Land des Geldes (eBook)

Warum Diebe und Betrüger die Welt beherrschen
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2020 | 1. Auflage
350 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-376-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Land des Geldes -  Oliver Bullough
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Von heruntergekommenen Städten an der sibirischen Grenze über Steueroasen in der Karibik bis zu den Verbrechervillen in London und Manhattan - irgendwas läuft falsch in dieser Welt. Dieses Buch zeigt Ihnen, was. Vor nicht allzu langer Zeit konnte ein Amtsträger, der sich aus der öffentlichen Kasse bediente, nicht ganz so viel mit seinem Geld anfangen. Er konnte sich ein neues Auto kaufen oder sich ein schönes Haus bauen, es vielleicht noch an Freunde und ­Familie verschenken, aber das war es im Großen und Ganzen dann auch. Wenn er weiter stehlen würde, würden sich die Geldscheine nur in seinem neuen Haus stapeln, bis alle Zimmer voll wären oder es die Mäuse auffressen würden. Dann hatten ein paar Banker in London eine geniale Idee ...Begleiten Sie den investigativen Journalisten Oliver Bullough auf eine Reise ins »Land des Geldes« - einen grenzenlosen Staat der Superreichen. Erfahren Sie, wie die Institutionen Europas und der USA zu Geldwäscheinstituten wurden, die die Fundamente westlicher Stabilität untergraben. Entdecken Sie die wahren Kosten einer Geschäftspolitik, die weder Korruption noch Gefahr scheut. Treffen Sie die Kleptokraten und ihre schrecklichen Kinder. Und finden Sie heraus, wie heroische Aktivisten sich auf der ganzen Welt zur Wehr setzen. Dies ist die Geschichte von Geld und Macht im 21. Jahrhundert. Es ist noch nicht zu spät, sie umzuschreiben.

Oliver Bullough ist Journalist, u.a. für den »Guardian« und »The New York Times«, und Autor zweier Bücher über russische Geschichte und Politik. Er lebt in London.

Oliver Bullough ist Journalist, u.a. für den »Guardian« und »The New York Times«, und Autor zweier Bücher über russische Geschichte und Politik. Er lebt in London.

KAPITEL 1


ALADINS RÄUBERHÖHLE


DIE FRANZOSEN BEGANNEN IHRE REVOLUTION 1789 mit dem Sturm auf die Bastille, einem Symbol für die Grausamkeit ihrer Herrscher. Und die Ukrainer begannen ihre Revolution 2014 mit dem Sturm auf den Präsidentenpalast Meschyhirja, einem Symbol für die Selbstbereicherung ihrer Herrscher. Auf dem weitläufigen Gelände des Anwesens befanden sich Wasserspiele, ein Golfplatz, eine pseudoantike Tempelruine, ein Marmorpferd, das mit einer Landschaft der Toskana bemalt war, ein Straußengehege, ein Gelände zur Wildschweinjagd sowie ein fünfstöckiges Landhaus, in dem der gestürzte Präsident Wiktor Janukowytsch seiner vulgären Prunksucht frönte.

In der Ukraine wussten alle, dass Janukowytsch korrupt war, doch bis zu diesem Moment hatte sich niemand eine Vorstellung davon gemacht, wie korrupt. Zu einer Zeit, als die gewöhnlichen ukrainischen Bürger den Gürtel ein Loch ums andere enger schnallen mussten, hatten er und seine Spießgesellen Vermögen von Hunderten Millionen von Euro angehäuft. Er hatte mehr Geld, als er jemals würde ausgeben können, und mehr Schätze, als er in seinem Palast zur Schau stellen konnte.

Alle Staatsoberhäupter haben ihre Paläste, doch in der Regel befinden sich diese im Eigentum des Staats. Wenn sie sich denn einmal in Privateigentum befinden, wie der Trump Tower von Donald Trump, dann wurden sie meist vor Amtsantritt erworben. Janukowytsch hatte sich seinen Palast jedoch erbaut, während er von Steuergeldern lebte, und deshalb wollten ihn die Demonstranten sehen. Staunend liefen sie um das Hauptgebäude, die Brunnen, die künstlichen Wasserfälle, die Statuen und die exotischen Fasane. Es war ein Tempel der Geschmacklosigkeit, eine Kathedrale des Kitschs, der Inbegriff der Extravaganz. Geschäftstüchtige Anwohner vermieteten Fahrräder an die Besucher, denn das Gelände war so groß, dass man es zu Fuß gar nicht erkunden konnte, und die Revolutionäre brauchten Tage, bis sie auch in den letzten Winkel vorgedrungen waren. Die Garagen erinnerten an eine Räuberhöhle aus einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht, hier türmten sich Goldschätze von unvorstellbarem Wert. Die Revolutionäre ließen die Schätze später von Experten des Nationalen Kunstmuseums von Kiew abtransportieren, damit sie keinen Schaden nahmen und dem Volk erhalten blieben.

