Personalmanagement - Führung - Organisation -  Verena Bader,  Regine Bendl,  Marie-Thérèse Claes,  Giuseppe Delmestri,  Petra Eggenhofer-Rehart,  Wolfga

Personalmanagement - Führung - Organisation (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 6. Auflage
434 Seiten
Linde Verlag Wien Gesellschaft m.b.H.
978-3-7094-1304-3 (ISBN)
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Das Standardlehrbuch vollständig überarbeitet

Personalmanagement – Führung – Organisation: eine Trias, die sich mit menschlichem Verhalten in unterschiedlichen sozialen Kontexten – von Unternehmen über Non-Profit-Organisationen bis hin zu informellen sozialen Gruppen und Ethik im Management – beschäftigt. Die Autorinnen und Autoren führen auf Basis vielfältiger theoretischer Zugänge Studierende und interessierte Praktikerinnen und Praktiker in zentrale management- und organisationstheoretische Problemstellungen ein, die aus dem Zusammenspiel von Menschen und Organisationen entstehen.

Sich daraus ergebende Fragestellungen sind z. B.:

  • Wie gelingt die Rekrutierung der richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
  • Was ist gute Führung?
  • Welche Organisationsformen sind für welche Aufgaben besonders geeignet?
  • Welche Bedeutung haben Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt?

Diese und weitere Fragen werden in kompakter Form diskutiert, mit theoretischen Konzepten verständlich unterlegt und anhand von Praxisbeispielen erläutert. Die Kapitel dieses Standardwerks wurden entweder komplett neu verfasst oder gründlich überarbeitet und aktualisiert.



Verena Bader, Universitätsassistentin Post-Doc am Interdisziplinaren Institut für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management der WU Wien. Studium der Kulturwirtschaft an der Universität Passau, danach Universität der Bundeswehr München. Forschungsaufenthalte an der Cornell University und an der Vrije Universiteit Amsterdam. Forschungsschwerpunkte: Digitales Personalmanagement, Future of Work, Employment Relations.

21. Daten und die sogenannte „Wirklichkeit“


Datenbasiertes Entscheiden scheint der heilige Gral in Wirtschaft und Gesellschaft zu sein. Die im Management von Organisationen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Subsystemen – neben Wirtschaft etwa auch Kunst, Wissenschaft oder Politik – Tätigen müssen ihr Handeln diesbezüglich ausrichten: „if you can’t measure it, you can’t manage it“. 1 Die Betriebswirtschaftslehre hat sich von jeher als Paradefeld für „zählen, messen, wägen“ verstanden. So kategorisieren etwa Buchhaltung und Kostenrechnung das organisationale Universum auf unterschiedlichste Art: Gewinne und Verluste, Erträge und Überschüsse, EBITs und EGTs, ROIs und DCFs, EVAs und ROCEs. Zahlen um Zahlen, die, wenn schon nicht Einfachheit und Klarheit, so doch wenigstens Berechenbarkeit und Eindeutigkeit suggerieren. Neuere Entwicklungen wie Einbindung neuronaler Netzwerke oder Künstliche Intelligenz betonen das. Es herrscht die Verhaltenssteuerung durch Daten.

Spätestens die Wirtschaftskrise 2008 warf allerdings die Frage auf: Wo bleiben denn Berechenbarkeit und Eindeutigkeit in der Finanzwelt und in der Unternehmensführung, wenn es darauf ankommt? Wurde nicht in den undurchschaubaren Finanzprodukten, in den abenteuerlichen Bewertungen von Unternehmen und durch die in astronomische Höhe getriebenen Einsparungspotenziale und Gewinnerwartungen durch Fusionen mehr als deutlich, dass bei unseren Entscheidungen vielleicht weniger Daten, sondern Interessen die zentrale Rolle spielen? Die Bedeutung von Daten ist nicht einfach da, sondern richtet sich an bestehenden Interessen, Überlegungen und Plänen aus. Diese drehen, wenden und interpretieren Daten so, wie sie am besten , was sich Entscheiderinnen und Entscheider wünschen – und werden damit zu Information und Wissen. Daher gibt es keine objektiven Daten in Organisationen; Daten, Information und Wissen sind nicht nur voneinander verschieden, sondern auch stark interessengeleitet. Es kommt also darauf an, wessen Daten es sind, für wen sie erhoben und aufbereitet, wie sie subjektiv konstruiert und interpretiert und dann in Verhalten umgesetzt werden.

Zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sollen das illustrieren. Während der massiven Wanderungsbewegungen 2014–2017 beantragten mehr als 180.000 geflüchtete Menschen Asyl in Österreich und rd. 70.000 erhielten eine Arbeitserlaubnis. 2 Die Datenlage ist relativ eindeutig – was sie heißt und was daraus folgt, ganz und gar nicht. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) warf der Regierung etwa vor, sie „missachte völlig die Interessen der Bevölkerung: sie billige Fremden automatisch Heimatrecht zu und stelle die Mittel zur Flüchtlingsversorgung bereit, während zahlreiche ÖsterreicherInnen aufgrund von Leistungskürzungen und fehlender Valorisierung armutsgefährdet seien“. 3 Umgekehrt hob die Regierung hervor, es gäbe „60 Millionen Flüchtlinge … [und die] Zahl der Schutzsuchenden in Österreich 3sei also keineswegs dramatisch hoch. [Zusätzlich] arbeite die Regierung ununterbrochen an Lösungen.“ 4

Im Winter 2021/22 befanden sich Ende November COVID-19-bedingt 2.769 Menschen in Spitalsbehandlung und zusätzlich 646 Menschen auf der Intensivstation. 5 Viel? Wenig? Heißt für politisches Handeln was genau? Auch das hängt wiederum von der Deutung der Daten ab. Gemessen am Schwellenwert für ein sehr hohes Systemrisiko (>33% Anteil COVID-19-Belag an Gesamtkapazität; systemkritische Auslastungsgrenze) relativ knapp dran angesichts von insgesamt rund 2.000 Betten in Intensivstationen (inklusive Notkapazität) in Österreich; verglichen mit der Spitalssituation in der Ukraine während des von Russland begonnenen Angriffskriegs noch nicht wirklich beunruhigend. Dadurch, dass Daten wegen ihrer „Unein-Deutigkeit“ und „Mehr-Deutigkeit“ unterschiedliche „Be-Deutungen“ von Akteuren zugeschrieben werden können, ermöglichen sie, eine Vielzahl von unterschiedlichen Handlungen (Operationen) anzustoßen und zu rechtfertigen. Sie gelten trotz ihrer Uneindeutigkeit als „ein Fakt“ und darin liegt ihre Funktionalität.

Dahinter steht aus systemtheoretisch-konstruktivistischer Sicht etwas Grundsätzliches: Personen und Organisationen wie Unternehmen, Nonprofit-Organisationen oder öffentliche Verwaltungen verwandeln Daten in Information dadurch, dass sie in-formieren. Sie holen sich Daten von draußen – aber diese sind im strengen Sinn bedeutungslos, sie bedeuten nichts, solange sie nicht „in-formiert“, also mit unterschiedlicher Bedeutung versehen werden. „Information“ ist damit „gestaltete Umwelt“ in wenigstens zweierlei Hinsicht. Sie ist zum ersten „post-faktisch“. Daten als Fakten sind relativ bedeutungslos. „Erst postfaktisch wird es wirklich spannend, d.h. dann, wenn Akteure – immer interessengeleitet, immer Zwecke verfolgend – sich der Fakten annehmen. Sie wählen aus, verleihen ihnen Bedeutung, es entsteht Information und, falls es in Richtung Handlung geht, Wissen. Von daher ist postfaktisch als Stoßrichtung zu begrüßen. Eine 16-Jährige am Zebrastreifen in Wien vom Auto überfahren und tot? Ein Faktum, gewiss. Aber je nach Einbettung dieses Faktums in das größere Ganze doch von recht unterschiedlicher Bedeutung. Auf dem Weg ins Fitnessstudio? Vermutlich ein Drama. Auf dem Weg zum Sprengstoffattentat auf die vollbesetzte jüdische Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse? Hmm …“. 6

