Die Wege der Wolkenraths (eBook)

Roman

(Autor)

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2010 | 1. Auflage
560 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-400887-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wege der Wolkenraths -  Elke Vesper
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Hamburg in den Dreißigerjahren - und eine Familie zwischen Hass und Liebe Hamburg, im Mai 1933: Am Kaiser-Friedrich-Kanal brennen die Bücher. Die Familie Wolkenrath teilt sich in zwei Lager: Während die Männer der NSDAP beitreten, kämpfen die Frauen gegen das neue Regime. Lysbeth versucht, ihren jüdischen Mann Aaron zu schützen, ihre Schwester Stella bespitzelt für ihren englischen Liebhaber die Nazigrößen, mit denen ihr Gatte verkehrt. Und Stellas Tochter Angela arbeitet im Untergrund, unterstützt von der über 100jährigen Tante. Die Wolkenraths waren schon immer Meister im Bewahren von Familiengeheimnissen - wird ihnen das auch in diesen schwierigen Zeiten gelingen? Der dritte Band der großen deutschen Familiensaga

Elke Vesper hat selbst viele Jahre in dem Haus in der Kippingstraße gelebt, in dem sie ihre Familie Wolkenrath angesiedelt hat. Sie hat zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen starke Frauenfiguren eine zentrale Rolle spielen. Elke Vesper arbeitet neben dem Schreiben als Psychotherapeutin, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.

Elke Vesper hat selbst viele Jahre in dem Haus in der Kippingstraße gelebt, in dem sie ihre Familie Wolkenrath angesiedelt hat. Sie hat zahlreiche Romane veröffentlicht, in denen starke Frauenfiguren eine zentrale Rolle spielen. Elke Vesper arbeitet neben dem Schreiben als Psychotherapeutin, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.

2


Vier Monate zuvor, am 30. Januar 1933, war Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden. Von diesem Tag an hatten Stella und Lysbeth große Angst um Angela gehabt. Sie wussten, dass Angela ebenso wie ihr Geliebter Robert, die gemeinsam in Berlin lebten, zu denjenigen gehörten, die gegen die Nazis kämpften. Sie waren in großer Gefahr. Aber Stella und Lysbeth wussten, dass sie nichts für die beiden tun konnten.

Am 6. Februar 1933 gab es einen Fackelzug der Nationalsozialisten und Stahlhelmer durch Hamburg. Stella und Käthe weigerten sich, sich der begeisterten Menge in der Bundesstraße anzuschließen. Lysbeth aber wollte es sehen. Gemeinsam mit ihrer Nachbarin Luise Solmitz, deren Mann Fred und Tochter Gisela stellte sie sich an den Rand der Bundesstraße und wartete. Es war trocken und windstill, eine sternenklare Nacht, wärmer als die Februarnächte zuvor. Gegen zehn Uhr sahen sie den Zug heranmarschieren.

Luise hatte rote Wangen vor Begeisterung. Ihre Augen glänzten, als wäre sie verliebt. Sie hatte schon die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit einem Hoffnungsschrei begrüßt: »Endlich!«, hatte sie ausgerufen, als Lysbeth sie auf der Straße getroffen hatte. »Endlich ein Kabinett, das Deutschland aus der Talsohle führen wird. Was für eine Hoffnung!«

Und jetzt stand sie dort am Straßenrand zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter und warf Lysbeth von Zeit zu Zeit einen strahlenden Blick und ein paar Brocken ihrer Gedanken und Gefühle zu. »Ist das nicht ein wunderbar erhebendes Erlebnis für uns alle?«, triumphierte sie zum Beispiel. Oder: »Göring sagt, der Tag der Ernennung Hitlers und des nationalen Kabinetts sei gewesen wie 1914, und etwas wie 1914 ist auch dies.«

Zwischendurch bemerkte sie leise: »Zwangsläufig werden sich jetzt ja Sozis und Rotfront finden. Am Sonntag haben die Roten gegen Hitler einen Protestumzug gemacht. Sie sind durch den Dreck des unerbittlichen Regenwetters gewatet. Aber ihr Zug war so klein, dass sie Frauen und Kinder dabeihatten, um ihn zu verlängern. Gisela hat sie gesehen.«

Sie glaubt ernsthaft, dass selbst das Wetter gegen die Roten und für die Nazis ist, dachte Lysbeth. Sie wunderte sich, dass die dreizehnjährige Gisela so lange aufbleiben durfte, denn der Fackelzug würde bestimmt bis Mitternacht dauern, und die Solmitz achteten normalerweise sehr darauf, dass ihre Tochter früh zu Bett ging. Da sagte Luise: »Gisela soll bis zum Schluss bleiben, die Kinder haben bisher überaus klägliche politische Eindrücke gehabt, Gisela soll wie einst wir auch einmal einen starken, nationalen Eindruck ganz auskosten und empfinden und als Erinnerung bewahren.«

Als die ersten Fackeln kamen, ging ein Ruck durch die Menge. Lysbeth dachte an Angela und meinte, vor Angst zu ersticken. Wie Wellen im Meer wogten Tausende von Braunhemden durch die Bundesstraße, deren Gesichter im Fackelschein begeistert leuchteten. »Unserm Führer, unserm Reichskanzler Adolf Hitler ein dreifaches Heil!«, riefen sie. Sie sangen »Die Republik ist Schiet« und von den Farben »schwarz-rot-senf« und »Der Rotmord hat ein blutiges Gesicht und wir vergessen den Mord an der Sternschanz nicht«.

Da beugte sich Luise zu Lysbeth und raunte: »Die Feldzeichen gleichen zu sehr den römischen, finden Sie nicht auch?« Lysbeth musste lächeln. Luise Solmitz und ihr Mann hielten sich viel auf ihre Bildung zugute. Sie waren Mitglied in der Fichte-Gesellschaft, die sich der Pflege der deutschen Sprache und Kultur verschrieben hatte. Luise hasste jedes Fremdwort und versuchte, es augenblicklich in ein gutes Deutsch zu übersetzen. »Mein Ideal war, ist, bleibt Deutschland; wo ich das vertreten sehe, dahin gehe ich«, so lautete der Wahlspruch von Luise Solmitz. Sie war zweiundvierzig Jahre alt. Und dementsprechend kleidete sie sich, weiße Bluse, blauer Rock, eine Hanseatin durch und durch. In ihrem Gesicht aber, besonders in ihren blauen Augen, lag so viel kindliches Ungestüm und Naivität, dass sie manchmal, ohne es zu beabsichtigen, ein unwillkürliches Lächeln aufs Gesicht ihres Gegenübers zauberte. Luise hatte nach dem Abitur das Lehrerinnenseminar besucht und abgeschlossen, sie war als Lehrerin schier verzweifelt an nicht vorhandenen Unterrichtsmaterialien und widerspenstigen Schülern, so dass sie nicht darunter gelitten hatte, als sie nach der Geburt ihrer Tochter Gisela den Schuldienst quittierte. Luise war eine leidenschaftlich Reisende, die während ihrer Jungmädchenzeit das Lycée in Frankreich und eine Schule in England besucht hatte. Sie korrespondierte mit guten Freunden in beiden Ländern, sie bekam Gäste von dort und fuhr ihre Freunde besuchen, auch wenn sie der Meinung war, dass Deutschland den Krieg gegen England hätte gewinnen müssen. Ihr Mann hatte im Krieg als Pilot gekämpft, er war sogar Major geworden, worauf Luise sehr stolz war. Ihre Tochter Gisela war ein aufgewecktes, gut erzogenes Mädchen, das die Emilie-Wüstenfeld-Schule besuchte und zu Luises Stolz besonders im Fach Deutsch gute Noten mit nach Hause brachte.

Zwischen den SA-Leuten und dem Stahlhelm marschierte eine Abordnung nationaler Studenten. Neben Luise stand die Gemüsefrau gemeinsam mit anderen Frauen, die einander alle gut zu kennen schienen. Die gesamte Weiblichkeit zeigte sich einig: »Nein, diese Studenten«, riefen sie. »Wie entzückend!«

Wider Willen war sogar Lysbeth beeindruckt von dem Anblick, Schneeweiß, Zinnoberrot, Moosgrün und Schwarz zogen an ihr vorüber, phantastische Baretts, Stiefel und Stulpen im zuckenden Licht der Fackeln.

»Da, die Stahlhelmer!«, rief Luise und klatschte in die Hände wie ein Mädchen. Ihr Mann und sie hatten die Republik gehasst. Sie hingen an der Monarchie, empfanden den verlorenen Krieg als Schmach und die Roten als eine Horde kulturloser Banausen. Fred war wie Jonny Mitglied im Kolonialverein. Ob er einer der deutschnationalen Parteien angehörte, wusste Lysbeth nicht genau, aber zumindest teilte er deren Gesinnung. Die Stahlhelmer waren genau die Männer, denen er zugehörte: Sie hatten den Kapp-Putsch getragen und setzten sich aus den alten Kämpfern zusammen.

