Mann ohne Makel (eBook)

Stachelmanns erster Fall
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
384 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30021-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mann ohne Makel -  Christian von Ditfurth
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Ein Historiker auf Mördersuche - der atemberaubende, mitreißende Krimi führt den Leser zurück in eines der abstoßendsten Kapitel der NS-Zeit, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Berge von Akten türmen sich seit Jahren unbearbeitet auf Josef Maria Stachelmanns Schreibtisch. Material für seine längst überfällige Habilitation. Doch der Dozent für Geschichte an der Universität Hamburg, gleichermaßen geplagt von Arthritis und Historikerquerelen, hat alles Selbstvertrauen verloren.  Da meldet sich ein ehemaliger Kommilitone und Genosse aus bewegter Zeit, Ossi Winter, inzwischen Kriminalkommissar in Hamburg. Er müht sich seit drei Jahren, eine Mordserie aufzuklären: Wer hat die Frau und zwei Kinder eines angesehenen Hamburger Maklers umgebracht? Es gibt nur eine schwache Spur, und die führt in die Vergangenheit. Winter bittet Stachelmann um Hilfe, und in dem Historiker erwacht die alte Neugier. Stachelmann macht sich auf die Suche und gerät in ein lebensgefährliches Labyrinth. 

Christian v. Ditfurth, Jahrgang 1953, ist Historiker und lebt als freier Autor bei Lübeck. Er hat zuletzt die viel beachteten Romane 'Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus' (1999), 'Der 21. Juli' (2001), 'Der Consul '(2003), 'Das Luxemburg-Komplott' (2005) sowie die Stachelmann-Krimis 'Mann ohne Makel' (2002, KiWi 826, 2004), 'Mit Blindheit geschlagen' (2004, KiWi 924, 2006), 'Schatten des Wahns' (2006, KiWi 1008, 2007) und 'Lüge eines Lebens' (2007, KiWi 1060, 2008) veröffentlicht. Das Hörbuch erscheint im Frühjahr 2009 bei Audiomedia.

Christian v. Ditfurth, Jahrgang 1953, ist Historiker und lebt als freier Autor bei Lübeck. Er hat zuletzt die viel beachteten Romane "Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus" (1999), "Der 21. Juli" (2001), "Der Consul "(2003), "Das Luxemburg-Komplott" (2005) sowie die Stachelmann-Krimis "Mann ohne Makel" (2002, KiWi 826, 2004), "Mit Blindheit geschlagen" (2004, KiWi 924, 2006), "Schatten des Wahns" (2006, KiWi 1008, 2007) und "Lüge eines Lebens" (2007, KiWi 1060, 2008) veröffentlicht. Das Hörbuch erscheint im Frühjahr 2009 bei Audiomedia.

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I

Der Schmerz schoss ins linke Knie. Er unterdrückte einen Aufschrei und blieb stehen. Der Schmerz ließ nach, er ging langsam weiter. Als er die Puppenbrücke überquerte, hatte er das Stechen vergessen.

Das gar nicht so alte Postgebäude neben dem Bahnhof wurde abgerissen. Was von ihm blieb, wartete als eine Ansammlung von Steinen und Geröll darauf, von schweren Lastwagen weggefahren zu werden. Es staubte. Ein Mauerrest mit Fenster stand am Rand der Grube.

Der Bahnhof war älter als das Postgebäude, aber alle Versuche, ihn zu erneuern, wurden aufgeschoben. Erst wenn die letzte Berliner S-Bahn-Station in einen Miniaturpalast verwandelt war, durften die Lübecker hoffen, dass aus dem finsteren Gewölbe mitten in der Stadt ein neuer Hauptbahnhof entstand.

Stachelmann stieß eine Schwingtür am Eingang auf und ging durch die düstere Halle zum Gleis 9, wo der Zug nach Hamburg wartete. Er setzte sich in einen Großraumwagen der ersten Klasse mit blauen Sitzbänken. Am anderen Ende saß am Fenster eine ältere Frau, ein grüner Damenhut mit Silberkettchen ragte über die Rückenlehne des Sitzes vor ihr. Die Lichtanzeige an der Decke des Wagens war ausgefallen. Stachelmann setzte sich auf die Bank am Tisch. Er nahm aus seiner Aktentasche Simone Wagners Hausarbeit, er hatte sie gestern Abend müde weggelegt. Die Arbeit untersuchte die Hypothesen zum Reichstagsbrand im Februar 1933. Wer waren die Brandstifter? Waren es die Nazis? Waren es die Kommunisten? War es der Einzelgänger van der Lubbe? Stachelmann mochte Simone Wagner, sie hatte lebhafte Augen und interessierte sich wirklich für Geschichte. Sie schrieb flott und konnte mit Quellen umgehen. Jedenfalls bei anderen Themen. Beim Reichstagsbrand tappte sie in die Falle. Weil der Brand den Nazis nutzte und wie bestellt ausbrach, mussten sie ihn gelegt haben. Die Geschichte ist oft launisch. Manchmal fügt sie Ereignisse zusammen, wie sonst nur ein Verschwörer es vermocht hätte. Die Leute glaubten dann lieber an einen Verschwörer als an den Zufall. Wenn man es so will, dann ist der Zufall der größte Verschwörer, dachte Stachelmann und beugte sich wieder über Simone Wagners Arbeit. Er würde ihre Thesen bestreiten und ihr eine Zwei geben, für die Mühe, die sie sich gegeben hatte. Und er würde am Beispiel ihrer Arbeit darstellen, dass die Geschichtswissenschaft zwar politische Überzeugungen zum Gegenstand hat, dass diese aber zur Meinungsbildung möglichst wenig beizutragen hätten. Das war leicht gesagt und schwer getan.

Die Waggontür schlug zu, ein Mann betrat schwer das Großraumabteil und setzte sich gegenüber an den Tisch. Stachelmann zog die Hausarbeit näher an sich heran. Der Mann atmete pfeifend, als wäre sein Hals eng. Mit einem Taschentuch wischte er sich Schweiß von der Stirn. Er legte eine Plastiktüte mit dem Aufdruck eines Supermarkts auf den Tisch, stand auf und öffnete ein Fenster im Gang. Ein Pfiff, der Zug ruckelte und rollte los. Der Mann setzte sich, er schnaufte einmal tief. Er schaute sich um, musterte Stachelmann einige Sekunden und zog dann eine Bild-Zeitung aus der Plastiktüte. Er hustete und faltete die Zeitung auf.

Er hielt Stachelmann die Titelseite vors Gesicht. »Tragödie einer Familie« stand da in dicken roten Buchstaben, schwarz und kleiner darunter: »Hamburger Makler (46) verzweifelt – nun auch Tochter (6) tot. Es war Mord!« Ein Schwarzweißfoto zeigte einen Mann mit einer Hand vor den Augen. Daneben ein Farbfoto, ein Mädchen mit blonden Zöpfen, darunter ein Text: »Valentina Holler (6) vergiftet wie ihr Bruder – Opfer eines Serienkillers?«

Was heißt »nun auch tot«?, fragte sich Stachelmann. Er versuchte, den Text des Artikels unter den Überschriften zu lesen. Der Mann gegenüber blätterte um und schaute Stachelmann einen Augenblick durchdringend, an. Statt der Familientragödie hatte Stachelmann jetzt eine barbusige Blondine vor der Nase, die ihn aus den Augenwinkeln musterte. Daneben stand: »Sandra weiß, was sie will.« Stachelmann war egal, was Sandra wollte. Er wollte wissen, was der Familie des Maklers geschehen war. Aber auf Sandra folgten Berichte über das letzte Wochenende der Fußballbundesliga, die hinter Sandras Rücken darauf gewartet hatten, umgeblättert zu werden. Während der Mann sich mit pfeifendem Atem Sandra widmete, las Stachelmann über die Krise des Hamburger Sportvereins, wenigstens das, was auf der oberen Hälfte der Seite stand, da der Mann den Rest der Zeitung nun unter dem Tisch verborgen hielt. Er warf Stachelmann über die Zeitungskante hinweg einen scharfen Blick zu. Dann faltete er die Zeitung zusammen und schob sie über den Tisch. »Bitte sehr!«, sagte er krächzend und stand auf. Er lächelte. Stachelmann glaubte, Spott in dem Lächeln zu erkennen. Als hätte der Mann Stachelmanns wiederholte Bekundung gehört, dieses Blatt fasse er, wenn überhaupt, nur vor dem Händewaschen an und dann auch nur mit zwei Fingern. Der Mann verließ das Großraumabteil. Der Zug hielt in Bad Oldesloe.

Als er wieder zu rollen begann, schlug Stachelmann die Titelseite auf und las die Geschichte. Der Makler wohnte wie andere reiche Hamburger mit seiner Familie nahe der Elbchaussee. Vor zwei Jahren hatten Spaziergänger seine Frau erschlagen im Duvenstedter Brook gefunden. Vor einem Jahr war der zehnjährige Sohn im Schwimmbad vergiftet worden. Jetzt war auch Valentina tot, der Makler und ein vierjähriger Sohn blieben als Einzige übrig. Jedes Jahr ein Mord.

Stachelmann überlegte, wie würde er sich fühlen nach einem solchen Schlag? Er lebte allein in einer kleinen Wohnung in Stietens Gang, der von der Lichten Querstraße abzweigte, die wiederum die Dankwartsgrube mit der Hartengrube verband. In der Altstadtidylle zwischen Mühlenteich und Stadttrave fühlte er sich manchmal einsam. Aber dann las er Geschichten von verschleppten und ermordeten Kindern. Oder von einem Hamburger Makler, den Reichtum und Ansehen nicht davor schützten, seine Frau und zwei Kinder zu verlieren. Was man nicht hat, kann man nicht verlieren. Und man muss keine Angst darum haben.

 

Natürlich erreichte der Zug den Hamburger Hauptbahnhof einige Minuten zu spät. Stachelmann nahm die S-Bahn zum Dammtor. Den Rest des Wegs zur Universität lief er zu Fuß. Er schwitzte, es war schon heiß an diesem Vormittag. Es war Montag, der 9. Juli 2001. Bald würde das Sommersemester zu Ende sein. Dann würden das alte Hauptgebäude und die Betonklötze am Von-Melle-Park, auf die Hamburgs Universität verteilt ist, wieder entvölkert sein.

Renate Breuer winkte mit einem Zettel, als Stachelmann die grün lackierte Stahltür ihres Büros aufstieß. »Ein Anruf für Sie, vor fünf Minuten«, sagte sie, als handelte es sich um etwas Besonders. Für Renate Breuer war fast alles aufregend, obwohl sie schon so viele Jahre als Sekretärin des Historischen Seminars im Philosophenturm arbeitete. Auf dem Zettel standen eine Telefonnummer und ein Name: »Oskar Winter«. Stachelmann setzte sich hinter den Schreibtisch in seinem kleinen Arbeitszimmer und schaute auf den Zettel. Er musste nicht lange überlegen. Oskar Winter, ja, das war Ossi. Wer sonst? Sie hatten gemeinsam studiert in Heidelberg und außerdem versucht, die Weltrevolution anzufachen. Stachelmann griff zum Telefonhörer.

 

* * *

Der alte Mann atmete schwer. Immer wieder hielt er an beim Gehen. Er trug einen hellbeigen Anzug aus festem Tuch, der aus einem besseren Geschäft in Pöseldorf stammen mochte. Ein Schlips in einer unbestimmbaren Mischfarbe passte zum Anzug wie zu den schweren braunroten Schuhen. Der Mann nahm sich sonderbar aus unter all den sommerlich bekleideten Passanten. Schließlich hatte er den U-Bahnhof Kellinghusenstraße erreicht. Erschöpft sank der Mann auf eine Sitzbank, sie war blau und schwarz beschmiert mit Schrift und Zeichnungen. Fuck you! las der Mann auf der Rücklehne der Bank gegenüber. In der U-Bahn war es auszuhalten. Durch geöffnete Fenster strich ein Luftstrom. Er kühlte, obwohl er warm war. An den Landungsbrücken war der Mann wieder ausgeruht. Er stieg um in die S 1 nach Blankenese. Dieser Weg war weiter, aber er sparte ein Umsteigen.

In Blankenese stieg er aus. Er ging gemächlichen Schritts die Dockenhudener Straße hinunter. Er musste haushalten mit seiner Kraft. Ein Auftrag noch. Eigentlich waren es ja zwei gewesen, aber dann hatte er entschieden, seine Sache verlöre ihren Sinn, wenn es keinen mehr gab, der trauerte. Als er die Gätgensstraße erreichte, ging er Richtung Elbe, zum Hirschpark. Am Naturdenkmal setzte er sich auf eine Bank. Erstaunlich, wie viele junge Menschen an einem frühen Mittwochnachmittag Zeit fanden zu bummeln. Möwen vertrieben Tauben und Spatzen im Kampf um Brotkrumen, die Kinder ihnen hinwarfen. Er setzte seinen Marsch fort, erreichte den Elbuferweg und betrachtete die Fracht- und Passagierschiffe auf dem Strom, die den Hafen anliefen oder verließen, Richtung England, Amerika, Asien. Möwen kreisten am blauen Himmel, der Wind trieb Wattewolken vor sich her. Er stieg Jacobs Treppe hoch zur Elbchaussee und ging ein Stück in Richtung Stadtmitte. Er bog links ein in die Holztwiete, dann hatte er sein Ziel vor Augen, eine Jugendstilvilla, weiß verputzt, mit hellblauen Bögen über Türen und Fenstern. In der Nähe des Eingangs parkte ein Polizeiauto. Gegenüber der Rückseite lag eine große Baustelle, abgesichert mit einem Drahtzaun. Ein Bagger grub, sein Dieselmotor stieß schwarzen Rauch aus, ein Lastwagen stand neben einer Bauhütte. Er stellte sich an den Zaun, unter eine Buche, und schaute auf das Villengrundstück. Er hatte die...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2009
Reihe/Serie Stachelmann ermittelt
Stachelmann ermittelt
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1. Fall • Belletristik • Christian von Ditfurth • Deutschland-Geschichte • Hamburg • Historiker • Historikerquerele • Josef Maria Stachelmann • Kiepenheuer & Witsch • Krimi-Reihe • Makel • Mördersuche • Mord-Serie • NS-Zeit • Spannung • Vergangenheit
ISBN-10 3-462-30021-0 / 3462300210
ISBN-13 978-3-462-30021-5 / 9783462300215
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