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Die Wahrheit meines Vaters (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
544 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-95331-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Delia Hopkins verbrachte eine glückliche Kindheit, daran bestand bisher nie ein Zweifel. Doch als eines Tages die Polizei ein schreckliches Geheimnis über ihre Familie offenbart, holt eine Vergangenheit Delia ein, von der sie nicht einmal wusste, dass es sie gab ... Jodi Picoult erzählt die zutiefst berührende Geschichte einer Frau, und es gelingt ihr, den Wert der Erinnerung und der Liebe fühlbar zu machen.

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton Creative Writing und in Harvard Erziehungswissenschaften.1992 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und gehört heute zu den beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt mit ihrem Mann und zahlreichen Tieren in Hanover, New Hampshire.

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton Creative Writing und in Harvard Erziehungswissenschaften.1992 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und gehört heute zu den beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Hanover, New Hampshire.

ERIC


Ich komme fast zu spät zu dem Treffen, weil ich einen städtischen Kipplaster vor mir habe und nicht überholen kann. Genau wie ein Dutzend anderer, die jedes Jahr im März in Wexton unterwegs sind, ist er hoch mit Schnee beladen, der von den Gehwegen und den Parkplätzen geräumt wurde. Früher habe ich mir vorgestellt, daß sie Richtung Florida fahren, bis die Ladung geschmolzen ist, aber in Wahrheit fahren die Laster zu einer Schlucht am Rande des Golfplatzes und kippen dort alles ab. Der Schneeberg, der dort aufgeschüttet wird, ist so gigantisch, daß man sogar noch im Juni, wenn es bereits bis zu fünfundzwanzig Grad warm wird, Kinder in Shorts dort rodeln sehen kann.

Das Erstaunliche ist, daß eine so gewaltige Menge Schnee keine Überschwemmung verursacht, wenn er schmilzt. Die entstehenden Wassermassen müßten doch in der Lage sein, einen Highway in einen reißenden Fluß zu verwandeln, doch wenn der Schnee verschwunden ist, ist der Boden darunter größtenteils trocken. Delia und ich waren zusammen im Naturwissenschaftskurs, als wir lernten, warum: Schnee löst sich quasi in Luft auf. Er gehört zu den festen Bestandteilen, die direkt verdampfen können, ohne vorher ein flüssiges Stadium zu durchlaufen – diesen Vorgang nennt man Sublimation.

Erst als ich anfing, zu diesen Treffen zu gehen, habe ich erfahren, daß das Wort noch eine zweite Bedeutung hat: die Energie eines niedrigen Impulses auf ein ethisch höheres Ziel umzuleiten.

Der Laster vor mir biegt nach rechts in eine Einfahrt, und ich gebe Gas. Ich komme an dem Deli vorbei, das in den letzten sechs Monaten dreimal den Besitzer gewechselt hat, am alten Kramladen, an der Geflügelfarm, wo riesige, in Folie eingepackte Heuballen neben der Scheune gestapelt sind, wie gigantische Marshmallows. Schließlich bin ich da, parke den Wagen und haste hinein.

Es hat noch nicht angefangen. Noch immer drängen sich Leute um den Tisch mit Kaffee und Plätzchen, wechseln gezwungen ein paar Worte. Ich sehe Männer in Geschäftsanzügen und Frauen in Trainingshosen, ältere Männer und junge Milchgesichter. Ich weiß, daß einige von ihnen extra ein Stunde Autofahrt auf sich genommen haben, um herzukommen. Ich geselle mich zu einer Gruppe Männer, die darüber reden, daß die Boston Bruins wirklich alles tun, um in der Eishockeyliga abzusteigen.

Die Neonlampen gehen flackernd an, und der Leiter bittet uns, Platz zu nehmen. Er eröffnet das Treffen und spricht ein paar einleitende Worte. Ich sitze neben einer Frau, die versucht, geräuschlos eine Tüte Bonbons zu öffnen. Als sie sieht, daß ich sie beobachte, wird sie rot und bietet mir eins an. Saurer Apfel.

Ich lutsche das Bonbon eine Weile, statt es zu zerkauen, aber ich bin kein geduldiger Mensch, und noch während ich mir vorstelle, dass es so dünn wird wie ein Dichtungsring, merke ich, daß ich es zwischen den Zähnen zermalme. Im gleichen Augenblick entsteht eine Pause. Ich hebe die Hand, und der Vorsitzende lächelt mich an.

»Ich bin Eric«, sage ich und stehe auf. »Und ich bin Alkoholiker.«

Nach meinem Juraexamen hatte ich mehrere Stellenangebote. Ich hätte in einer renommierten Bostoner Kanzlei anfangen können, in der die Mandanten locker 250 Dollar für eine Stunde meiner kostbaren Zeit berappt hätten. Ich hätte auf der humanitären Schiene als Pflichtverteidiger arbeiten können. Ich hätte eine Assistentenstelle bei einem Richter am State Supreme Court annehmen können. Statt dessen entschied ich mich dafür, nach Wexton zurückzukommen und eine eigene Kanzlei aufzumachen. Der Grund dafür war einfach: Ich halte es nicht aus, von Delia getrennt zu sein.

Bestimmt könnten einem die meisten Männer sagen, wann ihnen klar wurde, daß die Frau, die neben ihnen steht, die Frau ist, mit der sie ihr Leben verbringen wollen. Bei mir war das ein wenig anders: Delia hatte schon so lange neben mir gestanden, daß ich mit ihrer Abwesenheit nicht klarkam. Wir sind fünfhundert Meilen voneinander entfernt aufs College gegangen, und wenn ich bei ihr im Studentenwohnheim anrief und der Anrufbeantworter sprang an, stellte ich mir all die Typen vor, die genau in dieser Sekunde versuchten, sie mir wegzunehmen. Ich gebe zu: Solange ich zurückdenken konnte, hatte Delias Zuneigung mir gegolten, und der Gedanke, zum ersten Mal Konkurrenz zu haben, war mir schier unerträglich. Ein Bier trinken zu gehen machte es mir möglich, nicht ständig an sie denken zu müssen, doch allmählich wurden aus einem Bier sechs oder zehn.

Das Trinken lag mir sozusagen im Blut. Jeder kennt doch die Statistiken über Kinder von Alkoholikern. Ich hätte als Kind geschworen, daß ich nie so werden würde wie meine Mutter – und vielleicht wäre es auch nicht passiert, wenn ich Delia nicht so furchtbar vermißt hätte. Ohne sie war ich innen leer, und um die Leere zu füllen, habe ich genau das getan, was in der Familie Talcott normal war.

Es ist komisch. Ich habe mit dem Trinken angefangen, weil ich den Ausdruck in Delias Augen sehen wollte, wenn sie nur mich sah, und aus demselben Grund habe ich mit dem Trinken aufgehört. Sie ist nicht nur der Mensch, mit dem ich mein ganzes Leben verbringen möchte, sie ist der Grund, warum ich überhaupt eins habe.

Heute nachmittag treffe ich mich mit einem möglichen Mandanten, mit einer Krähe, um genauer zu sein. Blackie hat sich beim Sturz aus dem Nest verletzt, sagt zumindest Martin Schnurr, der ihn gerettet hat. Er hat den Vogel wieder hochgepäppelt, und als der danach immer wieder zu ihm kam, hat er ihn auf seiner Veranda in Hanover mit kaltem Kaffee und Donutstücken gefüttert. Doch irgendwann hat die Krähe die Kinder eines Nachbarn gejagt, und die Behörden wurden eingeschaltet. Wie sich herausstellte, sind Krähen nach den Bundesbestimmungen Wandervögel, und Mr. Schnurr ist nicht im Besitz einer behördlichen Genehmigung, Blackie zu halten.

»Das Umweltamt hat ihn ins Tierheim bringen lassen, und er ist gleich wieder ausgebüxt«, sagt Schnurr stolz. »Hat zu mir zurückgefunden, volle zehn Meilen.«

»Luftlinie natürlich«, sage ich. »Also, was kann ich für Sie tun, Mr. Schnurr?«

»Das Umweltamt will ihn mir wieder wegnehmen. Ich will eine einstweilige Verfügung«, sagt Schnurr. »Und wenn ich dafür bis vors Oberste Gericht gehen muß.«

Die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Fall bis nach Washington geht, ist gleich Null, doch ehe ich das erklären kann, fliegt meine Bürotür auf und Delia kommt hereingestürmt, außer sich und in Tränen aufgelöst. Mein Inneres verkrampft sich. Ich male mir das Schlimmste aus, denke an Sophie. Ich ziehe Delia nach draußen auf den Flur und frage sie, was passiert ist.

»Mein Vater ist verhaftet worden«, sagt sie. »Du mußt ihm helfen, Eric. Du mußt.«

Ich habe keinen Schimmer, was Andrew ausgefressen haben mag, und ich frage auch nicht nach. Delia glaubt, daß ich die Sache aus der Welt schaffen kann, und das genügt wie immer: dann glaube ich selbst auch daran. »Ich kümmere mich darum«, sage ich, obwohl ich eigentlich meine: Ich kümmere mich um dich.

Bei mir zu Hause haben wir nie drinnen gespielt. Ich bin morgens immer extra früh aufgestanden, damit ich bei Delia oder bei Fitz anklopfen konnte, bevor einer von ihnen zu mir kam. Wenn wir doch mal zu mir gingen, habe ich dafür gesorgt, daß wir draußen blieben, im Garten oder in der Garage, und so habe ich es geschafft, mein Geheimnis zu bewahren, bis ich neun war.

Das war der Winter, als Fitz im Eishockeyverein anfing, weshalb Delia und ich nachmittags allein waren. Sie war ein Schlüsselkind – ihr Vater war den ganzen Tag im Seniorenzentrum –, es hatte ihr nie was ausgemacht, bis wir einmal im Fernsehen einen traurigen Film über ein Zwillingspaar sahen, von dem der eine Bruder starb. Danach war Delia nicht mehr gern allein. Sie ließ sich ständig Gründe einfallen, weshalb wir nach der Schule zu ihr gehen sollten – was mir nur recht war, Hauptsache, ich kam von zu Hause weg. Aber ich bin vorher immer erst auf einen Sprung bei mir vorbei. Ich hatte stets einen Vorwand parat: Ich wollte meine Schultasche wegbringen, ich wollte mir ein wärmeres Sweatshirt anziehen, ich wollte meiner Mutter eine Klassenarbeit zeigen, die sie unterschreiben sollte. Anschließend ging ich dann nach nebenan.

Eines Tages trennten Dee und ich uns wie immer bei ihr vorm Haus. »Bis gleich«, sagte sie.

Als ich nach Hause kam, war es still, was kein gutes Zeichen war. Ich ging von Raum zu Raum und rief nach meiner Mutter, bis ich sie in der Küche auf dem Boden fand.

Diesmal lag sie der Länge nach auf der Seite, mit der Wange in Erbrochenem. Als sie blinzelte, sah ich, daß ihre Augen rubinrot waren.

Ich hob die Flasche Bourbon auf und schüttete den Rest in die Spüle. Ich rollte meine Mutter ein Stück zur Seite, damit ich den Boden mit Küchenpapier sauberwischen konnte. Dann stellte ich mich hinter sie und faßte sie unter den Armen. Ich versuchte, sie leicht anzuheben und zur Couch im Wohnzimmer zu schleifen.

»Was kann ich tun?«

Delia hatte wohl schon eine Weile in der Tür gestanden. Sie sah mir nicht in die Augen, aber sie half mir, meine Mutter zur Couch zu tragen und auf die Seite zu legen, damit sie, falls ihr wieder schlecht würde, nicht am eigenen Erbrochenen erstickte. Ich schaltete den Fernseher ein, eine Serie, die sie mochte. »Eric, Schätzchen, bist du so lieb und holst mir …«, lallte meine Mutter, doch ehe sie den Satz beenden konnte, war sie wieder weggetreten. Als ich mich umdrehte, war Delia nicht mehr da.

Das wunderte mich überhaupt nicht. Genau wegen dieser Situationen hatte ich die Sache ja vor meinen besten Freunden geheimgehalten. Ich war mir sicher, sie würden Reißaus nehmen, wenn sie die Wahrheit...

Erscheint lt. Verlag 16.5.2011
Übersetzer Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Familie • Familiengeheimnis • Lügen • Misstrauen • Vergangenheit
ISBN-10 3-492-95331-X / 349295331X
ISBN-13 978-3-492-95331-3 / 9783492953313
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