Hier stapelten sich die vergoldeten Kerzenständer, an den Wänden hingen riesige Porträts des Präsidenten, neben einer aus Elefantenstoßzähnen geschnitzten Elfenbeinpagode standen griechische Götterstatuen, Dutzende orthodoxe Ikonen, dazu historische Gewehre, Schwerter und Streitäxte. Eine Urkunde feierte Janukowytsch als »Jäger des Jahres«, aus anderen Dokumenten ging hervor, dass je ein Stern nach ihm und seiner Frau benannt worden war. An einigen der Gegenstände klebten noch die Kärtchen der Günstlinge, die sie dargebracht hatten. Es waren ihre Tributzahlungen an den Herrscher, mit denen sie sich das Wohlwollen Janukowytschs erkaufen und sicherstellen wollten, dass sie sich auch weiterhin mit ihren Gaunereien bereichern durften.

Die Ukraine ist vermutlich das einzige Land der Welt, das jahrelang von raffgierigen Ganoven ausgeplündert wurde und deren Beutestücke schließlich als Konzeptkunst ausstellte: Fundstücke aus der Rumpelkammer des Präsidenten. Die Menschen, die zusammen mit mir vor dem Museum Schlange standen, schienen unschlüssig, ob sie Stolz oder Scham empfinden sollten.

In einer der Vitrinen des Museums wurde ein altes Buch ausgestellt, das auf einer Hinweistafel als kleine Aufmerksamkeit des Finanzamtes beschrieben wurde. Es war ein Exemplar des Apostol, des ersten in der Ukraine gedruckten Buchs, von dem heute in aller Welt bestenfalls hundert Exemplare existieren. Wie kam man im Finanzamt auf den Gedanken, dass es sich um ein geeignetes Präsent für den Präsidenten handeln könnte? Wie konnte sich die Behörde so etwas leisten? Wieso kam man im Finanzamt überhaupt auf den Gedanken, dem Präsidenten Geschenke zu machen? Wer hatte das bezahlt? Fragen, auf die niemand eine Antwort wusste.

Unter einem Berg von kitschigen Vasen befand sich eine erlesene Keramik von Picasso, Herkunft unbekannt. Unter den Ikonen war wenigstens eine aus dem 14. Jahrhundert mit der typischen zweidimensionalen Darstellung. An einer anderen Wand, neben einem Porträt Janukowytschs aus Bernstein und einem anderen aus ukrainischen Getreidesamen, hingen russische Landschaftsgemälde aus dem 19. Jahrhundert im Wert von vielen Millionen Euro. In einer Vitrine war das stählerne Symbol von Hammer und Sichel zu bewundern, das Stalin einst der Kommunistischen Partei der Ukraine überreicht hatte. Wie war es in Janukowytschs Garage gekommen? Vielleicht hatte der Präsident keinen anderen Platz mehr dafür gefunden?

Die Menge schob mich durch die Räume. In einem hingen überall Gemälde von mehr oder weniger unbekleideten Frauen, die im Freien herumstanden und von bekleideten Männer umringt waren. Am Ende hatte ich nicht mehr die Kraft, die Krokodilshaut an der Wand genauer in Augenschein zu nehmen oder die Gewehre, Schwerter, Pistolen und Speere in den Schaukästen zu bestaunen. Meist sind es meine Füße, die mich bei Museumsbesuchen im Stich lassen; diesmal war es mein Gehirn.

