Colorado Kid (eBook)

Roman

(Autor)

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2009 | 1. Auflage
176 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-03284-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Colorado Kid -  Stephen King
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Auf einer Insel vor der Küste des US-Bundesstaates Maine wird eine männliche Leiche gefunden, die nicht identifiziert werden kann. Ein paar hartnäckige Lokaljournalisten recherchieren den Fall, aber je mehr Spuren sie verfolgen, desto geheimnisvoller wird das Ganze. Handelt es sich um ein schier unmögliches Verbrechen? Oder sogar um etwas noch Befremdlicheres ...?

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

1


Als der Journalist des Boston Globe einsah, dass er aus den beiden alten Männern – der gesamten Belegschaft des Weekly Islander – nichts Interessantes herausbekommen würde, verkündete er nach einem Blick auf die Uhr, er könne noch die Fähre um halb zwei erreichen, wenn er sich beeile. Er dankte den beiden Männern, dass sie sich Zeit genommen hatten, legte Geldscheine auf den Tisch und beschwerte sie mit einem Salzstreuer, damit sie nicht von der steifen auflandigen Brise fortgeweht würden. Dann eilte er von der Terrasse des Grey Gull die Steintreppe hinunter, zur Bay Street und dem kleinen Ort dahinter. Die junge Frau zwischen den beiden Alten hatte er kaum wahrgenommen, nur einige Male mit flüchtigem Blick ihre Brüste gestreift.

Kaum war der Journalist des Globe verschwunden, griff Vince Teague über den Tisch und zog die beiden Geldscheine – zwei Fünfziger – unter dem Salzstreuer hervor. Mit unverkennbarer Genugtuung stopfte er sie in die Pattentasche seines alten, zweckdienlichen Tweedsakkos.

»Was machst du da?«, fragte Stephanie McCann. Sie wusste zwar, dass Vince ihren, wie er sich ausdrückte, »jungen Knochen« gerne einen Schreck einjagte (sie hatte ja selbst Spaß daran), konnte in diesem Moment ihre Verwunderung jedoch nicht verhehlen.

»Wonach sieht es denn aus? «Vince wirkte selbstzufrieden wie selten. Er strich die Patte der Tasche glatt und aß den Rest seines Hummerbrötchens. Dann tupfte er sich den Mund mit einer Papierserviette ab und fing geschickt den Plastikdeckel von der Hummerportion des Globe-Journalisten auf, den eine frischere, nach Salz riechende Böe forttragen wollte. Vince’ Hände waren von seiner Arthritis fast grotesk verformt, dennoch waren sie erstaunlich flink.

»Es sieht so aus, als hättest du gerade das Geld genommen, mit dem Mr Hanratty unser Essen bezahlen wollte«, sagte Stephanie.

»Stimmt genau, Steffi, gut aufgepasst«, bestätigte Vince und zwinkerte dem anderen Mann am Tisch zu. Dave Bowie war fünfundzwanzig Jahre jünger als Vince Teague, wirkte aber gleich alt. Das läge allein an der Grundausstattung, mit der man vom Schicksal auf den Weg geschickt werde, behauptete Vince immer; jeder halte so lange durch, bis er auseinander falle, und vorher würde eben geflickt, was das Zeug halte. Vince war überzeugt, dass selbst Hundertjährigen – ein Alter, das auch er zu erreichen hoffte – das Leben letztlich nicht länger erschien als ein Sommernachmittag.

»Aber warum

»Hast du Angst, dass ich die Zeche prelle und Helen auf der Rechnung sitzen lasse?«, fragte Vince zurück.

»Nein ... Wer ist Helen?«

»Helen Hafner, die Frau, die uns eben bedient hat.« Vince wies mit dem Kinn über die Terrasse, wo eine etwas fülligere Frau von rund vierzig Jahren Teller abräumte. »Denn es ist die Geschäftspolitik von Jack Moody, dem dieses feine Restaurant gehört – er hat es von seinem Vater übernommen, auch wenn das nicht so wichtig ist–«

»Doch, es interessiert mich«, beteuerte Stephanie.

