Dorfpunks (eBook)
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40431-1 (ISBN)
Rocko Schamoni, 1966 in Schleswig-Holstein geboren, veröffentlichte zahlreiche Musikalben, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig solo oder mit Band durch die Republik und hat inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde als Musiker, Autor, Humorist, Schauspieler und so weiter.
Rocko Schamoni, 1966 in Schleswig-Holstein geboren, veröffentlichte zahlreiche Musikalben, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig solo oder mit Band durch die Republik und hat inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde als Musiker, Autor, Humorist, Schauspieler und so weiter.
Gewalt ist unser Geld, und wir wollen gerne zahlen
Die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen außerhalb von Meier’s gab es auf dem Marktplatz.
In Ermangelung ernsthafter Freizeitangebote an die Schmalenstedter Jugend hielten wir uns die meiste Zeit dort auf.
Es gab ja nur das öde Haus der Jugend mit seinem Kicker und dem Fernsehraum, und selbst da tauschte die Stadtverwaltung unseren Jugendschimanski Schorsch Lebewohl gegen einen Vereinswart aus, der zwar nett war, aber besser in einen Kleingartenverein gepasst hätte.
Also hingen wir am Marktplatz oder am Stadtteich rum. Wir waren die Eiterbeulen im Gesicht der alten Dame Schmalenstedt. Eine Schande.
Auf dem Weg zum Markt schrie mir einmal irgend so ein Spießer über den Gartenzaun zu, mich hätte man ja wohl bei Hitler vergessen zu vergasen. Das brachte mich auf die Idee, die Asche von Hitler auf dem Schmalenstedter Flohmarkt zu verkaufen. Ich besorgte mir ein paar weißglasige alte Weinflaschen, füllte etwas Asche hinein und klebte Etiketten drauf: Elvis, Stalin, Kohl, Sid Vicious, Hitler. Auf einen leeren Benzinkanister schrieb ich «Jesus». Ich wollte pro Flasche zwei Mark fünfzig, für den Kanister fünf Mark. Leider blieb ich auf allem sitzen, dafür sagte man mir, dass ich selber auch bald in so eine Flasche kommen würde. Ich ließ die Flaschen als Schenkung an die Stadt und die Öffentlichkeit stehen.
Der Schmalenstedter Marktplatz ist so groß wie ein Fußballplatz. Damals war er geteert, hatte in der Mitte Parkplätze und außen herum eine Straße, um die Parkplätze zu erreichen. Dahinter standen die Geschäftshäuser, alles schön pittoresk und aufgeräumt. Auf der Straße um die Parkplätze drehten die Opel-Prolls kontinuierlich ihre Runden.
Wir verbrachten Tage und Wochen in einer Art Kleinkrieg mit dem örtlichen Sportbekleidungsverkäufer Ehlers, dessen Geschäft an der Paradeseite des Marktplatzes lag. Die Schaufenster hatten breite, niedrige Fensterbänke, die sich hervorragend zum Draufrumfläzen eigneten. So konnten immer einige von uns sitzen, die anderen hingen auf dem Boden rum. Das war unser Lieblingsplatz. Natürlich traute sich kein Kunde mehr, einen Blick in die Auslagen zu werfen, wir waren hässlich, laut und penetrant.
Mittags, wenn die Schule vorbei war, trudelten wir peu à peu ein. Manchmal waren es bis zu zwanzig Leute, die dort rumhingen, meistens aber eher so zwischen drei und zehn. Je überschaubarer die Lage war, desto öfter kam Ehlers raus, um uns zu vertreiben. Am Anfang versuchte er es noch im Guten und bat uns mehrfach zu gehen. Hätten wir wahrscheinlich auch getan, wenn es eine wirkliche Alternative gegeben hätte. Die gab es aber nicht. Und wir waren auch zu stolz, um uns vertreiben zu lassen. Keiner von uns trug Markenklamotten, auch keine gekauften Punkaccessoires, bis auf Nieten, zumindest zu diesem frühen Zeitpunkt nicht. Alles war secondhand und selbst genäht beziehungsweise gedrahtet oder getackert.
