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Meine nachtblaue Hose (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01151-9 (ISBN)
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Aus einem verschwundenen Zauberreich - dem Westdeutschland der siebziger und achtziger Jahre Für die allermeisten ist eine Hose nicht viel mehr als ein Stück Stoff. Nicht so für den Ich-Erzähler dieses außergewöhnlichen Romans. Vielleicht liegt es daran, daß er an jenem Tag, als er seine nachtblaue Hose erstmals trägt, eine junge Frau kennenlernt. Eine Berliner Liebesgeschichte schließt sich an, eine Reise an den Rhein und in die Kindheit einer Generation. «So war sie, die Bundesrepublik, so wie sie der Held in David Wagners Debütroman erinnert. Mit Leichtigkeit, Witz und großer sprachlicher Begabung erzählt.» (Die Welt) «Raffiniert konstruiert, sprachlich geschliffen und sehr unterhaltsam.» (Focus) «Ein nahezu perfektes Webstück, das den Leser bis zuletzt mit geschmeidiger Eleganz umhüllt.» (Der Spiegel) «Ein brillantes Debüt.» (Der Standard) «Alles, wovon Wagner erzählt, kennen wir genauestens: so ist es gewesen.» (Die Zeit) «In ?Meine nachtblaue Hose? schlingen sich Erinnerungsfäden auf kunstvolle Weise in- und umeinander, bis kleine Muster entstehen und das Gewebe dicht und geschmeidig wird.» (Süddeutsche Zeitung)

David Wagner, 1971 geboren, debütierte mit dem Roman «Meine nachtblaue Hose». Es folgten der Erzählungsband «Was alles fehlt», das Prosabuch «Spricht das Kind», die Essaysammlungen «Welche Farbe hat Berlin» und «Mauer Park», die Kindheitserinnerungen «Drüben und drüben» (mit Jochen Schmidt), der Roman «Vier Äpfel», der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, und «Ein Zimmer im Hotel». 2013 wurde ihm für sein Buch «Leben» der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster «Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur» an der Universität Bern. «Der vergessliche Riese» brachte ihm 2019 den Bayerischen Buchpreis und eine Platzierung auf der Shortlist für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis ein. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.

David Wagner, 1971 geboren, debütierte mit dem Roman «Meine nachtblaue Hose». Es folgten der Erzählungsband «Was alles fehlt», das Prosabuch «Spricht das Kind», die Essaysammlungen «Welche Farbe hat Berlin» und «Mauer Park», die Kindheitserinnerungen «Drüben und drüben» (mit Jochen Schmidt), der Roman «Vier Äpfel», der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, und «Ein Zimmer im Hotel». 2013 wurde ihm für sein Buch «Leben» der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen, 2014 erhielt er den Kranichsteiner Literaturpreis und war erster «Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessor für Weltliteratur» an der Universität Bern. «Der vergessliche Riese» brachte ihm 2019 den Bayerischen Buchpreis und eine Platzierung auf der Shortlist für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis ein. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin.

goldfische


In dem Restaurant, in dem mein Vater sich mit uns beiden traf, setzte er sich neben Fe auf eine Bank. Ich saß auf der anderen Seite des Tisches und sah die unverputzte Wand in ihrem Rücken. Wir warteten schon auf das Essen, als mein Vater sich auf einmal dafür interessierte, wo Fe in Berlin wohne, in Friedrichshain, im Osten, sagte sie und fing an, ihm die Berliner Topographie zu erklären, wenn man von Kreuzberg über die Oberbaumbrücke fahren könnte, läge es ganz nah. Sie malte mit dem Nagel ihres rechten Zeigefingers eine Karte auf das Tischtuch, zeichnete den Westen und den Osten ein, wo die Spree fließt und wie die Grenze verlief, sie zeigte auf einen Fleck und sagte, hier steht die Oberbaumbrücke, die im Krieg gesprengt wurde, und erzählte von dem Fußgängerübergang, der zu Mauerzeiten Passierstelle für Westberliner war. Neuerdings, seitdem die Brücke renoviert wird, gibt es ein Stück flußabwärts einen Steg, warf ich ein, ihre Nägel, mit denen sie über die Tischdecke fuhr und Linien zeichnete, ragten über das Fleisch der Fingerkuppen hinaus. Ich wußte, daß sie diese drei oder vier Millimeter mit einem Stift von unten weiß bemalte, sie hatten die gleiche Farbe wie das Leinentuch, das sich wie eine weiche Haut auf der Tischplatte verschieben