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Die Kosmonauten (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2009
416 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-03430-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
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Richard David Prechts wunderbarer Liebesroman
In einer Kölner Straßenbahn erobert Georg das Herz einer Unbekannten - Rosalie. Schon bald zieht es die beiden jungen Liebenden aus dem Westen nach Berlin, wo nach Wende und Wiedervereinigung für einen kurzen Moment alles möglich scheint. Während weit oben im All ein letzter sowjetischer Kosmonaut in der letzten sowjetischen Raumkapsel seine Bahnen zieht, erkunden Georg und Rosalie die Stadt wie einen fremden Planeten und lassen sich treiben. Doch die Schwerelosigkeit währt nicht ewig, und schon bald müssen sich die beiden Sternenzähler der neuen Zeit stellen.

Ein humorvoll erzähltes, zärtliches Buch über Liebe, Freiheit und Aufbruch.

Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen große Bestseller und wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF und diskutiert zusammen mit Markus Lanz im Nr.1-Podcast »LANZ & PRECHT« im wöchentlichen Rhythmus gesellschaftliche, politische und philosophische Entwicklungen.

2
Mit dem Himmel fängt es an, dem hellen Grau, das über der Straße liegt. Zu erwähnen sind: die herkömmliche Nässe des Herbstes, der dichte vierspurige Verkehr zwischen den verchromten Häusern der Banken und Versicherungen, die große Betonbrücke über die Straße mit den Bahngleisen in der Mitte und schließlich vereinzelt dunkle Punkte, die gefrorene, stillgestellte Unruhe der Menschen an einer Stra ßenbahnhaltestelle.
Es war nichts Feierliches in diesem Tag, eher etwas Schwermütiges, der dritte Oktober hatte kein gutes Wetter beschert. Georg war früh aufgestanden an diesem Morgen, so wie jeden Morgen, aber ein Morgen wie jeder andere war das nicht. Er hatte soeben seine Arbeit gekündigt.
Nun stand er in schwarzen Jeans und schwarzem Wollpullover an der Haltestelle in die Stadt, lehnte an einer Tafel mit Leuchtreklame, die Arme verschränkt, und fragte sich, wie es ist, wenn man ein altes Leben beendet und ein neues anfängt. Leicht zu sagen war es nicht. Auf der Leuchtreklame zogen Rentiere durch glitzerndes Wasser. Benzindunst lag in der Luft, und die Straßen sahen aus, als wenn sie sich langweilten. Auf den Amseln perlten Tropfen; nass wie Regenschirme hockten sie auf der Laterne, bevor sie fortfahren würden zu singen oder zu sterben. Unentwegt zischten die Autos durch die Pfützen, in gleichem Abstand, wie auf einem Rollband.
Er dachte: immerhin hat diese Strömung mich vorwärts gespült, also war es nicht nur vertane Zeit. Wie gut, dass es vorbei ist, dass es tatsächlich vorbei ist. Er dachte an die Passfotogesichter seiner Kollegen im Büro, wie sie jetzt ihre Rechner anstellten, ihre Kaffeetassen füllten, in Telefonhörer redeten, bis die graue Straße wieder zurückkam, die Autos, die Leuchtreklame, die Menschen und diese junge Frau wenige Schritte entfernt; ihr rotbraunes Haar flatterte ein bisschen. Die große Zeichenmappe unter ihrem Arm hielt sie fest und zusammen, der Oktoberwind konnte ihr wenig anhaben, sie war ernst und ruhig.
Sie sah ihn nicht an, blickte stumm in die Richtung, aus der in wenigen Minuten die Straßenbahn kommen musste. Sie sah sicher aus, unbeirrbar durch den Niesel, die Autos, so als wenn sie in Gedanken gar nicht hier war an dieser Haltestelle.
Georg ging zwei Schritte nach vorn, rückte ein Stück näher an sie heran, stellte den linken Fuß vor; die Leuchtreklame verschwand aus seinem Rücken, er rieb sich das Gesicht, es gab Leichteres, als jetzt beiläufig zu wirken, unbeteiligt an seinem eigenen Blick.
Sie hatte sich geschminkt, sehr dezent, und der Mantel sah teuer aus, ebenso die Schuhe mit den schlanken Absätzen; ihr dichtes Haar aber war wild, als würde es nur vom Wind gekämmt, so als konnte es vielleicht gar nicht gekämmt werden, außer vom Wind.
Er ging jetzt ein paar weitere Schritte, nicht zu ihr hin, sondern gerade nach vorn zum Gleis, um nach der Bahn zu schauen. Erst dann drehte er sich kurz um.
Sah sie an.
In ihr Gesicht.
Sie hatte ihn bemerkt. Sie mochte noch so versunken auf die Straße geschaut haben, sie hatte ihn bemerkt.
Das flüchtige Lächeln, das ihn streifte, war warm.
 

