Herzsprung (eBook)
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20111-8 (ISBN)
Ildikó von Kürthy ist Journalistin und eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihre Bücher sind Nummer-1-Bestseller, wurden mehr als sieben Millionen Mal verkauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ildikó von Kürthy ist Gastgeberin des Podcasts «Frauenstimmen», sie berichtet auf Facebook und Instagram über Wichtiges und Nichtiges und schreibt einen regelmäßigen Newsletter. Neuigkeiten und aktuelle Tourdaten auf: www.ildikovonkuerthy.de
Ildikó von Kürthy ist Journalistin und eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihre Bücher sind Nummer-1-Bestseller, wurden mehr als sieben Millionen Mal verkauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ildikó von Kürthy ist Gastgeberin des Podcasts «Frauenstimmen», sie berichtet auf Facebook und Instagram über Wichtiges und Nichtiges und schreibt einen regelmäßigen Newsletter. Neuigkeiten und aktuelle Tourdaten auf: www.ildikovonkuerthy.de
5:37
Philipp schmatzt leise im Schlaf und drückt sich mein Kuschelkissen an die Brust. Es ist ein eigentümliches Phänomen: Da ich leicht friere und sehr anlehnungsbedürftig bin, schlafe ich jede Nacht auf meinem Lammfell ein, mit meinem prall gefüllten Kuschelkissen im Arm. Es geht nicht anders. Selbst übers Wochenende verreise ich stets mit einem sehr großen Koffer, da ich ohne diese Schlafutensilien niemals das Haus verlassen würde.
Doch jeden Morgen, den ich in den vergangenen Jahren neben Philipp von Bülow erwacht bin, liegt er auf meinem Lammfell und hält mein Kuschelkissen so innig umschlungen wie Mel Gibson seinen nach vielen Tagen aus den Fängen des bösen Entführers befreiten Sohn in «Kopfgeld». Keine Ahnung, was nachts in unserem Bett passiert.
Wir sind seit zweieinhalb Jahren ein Paar. Ein Hamburg-Berlin-Paar. Ein Paar der verlängerten Wochenenden. Ein Paar, das jeden Tag dreimal telefoniert und sich die Gute-Nacht-Küsse fernmündlich verabreicht. Wir haben alles doppelt: Zahnbürste, Haarbürste, Nagelschere, Pinzette, Nachtcreme, Tagescreme. In jeder Stadt eine. Bloß mein Kuschelkissen und mein Lammfell schleppe ich ständig hin und her. In jedem Leben muss es Dinge geben, die es nur einmal geben kann. Frage mich, wie Phillip während der Woche schläft, wenn er nachts nicht jemandem etwas wegnehmen kann.
Er schmatzt schon wieder im Schlaf.
Ach, mein Bülowbärchen.
Diesen phantasievollen Kosenamen hatte ich zunächst nur gewählt, um Philipp zu ärgern. Das ist anfangs auch gelungen, weil der Adelige ja nicht gerne seinen Namen zur allgemeinen Belustigung freigibt. Aber wie das so ist. Wenn man sich nur lange genug über etwas ärgert, gewöhnt man sich am Ende daran. Meine Scheibenwischer, um diese Theorie mal zu veranschaulichen, gaben drei Monate lang ein lautes metallisches Klacken von sich, wenn sie ihren Dienst verrichteten. Und da, wo ich lebe, in Hamburg, haben Scheibenwischer viel zu tun. Klacker klock … Klacker klock … Bin fast wahnsinnig geworden.
Keiner fand die Ursache. Und dann eines Tages, ohne Grund, ohne Reparatur, funktionierten sie wieder geräuschlos. Und was geschah? Ich konnte diese bedrückende Stille kaum ertragen.
Übrigens, auch das eine eindrucksvolle Bestätigung meiner These, vermisse ich bis heute auch die beiden Zeuginnen Jehovas, die ein Jahr lang jeden Dienstagabend vor meiner Tür standen und mir was vom Paradies erzählen wollten, und dass da gar nicht mehr so viele Plätze drin frei seien. Habe sie immer weggeschickt, jeden Dienstag gegen 19 Uhr 30. Seit sechs Wochen sind sie nicht mehr gekommen, und ich überlege, ob ich in der Jehova-Kundenzeitschrift «Der Wachturm» eine Suchanzeige aufgeben soll. Ja, ich bin sicher, ebenso würde mein Philipp seinen ungeliebten Kosenamen vermissen. Aber das ist vermutlich ziemlich naiv gedacht.
