"Immer nur rot-weiß gedacht"
Arete Verlag
978-3-96423-128-4 (ISBN)
Lese- und Medienproben
Albrecht Breitschuh ist Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk (NDR).
Vorwort ................................................................................................... 6
1 „Die wichtigste Lektion: Du musst dich wehren!“
1974–1978 ............................................................................................. 14
2 „Unsere Mannschaft damals war schon klasse“
1978–1980 ............................................................................................. 31
3 „Ich hätte am liebsten die Möbel aus dem Zimmer
geschmissen“
1980–1982 ............................................................................................. 48
4 „Ein ganz toller Mensch – Aber auch ein fauler Hund!“
1982–1983 ............................................................................................. 64
5 „Wohin ich schießen sollte, wusste ich auch nicht mehr!“
1983–1984 ............................................................................................. 80
6 „Ich hatte unglaublich viel Glück gehabt“
1984–1985 ............................................................................................. 97
7 „Ich war der Buhmann. Das Arschloch. Der Mörder!“
1985–1986 ............................................................................................. 117
8 „Ich schämte mich wegen meiner Roten Karte“
1986–1987 ............................................................................................. 138
9 „Ich hatte zwar noch den gleichen Namen, aber nicht
mehr den gleichen Stellenwert“
1987–1988 ............................................................................................. 157
10 „Die größte Persönlichkeit der Bundesliga“
1988–1989 ............................................................................................. 175
11 „Was haben wir da nur geschafft?“
1989–1990 ............................................................................................. 195
12 „Das war’s für mich!“
1990–1992 ............................................................................................. 210
13 „Ich habe nie daran gedacht, Chef-Trainer beim FC Bayern zu werden“ ........................................................................ 222
Epilog ...................................................................................................... 238
Danksagung ........................................................................................... 245
"Und plötzlich kommt Augenthalers Art gar nicht mehr spröde daher, sondern als wohltuende Distanz zu einer Zeit, in der vieles im Fußball noch gänzlich anders lief." (11 Freunde, 11/2024) "Als äußerst gelungene Würdigung für einen Spielertyp, den es heutzutage nicht mehr in dieser Form gibt, ist 'Immer nur rot-weiß gedacht' genauso authentisch, wie Klaus Augenthaler selbst." (miasanrot.de) "Die längst überfällige Biographie Klaus Augenthalers setzt einem der wichtigsten Spieler des FC Bayern der 80er Jahre ein verdientes literarisches Denkmal und ist gleichzeitig ein wunderbares Stimmungsbild jener Zeit. Für Fans der Münchner sollte das Buch ohnehin Pflichtlektüre sein" (Tim Bender, fussball-buecher.blogspot) "Die Mischung aus persönlichen Geschichten und historischen Einblicken macht das Buch besonders lesenswert für Fußballfans." (Mediennerd.de, Oktober 2024)