Rosalie hatte soeben gelächelt.
Sie hatte den Kopf schräg gelegt, ihre grünen Augen leuchteten im Regen. Sie hätte ein schwindsüchtiges expressionistisches Mädchen im Pariser Herbst sein mögen, aber sie stand sicher und fest hier an der Haltestelle in Köln. Von draußen drangen Rauschen und Autohupen, drang der Lärm der Straße in ihren Kopf. Sie stand schon länger als zehn Minuten in diesem dichten Nebel aus kalter Nässe, die Straßenbahn wollte nicht kommen.
Sie hatte gelächelt, einen Fremden angelächelt, der sich nach ihr umgedreht hatte. Er war groß, und er war schlank, er hatte kurzes dunkles Haar, etwas Jungenhaftes.
Sie hatte ihn schon vorher bemerkt, wie er an seinen Rentieren vorbei in die Unendlichkeit geschaut hatte.
Sie drehte den Kopf weg und blickte zurück auf die Stra ße. Es war einer dieser Männer, die sie nie ansprachen, die irgendwelche anderen Frauen ansprachen, warum auch immer.
Na ja, auf jeden Fall, er hatte gelächelt.
Rosalie fröstelte.
Wenn die Wolken so tief hängen, ist der Weltraum sehr fern. Die Straßenbahn tauchte aus dem Nebel auf wie ein Raumschiff; die Falttüren pufften auf, sie stieg ein, ihre Absätze schabten auf den Trittstufen, sie setzte sich auf eine Bank ans Fenster; auf dem Sitz neben ihr war Platz.
Sie hatte sich nicht umgedreht, sie brauchte sich nicht umzudrehen.
Er war ihr gefolgt und mühte sich vor ihr am Fahrkartenautomaten. Er schien viel Kleingeld zu haben, das er ausgerechnet jetzt loswerden wollte. Kleines Geld in engen Jeanstaschen und dann auch noch den Pulli darüber.
Er hatte sie vorhin beobachtet.
Rosalie blickte durch die Scheibe. Büsche und Bäume, abgewischt am Fenster.
Er hatte seinen Fahrschein.
Fünf Schritte zu ihr.
Er kam.
Setzte sich neben sie.
Er setzte sich tatsächlich neben sie. Rosalie drehte flüchtig den Kopf.
Er lächelte. Ein wirklich schöner Mann. Ganz eigene Augen, hellblau mit etwas Schiefergrau darin. Das gefiel ihr. Und dann gefiel ihr, was er sagte:
»Ich glaube fast, wir haben denselben Weg.«
 