ließ. Fe hielt ihren Zeigefinger durchgestreckt und spreizte den Daumen ab, ich erkannte Finger, Hände und Fingernägel ihres Vaters wieder. Vor meinem Teller standen gefüllte Gläser, ein Weißwein- und ein Wasserglas, auf dessen Rand sich das Licht der Deckenlampe spiegelte, ich sah eine Zitronenscheibe im Wasser schwimmen und beobachtete die Kohlensäurebläschen, die wie kleine weiße Pickel auf den Poren der Zitronenhaut perlten. Manche blieben haften, andere stiegen auf und zerplatzten kurz unter der Wasseroberfläche. Wenn eine Luftblase mit dem Blut ins Herz getragen wird, muß man sterben, dachte ich und wußte, daß mein Vater jetzt, wo das Thema einmal berührt worden war, Zonengeschichten erzählen würde, wieviel der Osten schon gekostet habe, uns koste und noch kosten werde und von seinen Treffen mit Mittag und den Bossen der Planwirtschaft hinter Stacheldraht am Müggelsee, wo die Wahrheit abhörsicher besprochen und Gesprächsnotizen jeden Abend wie Wertsachen in einen Tresor geschlossen wurden. Nach dem Essen würde mein Vater mir Geld zustecken, glatte, knisternde Scheine, Noten, die er druckfrisch zu beziehen schien. Geld, fiel mir ein, gab mein Vater mir auch am Vorabend unserer Klassenfahrt in die DDR, ich war in der zehnten oder elften Klasse, und es hieß, du mußt es nur irgendwie über die Grenze bringen, dann kannst du dir drüben alles kaufen. Er gab mir ein Bündel abgegriffene Ostmarkscheine, Papa sagte, Papiergeld und bring ein paar Platten mit, obwohl er eigentlich nie Platten hörte. Ich überlegte, wie ich das Geld in die DDR hineinschmuggeln sollte, und kam auf die Idee, die Scheine einzeln zusammenzurollen und durch die Strohhalmöffnung einer leeren Fanta-Still-Zitrone-Packung zu schieben, die ich am Abend vor der Abreise zu diesem Zweck leerte. Nachdem ich Schein für Schein versenkt hatte, verschluckte das Loch auch den Rest des Silberhäutchens über der Ausstanzung im Karton. Ich steckte den Strohhalm mit seiner angeschrägten Spitze zurück, wie ein Fahrwasserbegrenzungspfahl in der Strömung ragte er aus dem Loch, ließ sich biegen und schnellte, kaum losgelassen, wie eine Fahnenstange ohne Fahne wieder in die Senkrechte. Als der Bus, in dem wir durch unbekannte Landschaft bewegt wurden, gegen Mittag des nächsten Tages in das Zonenrandgebiet kam und es nur noch wenige Kilometer bis zur Grenze, bis zur innerdeutschen Grenze waren, wie die Tagesschaustimme immer sagte, nahm ich die geldgefüllte Saftpackung aus meinem Rucksack und ließ sie wie aus Versehen auf den Boden fallen, schob sie mit der Fußspitze unter den Vordersitz und drückte sie mit dem Rist gegen die Wandverkleidung. Ich wollte nicht, daß sie bei einem Bremsmanöver des Busses zu weit nach vorne rutschte, am Ende würde jemand meine kleine Schatzkiste übereifrig in einen der Mülleimer im Mittelgang werfen. An der Grenze mußten wir selbstverständlich anhalten, drei Uniformträger stiegen zu. Sie sagten nicht viel, und das wenige, was sie von sich gaben, sagten sie nicht einmal in einer fremden, unverständlich zischenden Sprache, es war nur ein helleres, in hohen Lagen leicht gequetscht und doch auch süßer klingendes Deutsch, das zwischen ihren Pergamentgesichtern hin und her flog. Ich wunderte mich nicht wenig, daß es das alles, die Grenzanlagen vor dem Fenster und die Gesichter, wirklich gab, vielleicht, weil ich die Grenze und das andere, kleinere, böse Deutschland der drei Großbuchstaben, das immer alle Medaillen gewann, für eine Erfindung der Bundeszentrale für politische Bildung und ihrer Heftchen gehalten hatte, die wir zur Vorbereitung dieser Reise stapelweise hatten lesen müssen. Vor der Grenze wurden wir angewiesen, ernst zu bleiben, ihr dürft nicht lachen, sagte unser Lehrer, und macht um Himmels willen keine Witze, wenn die Grenzer in den Bus steigen. Die Grenzbeamten zählten durch die Bänke und verglichen die Namen auf ihren Listen mit den Angaben in unseren Reisepässen, auf ihren Gesichtern lag die jahrelange Sorge, streng genug auszusehen, im Permafrost. Unter einer Nase haftete ein kleines Stück verschorftes Blut. Eine Hand, die aus einem der sechs graugrünen Ärmel herausragte, blätterte durch meinen alten grünen Reisepaß, und noch wußte natürlich niemand, daß ein Photo des dazugehörigen Gesichts ein paar Jahre später selbst in einem Paß der Europäischen