"Und plötzlich kommt Augenthalers Art gar nicht mehr spröde daher, sondern als wohltuende Distanz zu einer Zeit, in der vieles im Fußball noch gänzlich anders lief." (11 Freunde, 11/2024)
"Als äußerst gelungene Würdigung für einen Spielertyp, den es heutzutage nicht mehr in dieser Form gibt, ist 'Immer nur rot-weiß gedacht' genauso authentisch, wie Klaus Augenthaler selbst." (miasanrot.de)
"Die längst überfällige Biographie Klaus Augenthalers setzt einem der wichtigsten Spieler des FC Bayern der 80er Jahre ein verdientes literarisches Denkmal und ist gleichzeitig ein wunderbares Stimmungsbild jener Zeit. Für Fans der Münchner sollte das Buch ohnehin Pflichtlektüre sein" (Tim Bender, fussball-buecher.blogspot)
"Die Mischung aus persönlichen Geschichten und historischen Einblicken macht das Buch besonders lesenswert für Fußballfans." (Mediennerd.de, Oktober 2024)
Vorwort Der Ball hatte seine Reiseflughöhe verlassen und sich zur Landung bereit gemacht, als Uli Stein mehr als nur eine Ahnung befiel, dass es gleich unangenehm für ihn werden könnte. Der Torwart von Eintracht Frankfurt gehörte nicht zu jenen damals üblichen Vertretern seiner Zunft, die ihren Strafraum ausschließlich zur Halbzeit oder nach dem Schlusspfiff verließen. Vielmehr nahm Stein aktiv am Spielgeschehen teil, unterband die gegnerischen Angriffe oft weit vor dem eigenen 16er, um dann persönlich den Konter einzuleiten. Das mit seinen Ausflügen verbundene Risiko nahm er gern in Kauf. Nicht nur weil es seinem draufgängerischen Naturell entsprach, sondern auch weil Steins fußballerische Möglichkeiten für diese Art von Torwartspiel locker ausreichten und er den Nutzen deshalb zu Recht deutlich höher einschätzte. Vor wenigen Augenblicken stand er noch in der Mitte der eigenen Hälfte und hatte von dort recht entspannt das Spielgeschehen verfolgt. Die Eintracht traf in der ersten Runde des DFB-Pokals auf den FC Bayern, viel war noch nicht passiert, 0:0 stand es nach gut einer halben Stunde, keines der beiden Teams wagte sich so richtig aus der Deckung. Plötzlich stieg der Lärmpegel im mit 50.000 Zuschauern gut gefüllten Waldstadion. Ein langer Pass in die Hälfte der Gäste, der Frankfurter Mittelfeldspieler Uwe Bein musste jetzt nur noch als Erster an den Ball kommen, um freie Bahn auf dem Weg zum Tor der Bayern zu haben. Doch die Aufregung legte sich schnell wieder. Der seitlich herbeieilende Klaus Augenthaler hatte die Situation früh erkannt, war einen Tick eher als Bein am Ball und konnte klären, bevor es vielleicht gefährlich wurde. Anschließend ließ er auch den von hinten anrückenden Jörn Andersen mit einer eleganten Körpertäuschung ins Leere laufen und hatte nun, noch tief in der eigenen Hälfte stehend, keinen Gegenspieler mehr vor sich. Bis auf Bein und Andersen hatte sich die komplette Frankfurter Mannschaft wieder in die eigene Hälfte zurückgezogen. Augenthaler schaute kurz nach links und rechts, schien zu überlegen, ob er vielleicht abspielen sollte, entschied sich dann aber dafür, den vor ihm liegenden freien Raum zu nutzen, erhöhte das Tempo und hatte wenige Sekunden später den Mittelkreis erreicht. Rechts von ihm war Olaf Thon mitgelaufen. Ab hier fühlte sich der Mittelfeldmann für die Fortsetzung des Angriffs zuständig und forderte den Ball: „Spiel, spiel!