Doch die Massen strömten unaufhörlich weiter ins Museum, tagelang standen lange Schlangen vor dem Eingang. Heiter schoben sich die Wartenden voran und verschwanden schließlich durch das Tor im Museum. Mit fahlen Gesichtern kamen sie am anderen Ende wieder heraus. Am Ausgang lag ein Gästebuch, in dem sie ihre Kommentare hinterlassen konnten. Jemand hatte geschrieben: »Wie viel Zeug braucht ein einzelner Mensch? Entsetzlich. Mir ist schlecht.«

Und das war erst der Anfang. Die Tage nach der Revolution waren im besten Sinne eine gesetzlose Zeit, keine Uniformierten hinderten die Bürger daran, ihre Neugierde zu befriedigen. Ich nutzte die Situation, um mich in möglichst vielen der abgelegenen Paläste der früheren Elite umzusehen. Eine Fahrt führte mich nach Sucholutschtschja inmitten eines Waldes vor den Toren Kiews. Die Sonne stach vom Himmel herab, die Luft waberte über dem Teer, während die Straße immer tiefer in den Wald hineinführte. Mein Begleiter Anton, der selbstständiger IT-Unternehmer gewesen war, ehe er sich der Revolution angeschlossen hatte, hielt an einem Tor, stieg aus und verschwand im Unterholz. Kurz darauf kam er zurück und hielt etwas in die Höhe: »Der Schlüssel zum Paradies!«, rief er grinsend. Er schloss das Tor auf, setzte sich wieder ans Steuer, und wir fuhren weiter.

Zu unserer Rechten glitzerte ein See, hier wurde das Wasser des Dnjepr aufgestaut. Wir fuhren über einen Damm, vorbei an einem Steg mit einem kleinen Bootshaus. Auf schwimmenden Inseln hockten Enten vor ihren Holzhäuschen. Schließlich hielten wir vor einem zweistöckigen Jagdhaus. Hierher war Janukowytsch mit alten Freunden und neuen Freundinnen gekommen, um auszuspannen.

Anton war zum ersten Mal im Februar 2014 hierhergekommen, wenige Stunden nachdem der Präsident aus der Hauptstadt geflohen war. Er hatte vor dem Tor gehalten und den Wachleuten gesagt, die Revolution habe ihn geschickt. Sie hatten ihm den Schlüssel ausgehändigt und ihn durchgewunken. Dann hatte er das Anwesen mit seinem alten Baumbestand erkundet. Es gab eine Kapelle und ein Sommerhaus mit überdachtem Grillplatz. Das Gelände neigte sich sanft hinunter zum Seeufer und einer Anlegestelle für Jachten. Die Angestellten waren herausgekommen und hatten Anton gefragt, was er im Jagdschloss des Präsidenten zu suchen habe. Anton hatte erwidert, die Revolution habe gesiegt, und das Jagdschloss gehöre jetzt dem Volk.

Anton öffnete mir die Tür und führte mich hinein. Er hatte nichts angerührt: Der lange Esstisch mit seinen achtzehn Polsterstühlen stand noch so da, wie er ihn vorgefunden hatte, genau wie der beheizbare Massagetisch aus Marmor. An den Wänden hingen pseudo-impressionistische Aktgemälde, wie sie Renoir hätte malen können, wenn er in Softporno gemacht hätte. Der Fußboden war ein Parkett aus tropischen Harthölzern, die Wände waren mit rustikalen Brettern verkleidet. Bücher waren keine zu sehen.

Anton führte mich durch die Räume und zeigte mir eine Karaoke-Maschine, ein Schwimmbad und Kinoräume. Den tiefsten Eindruck hinterließen allerdings die Toiletten. Gegenüber den Kloschüsseln waren in Sitzhöhe Fernsehapparate angebracht. Es war eine persönliche Note der ganz besonderen Art: Präsident Janukowytsch war ein passionierter Fernsehkonsument und offenbar hatte er einige Zeit auf der Schüssel verbracht. Während die Bürger seines Landes für miserable Gehälter malochten und jung starben, und während die Infrastruktur des Landes verfiel und sich Beamte und Politiker die Taschen vollstopften, hatte der Präsident Sorge getragen, dass seine Verstopfung ihn nicht am Fernsehgenuss hinderte. Für mich wurden diese Fernsehapparate zum Sinnbild all dessen, was schiefgelaufen war, und zwar nicht nur in der Ukraine, sondern in sämtlichen ehemaligen Sowjetrepubliken, in denen ich als Journalist gearbeitet habe.

Als die Sowjetunion zerfiel, war ich dreizehn und...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2020
Übersetzer Jürgen Neubauer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
Schlagworte Bank • bullough • Finanzen • Geld • Geschäft • Korruption • Kriminalität • Macht • Ökonomie • Politik • Reichtum • Steuern • Wirtschaft
ISBN-10 3-95614-376-0 / 3956143760
ISBN-13 978-3-95614-376-2 / 9783956143762
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