Meine schlechteste Eigenschaft ist: Naivität. Ich meine, ich arbeite daran, aber solche festgetretenen Charakterzüge sind verdammt schwer loszuwerden. Ich geh mir ja selbst damit auf die Nerven, aber ich bin wirklich sehr leicht zu beeindrucken. Rechne immer damit, dass man mir die Wahrheit sagt. Glaube bis heute an die Treue – nicht an meine allerdings, aber das ist ja auch was anderes. Zähle nie das Wechselgeld nach und glaube jedem, der sagt, dass er in seinem Leben noch keine faszinierendere Frau als mich kennen gelernt hat.
Diese Kombination fataler Charakterzüge hat sich im Laufe meines Lebens manches Mal als ungünstig erwiesen. Vier Monate meines Lebens habe ich zum Beispiel mit einem Oberlippenbartträger verplempert, der mich, damals süße siebzehn, auf der Straße ansprach, ob er mich als Model casten dürfe.
«Du wirst das sicher ständig gefragt», sagte er. Und ich glotzte ihn blauäugig an und sagte «Hmpf.» Weil mich das noch überhaupt nie jemand gefragt hatte. Ich strich mir mit einer irrsinnig modelhaften Geste mein Haar aus der Stirn und nölte gelangweilt: «Ach, ich weiß nicht …»
Was soll ich sagen? Am selben Abend habe ich mit dem Oberlippi geschlafen und tags darauf meinen super-super-netten ersten Freund verlassen. Damals war er nur eine Klasse über mir, aber heute ist er Kinderarzt in München. Siggi, wenn du das liest: Verzeih mir!
Model bin ich nicht geworden. Der Schuft, der mir mein Urvertrauen raubte, war Autoverkäufer, trank Wasser aus Dosen, trug Polyester-Unterhosen und sagte so Sachen wie: «Wenn ich meine Hose aufmache, dann denkst du, die Feuerwehr hätte einen Schlauch liegen lassen.»
Ich schäme mich, dass ich so lange gebraucht habe, diesen Schmutzfink zu durchschauen. Übrigens: er hat mich nach vier Monaten verlassen. Angeblich wegen eines Models.
Naivität und die mangelnde Fähigkeit zu Brutalität haben mich weitere zweieinhalb Jahre gekostet. Das war die Zeit mit Honka. Er hieß eigentlich Rüdiger, aber weil er so wahnsinnig lieb, wohlerzogen und harmlos war, hatten sie ihn schon in der Schule nach dem berühmten Massenmörder getauft.
«Mein Spitzname ist das Schlimmste an mir», hatte sich Honka mir vorgestellt. Hätte ich geahnt, dass das ernst gemeint war, hätte ich mich erst gar nicht auf ihn eingelassen. Aber unsere Begegnung war mir schicksalhaft erschienen: Sein Hund hatte mich angesprungen und vom Fahrrad geworfen, ich hatte mir den Fuß verstaucht, Honka hatte mich ins Krankenhaus gefahren – und war dort ohnmächtig geworden. Ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergehen würde. Ich war Mitte zwanzig und wusste noch nicht, dass man Männer meiden muss, denen noch nicht mal ihr eigener Hund gehorcht.
Honka war das, was man pflegeleicht nennt. Er zog sich zurück, wenn ich meine Ruhe haben wollte – selbst wenn ich meine Ruhe gar nicht haben wollte, sondern bloß mal gerne von ihm gestört worden wäre. Er tröstete mich, als meine beste Freundin für ein Studienjahr nach Australien ging. Er brachte mich nach Hause, wenn ich auf Partys sturzbetrunken anfing, den Gastgeber zu bepöbeln. Er ertrug es mit stoischer Ruhe, dass ich Cannabis-Pflanzen auf dem Balkon unserer WG züchtete und unseren Nachbarn, einen Polizeihauptwachtmeister, bat, sie zu gießen, während wir im Urlaub waren. Er hielt den Schirm über mich, wenn es regnete. Wenn ich in der Sonne lag, stellte er sich den Wecker, um mich alle fünfundvierzig Minuten umzudrehen und einzucremen. Er machte mir Obstsalat, damit ich genug Vitamine bekam. Wenn ich ihn anschrie, verließ er schweigend den Raum und kam nach einer halben Stunde wieder, um zu fragen, ob ich mich abgeregt hätte und wir jetzt gemeinsam «Tatort» kucken könnten. Er lackierte mir die Fußnägel, massierte mir die Kopfhaut, und, hätten wir geheiratet, er wäre bestimmt bereit gewesen, einen Doppelnamen zu tragen: Rüdiger Meier-Sturm. Bäh!
