrte, nämlich dass Männer oder Frauen von physischer Vollkommenheit sein konnten, ohne über vergleichbare Qualitäten der Seele und des Geistes zu verfügen, dass Schönheit an gewöhnliche, ungebildete oder dumme Menschen verschwendet sein konnte.
Sie vermutete, dass Robin Boyton den Platz auf der Schauspielschule, sein erstes Engagement, seinen kurzen Auftritt in einer vielversprechenden, aber nach drei Folgen wieder abgesetzten Fernsehserie seinem Aussehen zu verdanken gehabt hatte. Nichts war von Dauer gewesen. Selbst der geduldigste oder nachgiebigste Produzent oder Regisseur hatte irgendwann die Nase voll von nicht gelernten Texten und ständigen Abwesenheiten bei Proben. Nach seinem Scheitern als Schauspieler hatte er eine Reihe von anderen fantasievollen Projekten verfolgt, von denen einige vielleicht sogar erfolgreich gewesen wären, hätte seine Begeisterung nur länger als sechs Monate vorgehalten. Sie hatte seinen Überredungskünsten widerstanden und in keines dieser Projekte investiert, und er hatte ihre Weigerung ohne Groll akzeptiert. Aber keine ihrer Absagen hatte ihn davon abhalten können, es wieder zu versuchen.
Er stand auf, als sie auf den Tisch zuging, und während er ihre Hand hielt, küsste er sie schicklich auf die Wange. Die Flasche Meursault im Weinkühler, die nachher auf ihrer Rechnung stehen würde, war bereits zu einem Drittel geleert.
»Wie schön, dich zu sehen, Rhoda«, sagte er. »Wie ist es dir mit Big George ergangen?«
Sie benutzten keine Kosenamen. Einmal hatte er sie Liebling genannt, sich aber kein zweites Mal getraut. »Big George?«, fragte sie. »So wird Chandler-Powell in Cheverell Manor genannt?«
»Nicht in seiner Gegenwart. Du wirkst ausgesprochen ruhig nach dem Martyrium, aber das kenne ich ja nicht anders von dir. Wie war es denn? Ich sitze hier außer mir vor Sorge.«
»Wie soll es schon gewesen sein? Er hat mich empfangen. Sich mein Gesicht angesehen. Wir haben einen Termin vereinbart.«
»Hat er denn keinen Eindruck auf dich gemacht? Da wärst du die Erste.«
»Sein Auftreten ist beeindruckend. Für eine Beurteilung seines Charakters fehlte die Zeit. Er wirkte kompetent. Hast du schon bestellt?«
»Als hätte ich das je getan, bevor du hier warst? Aber ich habe mir ein geniales Menü für uns beide ausgedacht. Ich weiß, was dir schmeckt. Auch beim Wein hatte ich mehr Fantasie als sonst.«
Beim Studium der Weinkarte sah sie, wie viel Fantasie er auch beim Preis an den Tag gelegt hatte.
Sie hatten kaum mit dem ersten Gang begonnen, als er die Katze aus dem Sack ließ. »Ich brauche etwas Kapital. Nicht viel, nur ein paar tausend. Es ist eine erstklassige Investition, geringes Risiko – im Grunde null Risiko bei garantierter Rendite. Jeremy schätzt sie auf zehn Prozent jährlich. Ich hab mir gedacht, es könnte dich interessieren.«
Er bezeichnete Jeremy Coxon als seinen Geschäftspartner. Rhoda fragte sich, ob er vielleicht mehr als das war. Sie war ihm nur einmal begegnet und hatte ihn als redseligen, aber harmlosen Menschen nicht ohne Verstand erlebt. Wenn er einen Einfluss auf Robin hatte, konnte das nur zum Guten sein.
