Finanzmärkte (eBook)
192 Seiten
Schäffer-Poeschel Verlag
978-3-7910-6122-1 (ISBN)
Professor Dr. Herbert Sperber lehrt Finanzmanagement, Volkswirtschaft und Bankwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.
Herbert Sperber Professor Dr. Herbert Sperber lehrt Finanzmanagement, Volkswirtschaft und Bankwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Michael Bloss Michael Bloss ist Direktor der Commerzbank AG und des Europäischen Instituts für Financial Engineering und Derivateforschung (EIFD). Er lehrt an der HfWU.
1.2 Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsgleichung
Deutschland ist traditionell ein Land mit hohen Nettokapitalexporten. Das hängt mit unseren großen Finanzierungsüberschüssen aus dem Güterverkehr mit dem Ausland zusammen (also mit unseren Exportüberschüssen) und ist die Folge davon, dass Deutschland mehr spart, als es im Inland investiert. Der Zusammenhang zwischen Sparen, Investition, Kapitalverkehr und Außenhandel sei an einem Beispiel erklärt:
Beispiel für die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsgleichung
Angenommen, in einer Volkswirtschaft werden in einem Jahr ein Lastkraftwagen (LKW) im Wert von 150.000 Euro und ein Personenkraftwagen (PKW) im Wert von 50.000 Euro produziert und verkauft. Das Volkseinkommen des Landes beläuft sich also auf 200.000 Euro. Der LKW werde von einem inländischen Unternehmen gekauft (Investition), der PKW werde exportiert. Da der Konsum in unserer Volkswirtschaft somit gleich null ist, beträgt die Ersparnis 200.000 Euro. Die Ersparnis werde von den privaten Haushalten bei der einzigen Bank des Landes angelegt und von dieser an den inländischen Unternehmer ausgeliehen, der mit dem Geld seine Investition in den LKW in Höhe von 150.000 Euro finanziert. Die verbleibenden 50.000 Euro vergibt unsere Bank als Kredit an eine (die einzige) ausländische Bank. Dies geschieht in der Weise, dass unsere inländische Bank dem Währungskonto, das die ausländische Bank bei ihr unterhält, 50.000 Euro gutschreibt. Sie geht damit eine Verbindlichkeit gegenüber der Auslandsbank ein, indes steigen in gleicher Höhe ihre Auslandsforderungen. Das Nettoauslandsvermögen des Inlands und des Auslands ändert sich also durch die Kreditvergabe selbst nicht. Aber unser Beispiel ist noch nicht zu Ende erzählt.
Die ausländische Bank gibt ihrerseits einen Kredit in Höhe von 50.000 Euro – jedoch in ihrer eigenen Landeswährung – an einen privaten Haushalt ihres Landes. Dieser bezahlt damit den PKW, der aus unserem Land importiert wird. Die Bezahlung erfolgt dadurch, dass die ausländische Bank das Konto ihres Importeurs-Kunden mit 50.000 Euro bzw. dem Gegenwert in der Landeswährung belastet. Gleichzeitig bucht unsere inländische Bank vom bei ihr geführten Währungskonto der Auslandsbank den Betrag von 50.000 Euro ab und überweist das Geld auf das Konto ihres inländischen Exporteurs-Kunden (PKW-Hersteller). Die im Zuge der ursprünglichen Kreditvergabe eingegangenen Auslandsverbindlichkeiten unserer inländischen Bank in Höhe von 50.000 Euro verschwinden, während die entsprechenden Auslandsforderungen bestehen bleiben. Das heißt, unser Land hat netto Auslandsforderungen erworben (Nettokapitalexport) während das Ausland netto Verbindlichkeiten gegenüber dem Inland eingegangen ist (Nettokapitalimport). Im Ergebnis entspricht der Exportüberschuss unseres Landes in Höhe von 50.000 Euro genau seinem Nettokapitalexport, der sich wiederum aus dem Überschuss der inländischen Ersparnis über die inländische Investition ergibt.