Dave Bowie, seit fast so langer Zeit Herausgeber des Weekly Islander wie Helen Hafner auf der Erde weilte, beugte sich vor und legte seine fleischige Hand auf Stephanies junge, glatte Finger. »Weiß ich doch«, sagte er. »Und Vince auch. Deshalb fängt er immer bei Adam und Eva an, wenn er dir etwas erklärt.«

»Aha, jetzt gibt’s also Unterricht«, sagte Stephanie lachend.

»Genau«, bestätigte Dave. »Und warum machen so alte Knacker wie wir das gerne?«

»Weil ihr nur Schüler habt, die was lernen wollen.«

»Richtig«, sagte Dave und lehnte sich zurück. »Schön.« Er trug weder Anzugjacke noch Blouson, sondern ein altes grünes Sweatshirt. Es war August. Stephanie fand es trotz des auflandigen Windes ziemlich heiß auf der Terrasse des Grey Gull, wusste aber, dass beiden Männern schnell kalt wurde. Bei Dave wunderte sie das ein wenig: Er war erst fünfundsechzig und hatte mindestens fünfzehn Kilo Übergewicht. Vince Teague hingegen wirkte nicht älter als siebzig (ein fitter Siebzigjähriger, trotz seiner verformten Hände), war jedoch Anfang des Sommers schon neunzig geworden und dünn wie ein Aal. »Ein Strich in der Landschaft«, pflegte Mrs Pinder zu sagen, die Teilzeitsekretärin des Islander. Meistens mit verächtlichem Schnauben.

»Im Grey Gull haften die Kellnerinnen für ihre Tische, bis die Gäste bezahlt haben«, erklärte Vince. »Wenn eine Frau bei Jack vorstellig wird und nach Arbeit fragt, sagt er das sofort, damit sie ihm hinterher nicht vorheulen kann, sie hätte es nicht gewusst.«

Stephanie schaute über die Terrasse, die um zwanzig nach eins noch immer zur Hälfte besetzt war. Dann spähte sie in den großen Saal, der einen herrlichen Blick auf die Bucht von Moose Cove bot. Dort war so gut wie jeder Tisch besetzt. Stephanie wusste, dass die Gäste zwischen Ende Mai und Ende Juli draußen bis gegen drei Uhr Schlange standen. In anderen Worten: Im Sommer herrschte Hochbetrieb. Dabei zu erwarten, dass die Kellnerinnen jede einzelne Bestellung im Kopf behielten, während sie sich die Hacken abliefen, um Tabletts mit dampfenden Hummern und Muscheln herauszubringen ...

»Das ist aber ganz schön –« Stephanie verstummte. Sie hatte Angst, dass diese beiden schrägen Vögel sich über sie lustig machen würden. Wahrscheinlich hatten sie den Islander schon zu Zeiten herausgebracht, als es noch gar keinen Mindestlohn gab.

»Unfair? Oder was wolltest du sagen?«, fragte Dave trocken und nahm das letzte Brötchen aus dem Korb.

Bei ihm klang »unfair« wie unfä-or und reimte sich mehr oder weniger mit »ah jo«, der hiesigen Antwort auf alle Fragen, irgendwo zwischen »ja« und »ach, wirklich?« angesiedelt. Stephanie stammte aus Cincinnati, Ohio. Beim Antritt ihres Praktikums beim Weekly Islander auf Moose-Lookit Island hatte sie gedacht, sie würde es niemals schaffen, etwas zu verstehen, der Akzent sei einfach zu schwer. Wie sollte sie etwas lernen, wenn sie nur jedes siebte Wort verstand? Und wie schnell wären die Männer der Meinung, sie sei völlig minderbemittelt, wenn sie ständig bat, den letzten Satz noch einmal zu wiederholen?

Vier Tage nach Beginn ihres viermonatigen Praktikums für die Universität von Ohio war sie kurz davor gewesen, alles hinzuwerfen. Da hatte Dave sie beiseite genommen und gesagt: »Gib nicht auf, Steffi, hab noch ein bisschen Geduld.« Es hatte sich gelohnt: Fast über Nacht hatte sie den Dialekt plötzlich verstanden. Als hätte sie eine Blase im Ohr gehabt, die plötzlich auf wundersame Weise geplatzt war. Selbst wenn sie hier für den Rest ihrer Tage lebte, würde sie zwar niemals wie die Einheimischen sprechen, aber verstehen, »ah jo«, das würde sie sie schon.