Wie eine graue Masse schoben sie voran.

»Sie strahlen so viel Ruhe aus, sie wirken so durchgeistigt, nicht wahr?«, raunte Luise über ihre Tochter hinweg zu Lysbeth. Auf ihren Fahnen waren die alten Farben Schwarz-Weiß-Rot, die Farben des monarchistischen Deutschland vor dem verlorenen Krieg. Die Stahlhelmer hatten diese Fahnen mit einem Trauerflor versehen. Jedes Mal, wenn eine solche an ihnen vorüberzog, hob Fred den Hut als eine demonstrative Geste der Hochachtung. Auf der anderen Straßenseite standen vier junge Männer in SA-Uniform, sie grüßten jede Stahlhelmfahne durch Erheben der Hand. Luise hatte Tränen in den Augen, als sie laut zu Fred und Lysbeth sagte: »Wie schön und erhebend, dass der Bruderzwist zwischen NSDAP und Stahlhelm, der uns so betrübte, beigelegt ist. So wie heute Abend, so müsste es bleiben.«

Den Schluss des Zuges bildeten die SS-Leute. Die Menschen am Straßenrand waren wie berauscht vor Begeisterung, geblendet vom Licht der Fackeln gerade vor ihren Gesichtern und immer in ihrem Dunst wie in einer süßen Wolke von Weihrauch. Und vor ihnen Männer, Männer, Männer, braun, bunt, grau, braun, eine Flut von einer Stunde und zwanzig Minuten. Im zuckenden Licht der Fackeln meinte Lysbeth nur einige Typen zu sehen, die immer wiederkehrten, aber es waren über zwanzigtausend verschiedene Gesichter.

Neben Lysbeth stand ein Mann, auf dessen Schultern ein kleiner Junge saß, der nicht müde wurde, seine Hand zum Hitlergruß zu erheben und zu rufen: »Heil Hitler, Heil Hitlermann!«

Lysbeth hatte das Gefühl, dass sich in ihrem Magen ein dicker Klumpen aus Angst und unterdrückter Wut zusammenballte. »Juda, verrecke«, riefen die Männer im Zug wie die Menschen am Straßenrand. Und sie sangen vom Judenblut, das vom Messer spritzen solle.

Als der Zug sich auflöste, trafen sie die Gemüsefrau, die immer noch von den Studenten schwärmte. »Sie waren doch die schönsten, nech?« Ein Herr in Gehrock und Zylinder begab sich neben Fred und sagte laut: »Der Eimsbütteler Turnhalle gegenüber stand der Führer der Hamburger Nationalsozialisten und neben ihm, die Hand an der Mütze, der Führer des Hamburger Stahlhelm, Korvettenkapitän Lauenstein, der vor wenigen Monaten von SA-Leuten niedergestochen wurde. Nun grüßte er den Vorbeimarsch der SA und der SA-Führer grüßte den der Stahlhelmer. Was für ein Augenblick!«

Luise jubelte: »Dieser Moment war der schönste in meinem Leben!«

Als alles vorüber war, war es doch noch nicht vorüber, denn den letzten SS-Leuten schloss sich eine harmlos vergnügte Menschenmenge mit Fackelresten an und machte ihren eigenen Fackelzug. Als Lysbeth sich von den Solmitz verabschiedete, war es Mitternacht geworden. Gisela sah aus, als würde sie gleich im Stehen einschlafen.

Luise drehte sich nach der Verabschiedung noch einmal um und rief hinter Lysbeth her: »Einigkeit, endlich, endlich! Da wir doch einmal Deutsche sind.« Und nach ein paar weiteren Schritten hörte Lysbeth, wie Luise rief: »Was muss Hitler empfinden, wenn er die hunderttausend Menschen marschieren sieht, die er rief, denen er die nationale Seele einhauchte oder wieder aufrichtete, Menschen, die bereit sind, für ihn zu sterben. Nicht nur so dahergesagt, nein, im bittersten Ernst!«

»Gute Nacht, Frau Solmitz«, sagte Lysbeth laut und schloss die Haustür auf.

In der Küche saßen Stella und die Tante und warteten auf sie. »Na«, fragte die Tante neugierig, »wie...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2010
Reihe/Serie Die Geschichte der Wolkenraths
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Geisteswissenschaften Philosophie Ethik
Schlagworte Familiengeheimnisse • Frauen • Nazis • Roman • Widerstand • Wolkenraths
ISBN-10 3-10-400887-6 / 3104008876
ISBN-13 978-3-10-400887-5 / 9783104008875
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