“, rief er seinem Mannschaftskapitän zu, aber der verfolgte seine eigenen Pläne und hatte längst erkannt, dass sich der Frankfurter Keeper ziemlich weit vor seinem Kasten befand, vermutlich sogar eine Idee zu weit. Schon einmal war Augenthaler ein Treffer aus dieser Entfernung geglückt, bei einem Freundschaftsspiel der Bayern in Marokko. Kaum einer hatte damals Notiz davon genommen. Nun war der Moment günstig, diese Nummer auf größerer Bühne zu präsentieren. Mit der Wucht und der Präzision, für die seine Schüsse so legendär wie gefürchtet waren, Ergebnis jahrelanger Extraschichten nach dem Training, in denen er die Bälle reihenweise aus 20 oder 25 Metern in den Winkel setzte, drosch Augenthaler kurz hinter der Mittellinie mit dem Vollspann auf das Frankfurter Tor und brachte seinen alten Kumpel Uli Stein damit in größtmögliche Verlegenheit. Denn auch für Stein wiederholte sich in diesem Moment ein Stück Fußballgeschichte. Drei Jahre vorher hatte ihn der Uerdinger Matthias Herget aus ähnlicher Distanz überrascht: „Deswegen ändere ich doch meine Spielweise nicht", versicherte der seinerzeit noch beim HSV unter Vertrag stehende Torwart. „So ein Tor kommt höchsten alle Jubeljahre vor." Jetzt war es mal wieder soweit. Obwohl er so schnell es ging Richtung Fünfmeterraum zurückeilte und mit einem geradezu verzweifelten Hechtsprung noch versuchte, den sich ganz spät senkenden Ball zu erreichen, schnappte Stein ins Leere. Und während die Fans im Gästeblock völlig aus dem Häuschen waren und sich die übrigen Zuschauer im Stadion fragten, wann oder ob sie so etwas überhaupt schon einmal gesehen hatten, trabte der Bayern-Libero ungerührt zurück in die eigene Hälfte. Auch die Gratulationen seiner Mitspieler fielen nicht gerade überschwänglich aus. Ein paar Schulterklopfer, die der Torschütze ohne erkennbare Emotionen über sich ergehen ließ, dann waren auch die Kollegen bereit für die Fortsetzung des Spiels: „Ich war schon immer ein Typ, der sich mehr nach innen freut", erklärt Klaus Augenthaler über 30 Jahre später, warum er selbst nach diesem Moment höchster Fußballkunst ganz bei sich blieb. Da an diesem Nachmittag keine weiteren Tore fielen, endete für die Bayern eine Serie von 20 sieglosen und zum Teil demütigenden Auftritten im Waldstadion. Sie hatten die erste Runde des DFB-Pokals überstanden, ohne in diesem Wettbewerb aber weiter auffällig zu werden. Zwei Runden später war nach einem 0:3 beim VfB Stuttgart Endstation, was aber außer den Zuschauern im Neckarstadion kaum einer mitbekam, da an jenem 9. November 1989 in anderen Teilen der Republik Dinge passierten, deren historische Dimension durchaus an eine Pokal-Niederlage des Rekordmeisters heranreichte. Trotzdem wurde es noch eine erfolgreiche Saison – für die Bayern und vor allem für Klaus Augenthaler. Dass sein Treffer gegen Uli Stein mit großem Vorsprung zum „Tor des Monats“ und „Tor des Jahres“ gewählt wurde, war keine so große Überraschung, aber das reichte den Zuschauern der ARD-Sportschau nicht. Sie bestimmten diesen Präzisionsschuss aus rund 50 Metern wenig später auch noch zum „Tor des Jahrzehnts“. Seines Jahrzehnts, wie man mit einigem Recht sagen kann. Denn als diese Dekade mit dem Ende der Saison 1989/90 reif für Bilanzen war, standen für Augenthaler sieben deutsche Meisterschaften, drei Erfolge im DFB-Pokal und als Krönung der Gewinn der Weltmeisterschaft zu Buche. Nach Titeln gerechnet, der immer noch härtesten Währung im Profi-Fußball, war er im bald wiedervereinigten Deutschland der Erfolgreichste seiner Branche. Klaus Augenthaler war auch der einzige Spieler des FC Bayern, der diese ungewöhnlich erfolgreiche Zeit der Münchner von 1979/80 bis 1989/90 komplett