Information ist gestaltete Umwelt aber noch in einem zweiten Sinn: aus vielen Daten der Umwelt werden jene „ausgewählt“, die in das Schema des Unternehmens passen. Vor allem durch die Entscheidungen des Managements wird diese subjektive „Aus-Wahl“ aus der Umwelt als „die Wahrheit“, als „die Realität“ ausgewiesen. Das Beispiel digitale Innovationen und wesentliche neue Märkte zeigt das eindrucksvoll – man denke nur an Nokia, das auf die Erfindung des iPhone und seiner Markteinführung durch Apple in 2007 nicht reagierte. In der Folge verlor Nokia seine Position als Marktführer bei Mobiltelefonen und musste nur sechs Jahre später seine Handy4sparte im Jahr 2013 an Microsoft abgeben. Wirklichkeitskonstruktionen gestalten soziale Systeme.

Beobachterinnen und Beobachter wissen nicht, dass sie „Wirklichkeiten“ konstruieren, sondern nehmen an, dass das, was sie wahrnehmen die Wirklichkeit ist. Wirklichkeit entsteht aber erst durch Wahrnehmung und wird dadurch konstruiert. Was in sozialen Systemen wie Organisationen als wahr oder falsch angesehen wird, was Gültigkeit hat oder nicht, steht nicht von vornherein objektiv fest, sondern ist immer etwas Ausgehandeltes, Vereinbartes, Konstruiertes. Selbstverständlich gibt es in sozialen Strukturen und Prozessen so etwas wie „harte Fakten“, ebenso wie bei Führung, Motivation, Organisation, Konflikten, Kommunikationen, Teamarbeit oder bei der Gestaltung von Organisationen und der Entwicklung von Strategien. Allerdings werden auch diese „harte Fakten“ stets perspektivenabhängig interpretiert. Es sind daher keine „objektive“ Fakten, sondern subjektiv interpretierte Daten, je nachdem wessen Daten es sind, wer die Quelle der Daten ist und wer die Daten interpretiert.

Auch wie man die Fakten innerhalb der Organisation sieht, ist stets das Ergebnis von Konstruktionen und Aushandlungsprozessen. Diese Aushandlungsprozesse hängen von der Bewertung und Interpretation einer Situation ab. Sie sind durch die Perspektive derjenigen massiv beeinflusst, die beobachten. Solche Prozesse sind zudem geprägt von Widersprüchen sowie von Macht und von Über- und Unterordnung. In Unternehmen ist es das Verhältnis von Vorgesetzten zu unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auf den Universitäten jenes zwischen Professorinnen, Professoren und Studierenden und in den Familien zwischen Eltern und Kindern. Diese Liste ist beliebig fortsetzbar und macht sichtbar, dass Konstruktionen und Annahmen dann besonders wirklichkeitsmächtig werden, wenn sie von entsprechenden Herrschaftsverhältnissen gestützt werden. Beobachtungen, die herrschaftsgeprägte Annahmen innerhalb sozialer Systeme unterstützen, werden besonders stark wahrgenommen und kommuniziert, solange, bis diese getroffenen Annahmen „wirklich“ wichtig werden, d.h. „wirklichkeitsmächtig“ geworden sind.

Innerhalb von Organisationen gibt es Bereiche, in denen Wirklichkeitskonstruktionen besonders stark dominieren und „harte Fakten“ nur eine Nebenrolle spielen. Gemeint sind Phänomene wie Motive, hierarchische Beziehungsmuster auf Basis von Autorität, informelle Führung oder gelebte Verhaltensnormen. Häufig sind Phänomene wie Macht durch äußere Zeichen sichtbar, die beobachtet und interpretiert werden: beim Militär durch Uniformen und Ränge, im Management durch Größe des Mitarbeiterstabs, die Fahrzeug-Klasse des Dienstautos und durch Standort oder Größe des Office. Sind keine äußeren Insignien der Macht erkennbar, wird Autorität...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft
ISBN-10 3-7094-1304-4 / 3709413044
ISBN-13 978-3-7094-1304-3 / 9783709413043
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