Die für jede Volkswirtschaft für eine abgelaufene Zeitspanne (zum Beispiel ein Jahr) feststellbare Identität von Nettokapitalexport und Exportüberschuss (bzw. Nettokapitalimport und Importüberschuss) muss natürlich nicht von vorneherein – die Volkswirte sagen »ex ante« – schon gelten. Es könnte beispielsweise sein, dass das Ausland nicht plant, einen PKW im Wert von 50.000 Euro aus dem Inland zu importieren. Auf dem Devisenmarkt (siehe Kapitel 9) stünde dann dem Angebot an Euro aus dem Auslandskredit der inländischen Bank eine geringere oder gar keine Nachfrage nach Euro zum PKW-Import des Auslands gegenüber. Der Euro müsste sich daraufhin abwerten, was den Import des Auslands (= Export des Inlands) steigen ließe. Die Anpassung müsste solange anhalten, bis der inländische Exportüberschuss (= ausländischer Importüberschuss) das Niveau des inländischen Nettokapitalexports (= ausländischer Nettokapitalimport) erreicht hat. Und sollte der Wechselkurs nicht flexibel, sondern fixiert sein, so müsste die Zentralbank die überschüssig angebotenen Euro ankaufen (siehe Kapitel 9.11).
Ebenso ist denkbar, dass der geplante Überschuss der inländischen Ersparnis über die Investition zum Beispiel größer ist als der geplante Nettokapitalexport. In diesem Falle müsste das überschüssig angebotene Sparkapital die Zinsen auf dem Kapitalmarkt sinken lassen, was die Investition und den Nettokapitalexport anregen und die Ersparnis dämpfen würde.
In unserem Beispiel haben wir unterstellt, dass die Bezahlung des PKW-Exports in der Währung des Exportlandes – also in Euro – erfolgt. Eine weitere Möglichkeit wäre die Fakturierung in der Währung des Importlandes. Wie wir in Kapitel 9.2 zeigen werden, ändert das indes nichts an dem im Nachhinein (»ex post«) stets gültigen volkswirtschaftlichen Zusammenhang, der da lautet:
Ersparnis = Investition + Nettokapitalexport
wobei gilt: Nettokapitalexport = Exportüberschuss
Man nennt dies die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsgleichung. Es handelt sich dabei um eine Identitätsbeziehung, die – wie gesagt – für eine abgelaufene Periode stets erfüllt ist. Wie eingangs erwähnt, vernachlässigen wir bei dieser Betrachtung die Existenz von grenzüberschreitenden Vermögensübertragungen.
Aus der Sicht eines Landes mit Importüberschüssen gilt entsprechend:
Ersparnis = Investition – Nettokapitalimport
wobei gilt: Nettokapitalimport = Importüberschuss
Das bedeutet: Bleibt die Ersparnis eines Landes hinter seinen Investitionsausgaben zurück, so muss die Sparlücke durch Nettokapitalimporte aufgefüllt werden. Diese dienen der Finanzierung des nationalen Importüberschusses. Ein Paradebeispiel für ein Land, das in diesem Sinne »zu wenig« spart, sind die USA, die sich aufgrund der beständigen Notwendigkeit von Kapitalimporten, insbesondere in Form von Kreditaufnahmen im Ausland, zur weltgrößten Schuldnernation entwickelt haben. Im krassen Gegensatz dazu steht vor allem China, dessen Volk extrem viel spart. Im Zuge der damit verbundenen Kapitalexporte, also der Geldanlagen im Ausland, ist das Land zur weltgrößten Gläubigernation geworden.