miterlebte, als der Verein nach einigen Jahren des Mittelmaßes wieder zu alter Größe fand. Drehte sich am Anfang noch alles um das kongeniale Duo Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge, deren Führungsrolle vom Rest der Mannschaft nie ernsthaft in Frage gestellt wurde, übernahm „Auge“ spätestens 1984, nach dem Wechsel Rummenigges zu Inter Mailand, Verantwortung fürs große Ganze. Nicht ganz freiwillig, gedrängt hatte es ihn nie, Mannschaftskapitän zu werden. Die Liste seiner Vorgänger war schließlich prominent besetzt: Vor Rummenigge und Breitner trugen Gerd Müller, Sepp Maier und der über allen thronende Franz Beckenbauer die Binde. Letzterer hatte Augenthaler am Anfang seiner Karriere, als er bei einem Freundschaftsspiel in Zürich eingewechselt wurde, mit den Worten „Jetzt kommt schon wieder so ein Blinder“ recht deutlich zu verstehen gegeben, dass im Profisport vor allem Nehmerqualitäten gefragt waren. Augenthaler lernte seine Lektion schnell. Als zwei Jahre später, nach Beckenbauers Wechsel zu Cosmos New York, die Rückennummern neu verteilt wurden, griff er sich das Trikot mit der Nummer 5. Vor ihm hatte das der Weltmeister „Katsche“ Schwarzenbeck abgelehnt, aus Ehrfurcht vor der Vereinsikone. Augenthaler sah das pragmatischer: Dass er nie die Leichtigkeit und Eleganz eines Franz Beckenbauers ausstrahlen würde, musste ihm niemand sagen. Aber weil er seinen Anspruch auf einen Stammplatz unterstreichen wollte, sah er in der Rückennummer des großen Vorgängers nur das, was sie bei näherer Betrachtung auch war: eben eine Nummer. Und nun sollte also dieser „Blinde“ die Mannschaft führen. Augenthaler entwickelte dabei seinen eigenen Stil. Anders als die meisten seiner Vorgänger, die den Fußball auch als Teil der Unterhaltungsbranche schätzten und sich entsprechend in Szene zu setzen wussten, war dem eher wortkargen Niederbayern jede Form von Selbstdarstellung fremd. Er war keiner, der nach dem Spiel in der Nähe von Kameras oder Mikrophonen noch einmal die zweite Luft bekam und zu Hochform auflief, auch Einladungen ins „Sportstudio“ nahm er nur an, wenn sie sich nicht vermeiden ließen. Die Mannschaft und der Verein standen im Vordergrund. Ein Verein, der sehr viel mehr war als ein Arbeitgeber und den zu verlassen, für ihn nicht einmal ansatzweise in Frage kam. Er habe zu Uli Hoeneß immer ein gutes Verhältnis gehabt, erzählte mir Augenthaler während unserer zahlreichen Gespräche, und habe ihn als knallharten Geschäftsmann mit großem Herzen erlebt. Nur einmal hätte es Probleme gegeben: „Da ging es um eine Vertragsverlängerung. Ich hatte keinen Berater und Uli fragte mich nach meinen Vorstellungen. Als er sie hörte, sagte er, das kannst du vergessen, daraus wird nichts. Vielleicht findest du ja einen Verein, der für dich über eine Million Mark Ablöse zahlt. Damals war das ein Riesenbetrag. Also habe ich gekuscht, denn ich wollte ja gar nicht weg. Und das wusste der Uli auch.“ Mit schon damals nicht mehr selbstverständlichen und heute fast in Verruf geratenen Tugenden hielt Augenthaler den Laden über viele Jahre zusammen. Neben seiner Bodenständigkeit waren das Einsatzbereitschaft, Leidensfähigkeit, Fleiß, Siegeswillen und Geradlinigkeit. Für ein „bayerisches Urviech“, wie er auch genannt wurde, fast schon preußische Tugenden, wären nicht Weißbier und Zigarette treue Begleiter seiner Karriere gewesen und eindeutige Hinweise darauf, dass er für das Leben als Profifußballer vieles, aber eben nicht alles zu opfern bereit war. Es war auch so schwer genug, oben zu bleiben. Das galt auch für seinen Verein. Als Paul Breitner Ende der 70er Jahre zum FC Bayern zurückkehrte, den Klub nach seinen Vorstellungen ummodelte und die Meisterschaft als das selbstverständlichste aller Ziele ausgab, begegnete ihm innerhalb der Mannschaft eine gewisse Skepsis: „Keiner glaubte ernsthaft an den Titel“, sagte Klaus Augenthaler einmal im Rückblick auf die Saison 1979/80. „Wir hatten viele Neuzugänge. Niemand konnte wissen, ob sie wirklich in die Mannschaft passen würden. Gegen Ende der Vorrunde dämmerte uns, dass wir durchaus Meister werden könnten. Für mich war dieses Gefühl neu, denn als ich zum FC Bayern kam, mischten wir zwar im Europacup noch kräftig mit, waren aber in der Bundesliga nahezu chancenlos.“ Die von Augenthaler angesprochenen Neuzugänge hießen Hans Weiner, Wolfgang Dremmler, Dieter Hoeneß oder Wolfgang Kraus. Solide und für den Verein bald äußerst wertvolle Profis, um die sich die Konkurrenz aber nicht gerade gerissen hatte. Schillernde, die Phantasie der Fans beflügelnde Transfers waren in dieser Zeit die Ausnahme, nicht zuletzt deswegen, weil auch ein FC Bayern aufs Geld schauen musste. Haupteinnahmequelle waren die Heimspiele, aber die angebliche „Goldgrube“ Olympiastadion war oft nur so spärlich gefüllt und warf bei weitem nicht so viel Bares ab, um mit den europäischen Schwergewichten aus Spanien oder Italien konkurrieren zu können. Die 80er waren aber auch ein Jahrzehnt, in dem in der Kabine des heutigen Serienmeisters noch hörbar bayerisch oder zumindest verwandte Dialekte gesprochen wurden. Die Spieler kamen ohne größere Umwege aus Kirschanschöring, Freising, Memmingen, Fürstenzell, Undorf, Penzberg, Holzkirchen oder Augsburg in die Landeshauptstadt und hießen Bernd Dürnberger, Hansi Pflügler, Reinhold Mathy, Helmut Winklhofer, Hansi Dorfner, Ludwig Kögl, Manfred Schwabl und Raimond Aumann. Einige von ihnen kommen noch ausführlich zu Wort. Selbst der Franke Lothar Matthäus ging für die meisten noch als Bayer durch, zumindest außerhalb des Freistaats, wo man es mit der landsmannschaftlichen Zuordnung noch nie so genau nahm. Sie alle hatten ihren Anteil an den zahlreichen Triumphen dieser Zeit und waren schon aufgrund ihrer Herkunft glaubwürdige Vertreter des heute eher zu einem Markenclaim herabgestuften „Mia san Mia“. Kaum einer verkörperte oder lebte dieses Motto aber so wie der Mann, der 1975 als knapp 18-Jähriger vom FC Vilshofen an die Säbener Straße kam, und um den es in diesem Buch hauptsächlich gehen soll: Klaus Augenthaler. Seine Karriere beim FC Bayern war keineswegs eine geradlinige Erfolgsgeschichte und weitaus mehr als die Summe ihrer Titelgewinne. Sie hatte bei allem Glanz auch Enttäuschungen und Krisen im Angebot: sei es nach dem Foul an Rudi Völler, als Augenthaler eine Zeitlang der wohl meistgehasste Spieler der Bundesliga war; sei es im wiederholten, und fast schon tragischen Scheitern im Europapokal der Landesmeister, häufig dann, wenn der Triumph zum Greifen nah schien; oder sei es gegen Ende seiner Laufbahn, als er sich nach Verletzungen wieder mühsam an sein altes Niveau heran kämpfen musste und sich während seiner Abwesenheit die Machtverhältnisse innerhalb des Teams verschoben hatten. Zu seinen Ungunsten. Bei der Entstehung dieses Buches war auch der Zufall beteiligt, denn einen seit langer Zeit verfolgten Plan, irgendwann einmal eine Biographie über diesen außergewöhnlichen Spieler zu schreiben, hatte ich nicht. Was ich stattdessen hatte, waren zwei dicke Ordner mit niedergeschriebenen Fußballer-Interviews, die noch von anderen Buchprojekten stammten und von mir eigentlich die Freigabe für die Altpapiersammlung bekommen hatten. Manchmal glaubt man ja, ohne Rücksicht auf Verluste um sich herum ein bisschen Platz schaffen zu müssen. Zum Glück war diese Eingebung nicht besonders hartnäckig. Ich blätterte ein wenig in einem dieser Ordner, stieß auf ein Gespräch mit der Bayern-Legende und auf ein Zitat, das ich mir sogar dick unterstrichen hatte: „Immer nur rot-weiß gedacht!“ Wäre doch ein schöner Buchtitel, dachte ich mir, war aber sicher, dass es über Augenthaler längst ein Buch geben müsste. Gab es zu meiner Überraschung aber nicht. Nachdem ich mich ein paar Wochen damit beschäftigt hatte und mir die Idee zu einem Buch immer mehr einleuchtete, war es langsam an der Zeit, auch die Hauptperson in meine Überlegungen einzubeziehen. Augenthaler reagierte freundlich zurückhaltend, was schon mal mehr war, als ich zu hoffen gewagt hatte. Immerhin keine Absage! Es folgten ein paar vertrauensbildende Maßnahmen in Form von Telefonaten, und als die Zusammenarbeit mehr und mehr Gestalt annahm, hielten wir es für angebracht, uns auch einmal persönlich kennenzulernen. Das Treffen in einem Café im Westend dauerte so lange, dass auch die Stadt München etwas davon hatte. Ein engagierter Parkwächter ließ sich von Augenthaler nämlich nicht überzeugen, das wegen einer Ordnungswidrigkeit ausgestellte Knöllchen wieder zurückzunehmen. Zuvor hatten wir viel, aber nicht ausschließlich über Fußball und den FC Bayern gesprochen und am Ende beide den Eindruck, dass wir es einfach mal versuchen sollten. Vor seinem Abschiedsspiel im August 1992 meldete sich auch der Mann zu Wort, dessen Anteil am „Tor des Jahrzehnts“ eingangs geschildert wurde, Uli Stein: „Eine der ganz großen Persönlichkeiten der Bundesliga verlässt die Bühne“, schrieb der immer noch für Eintracht Frankfurt spielende Torwart. „Schade, denn Typen wie der ‚Auge‘ sterben leider aus.“ Umso wichtiger, an sie zu erinnern. Dass die Bundesliga im Allgemeinen und der FC Bayern im Besonderen trotz mancher Durchhänger von ihrer Strahlkraft kaum etwas verloren haben, ist in hohem Maße diesen Typen zu verdanken. Typen wie Klaus Augenthaler.
VorwortDer Ball hatte seine Reiseflughöhe verlassen und sich zur Landung bereit gemacht, als Uli Stein mehr als nur eine Ahnung befiel, dass es gleich unangenehm für ihn werden könnte. Der Torwart von Eintracht Frankfurt gehörte nicht zu jenen damals üblichen Vertretern seiner Zunft, die ihren Strafraum ausschließlich zur Halbzeit oder nach dem Schlusspfiff verließen. Vielmehr nahm Stein aktiv am Spielgeschehen teil, unterband die gegnerischen Angriffe oft weit vor dem eigenen 16er, um dann persönlich den Konter einzuleiten. Das mit seinen Ausflügen verbundene Risiko nahm er gern in Kauf. Nicht nur weil es seinem draufgängerischen Naturell entsprach, sondern auch weil Steins fußballerische Möglichkeiten für diese Art von Torwartspiel locker ausreichten und er den Nutzen deshalb zu Recht deutlich höher einschätzte.Vor wenigen Augenblicken stand er noch in der Mitte der eigenen Hälfte und hatte von dort recht entspannt das Spielgeschehen verfolgt. Die Eintracht traf in der ersten Runde des DFB-Pokals auf den FC Bayern, viel war noch nicht passiert, 0:0 stand es nach gut einer halben Stunde, keines der beiden Teams wagte