Die Wunderheilerin (eBook)

(Autor)

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2009 | 1. Auflage
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-41041-1 (ISBN)

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Die Wunderheilerin -  Ines Thorn
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Skandal im mittelalterlichen Leipzig Leipzig, Anfang des 16. Jahrhunderts: Obwohl ein Fluch auf ihm liegt, heiratet die Henkerstochter Priska den Stadtarzt Adam. Eigentlich müsste sie glücklich sein, doch sie weiß genau, dass Adam sie niemals lieben wird. Priska flüchtet sich in die Arbeit als Gehilfin ihres Mannes, schnell geht ihr der Ruf als Wunderheilerin voraus. Besonders beliebt ist sie bei den Frauen. Sie hilft ihnen, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Doch damit gewinnt sie nicht nur Freunde. Besonders ihre Zwillingsschwester Regina neidet Priska das Leben an Adams Seite ...

Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie. Sie lebt und arbeitet in Nordhessen und schreibt seit Langem erfolgreich historische Romane.

Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie. Sie lebt und arbeitet in Nordhessen und schreibt seit Langem erfolgreich historische Romane.

ERSTER TEIL


Erstes Kapitel


Leipzig, im Jahr 1503

Priska riss den Mund auf. Sie wollte schreien, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken! Wie erstarrt stand sie in der Mauernische und sah mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen auf das, was wenige Meter vor ihr geschah!

Ihre Meisterin, die Silberschmiedin Eva, wurde von einem Mann, dessen Gesicht mit einer silbernen Maske bedeckt war, überfallen. Er stieß die Meisterin zu Boden, Eva fiel, im Fallen verschob sich der Rock und entblößte ihre weißen Schenkel. Priska wollte hin, wollte der Meisterin helfen, doch ihre Füße gehorchten ihr nicht. Sosehr sie es auch versuchte, sie konnte sich nicht bewegen.

Der Mann mit der silbernen Maske hatte plötzlich einen schweren Stein in der Hand und holte aus, um Evas Gesicht zu zertrümmern. Die Meisterin krächzte und bedeckte mit beiden Armen das Gesicht.

Immer noch gelähmt vor Schreck, starrte Priska auf den Mann, wartete darauf, dass er den ersten Schlag führte. Ihre Knie wurden weich, und sie musste sich an der Mauer halten, um nicht umzusinken. Ihr Blick hing an dem Mann, der noch immer den Arm erhoben hatte. Priska schloss die Augen!

Doch sie hörte keinen Schrei, keinen Schlag. Nichts. Sie blinzelte, starrte auf den Mann und die Meisterin.

Der Mann öffnete den Mund. Priska hörte seine Worte: «Ich kann es nicht! Auch wenn es meinen eigenen Tod bedeutet, ich kann dich nicht töten.»

Und leiser, unhörbar fast: «Ich liebe dich, Eva. Ich habe dich immer geliebt.»

Sie sah, wie er die Finger der rechten Hand an seine Lippen führte, einen Kuss darauf hauchte und ihn Eva zuwarf. Dann ließ er den Stein einfach fallen, wandte sich um und lief weg.

Mit einem Wimmern sank Priska an der Hauswand hinab. Wie durch einen Nebel sah sie, dass Johann von Schleußig, der Priester, gerannt kam, der Meisterin aufhalf, ihr seinen Umhang über die Schultern legte und die Silberschmiedin mehr davontrug, als dass sie selbst lief.

Priska aber war noch immer unfähig, sich zu bewegen. Der Mann mit der silbernen Maske. Sie hatte ihn gleich erkannt. Es war David, Evas Ehemann und Meister der Silberschmiede, in der sie als Lehrmädchen tätig war.

Ihr Herz schlug in wildem Galopp. Der Meister hatte die Meisterin töten wollen! So, wie er einst den reichen Kaufmann und Nebenbuhler Andreas Mattstedt getötet hatte. Der Meister war ein Mörder und die Meisterin nur mit dem Leben davongekommen, weil es auch in dem Mörderherzen so etwas wie Liebe gab. Vorsichtig spähte sie die Gasse hinunter. Sie hörte von weitem Musik, Gelächter, Spottlieder und zotige Scherze. Es war Fastnacht, und ganz Leipzig war auf den Beinen. In der Nähe kreischte eine Frau auf, als hätte sie jemand in den Hintern oder in die Brüste gekniffen, dann erklang ein derbes Lied. Einer stimmte an, die anderen fielen ein, und schon schallte es bis zu Priskas Ohren:

«Herr Wirt, uns dürstet allen sehr:

Trag auf den Wein! Trag auf den Wein!

Dass dir Gott dein Leid verkehr:

Bring den Wein! Bring her Wein!

 

Sag, Gretel, willst du sein mein Bräutel?

So sprich, sprich! So sprich, sprich!

Wenn du mir kaufst einen Beutel,

vielleicht tu ich’s, vielleicht tu ich’s,

doch zerreiß mir nicht mein Häutel,

nur anstichs, nur anstichs!

 

Du, Hänsel, willst du mit mir tanzen?

So komm ran! So komm ran!

Wie die Böcke woll’n wir ranzen!

Nicht stolpern! Nicht stolpern!

Lass meinen Schlitz im Ganzen!

Schieb nur an! Hans, schieb an!

Der Gesang verlor sich in der Ferne, die fröhliche Meute war weitergezogen.

Priska spürte erst jetzt, wie sehr sie zitterte. Das Zittern kam nicht von der Kälte, nicht vom Schnee, der in dichten Flocken vom Himmel fiel. Nein, es kam aus ihrem Inneren, ließ sie am ganzen Körper erbeben. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um das Klappern der Zähne zu unterdrücken. Vergeblich.

Die Zeit verstrich. Immer noch stand sie in der Mauernische, betäubt vor Schreck. Es erschien ihr unendlich lange her, seit sie sich von den anderen Feiernden getrennt hatte, um nach Hause zu gehen. Plötzlich war die Meisterin vor ihr gewesen. Priska hatte sie einholen wollen, mit ihr gemeinsam nach Hause gehen wollen, doch dann war der Mann gekommen, und sie war in die Nische geschlüpft. Wie lange war das her? Stunden? Tage? Jahre? War es gar in einem anderen Leben gewesen?

Die Glocken der nahen Kirche, die Mitternacht verkündeten, holten Priska in die Wirklichkeit zurück. Über eine Stunde hatte sie hier gestanden. Langsam schleppte sie sich nach Hause. Sie achtete nicht auf den Schnee, nicht auf die Maskierten, die ihr hin und wieder begegneten.

Als sie die Silberschmiede in der Hainstraße erreicht hatte, keuchte sie, als läge ein langer Lauf hinter ihr.

Das Haus lag im Dunkeln. Nur aus der Werkstatt, die sich hinter dem Haus befand, drang ein Lichtschein.

Priska trat an das Fenster der Werkstatt und drückte ihre Wange an die kalte, von Eisblumen bedeckte Scheibe.

Ihre Wange schmerzte, und es dauerte, bis die Eisblumen unter ihrer Körperwärme schmolzen und einen Blick in das Innere der Werkstatt freigaben. Ein Tropfen Wasser rann ihr über die Wange.

Eva stand vor einem Taufbecken und trug mit Stichel und Punzeisen Ornamente auf. Sie war vollkommen in ihre Arbeit versunken, als wäre nichts geschehen, als wäre sie nicht gerade erst einem Mordanschlag entgangen.

Priska presste den Mund, die warmen roten Lippen gegen die Scheibe, schmeckte das Eis und den Dreck auf der Zunge. Wie konnte die Meisterin nach diesem Erlebnis zur Arbeit greifen?, fragte sie sich und versuchte Evas Gesichtsausdruck zu lesen.

Als ob sie ihre Blicke spüren könnte, hob die Meisterin den Kopf und sah zum Fenster. Priska schrak zurück. Aber die Silberschmiedin lächelte und winkte sie mit der Hand zu sich herein. Zögernd betrat Priska die Werkstatt.

«Warum feierst du nicht?», fragte die Lehrmeisterin und deutete mit der Hand nach draußen. «Es ist Fastnacht.»