Die deutsche Ersparnis, abzüglich des Saldos der Vermögensübertragungen an das Ausland, belief sich im Jahr 2022 auf 324 Milliarden Euro. Die inländische Sachvermögensbildung (Nettoinvestition) betrug 182 Milliarden Euro. Daraus resultierte ein Nettokapitalexport Deutschlands in die übrige Welt von 142 Milliarden Euro. Über die Jahrzehnte hinweg hat Deutschland so ein Auslandsvermögen von brutto (also vor Abzug der Auslandsverbindlichkeiten) ungefähr 12,5 Billionen Euro angehäuft. Ein Gutteil davon entfällt auf die Geldanlagen deutscher Banken, Versicherungen, Pensionskassen etc. Das heißt, mit den Erträgen aus dem durch Kapitalexporte gebildeten deutschen Auslandsvermögen werden die Renten, Lebensversicherungen und Zinseinkommen der deutschen Bürger mitfinanziert. Allein diese Tatsache erklärt schon das überragende Interesse, das Deutschland an einer positiven Wirtschaftsentwicklung des Auslands haben muss.
Allerdings – das muss an dieser Stelle leider auch erwähnt werden – sind die Deutschen offenbar ganz schlechte Kapitalanleger. Berechnungen der Verfasser haben ergeben, dass sich die Vermögensverluste, die Deutschland bei seinen Auslandsanlagen realisierte, allein im Zeitraum 2008 bis 2022 auf einen Betrag in der Größenordnung von 1.200 Milliarden Euro summierten. Das ist die Differenz zwischen den deutschen Überschüssen im Außenhandel und dem tatsächlichen Anstieg des deutschen Nettoauslandsvermögens (es belief sich übrigens Anfang 2023 auf 2,8 Billionen Euro). Im angelsächsischen Raum wird diesbezüglich manchmal etwas despektierlich von »dumb German money« (dummes deutsches Geld) gesprochen. Hans-Werner Sinn, der wohl berühmteste deutsche Ökonom der Gegenwart, hat das mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: »Deutschland lieferte Porsches und bekam Lehman-Zertifikate« (gemeint: Schrottpapiere, siehe auch Kapitel 4.6).
Global gesehen müssen sich – wie unser Beispiel zeigt – Forderungen und Verbindlichkeiten genau entsprechen. Das Geldvermögen der Welt ist per saldo immer null, und es gilt die »weltwirtschaftliche Finanzierungsgleichung«: Ersparnis = Investition.
Der mitunter gehörte Satz »Die Welt ist überschuldet« ist also Unsinn. Auch ist es keineswegs so, dass Kapitalexporte im Inland fehlen würden (ebenfalls ein weit verbreiteter Irrtum). Vielmehr benötigen die Schuldnerländer dieses Geld, um damit Güterimporte aus den Überschussländern, das heißt deren Güterexporte, zu bezahlen. Ein Verbot oder eine Einschränkung von Kapitalexporten wäre für eine Exportnation wie Deutschland eine Katastrophe.
Andererseits stoßen die hohen deutschen Exportüberschüsse international häufig auf Kritik. Im Kern wirft man Deutschland vor, seine europäischen Handelspartner dadurch in Armut zu stürzen. Deutschland solle doch bitteschön seine Binnennachfrage – etwa über Lohnerhöhungen – steigern und so seine Importe ankurbeln und seine Exportperformance verringern. Das ist etwa dasselbe, wie wenn man von den Fußballern des FC Bayern verlangen würde, dass sie mehr Bier trinken und weniger trainieren, damit sie den anderen Mannschaften nicht überlegen sind. Jeder kann sich denken, welch negative Folgen dies für das Leistungsniveau im Sport hätte. Für die...
Erscheint lt. Verlag | 2.9.2024 |
---|---|
Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Volkswirtschaftslehre ► Finanzwissenschaft |
Schlagworte | Blockchain • bloss • Börse • Demokratisierung der Finanzmärkte • Devisenmarkt • digitaler euro • Digitales Geld • Digitale Vermögenswerte • ESG • Finanzmarktakteure • Finanzmärkte • Geldpolitik • Impact Investing • kryptowährungen • Nachhaltigkeit • Neobroker • neue Finanzinstrumente • Sperber • Sustainable Finance • Währungspolitik |
ISBN-10 | 3-7910-6122-4 / 3791061224 |
ISBN-13 | 978-3-7910-6122-1 / 9783791061221 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,8 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich