Praktikum der Hundeklinik (eBook)
Enke (Verlag)
978-3-13-219941-5 (ISBN)
1 Untersuchung des Hundes, Umgang mit dem Hund und die Problemorientierte Krankengeschichte
Claudia Schwedes, Martin Unger und Manfred Kietzmann
1.1 Untersuchung des Hundes – Umgang mit dem Hund
Claudia Schwedes und Martin Unger
Die Untersuchung eines Patienten stellt die Basis für jedes tierärztliche Handeln dar. Ziel ist es, zu einer Diagnose zu gelangen, wenn auch nicht immer eine ätiologische Diagnose gestellt werden kann. Ferner sollen mögliche Differenzialdiagnosen ausgeschlossen und evtl. vorhandene Nebenkrankheiten erkannt werden. Letztere sind vielleicht sogar gefährlicher als das Problem, das den Besitzer ursprünglich zum Tierarzt geführt hat.
Die Konsultation beginnt mit der Feststellung des Signalements. Die Angaben sollten sorgfältig notiert werden, damit sie auch bei einer späteren Besprechung des Falles oder Beratung des Tierbesitzers präsent sind und nicht neu erfragt werden müssen. Bereits aufgrund des Signalements können bestimmte Erkrankungen ein- oder ausgeschlossen werden (z.B. wachstumsbedingte Erkrankungen beim Junghund oder Prostataerkrankungen bei der Hündin).
Die Anamneseerhebung stellt den nächsten unabdingbaren Teil der Konsultation dar. Sowohl eine gut erhobene Anamnese als auch eine sorgfältige und fachkundige klinische Untersuchung sind die Basis für die sinnvolle Auswahl weiterführender Untersuchungen und letztlich für die Erlangung einer Diagnose.
Von ganz erheblicher Bedeutung ist die Kommunikation mit dem Besitzer, um seine Einstellung zum Tier, seine subjektive Wahrnehmung des Problems, die Haltungsbedingungen und die Aufgabe, die der Hund hat, sowie die voraussichtliche Durchführbarkeit von Therapien herauszufinden. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist es, bei der Besprechung des Vorgehens den finanziellen Rahmen abzustecken, da jede Untersuchung auch Kosten verursacht. Nur wenn der Besitzer das Gefühl hat, dass man ihn ernst nimmt, dass man seine Probleme versteht und dass die Problemlösungen in seinem Sinne sind, wird er ein Vertrauensverhältnis zum Tierarzt aufbauen und bei der Behandlung optimal mitwirken. Das optimale Mitwirken des Tierbesitzers bei der Behandlung wird auch als Compliance bezeichnet.
Die Diagnosestellung erfolgt nach folgendem Schema:
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Feststellen der Probleme und Symptome
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differenzialdiagnostische Betrachtung jedes einzelnen Problems und Symptoms
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Reihung der möglichen Ursachen nach ihrer Wahrscheinlichkeit
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Erstellung eines diagnostischen Plans zum Beweis oder Ausschluss von Ursachen, wobei die naheliegendsten Verdachtsdiagnosen und schwerwiegenden Differenzialdiagnosen zuerst abgeklärt werden
Die Erkennung eines bekannten klinischen Bildes, z.B. ältere intakte Hündin mit Hängebauch, Scheidenausfluss, Polydipsie (typisch für eine Pyometra), hilft, bei der Betrachtung der Differenzialdiagnosen aller einzelnen Symptome eine gemeinsame Ursache auszumachen. Die Diagnostik dieser evtl. gemeinsamen Ursache sollte vorrangig betrieben werden.
Es sollte jedoch vermieden werden, neben offensichtlichen Problemen andere, vielleicht verstecktere Probleme zu übersehen. Bei dem Beispiel oben wäre dies z.B. ein Nierenproblem oder ein Hyperadrenokortizismus.
