Endlich! (eBook)
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20511-6 (ISBN)
Ildikó von Kürthy ist Journalistin und eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihre Bücher sind Nummer-1-Bestseller, wurden mehr als sieben Millionen Mal verkauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ildikó von Kürthy ist Gastgeberin des Podcasts «Frauenstimmen», sie berichtet auf Facebook und Instagram über Wichtiges und Nichtiges und schreibt einen regelmäßigen Newsletter. Neuigkeiten und aktuelle Tourdaten auf: www.ildikovonkuerthy.de
Ildikó von Kürthy ist Journalistin und eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihre Bücher sind Nummer-1-Bestseller, wurden mehr als sieben Millionen Mal verkauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ildikó von Kürthy ist Gastgeberin des Podcasts «Frauenstimmen», sie berichtet auf Facebook und Instagram über Wichtiges und Nichtiges und schreibt einen regelmäßigen Newsletter. Neuigkeiten und aktuelle Tourdaten auf: www.ildikovonkuerthy.de
«Das Geheimnis meiner guten Ehe? Ich war immer verliebt – selbstverständlich nicht in meinen Mann.»
Tante Helga
Als Johanna in mein Leben trat, tat sie das mit einer Wucht, die mich an das Auftauchen der Brachiosaurier in «Jurassic Park» erinnerte. Plötzlich war sie da, die Erde erzitterte, und das Chaos, das sie hinterließ, war unübersehbar und nachhaltig.
Ich saß in einem Wartezimmer und benutzte meine Zeitung wie einen Sichtschutz. Ich hatte mir am Bahnhof extra die «Zeit» gekauft – was ich sonst ja gar nicht so oft tue –, weil sie mir vom Format her für meine Zwecke am dienlichsten schien.
Hinter den großen, ehrwürdigen Seiten hoffte ich Schutz und Sicherheit und vielleicht sogar ein klitzekleines bisschen des Selbstbewusstseins wiederzufinden, das mir während der dreistündigen Zugfahrt abhandengekommen war. Von Stade nach Berlin, mit einmal Umsteigen.
Bereits kurz nach Hamburg hatte ich mich wie ein Häuflein Dreck gefühlt. Ich wusste genau, warum Marcus mich zu der Spezialpraxis nach Berlin geschickt hatte. Er hatte was von «international anerkannten Experten» gesagt – und das stimmte ja auch. Was er nur dachte, aber nicht sagte, war, dass mich in Berlin niemand erkennen würde. Ohne Aufsehen, ohne Gerüchte, ohne peinliche Nachfragen würde dort die ganze Sache über die Bühne gebracht werden. Denn auf so was wirst du ja nur sehr ungern im Lions Club, beim Tennisspielen oder während des Adventscafés der Kirchengemeinde angesprochen.
Ich ärgerte mich über Marcus, aber ganz besonders ärgerte ich mich darüber, dass ich ihn nicht aus Überzeugung beschimpfen konnte, weil ich nämlich ganz genauso dachte wie er. Ich schämte mich. Wir schämten uns. Aber das hatten wir uns nie eingestanden.
Ich saß also hinter der «Zeit» und wartete darauf, dass mein Name aufgerufen werden würde, als ich merkte, wie sich die Atmosphäre im Raum veränderte. Eine Frau mit einer sehr lauten und vollen Stimme sagte: «Guten Tag allerseits!»
Und das war schon mal der Gipfel.
In Wartezimmern, besonders in einem solchen, sagt man nicht laut «Guten Tag!». Das schickt sich nicht. Das gilt übrigens auch für Dampfbäder, U-Bahnen und Arbeitsämter. Da möchte man nicht offensiv begrüßt und dadurch aus der schützenden Anonymität herausgerissen werden. Kein Blickkontakt, kein Lächeln, kein Smalltalk. Wenn man den Diskretionsabstand schon räumlich nicht einhalten kann, dann wenigstens mental.
Ich zuckte zusammen, hielt meinen Blick konstant auf das «Zeit»-Feuilleton gerichtet und hasste die laute Frau auf der anderen Seite meiner Zeitung inbrünstig und auf der Stelle.
Der Sprechstundenhilfe schien es ähnlich zu gehen, denn ich hörte sie in einem selbst für Berliner Verhältnisse sehr mürrischen Ton fragen: «Wie ist denn bitte schön Ihr Name, und was wünschen Sie?»
«Johanna Zucker ist mein Name, und was glauben Sie denn, was ich wünsche? Bin ich hier in einem Gemischtwarenladen oder was? Ich will ein Kind! Sonst wäre ich ja wohl nicht hier.»
Ich saß wie versteinert hinter meiner dünnen Mauer aus Papier. Unter anderen Umständen hätte mir die Frau gefallen können. Laut, lustig, selbstbewusst. Alles, was ich nicht, zumindest aber viel zu selten bin.
In guten Momenten kann ich solche Frauen mit freundlichem Neid bewundern. So, wie ich Mutter Teresa für ihre Güte, Heidi Klum für ihre Disziplin und ihre Haare und jede Nobelpreisträgerin für ihre Intelligenz und ihre Fähigkeit bewundere, sich über Jahre hinweg auf eine einzige Sache zu konzentrieren.
Wie gesagt, das gelingt mir in guten Momenten. Aber das hier war definitiv kein guter Moment. Es war ein echter Scheißmoment, und in solchen bin ich nicht großzügig und interessiert an imposanten Vorbildern.
Nein, ich bin verbiestert, spießig, kleinbürgerlich und unsicher und kann es nicht ausstehen, wenn eine andere das nicht ist.
Da lobte ich mir doch die Dame rechts neben mir, die komplett in Grau gekommen war. Graue Kleidung, graues Schuhwerk, graue Haut. Die Frau hatte nicht ein einziges Mal aufgeschaut und die Hände so fest ineinander verschränkt, dass sie ihre Finger womöglich niemals würde entwirren können. Ein mustergültiges Verhalten für einen Ort wie diesen.
In diesem Moment wurde mein Name aufgerufen.
«Frau Hagedorn? Bitte folgen Sie mir.»
Ich schlich mit gesenktem Kopf hinter der Sprechstundenhilfe her und wagte einen Blick auf Johanna Zucker.
Leider sah ich sie nur von hinten, aber das reichte völlig, um meinem Hass auf sie neue Nahrung zu verschaffen: groß, schlank, kurze, hellblond gefärbte Haare.
Mir wurde sofort klar, dass es sich bei Johanna Zucker um eine Frau ohne akzeptable Figurprobleme handelte. Höchstwahrscheinlich hatte sie als junges Mädchen zu jenen gehört, denen die Mutter Sahne statt Milch über die Cornflakes gießt und die im Restaurant ermuntert werden, eine Extraportion Pommes zu bestellen.
Mir hingegen hatte man schon früh vom Nachtisch abgeraten und fettreduzierte Milchprodukte empfohlen. Ich konnte Kalorien zählen, bevor ich lernte, wie man Mitesser ausdrückt.
Meine Mutter hatte früh geahnt, dass ich ihren gemütlichen Stoffwechsel sowie ihren Hang zum engagierten Aufbau von Fettreserven geerbt hatte, und so war ich aufgewachsen in dem Bewusstsein, ständig von Kalorien bedroht zu sein.
Ich war nie dick, aber ich habe ständig Angst davor, es zu werden. Und ich kann mich Marlene Dietrich inhaltlich voll anschließen, die sagte: «Seit zwanzig Jahren stehe ich hungrig von jedem Tisch auf.»
Johanna Zuckers lange, schlanke Beine steckten wie zum Hohn in, dem Anlass völlig unangemessenen, hochhackigen Stiefeletten und einem skandalös kurzen Rock.
Also ehrlich, diese Person wusste wirklich nicht, was geschmackvolles Benehmen war.
Wo waren wir denn?
Bei «Bauer sucht Frau»?
Nein, wir befanden uns in Berlins renommiertestem Kinderwunschzentrum «Babyhope». Und ich finde, da sollte man lieber die Klappe halten, gedeckte Kleidung tragen und sich der Situation entsprechend zurückhalten.
Wir saßen hier doch alle im selben Boot mit der Aufschrift: «Kinderlos!»
Ein Haufen frustrierter Frauen, die sich nicht damit abfinden können, dass sie keinen Nachwuchs bekommen. Frauen, die der Natur ins Handwerk pfuschen wollen, um den Makel, die Leere, die Sehnsucht loszuwerden.
Kinderlos.
Meine Güte, wie ich diese Bezeichnung hasse!
«Kinderlos» klingt wie «freudlos», «wohnungslos», «arbeitslos» oder – für Frauen um die vierzig mit durchschnittlich ausgebildeter Oberarmmuskulatur ebenfalls ein Unding – «ärmellos».
Die letzte Silbe des Wortes signalisiert deutlich: Da fehlt was! Da gibt es einen schlimmen Mangel, der schnellstmöglich behoben werden muss. Und zwar nicht nur, um der eigenen Existenz Wert und Sinn zu verleihen, sondern auch, um Vater Staat durch verantwortungsvolles Reproduktionsverhalten einen zukünftigen Steuerzahler zu schenken.
Ich wünschte, ich könnte von mir behaupten, dass mir kein Kind zum Glück fehlt. Ich wünschte, ich wäre eine dieser Frauen, deren Leben schon ohne Kind so reich und erfüllt ist, dass sie sich lange und ernsthaft überlegen, ob sie sich den Nachwuchs-Stress wirklich antun wollen. Für die sind Kinder nicht der Sinn ihres Daseins oder das Sahnehäubchen auf dem Kakao. Die machen sich Sinn und Sahne selber und haben tatsächlich was aufzugeben.
Ich ja nicht. Ich habe keine aufsehenerregende Karriere, keine spektakuläre Führungsposition, kein zeitaufwendiges Hobby, kein überbordendes Sexualleben und keine gutgepflegte, brettharte Bauchmuskulatur.
Ich gebe es nur ungern zu: Ein Kind würde mich bei überhaupt nichts stören. Wie bereits erwähnt: neunzehn Grad Durchschnittstemperatur. Perfekt für die Kinderaufzucht. Ich bin sowieso am liebsten zu Hause, gehe gerne vor Mitternacht ins Bett, und die paar schlappen Werbeaufträge, die ich bekomme, könnte ich ohne Probleme während des Stillens, auf dem Spielplatz oder später unauffällig bei sich hinziehenden Elternabenden erledigen.
Ich fühle mich nicht komplett ohne Kind. Ich habe das schreckliche Gefühl, das Beste zu verpassen. Verdammt, in meinem Leben ist noch Platz! Und mein Schwiegervater, mein Bruder und seine Frau mit ihren fetten, hässlichen und schlechterzogenen Gören lassen auch keine Gelegenheit aus, mich auf meinen erbarmungswürdigen Zustand hinzuweisen.
Dabei würde ich mir die Eileiter lieber mit Beton zugießen lassen, als mit solchen Blagen leben und mir vormachen zu müssen, das sei die Erfüllung. Es ist nämlich nicht so, dass ich Kinder besonders mag. Man mag ja auch nicht automatisch alle Männer, bloß weil man gerne einen eigenen will.
Die meisten Kinder, die man so in freier Wildbahn zu sehen bekommt, sind nicht dazu angetan, den eigenen Vermehrungswunsch zu verstärken. Besonders in Freibädern hatte ich in den letzten Jahren immer heimlich, weil politisch unkorrekt, gehofft, aus zwei alarmierenden, weltweiten Phänomenen einen ganz persönlichen Nutzen ziehen zu können: Dank globaler Erwärmung und sinkender Geburtenraten hatte ich mit einem Bombensommer im weitgehend menschenleeren, zumindest aber kinderfreien Erlebnisbad Stade gerechnet.
Jedoch: Ich bin immer wieder enttäuscht worden. Das Wetter war meist durchwachsen, das Babybecken randvoll mit Urin sowie Babys, und vom Fünfer sprangen dicke Teenager, die beim Aufprall auf der Wasseroberfläche eine Detonation auslösten, wie man sie sonst nur aus Katastrophenfilmen kennt.
Ich lag auf...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2010 |
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Illustrationen | Tomek Sadurski |
Zusatzinfo | 2-farb.; mit 18 Ill. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Affäre • Betrug • Ehe • Frau • Frauenroman • Geliebte • Niedersachsen • Partner • Untreue |
ISBN-10 | 3-644-20511-6 / 3644205116 |
ISBN-13 | 978-3-644-20511-6 / 9783644205116 |
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