sich so richtig aus der Deckung. Plötzlich stieg der Lärmpegel im mit 50.000 Zuschauern gut gefüllten Waldstadion. Ein langer Pass in die Hälfte der Gäste, der Frankfurter Mittelfeldspieler Uwe Bein musste jetzt nur noch als Erster an den Ball kommen, um freie Bahn auf dem Weg zum Tor der Bayern zu haben. Doch die Aufregung legte sich schnell wieder. Der seitlich herbeieilende Klaus Augenthaler hatte die Situation früh erkannt, war einen Tick eher als Bein am Ball und konnte klären, bevor es vielleicht gefährlich wurde. Anschließend ließ er auch den von hinten anrückenden Jörn Andersen mit einer eleganten Körpertäuschung ins Leere laufen und hatte nun, noch tief in der eigenen Hälfte stehend, keinen Gegenspieler mehr vor sich. Bis auf Bein und Andersen hatte sich die komplette Frankfurter Mannschaft wieder in die eigene Hälfte zurückgezogen. Augenthaler schaute kurz nach links und rechts, schien zu überlegen, ob er vielleicht abspielen sollte, entschied sich dann aber dafür, den vor ihm liegenden freien Raum zu nutzen, erhöhte das Tempo und hatte wenige Sekunden später den Mittelkreis erreicht.Rechts von ihm war Olaf Thon mitgelaufen. Ab hier fühlte sich der Mittelfeldmann für die Fortsetzung des Angriffs zuständig und forderte den Ball: "Spiel, spiel!", rief er seinem Mannschaftskapitän zu, aber der verfolgte seine eigenen Pläne und hatte längst erkannt, dass sich der Frankfurter Keeper ziemlich weit vor seinem Kasten befand, vermutlich sogar eine Idee zu weit. Schon einmal war Augenthaler ein Treffer aus dieser Entfernung geglückt, bei einem Freundschaftsspiel der Bayern in Marokko. Kaum einer hatte damals Notiz davon genommen. Nun war der Moment günstig, diese Nummer auf größerer Bühne zu präsentieren. Mit der Wucht und der Präzision, für die seine Schüsse so legendär wie gefürchtet waren, Ergebnis jahrelanger Extraschichten nach dem Training, in denen er die Bälle reihenweise aus 20 oder 25 Metern in den Winkel setzte, drosch Augenthaler kurz hinter der Mittellinie mit dem Vollspann auf das Frankfurter Tor und brachte seinen alten Kumpel Uli Stein damit in größtmögliche Verlegenheit.Denn auch für Stein wiederholte sich in diesem Moment ein Stück Fußballgeschichte. Drei Jahre vorher hatte ihn der Uerdinger Matthias Herget aus ähnlicher Distanz überrascht: "Deswegen ändere ich doch meine Spielweise nicht", versicherte der seinerzeit noch beim HSV unter Vertrag stehende Torwart. "So ein Tor kommt höchsten alle Jubeljahre vor." Jetzt war es mal wieder soweit. Obwohl er so schnell es ging Richtung Fünfmeterraum zurückeilte und mit einem geradezu verzweifelten Hechtsprung noch versuchte, den sich ganz spät senkenden Ball zu erreichen, schnappte Stein ins Leere. Und während die Fans im Gästeblock völlig aus dem Häuschen waren und sich die übrigen Zuschauer im Stadion fragten, wann oder ob sie so etwas überhaupt
Erscheinungsdatum | 21.10.2024 |
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Zusatzinfo | farbige Fotos |
Verlagsort | Hildesheim |
Sprache | deutsch |
Maße | 135 x 205 mm |
Themenwelt | Sport ► Ballsport ► Fußball |
Weitere Fachgebiete ► Sportwissenschaft | |
Schlagworte | Bayern München • Biografie • DFB • Europapokal • FC Bayern • Fußball-Bundesliga • Fußball-Weltmeisterschaft • Klaus Augenthaler • Nationalmannschaft • Profifußball |
ISBN-10 | 3-96423-128-2 / 3964231282 |
ISBN-13 | 978-3-96423-128-4 / 9783964231284 |
Zustand | Neuware |
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