Also saßen wir die Sache aus. Und Ehlers’ Kampf wurde über die Monate immer verzweifelter. Irgendwann fing er an zu schreien. Da hatte er sich aber die Richtigen ausgesucht, Schreien fanden wir auch gut. Er geriet mit Piekmeier aneinander. Piekmeier war groß, stark und wild, ein echtes Waldbiest. Sie schrien sich an, dann wurden sie handgreiflich und nahmen sich gegenseitig in den Würgegriff, bis Ehlers nach einiger Zeit keuchend verschwand. Schließlich kam er mit einem Eimer Wasser wieder. Er kippte ihn auf uns, wir sprangen kreischend vor Freude zur Seite und johlten vor Begeisterung. Je mehr Ehlers gegen uns unternahm, desto mehr Spaß hatten wir. Er rief die Polizei, aber die konnten auch nichts gegen uns ausrichten. Wenn sie kamen, standen wir einfach auf und gingen weg. Wenn sie fuhren, setzten wir uns wieder hin. Ist schließlich kein Verbrechen.
Sonntags war Ehlers nicht da. Dann wurde uns oft schnell langweilig. Eine Zeit lang spielten wir «Bullen rufen». Das ging so, dass derjenige, der als Erster die Idee hatte, heimlich zur Telefonzelle ging und den verplombten Nothebel umlegte, um die Polizei zu rufen, weil auf dem Marktplatz angeblich Punker randalierten. Dann versteckte sich der Denunziant, wartete auf die Bullen und konnte genüsslich zusehen, wie alle anderen flüchten mussten und durch die ganze Stadt gejagt wurden, wenn die Kleinstadtpolizisten mit Vollgas und Tatütata auf den Markt gefahren kamen. Ein Mordsspaß.
Einmal wurde nachts auf dem Friedhof randaliert. Irgendjemand hatte mehrere Grabsteine umgetreten und Gräber zertrampelt. Sofort ging in der Stadt die Mär um, wir seien die Täter, und in Schmalenstedt formierte sich so etwas wie eine Bürgerwehr. Sie fingen alle Kurzhaarigen ab, deren sie habhaft werden konnten, bevorzugt allein, und verprügelten sie. Einer nach dem anderen war dran. Dietrich, Sid, Piekmeier …
Ich stand beim Stadtfest auf dem Marktplatz, als zwei gigantische Hände von hinten meine Schultern packten und mich umdrehten. Ich musste hochschauen, um zu erkennen, dass es Klodeckel war, der da vor mir stand. Klodeckel war eine Art Nazi-Bigfoot, ein stumpfer Riese mit Ion-Tiriac-Bart, nicht schnell, aber brutal, und er hatte mich erwischt. Wie ein Schraubstock hielten seine Hände meinen Kopf nach unten, während sein rechtes Knie einer Dampframme in Zeitlupe gleich in mein Gesicht krachte, bis mir das Blut aus der Nase floss. Das mochte er gerne. Irgendwann schmiss er mich wie einen alten Teddy zur Seite. Ich schwor, für die Rache abzuwarten, bis er alt und hilflos war. Jetzt wäre es eigentlich so weit.