Ich meine, nichts gegen Männer, die ihren angebeteten Frauen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Aber es ist ein schmaler Grat zwischen Mann und Memme. Zwischen Kavalier und Beckenrandschwimmer. Wer will schon einen, der sich alles gefallen lässt? Ich hatte mal einen, nach dem warf ich im Streit eine Flasche Pellegrino. Im Restaurant. Ich verfehlte ihn nur knapp. Er lächelte, ging und war für drei Tage verschwunden. Drei Tage! Als er zurückkam, küsste er mich und sagte: «Schätzchen, ich liebe es, wenn du wütend wirst.»
Das, liebe Freunde, ist männlich. Das macht Eindruck.
Nichts ist schlimmer an einem Mann, als wenn er Frauen versteht. Doch, vielleicht eines: Wenn ein Mann in der Lage ist, seine Gefühle zu zeigen und über sie zu sprechen. Das ist enorm verunsichernd und raubt jeder Beziehung die Basis.
Es ist zwar wahr: Ich kenne keine Frau, die ihren Mann nicht wenigstens zweimal in der Woche anpflaumt, er sei emotional verkümmert und sie wünsche sich nichts sehnlicher, als dass er ihr mitteile, was in ihm vorgehe. Aber wahr ist auch: Es gibt nichts Entwürdigenderes, als wenn Männer mitteilen, was in ihnen vorgeht.
Wer will das wissen, wenn es deinen Liebsten vor unterdrücktem Schluchzen schüttelt, während er sich das Finale von «Dornenvögel» ansieht? Oder wenn er abends unvermittelt den Fernseher ausknipst und sagt: «Ich will jetzt mal ganz offen mit dir über meine inneren Verunsicherungen sprechen.»
Seien wir ehrlich: Emotionen sind Frauensache. Da kennen wir uns besser aus. Das ist unser Revier. Da machen wir einfach die bessere Performance: hysterische Anfälle, mit zerbrechlichen Gegenständen werfen, Heul- und Lachkrämpfe, aus Beziehungsratgebern zitieren und in der Badewanne weinend Randy Crawford hören – irgendein Grund findet sich immer.
Das einzige Gefühl, das Männer offen zeigen dürfen, ist ihre Liebe zu uns. Und den blanken Hass, wenn eine weibliche Schnecke im Fiat Punto direkt vor ihnen sicherheitshalber schon mal bei Grün bremst. Weil auf Grün folgt ja bekanntlich manchmal ganz, ganz plötzlich Gelb – und die siebenundsechzig Fahrstunden sollen ja nicht umsonst gewesen sein.
Aber zurück zu Honka. Dieser Mann war so unangreifbar, so perfekt, so irrsinnig langweilig, so gar nicht schwierig, so waaaahnsinnig lieb, dass ich es zweieinhalb Jahre nicht übers Herz gebracht habe, mich von ihm zu trennen.
Zweieinhalb Jahre habe ich mich nicht getraut, ihm zu sagen, dass ich ihn nicht liebe, weil ich fürchtete, er könne das persönlich nehmen. Für eine Trennung fiel mir einfach kein triftiger Grund ein.
Ich hielt aus und betrog ihn ab und zu mit irgendwelchen gepiercten DJs und leicht verführbaren Volleyballern, um meinen Kindern und Kindeskindern später mal wenigstens ein bisschen was von einer wilden...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2010 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 30+ • Beziehung • Eifersucht • Frauenroman • Liebe • Liebeskummer • Road Trip • Sex |
ISBN-10 | 3-644-20111-0 / 3644201110 |
ISBN-13 | 978-3-644-20111-8 / 9783644201118 |
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