Gemeinschaft kleben würde. Keine Maschinenpistolen, nur Nachtsichtaugen richteten sich auf mich, hornbrillenbesetzte Bohrkopfblicke wanderten über die Gesichtshaut übergewichtiger Clearasilkinder auf Exkursion. In dem Reisepaß, der mir zurückgegeben wurde, stand unter besondere Merkmale Keine. Durch das Fenster des Busses sah ich drei deutsche Schäferhunde an einer Leine und Spiegelkarren, die unter Autoböden tauchten, Selbstschußanlagen sah ich nicht. Der Himmel über den Feldern hinter der innerdeutschen Grenze war hoch und blau wie ein Himmel im Westen, nur die Felder darunter waren viel, viel größer. Warum sind die Felder hier so groß, mußte unser Erdkundelehrer sogleich fragen, ich bückte mich vor einer Antwort nach meiner Saftpackung und steckte sie zurück in meinen Rucksack. Unser Gepäck war nicht kontrolliert worden, ich hätte das Papiergeld ruhig im Portemonnaie lassen können. Totenträger und Totengräber tragen Zitronen in den Taschen, wußte ich von Frau Ops, eine Fahrt nach Frankreich ist viel einfacher, hätte ich denken können, Belgien ist da, wo über den Autobahnen Laternen leuchten, in Frankreich haben die Autos gelbe Augen. Als ich Platten für meinen Vater kaufte, war ich aufgeregt, als brächte ich Falschgeld in Umlauf. Ich dachte, der Zitronenduft, der an den Geldscheinen klebte, müsse mich verraten, ich bildete mir ein, hinter meinem Rücken werde durch geheime Winke die Staatssicherheit verständigt, die mich wegen Devisenvergehen einsperren würde. Nachdem zum dritten- oder viertenmal ein großer Schein angenommen worden war, beruhigte ich mich und zahlte weiter fünfundsechzig Pfennig für Bier, trank Kaffee mit Satz in jeder Tasse und aß Eisbecher, auf denen die geschlagene Sahne zerlief. Überall bemühte ich mich, das Teuerste zu essen, zu trinken, zu kaufen, aber das Geld wurde kaum weniger, mir blieb viel zuviel übrig. Außer den Schallplatten brachte ich Bücher mit, die ich später nie gelesen habe, fiel mir ein, und ich versuchte, mich an einige der Titel mit braunen Einbänden, die mit Packpapier eingeschlagen wurden, zu erinnern, da kamen die Vorspeisen, und wir fingen an zu essen. Mein Vater ließ sich nicht daran hindern, seine Geschichten auszuspinnen, er kaute und käute wieder, was er immer erzählte und wieder erzählte, er sprach vom Ende der DDR, von der Vernichtung einer Volkswirtschaft und war bald bei dem Tag im November, an dem er mich mittags aus dem Ministerium angerufen hatte, um mir zu sagen, schalt den Fernseher ein. Ich fragte, wieso, und hörte als Antwort, du wirst schon sehen. Er erzählte Fe, wie wir beide, kurz nachdem die Unterschriften unter den Einigungsvertrag gesetzt waren, beinahe noch einmal die DDR betreten hätten, ich erinnerte mich an die breitbeinige Rede des Bankdirektors, der an der Grenze behauptet hatte, mein linker Fuß steht hinter dem Eisernen Vorhang, mein rechter im freien Westen. Ich weiß nicht mehr, warum wir ihn in seinem Grenzstädtchen besuchten, die Grenzschutzplaketten auf den Betonpfählen waren alle schon gestohlen, die Schilder Halt, hier Zonengrenze abgesägt. Der Achsstand des BMWs, in dem der Bankdirektor uns entlang des langen Zauns spazierenfuhr, war zu breit für den Weg gleich hinter dem Minenfeld, zwei Räder rollten immer neben der Fahrspur. Der Wagen zog eine Staubfahne hinter sich her, wie das Auto meines Vaters nach dem Krieg, sagte mein Vater, ich sah sein Gesicht im rechten Außenspiegel, ich mußte hinten sitzen. Früher war hinter meinem Grundstück die Welt zu Ende, das wird sich nun ändern, jetzt wird alles angeschlossen, sagte der Bankdirektor, während er uns durch sein Haus am Hang führte, er redete ununterbrochen und stellte sich schließlich auf der umlaufenden Terrasse vor die Aussicht ins Tal. Seine Frau haben wir nicht getroffen, sie wird ihn verlassen haben, sagte mein Vater. Später fuhren wir an einer Brücke vorbei, die nach ein paar Metern, noch vor der Flußmitte, aufhörte, weiter...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2011
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 70er Jahre • 80er Jahre • Berlin • Debütroman • Kindheit • Leben • Leber • Liebe • Liebesgeschichte • Rheinland-Pfalz • Westdeutschland
ISBN-10 3-644-01151-6 / 3644011516
ISBN-13 978-3-644-01151-9 / 9783644011519
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