»An risikolosen Investitionen mit einer garantierten Rendite von zehn Prozent bin ich immer interessiert«, sagte sie. »Mich wundert bloß, dass man dir nicht die Türen einrennt. Was ist das für ein Deal, den du da mit Jeremy ausgeheckt hast?«
»Derselbe, von dem ich dir schon bei unserem Lunch im September erzählt habe. Na ja, in der Zwischenzeit haben die Dinge sich entwickelt, aber an die Grundidee kannst du dich vielleicht erinnern. Eigentlich ist sie von mir, nicht von Jeremy, aber wir haben sie zusammen ausgearbeitet.«
»Du hast mal was von einer Schule für Umgangsformen erzählt, die du mit Jeremy für gesellschaftlich unbeleckte Neureiche einrichten wolltest. Irgendwie sehe ich dich nicht als Lehrer – schon gar nicht als Experten für Umgangsformen.«
»Ich lerne es aus Büchern. Es ist verblüffend einfach. Und der Experte ist Jeremy, der hat da keine Probleme.«
»Und warum bringen deine gesellschaftlich Unbeleckten es sich nicht selber aus Büchern bei?«
»Das könnten sie zwar, aber es geht ihnen um den zwischenmenschlichen Touch. Wir impfen ihnen Selbstvertrauen ein. Und sie bezahlen uns dafür. Wir haben da eine echte Marktlücke aufgetan, Rhoda. Viele junge Leute – also, vor allem junge Männer, und nicht nur reiche – sind verunsichert, weil sie nicht wissen, was sie zu welchen Gelegenheiten tragen sollen, was sie tun müssen, wenn sie zum ersten Mal ein Mädchen in ein feines Restaurant ausführen. Sie wissen nicht, wie sie sich in Gesellschaft verhalten müssen, wie sie Eindruck auf ihren Chef machen können. Jeremy hat ein Haus in Maida Vale, das er mit seinem Erbe einer reichen Tante gekauft hat, und das nehmen wir fürs Erste. Natürlich müssen wir diskret vorgehen. Jeremy weiß nicht, ob er das Haus für gewerbliche Zwecke nutzen darf. Wir leben in Angst vor den Nachbarn. Im Erdgeschoss haben wir ein Zimmer wie ein Restaurant eingerichtet, dort machen wir Rollenspiele. Erst wenn unsere Klienten das nötige Selbstvertrauen haben, gehen wir mit ihnen in ein richtiges Restaurant. Nicht in solche wie dieses, in andere, auch keine ganz billigen, die uns Sonderpreise einräumen. Natürlich auf Rechnung der Klienten. Die Sache läuft nicht schlecht, das Unternehmen gedeiht, aber wir brauchen ein anderes Haus oder zumindest eine Wohnung. Langsam stinkt es Jeremy, auf sein Erdgeschoss praktisch verzichten zu müssen, und dass diese seltsamen Typen auch noch auftauchen, wenn er Freunde eingeladen hat. Und dann ist da noch das Büro, das er in einem seiner Schlafzimmer eingerichtet hat. Er bekommt drei Viertel des Profits, wegen dem Haus, aber ich merke ihm an, dass er langsam mal meinen Anteil sehen will. Und meine Wohnung eignet sich beim besten Willen nicht. Du weißt ja, wie es da aussieht, nicht gerade das ideale Ambiente für unsere Zwecke. Und wer weiß, wie lange ich da noch bin. Der Hauswirt wird langsam ungemütlich wegen der Miete. Wenn wir erst eine neue Adresse haben, geht es auch voran. Na, was meinst du, Rhoda? Interessiert?«
»Interessiert, davon zu erfahren. Nicht interessiert, Geld in die Sache zu stecken. Aber vielleicht funktioniert es. Hört sich vernünftiger an als deine bisherigen Passionen. Ich wünsch dir jedenfalls viel Glück.«
»Also ist die Antwort nein.«
»Die Antwort ist nein.« Spontan fügte sie hinzu: »Da musst du schon auf mein Testament warten. Karitative Anwandlungen lebe ich lieber erst nach meinem Tode aus. Man trennt sich leichter von seinem Geld, wenn man selber nichts mehr damit anfangen kann.«
In ihrem Testament war er mit zwanzigtausend Pfund bedacht, nicht genug für die Finanzierung exzentrischer Hirngespinste, aber immerhin eine gewisse Garantie, dass die Erleichterung, überhaupt etwas vererbt zu bekommen, die Enttäuschung über die Summe überdauert. Es machte ihr Spaß, sein Gesicht zu betrachten. Mit einer leisen Reue, der Scham zu ähnlich, um angenehm zu sein, registrierte sie, dass sie sich an diesem ersten, maliziös von ihr hervorgerufenen Aufblitzen freudiger Überraschung, der Gier in seinen Augen und dem raschen Zurücksinken in realistisches Denken weidete. Weshalb musste sie sich immer wieder bestätigen, was sie ohnehin über ihn wusste?
Er sagte: »Du hast dich natürlich für Cheverell Manor entschieden, und gegen seine Belegbetten im St. Angela’s.«
»Ich will lieber fort von London, da sind die Aussichten besser, in Ruhe gelassen zu werden. Am 27. fahre ich für zwei Tage zur Vorbereitung hin....
Erscheint lt. Verlag | 2.10.2009 |
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Reihe/Serie | Die Dalgliesh-Romane |
Die Dalgliesh-Romane | |
Übersetzer | Walter Ahlers, Elke Link |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Adam Dalgliesh • Benton Boyton • Cheverall Manor • Dalgliesh • Dean Bostock • Emma Lavenham • George Chandler-Powell • Jeremy Coxon • Kate Miskin • Krimi • London • Mord • Privatklinik • Rhoda Gradwyn • Robin Boyton • Schönheitsoperation • Spannung |
ISBN-10 | 3-426-55854-8 / 3426558548 |
ISBN-13 | 978-3-426-55854-6 / 9783426558546 |
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