Priska schaute die Meisterin verwundert an. Wie konnte sie jetzt ans Feiern denken? Warum klang ihre Stimme so ruhig und beherrscht, während Priskas Herz noch immer raste? Priska schüttelte den Kopf. «Bin fürs Feiern nicht gemacht», stammelte sie.

Die Silberschmiedin nickte und setzte sich auf einen Schemel.

«Der Meister ist weg. Für immer. Meine Stiefschwester Susanne ist mit ihm gegangen. Es gibt nun niemanden mehr, der sich um den Haushalt kümmert.»

Priska suchte nach einem Trostwort, doch ihr fiel nichts ein. «Ich habe gesehen, was passiert ist, stand in einer Mauernische», erwiderte sie schließlich. Ihre Wangen brannten wie Feuer. «Ich wollte Euch helfen, wollte schreien, aber ich konnte nicht. Wie erstarrt habe ich dagestanden.»

Eva winkte ab, als wäre es ganz und gar unwichtig, was und wen Priska gesehen hatte.

«Hast du Angst?», fragte sie nur, und jetzt erst sah Priska, dass sie die Hände so verkrampft hielt, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie versuchte, ein tapferes Gesicht aufzusetzen.

«Wovor? Er … er», Priska wagte es nicht, den Namen des Meisters zu nennen. «Er ist doch weg, sagtet Ihr.»

«Ja, er ist weg. Für immer. Die Werkstatt hat keinen Meister mehr. Wir sind schutzlos. Und eine Haushälterin haben wir auch nicht mehr, nun, da Susanne mit ihm gegangen ist.»

Priska wusste nicht, was sie sagen sollte. All ihre Versuche, sich zu beruhigen, waren vergebens. Noch immer schlug ihr Herz hart und schnell, noch immer presste das Grauen ihre Kehle zusammen. «Wenn Ihr wollt, könnte ich den Haushalt übernehmen», stammelte sie schließlich.

Eva seufzte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Du bist eine gute Silberschmiedin. Vom Haushalt verstehst du nichts.»

«Eine Arbeit ist wie die andere. Ich kann lernen», entgegnete Priska.

Eva schüttelte den Kopf. «Einen Mann musst du dir suchen. Am besten einen aus der Zunft. Ich kann nichts mehr für dich tun. Die Werkstatt wird es nicht mehr lange geben.»

Priska spürte, wie ein brennendes Gefühl durch ihre Eingeweide kroch. Vor sechs Jahren hatte die Silberschmiedin ihre Zwillingsschwester Regina und sie aus der Vorstadt geholt. Sie hatte dem Vater, dem Henker, ein paar Gulden auf den Tisch gelegt. Ab sofort wolle sie für Priska und Regina sorgen, hatte die Silberschmiedin gesagt, und die Zwillinge waren mit ihr gegangen, weil der Henker es so befohlen hatte. Später hatte Priska begriffen, warum sie in die Silberschmiede gekommen waren. Die Meisterin hatte beweisen wollen, dass nicht die Herkunft über einen Menschen entscheidet, sondern das, was er daraus macht. Solche neuen Gedanken wurden derzeit oft besprochen, doch Priska verstand nichts davon. Sich seinen eigenen Platz im Leben suchen. Was sollte das sein, der eigene Platz? Nun, das Leben hatte sie in die Silberschmiede gestellt. Und das Leben würde entscheiden, wie es mit ihr weiterging. Wenn die Meisterin sie nicht mehr brauchte und sie verheiraten wollte, so würde sie eben heiraten müssen. Doch das war nicht so einfach, wie es klang.

Die Silberschmiedin sprach weiter: «Um Regina, deine Zwillingsschwester, sorge ich mich nicht. Sie wird leicht einen Mann finden. Ihr brannte der Rock schon vor der Zeit.»

Priska war sich da nicht so sicher. Die Meisterin hatte keine Ahnung vom Leben der niederen Stände. «Wen sollen wir heiraten? Ihr habt uns ausgebildet. Wir haben lesen, schreiben, rechnen, gute Manieren und sogar Latein gelernt. Doch unsere Abstammung bleibt unehrlich. Kein Handwerker wird...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 16. Jahrhundert • Henkerstochter • Leipzig
ISBN-10 3-644-41041-0 / 3644410410
ISBN-13 978-3-644-41041-1 / 9783644410411
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