Hundstage (eBook)
448 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-05922-4 (ISBN)
»Hundstage« - die heißesten Tage des Sommers. Diese Zeit will der Schriftsteller Alexander Sowtschick auf seinem schönen Anwesen in Norddeutschland verbringen. Allein, ohne seine Ehefrau und ganz auf sein neues Werk konzentriert. Aber die geplante Idylle wird gründlich gestört: Es kommt zu einer Reihe unvorhergesehener Ereignisse - bis hin zu einem Mord. Und Alexander Sowtschick nähert sich immer mehr den Abgründen der eigenen Seelenlandschaft.
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten 'Deutschen Chronik', deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman 'Tadellöser & Wolff' eröffnete und 1984 mit 'Herzlich Willkommen' beschloss. Kempowskis 'Deutsche Chronik' ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der 'Chronik' korrespondierende zehnbändige 'Echolot', für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.
Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.
"(S. 14-15)
Erst gegen vier Uhr wachte Sowtschick auf. Langsam, dann immer schneller wurde sein Körper angekurbelt. Die Moleküle erhoben sich vom modrigen Grund des Schlafes und zogen zuerst matt, dann kräftiger ihre Bahn, nach denselben Gesetzen etwa, wie Sterne am Firmament es tun. Wer das nachweisen könnte, daß die Moleküle des Fleisches sich nach denselben Gesetzen umeinanderdrehen, wie die Gestirne, der würde die Krone der Wissenschaft empfangen, dies war Sowtschicks Ansicht. Das All in uns und das All um uns. Eine Ver-Allung der ganzen Existenz. Sowtschick lag schwer und erhitzt auf seinem Bett.
Er wußte: Er hatte zu lange geschlafen, das würde sich in der Nacht rächen. In die flirrende Pappel vor seinem Fenster blickend, ließ er die Bilder des Traumes, der ihn eben beschäftigt hatte, an sich vorübergleiten. Wieder war es der Kriechtraum gewesen, der ihn so häufig heimsuchte, durch einen Felsspalt hatte er sich zwängen müssen, immer in Gefahr, steckenzubleiben. Als die Eheleute noch nebeneinander schliefen, sie das Haar zum Zopf gedreht und seitlich auf dem Kissen deponiert, er in «Königshaltung», also auf dem Rücken liegend, geschah es manchmal, daß er im Traum zu mümmeln begann.
Dies war der Vorbote dafür, daß es gleich hoch hergehen würde. Das sich rasch verstärkende Mümmeln mündete nämlich in sehr laute Hilfeschreie, die Sowtschick auch dann noch ausstieß, wenn er merkte, daß er bereits aufgewacht war: Seine Frau sollte wissen, daß er es selbst im Schlaf nicht leicht hatte. Sowtschick griff nach einem Buch, um sich vollends aufzuwecken, es waren Baudelaires Tagebücher, und er las nur wenige Zeilen: Von jungen Mädchen war da die Rede, daß sie kleine Schlunzen seien. In ihnen liege die ganze Verworfenheit von Straßenjungen und Pennälern … Dies belebte ihn.
Er erhob sich und stellte sich, die Hosen anziehend, ans Fenster. Die knospende Schönheit, die es nicht nötig hat, sich herauszuputzen, die sich rüde geben kann und unvermittelt: Das war es, was ihn an kleinen Mädchen so entzückte. Einen weiten Blick hatte Sowtschick von seinem Fenster aus über einen Teil des Gartens hinweg, über Wiesen und Kornfelder bis hin zum Wald, dem sich ein Sandweg mit zögernden Rechts- und Linksschwüngen entgegenschlängelte. Auf den Fensterbänken des Obergeschosses hatte Sowtschick verschiedene Ferngläser stehen. Mit dem im Schlafzimmer deponierten Hapag-Fernglas von 1923 suchte er den sichtbaren Rand der Landschaft ab.
Vielleicht ließen sich ja die beiden Pferdemädchen sehen, die hin und wieder in weitem Bogen um sein Haus herumjagten: die eine blond, die andere krisselig-schwarz, entzückende Kinder, zwölf, dreizehn Jahre alt, Raubritter, wie er sie auch nannte, ganz im Sinne der Baudelaireschen Definition: Kleine freche Schlunzen, wild und erregend. Die beiden hatten übrigens nur ein Pferd zur Verfügung, ein Pony. Jeweils eines der Mädchen war gezwungen, auf dem Fahrrad hinterherzustrampeln.
Erscheint lt. Verlag | 2.3.2011 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 20.Jahrhundert • Deutschland • eBooks • Ehekrise • Ereignisse • Idylle • Künstlerroman • Lebenskrisen • Literaturseminar • Mord • Norddeutschland • Roman • Romane • Schaffenskrise • Schriftsteller • Schriftstellerroman • Sommer • Sommerhitze • Sommeridylle |
ISBN-10 | 3-641-05922-4 / 3641059224 |
ISBN-13 | 978-3-641-05922-4 / 9783641059224 |
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