Ein anderes Mal kam ich nachts mit Sonny und Bea von Meier’s zurück. Die beiden waren seit einiger Zeit zusammen und so was wie ein Punk-Traumpaar. Bea war wirklich das widerspenstigste Mädchen im Umkreis von dreißig Kilometern, sehr lustig und voller guter Einfälle. Sie war die Tochter eines Schmalenstedter Versicherungsdirektors, aber das sah man ihr nicht an, mit ihren kaputten Strumpfhosen, Nieten überall und blonden Haaren samt lang ins Gesicht hängenden Strähnen. Sonny war sowieso Musterpunk. Er und sein Bruder Jochen sahen immer aus wie Sid Vicious als Zwillingspaar, schwarze Jeans, Lederjacke, Haare stachelig, Moped unterm Arsch. Wir standen vor der Kreissparkasse, es war circa zwei Uhr nachts, und redeten, rauchten noch eine Runde Selbstgedrehte, da hielt auf einmal ein paar Meter von uns entfernt ein kleiner BMW mitten auf der Straße. Zwei Typen stiegen aus. Der eine war etwas kleiner als sein Mitfahrer, stämmig und mit Vollbart. Wir gingen zu ihnen hin und fragten, was los sei. Irgendwie kamen wir mit ihnen ins Gespräch, aber auf einmal holte der Bärtige aus und gab mir eine Kopfnuss, dass mir sofort die Nase aufplatzte. Ich trug damals an beiden Armen breite Lederarmbänder und unter dem linken zur Selbstverteidigung immer ein langes Steakmesser. In meiner Wut riss ich es aus dem Ärmel, ging auf den Typen los und brüllte, dass ich ihn jetzt abstechen würde und solche Sachen. Minutenlang rannte er schreiend um das Auto und ich immer hinterher. Der andere Vogel stand derweil völlig perplex daneben. Dann kam zum Glück die Polizei, um dieser Posse ein Ende zu bereiten, wir waren schon völlig außer Atem. Sie nahmen die beiden fest, irgendwas hatten die ausgefressen, und uns zwangen sie unter Androhung von Jugendklapse auf den Heimweg. Diesen Kampf konnten wir halbwegs als gewonnen ansehen.
Vom Markt aus führt eine kleine Straße zum Gleisplatz, einer unwichtigen Ecke in der unteren Stadt. Über diese Strecke kam ich in einer anderen Nacht zu Fuß von Meier’s zurück. Kurz vor dem Marktplatz hielten mich drei Typen an, breite, stämmige Bauernschläger und dazu total besoffen. Wo hier noch was los sei, wollten sie wissen. Ich versuchte, sie ins Top Ten zu schicken und loszuwerden, ohne dass ihnen auffiel, dass ich Punk war.
Leider hatten sie es da schon versucht, und es war zu. Anlass genug, sofort wieder das alte Nasenspiel zu beginnen. (Erst jetzt beim Schreiben fällt mir auf, wie oft ich auf die Nase bekommen habe. Das muss etwas mit zerstörerischem Neid zu tun gehabt haben.) Der Kleinste und Stärkste von ihnen griff mich an der Gurgel und gab mir eine Kopfnuss. Mir fiel ein, dass ich eine 8-Millimeter-Gaspistole dabeihatte. Flo hatte sie mir besorgt, da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht volljährig war. Ich zog sie und richtete sie auf die drei, während ich einen Meter zurücksprang. Ich schrie sie an, dass sie Schweine seien, was sie von mir wollten, ich hätte ihnen doch nichts getan. Dann erinnerte ich mich, dass ich nur eine einzige Patrone im Lauf hatte. Ich drehte mich um und sprintete los, setzte auf den Überraschungseffekt. Das Problem war bloß, dass ich aus Coolnessgründen keine Schnürsenkel trug. So verlor ich nach wenigen Metern meine Schuhe und flog der Länge nach auf die Fresse, wobei mir die Pistole aus der Hand rutschte. Die Typen standen zuerst fassungslos da, kamen dann aber gleich angerannt. Ich konnte nicht fassen, wie ungerecht die ganze Sache hier lief.
Bauern: Komm her, du Sau, jetz gibs Maul!
Ich: Ey, lasst mich los, ihr Schweine …
Bauern: Was? So, pass auf …
Ich: Ey, warte mal, so eine Scheiße, wenn euch das passieren würde!
Bauern: Hä? Was?
Ich (zornig und den Tränen nahe): Na, ihr geht ’ne Straße lang und wollt nach Hause. Da kommen so Typen und schlagen euch total grundlos aufs Maul. Was hab ich denn getan? Hä? Was denn?
Bauern (erst überlegend, dann auftrumpfend): Na, wenn du uns nich sachst, wo was los ist …
Ich: Wieso, hab ich doch, aber da wart ihr ja schon. Was kann ich denn dafür?
Bauern: Hä? (einer zum anderen) Oder hat der was...
Erscheint lt. Verlag | 5.10.2009 |
---|---|
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Humor • Jugend • Punk • Schleswig-Holstein • Schmalenstedt |
ISBN-10 | 3-644-40431-3 / 3644404313 |
ISBN-13 | 978-3-644-40431-1 / 9783644404311 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 2,3 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich