Totenpfad (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20311-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Totenpfad -  Elly Griffiths
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Alte Rituale und alte Leichen - Dr. Ruth Galloways erster Fall. Vor zehn Jahren verschwand die fünfjährige Lucy Downey. Seitdem schreibt ein Unbekannter verstörende Briefe, die Detective Chief Inspector Harry Nelson von der Norfolk Police um den Schlaf bringen. Als an einem nebligen Herbsttag in den Salzwiesen nahe der Küste Mädchenknochen gefunden werden, ist er sich sicher, dass es Lucys sind. Doch die forensische Archäologin Ruth Galloway sieht auf den ersten Blick, dass es sich um einen Fund aus vor-geschichtlicher Zeit handelt. Damals opferte man Menschen in heidnischen Ritualen - an Plätzen, wo Land und Wasser aufeinandertreffen. Aber was hat das mit Lucy zu tun? Harry bittet Ruth um ihre Mithilfe. Als dann ein weiteres Mädchen verschwindet, muss Ruth erkennen, dass sie den Täter besser kennt, als sie glaubt. Und er sie ... «Ein fesselnder Pageturner mit großartigen Figuren.» Kirkus Reviews

Elly Griffiths lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Brighton. Bisher sind sieben Krimis mit der forensischen Archäologin Dr. Ruth Galloway und DCI Harry Nelson erschienen: «Totenpfad», «Knochenhaus», «Gezeitengrab», «Aller Heiligen Fluch», «Rabenkönig», «Engelskinder» und «Grabesgrund».

Elly Griffiths lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Brighton. Bisher sind sieben Krimis mit der forensischen Archäologin Dr. Ruth Galloway und DCI Harry Nelson erschienen: «Totenpfad», «Knochenhaus», «Gezeitengrab», «Aller Heiligen Fluch», «Rabenkönig», «Engelskinder» und «Grabesgrund». Tanja Handels, geboren 1971 in Aachen, lebt und arbeitet in München, übersetzt zeitgenössische britische und amerikanische Literatur, unter anderem von Zadie Smith, Bernardine Evaristo, Anna Quindlen und Charlotte McConaghy, und ist auch als Dozentin für Literarisches Übersetzen tätig.  2019 wurde sie mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet.

1


Aufwachen hat etwas von Auferstehung. Sich mühsam aus dem Schlaf wühlen, Umrisse erkennen, die sich aus der Dunkelheit lösen, das Klingeln des Weckers hören, wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Ruth streckt den Arm aus und fegt den Wecker zu Boden, wo er vorwurfsvoll weiterklingelt. Stöhnend richtet sie sich auf und zieht die Jalousie hoch. Immer noch dunkel draußen. Das ist doch nicht normal, denkt sie und zuckt zusammen, als sie die kalten Bodendielen unter den Füßen spürt. In der Steinzeit gingen die Leute bei Sonnenuntergang schlafen und erwachten bei Sonnenaufgang. Wie kommen wir eigentlich darauf, dass wir es richtig machen? Man nickt auf dem Sofa vor den Spätnachrichten ein und schleppt sich irgendwann nach oben, nur um dann mit einem Rebus-Krimi wach zu liegen, den BBC World Service zu hören und Grabstätten aus der Eisenzeit zu zählen, damit man doch noch irgendwie einschläft. Und dann wacht man am nächsten Morgen im Stockdunkeln auf und fühlt sich wie tot. Das ist doch einfach nicht normal.

Unter der Dusche gehen die verklebten Augen auf, und das Haar fließt ihr nass den Rücken hinunter. Das wäre dann wohl eine Art Taufe. Ruths Eltern sind Christen, Wiedererweckte Christen, und eifrige Verfechter der Ganzkörpertaufe für Erwachsene. Ruth kann den Reiz daran durchaus verstehen, sie hat nur das kleine Problem, dass sie nicht an Gott glaubt. Trotzdem beten ihre Eltern täglich für sie (täglich!), was allerdings bisher nicht allzu viel genützt hat.

Sie rubbelt sich energisch mit dem Handtuch trocken und starrt mit leerem Blick in den beschlagenen Spiegel. Was sie dort sehen würde, weiß sie, aber dieses Wissen ist kaum tröstlicher als die Gebete ihrer Eltern. Schulterlanges braunes Haar, blaue Augen, helle Haut. Und ganz egal, wie sie sich auf die Waage stellt (die seit kurzem ohnehin in den Besenschrank verbannt ist), sie wiegt doch immer dieselben 79 Kilo. Ruth seufzt – ich definiere mich nicht über mein Gewicht, man ist immer nur so dick, wie man sich fühlt – und drückt Zahnpasta auf die Zahnbürste. Sie hat ein wunderschönes Lächeln, doch im Augenblick lächelt sie nicht, und so ist auch das heute Morgen kein Trost.

Fertig geduscht geht sie auf feuchten Sohlen ins Schlafzimmer zurück. Heute hat sie Vorlesungen und muss sich deshalb etwas offizieller kleiden. Schwarze Hose, weites, schwarzes Oberteil. Fast ohne hinzusehen, nimmt sie die Kleider aus dem Schrank. Dabei mag sie Farben und Stoffe und hat eine ausgesprochene Vorliebe für Pailletten, Glasperlen und Strass. Ihrem Kleiderschrank sieht man das allerdings nicht an: eine einzige düstere Reihe dunkler Hosen und weiter Blazer in gedeckten Farben. Die Schubladen ihrer Kiefernholzkommode sind mit schwarzen Pullovern, langen Strickjacken und blickdichten Strumpfhosen gefüllt. Früher hat sie Jeans getragen, aber seit sie bei Größe 44 angelangt ist, trägt sie lieber Cordhosen, selbstverständlich in Schwarz. Jeans sind ohnehin zu jugendlich für sie. Nächstes Jahr wird sie vierzig.

Als sie angezogen ist, steigt sie die Treppe hinunter. Die Treppe in ihrem Häuschen ist ausgesprochen steil, eigentlich eher eine Leiter. «Da komme ich nie im Leben hoch», hat ihre Mutter bei ihrem ersten und einzigen Besuch verkündet. Und Ruth dachte sich im Stillen: Verlangt ja auch keiner von dir. Ihre Eltern haben in einer Pension ganz in der Nähe übernachtet, weil Ruth kein Gästezimmer hat, es gab also gar keinen Grund für Ruths Mutter, nach oben zu gehen (unten ist sogar auch eine Toilette, allerdings gleich neben der Küche, was Ruths Mutter unhygienisch findet). Die Treppe führt direkt ins Wohnzimmer: abgeschliffener Holzboden, ein bequemes, leicht verschossenes Sofa, ein großer Fernseher mit Flachbildschirm und jede Menge Bücher. Hauptsächlich archäologische Fachbücher, aber auch Krimis, Kochbücher, Reiseführer und Arztromane. Ruths Lektürevorlieben sind bunt gemischt. Sie hat eine Schwäche für Kinderbücher, die von Ballett und Reiten handeln, obwohl sie keins von beidem je ausprobiert hat.

Die Küche bietet gerade genug Platz für einen Kühlschrank und einen Herd, doch Ruth kocht so gut wie nie, trotz der vielen Kochbücher. Jetzt macht sie den Wasserkocher an, steckt Brot in den Toaster und schaltet mit geübter Hand das Radio ein. Dann sucht sie ihre Notizen für die Vorlesung zusammen und setzt sich damit an den Tisch am Fenster. Das ist ihr Lieblingsplatz. Vor ihrem Vorgarten mit dem windzerzausten Gras und dem wackligen blauen Zaun beginnt das Nichts. Nur Sumpfland, kilometerweit, hier und da sind mickrige Ginsterbüsche zu sehen und kreuz und quer verlaufende schmale, hinterhältige Wasserläufe. Um diese Jahreszeit ziehen manchmal große Schwärme von Wildgänsen über den Himmel, das Gefieder rosig verfärbt von den Strahlen der aufgehenden Sonne. Heute allerdings, an diesem grauen Wintermorgen, sieht man weit und breit kein einziges Lebewesen. Alles wirkt blass und verwaschen, Graugrün mischt sich mit Grauweiß, dort, wo das Moor in den Himmel übergeht. Und in der Ferne als dunkelgrauer Streifen das Meer, wo die Möwen auf den Wellen an Land treiben. Es ist eine ganz und gar trostlose Landschaft, und Ruth weiß beim besten Willen nicht, weshalb sie das alles so sehr liebt.

Sie isst ihren Toast und trinkt ihren Tee – eigentlich trinkt sie lieber Kaffee, hebt sich den ordentlichen Espresso aber für die Uni auf – und blättert dabei in ihren Notizen, ein ursprünglich sauber getipptes Skript, das inzwischen aber durch die nachträglich eingefügten, verschiedenfarbigen Anmerkungen zu einem wahren Palimpsest geworden ist. «Gender-Fragen der prähistorischen Archäologie», «Das Ausgraben von Artefakten», «Leben und Tod im Mesolithikum», «Die Bedeutung von Tierknochen bei archäologischen Ausgrabungen». Obwohl der November gerade erst angefangen hat, ist das Wintertrimester schon wieder fast vorbei, und Ruth hat nur noch diese Woche Veranstaltungen. Einen Moment lang sieht sie die Gesichter ihrer Studenten vor sich: ernst, fleißig und ein bisschen langweilig. Inzwischen unterrichtet sie nur noch Doktoranden, und manchmal vermisst sie die Studienanfänger mit ihrer unbeschwerten, immer leicht verkaterten guten Laune. Ihre Studenten sind so schrecklich eifrig, sie lauern ihr nach der Vorlesung auf, um mit ihr über den Lindow-Mann und den Boxgrove-Mann zu diskutieren und darüber, ob Frauen in der prähistorischen Gesellschaft nicht doch eine wichtige Rolle gespielt haben könnten. Schaut euch doch mal um, möchte sie dann manchmal antworten. Spielen Frauen etwa in dieser Gesellschaft eine besonders wichtige Rolle? Wie kommt ihr eigentlich darauf, dass eine Horde grunzender Jäger und Sammler fortschrittlicher gewesen sein soll als unsereins?

Der unvermeidliche «Gedanke zum Tage» dringt aus dem Radio in ihr Unterbewusstsein und erinnert sie daran, dass es Zeit zum Aufbrechen wird: «In mancher Hinsicht ist Gott wie ein iPod …» Ruth räumt Teller und Tasse in die Spüle, stellt ihren beiden Katzen, Sparky und Flint, etwas zu fressen hin und verteidigt sich dabei gegen den unermüdlichen, spöttischen Fragensteller in ihrem Kopf. «Ja, ich bin eine alleinstehende Frau mit Übergewicht und ohne Anhang. Und ich habe Katzen. Na und? Zugegeben, manchmal rede ich auch mit ihnen, aber ich erwarte immerhin nicht, dass sie antworten, und ich bilde mir auch nicht ein, dass ich für sie etwas anderes bin als eine äußerst praktische Futterquelle.» Wie aufs Stichwort zwängt sich Flint, ein großer, roter Kater, durch die Katzenklappe in der Tür und richtet seine starren, gelben Augen auf sie.

«Kommt Gott in der Liste unserer kürzlich gespielten Songs vor, oder taucht er nur auf, wenn wir die Zufallsfunktion drücken?», ertönt es aus dem Radio.

Ruth streichelt Flint und geht zurück ins Wohnzimmer, um ihre Unterlagen in den Rucksack zu stecken. Sie wickelt sich einen roten Schal um den Hals – ihr einziges Zugeständnis in punkto Farbe: Schals dürfen schließlich auch dicke Leute tragen – und streift ihren Anorak über. Dann macht sie das Licht aus und verlässt ihr Häuschen.

Ruth bewohnt eines von drei kleinen Häusern am Rand des Salzmoors. Das zweite gehört dem Wärter des Vogelschutzgebiets, das dritte ist ein Wochenendhaus, dessen Bewohner im Sommer hier einfallen, die Luft mit Grilldünsten verpesten und Ruth mit ihrem Geländewagen die Aussicht versperren. Im Frühling und im Herbst ist die Straße häufig überschwemmt, im Winter manchmal völlig unpassierbar. «Warum wohnst du nicht etwas zentraler?», fragen ihre Kollegen. «Es gibt doch wunderschöne Grundstücke in King’s Lynn oder auch in Blakeney, wenn du mehr Natur willst.» Ruth kann sich selbst nicht recht erklären, weshalb sie, ein Großstadtkind, im Süden von London geboren und aufgewachsen, sich zu diesem gottverlassenen, unwirtlichen Sumpfland, dem trostlosen Watt, dieser ganzen unerbittlichen Landschaft hingezogen fühlt. Das erste Mal ist sie aus beruflichen Gründen hierher ans Salzmoor gekommen; weshalb sie trotz aller widrigen Umstände bleibt, weiß sie selber nicht. «Ich bin es eben so gewöhnt.» Mehr kann sie dazu nicht sagen. «Und die Katzen würden auch nicht gerne umziehen.» Dann lachen die anderen. Die gute Ruth mit ihren heißgeliebten Katzen, klarer Fall von Kinder-Ersatz; eigentlich schade, dass sie nie geheiratet hat, wenn sie lächelt, ist sie richtig hübsch.

Heute ist die Straße frei, nur der ewige Wind weht eine dünne Salzspur auf die Windschutzscheibe. Ruth sprüht automatisch Wischwasser darauf, während sie im Schritttempo über den Weiderost holpert und dann der kurvigen Straße ins Dorf folgt. Im Sommer neigen sich die...

Erscheint lt. Verlag 21.12.2009
Reihe/Serie Ein Fall für Dr. Ruth Galloway
Übersetzer Tanja Handels
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Archäologe/Archäologin • Archäologie • Ein Fall für Dr. Ruth Galloway • forensische Archäologie • Küste • Moor • Moorleiche • Mord • Ruth Galloway • Salzwiesen
ISBN-10 3-644-20311-3 / 3644203113
ISBN-13 978-3-644-20311-2 / 9783644203112
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