Sie hatten denselben Weg. Aus der Vorstadt in die Straßenbahn, aus der Straßenbahn in die Stadt. Die Stadt huschte an den Fenstern vorbei, überall erste Stockwerke. Schienengerumpel. Straßenbahngeklingel. Die Häuser verschwanden hinter Rosalies Gesicht. Er sprach sehr vorsichtig hinein, sehr langsam, als habe er Angst, sie zu verletzen. Rosalie lächelte, sie fing seine Worte auf, leicht und sicher und fragte: »Wann musst du aussteigen?«
Es war ein ungewöhnlicher Tag, und das verlangte ungewöhnliche Entscheidungen. Georg war fest entschlossen, überhaupt nicht auszusteigen, wenn Rosalie es so wollte.
»Ich steige am Dom aus«, sagte sie.
»Steigen wir am Dom aus.«
»Und dann?«
»Ich weiß nicht. Was schlägst du vor?«
Rosalie schlug nichts vor. Sie stiegen am Dom aus und standen anschließend eine ganze Zeit lang auf der Domplatte, aufgeregt und unschlüssig. Sie kannten sich eine Viertelstunde, und Rosalie wusste, dass sie jetzt wohl nicht gleich in die Galerie gehen würde an diesem Morgen. Es war das Einzige, dessen sie sich sicher war, und da ihr nichts anderes einfiel, kommentierte sie beiläufig die Arbeit der Pflastermaler. Sie war Kunsthistorikerin, und sie wusste viel zu sagen. Georg wollte ihr länger zuhören, er sah ihre schlanken braunen Hände, die auf das Pflaster zeigten, und schlug das Museum vor.
Das Museum war neu, ein Backsteinbau mit silbernen Stahlhauben. Es musste sehr schön ausgesehen haben, als es noch ein Modell war; jetzt versperrte es ein bisschen den Blick auf den Dom. Gleich hinter dem Eingang lag eine Verkaufsstelle für Kunstpostkarten und Bücher; ein Anziehungspunkt, der alle anderen des Museums übertraf. Schon oft war Georg aufgefallen, dass die Menschen ganz offensichtlich lieber Kopien betrachteten als Originale. Von sich selbst kannte er immerhin die unstillbare Sehnsucht nach genau den Bildern, die es in diesem Museum nicht gab. Kaum hatte man einen der ausgestellten Maler des sechzehnten Jahrhunderts im Museumsshop nachgeschlagen, fand man auf einmal die dunklen Spanier des siebzehnten viel interessanter, die in Amsterdam hingen oder in London. Und hatte man eben noch die feine pastellene Pinselführung in Aristokratengesichtern bewundert, so entbrannte ganz unvermittelt eine geradezu leidenschaftliche Faszination für die großgemalten brennenden Farbtafeln irgendwelcher Amerikaner in New York, deren Katalog man kaufte, mit nach Hause nahm und nie wieder darin blätterte.
Rosalie lächelte, als Georg so wortreich davon erzählte. Sie lösten ihre Eintrittskarten und gingen die breite Treppe hinunter und durch große weiße Räume. Rosalie hatte gezögert, als sie im ersten Raum gestanden hatten, aber schon im zweiten deutete sie auf einige ausgewählte Bilder, die Georg nie aufgefallen wären, wenn sie ihn nicht darauf hingewiesen hätte.
»Die sind ungeheuer.«
Das Bild vor ihnen zeigte einen Mann, war aber auf dem Kopf gemalt, oder verkehrt herum aufgehängt worden.
Georg staunte.
Rosalie mochte am liebsten Bilder mit Menschen, Portraits mit allen Drehungen und Ausschnitten. Er bewunderte ihre Urteile. Bislang hatte er gemeint, dass es schon außerhalb der Bilder genug Menschen gab, und dass er eigentlich viel lieber Stillleben mochte. Jetzt aber sah er am liebsten in Rosalies Gesicht, viel lieber als in jedes andere Gesicht im ganzen Museum.
Im zweiten Stock wurden Georgs Beine schwer; erstaunlich, wie anstrengend es war, durch ein Museum zu gehen. Auch seine Konzentration hatte nachgelassen, wahrscheinlich waren Beine und Geist durch irgendeinen schlecht erforschten Nerv miteinander verbunden. Rosalie hingegen bewegte sich leicht und geschmeidig, trotz ihrer Absätze, betrachtete Bilder mit Händen in den Hüften, rustikal wie ein Sportlehrer, ein anderes Mal ging sie vor und zurück, wobei sie mal die rechte und mal die linke Hand in die Hüfte legte, was unbeschreiblich elegant aussah.
»Was bedeutet das?«, fragte Georg, als sie vor einem Bild standen, das eine amerikanische Fahne darstellte oder eine war.
»Warum sollte es etwas bedeuten?«
»Ich meine, ist es ein Bild, oder ist es eine Fahne?«
»Genau das bedeutet es.«
»Ein Bild oder eine Fahne?«
»Die...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2009
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aufbruch • Berlin • Deutschland • eBooks • Erkundungen • Freiheit • Köln • Liebe • Liebesromane • Paar • Roman • Romane • Schwerelosigkeit
ISBN-10 3-641-03430-2 / 3641034302
ISBN-13 978-3-641-03430-6 / 9783641034306
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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