»Genau: unfair«, stimmte Stephanie Dave zu.

»Dieser Begriff existiert nicht in Jack Moodys Wortschatz, höchstens wenn er über Sport redet«, sagte Vince, und dann im gleichen Tonfall: »Lass das Brötchen liegen, Dave Bowie, irgendwann platzt du noch, quiek, quiek, kleines Schweinchen.«

»Soweit ich weiß, sind wir nicht verheiratet«, gab Dave zurück und biss ins Brötchen. »Kannst du ihr nicht verraten, was dir durch den Kopf geht, ohne mich dabei zu beschimpfen?«

»Ganz schön vorlaut, was?«, sagte Vince. »Und keiner hat ihm beigebracht, dass man nicht mit vollem Munde spricht.« Er legte den Arm über die Rückenlehne des Stuhls. Der Wind wehte über den funkelnden Ozean und blies Vince das weiße Haar aus der Stirn. »Steffi, Helen hat drei Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Ihr Mann hat sich vom Acker gemacht. Sie will auf der Insel bleiben, aber das schafft sie nur – gerade so –, wenn sie im Grey Gull arbeitet. Denn die Sommer sind ein bisschen fetter, als die Winter mager sind. Kannst du noch folgen?«

»Ja, sicher«, sagte Stephanie. Genau in dem Moment erschien die Frau, die Gegenstand des Gesprächs war. Stephanie bemerkte, dass sie dicke Stützstrümpfe trug, die ihre Krampfadern nicht völlig kaschierten. Außerdem hatte sie dunkle Ringe unter den Augen.

»Hallo, Vince, hallo, Dave«, sagte sie und begnügte sich mit einem Nicken in Richtung des hübschen Mädchens, dessen Namen sie nicht kannte. »Euer Freund ist ja schon gegangen. Musste er zur Fähre?«

»Jawohl«, sagte Dave. »Ihm ist plötzlich eingefallen, dass er noch zurück nach Boston muss.«

»Ah jo? Seid ihr fertig?«

»Ja, aber warte noch ein bisschen mit dem Abräumen«, sagte Vince. »Wenn du Zeit hast, kannst du uns die Rechnung bringen, Helen. Wie geht’s den Kindern?«

Helen Hafner verzog das Gesicht. »Jude ist letzte Woche aus dem Baumhaus gefallen und hat sich den Arm gebrochen! Wie der geschrien hat! Ich hab mich zu Tode erschrocken!«

Die beiden Alten sahen sich an und mussten lachen. Schnell rissen sie sich wieder zusammen und machten zerknirschte Gesichter. Vince entschuldigte sich bei Helen, aber sie war dennoch erzürnt.

»Männer haben gut lachen«, sagte sie mit müdem, sarkastischem Lächeln zu Stephanie. »Als kleine Jungs sind sie selbst aus dem Baumhaus gefallen und haben sich den Arm gebrochen. Sie sind alle mal kleine wilde Racker gewesen. Aber dass ihre Mutter mitten in der Nacht aufgestanden ist und ihnen Schmerztabletten gegeben hat, das wissen sie natürlich nicht mehr. Ich bringe euch die Rechnung.« In ihren abgelaufenen Turnschuhen schlurfte sie davon.

»Sie hat ein gutes Herz«, sagte Dave. Er besaß genug Anstand, um leicht beschämt dreinzublicken.

»Ja, das stimmt«, bestätigte Vince, »und wenn wir von ihr einen...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2009
Übersetzer Andrea Fischer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Colorado Kid
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Ermittlung • Geheimnis • Journalismus • Journalist • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Maine • Mord • Mysterium • Nachforschung • Opfer • Rätsel • Roman • Spannung • Täter • USA • Verbrechen
ISBN-10 3-641-03284-9 / 3641032849
ISBN-13 978-3-641-03284-5 / 9783641032845
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