Während der Anamneseerhebung und der Allgemeinuntersuchung geschieht also zweierlei: Es werden alle vom Normalen abweichenden Befunde festgestellt und registriert. Aufgrund der Symptome werden die wahrscheinlich betroffenen Organsysteme ermittelt und die möglichen Differenzialdiagnosen gestellt. Nun müssen die Differenzialdiagnosen verifiziert oder ausgeschlossen werden. Außer Überlegungen über die Ursache eines Symptoms sollte man sich auch die Frage nach seinen möglichen Zusammenhängen stellen: Bei Feststellung eines Knotens in der Unterhaut wird man z.B. die regionären Lymphknoten besonders gründlich untersuchen.
Die endgültige Abklärung, das Bestätigen der Verdachtsdiagnosen und das Ausschließen der unzutreffenden Differenzialdiagnosen werden oft Sache der weiterführenden speziellen Untersuchungen sein, die in den entsprechenden Spezialkapiteln abgehandelt werden.
Weiterführende, ausführliche Angaben zum Thema Untersuchungsgang findet der Leser bei Rijnberk und van Sluijs ▶ [5].
1.1.1 Erster Überblick
Die Untersuchung beginnt bereits, wenn der Hund in den Untersuchungsraum gebracht wird. In einer ersten Abschätzung wird geklärt, ob es sich um einen Notfall handelt. Beim Notfallpatienten sollte die erste Untersuchung in der Erkennung einer unmittelbaren Lebensgefahr bestehen und deren Behandlung schnellstmöglich eingeleitet werden.
Als lebensbedrohliche Notfälle sind insbesondere Tiere mit schwerer Atemnot, Kreislaufversagen, Blutungen (offensichtliche oder innere Blutungen) und zentralnervösen Störungen mit Krämpfen sowie Bewusstlosigkeit anzusehen. Grundsätzlich gilt weiterhin, dass ein Hund in Seitenlage i. d. R. als schwer krank und als Notfall zu betrachten ist.
Liegen oben erwähnte Störungen vor, so sind sofort lebenserhaltende Maßnahmen einzuleiten, bevor der Patient ausführlicher untersucht wird.
Liegend hereingebrachte Hunde sollte man (nach der evtl. zunächst notwendigen Notbehandlung) immer versuchen aufzusetzen oder aufzustellen, soweit der Zustand des Patienten dies zulässt. Nur so wird das wahre Ausmaß der orthopädischen und neurologischen Beeinträchtigung (inkl. Schwäche) erkennbar.
Besteht keine Notfallsituation, so kann schon beim Hereinführen des Hundes ein Teil der ▶ Adspektion durchgeführt werden. Man erhält hierbei bereits einen Eindruck des Patienten und des Patienten-Besitzer-Verhältnisses, was bei der weiteren Behandlung hilfreich sein kann.
1.1.2 Anamnese
Noch vor dem Erheben der Anamnese sollten die Patientendaten (Signalement) in der Kartei überprüft und ggf. ergänzt werden.
Es ist empfehlenswert, ausdrücklich nach Vorbehandlungen zu fragen, da viele Tierbesitzer dies nicht aus eigenem Antrieb erzählen. Gegebenenfalls sollte auch erfragt werden, ob das Tier überwiesen wurde. Dann möchte der Besitzer erzählen, was ihn zum Tierarzt führt. Das geschieht mehr oder weniger wortreich und informativ. Man sollte den Besitzer erzählen lassen, was vorgefallen ist, jedoch ist häufig eine geschickte Gesprächsführung notwendig, um das Gehörte zu strukturieren und an die korrekten und nützlichen Informationen zu kommen. Ziel muss sein, Folgendes herauszufinden: 1. den Vorstellungsgrund, 2. was der Besitzer tatsächlich gesehen oder beobachtet hat, 3. was er nun wünscht. Am Anfang stellt man offene Fragen: „Was haben Sie beobachtet?“ Später sind geschlossene Fragen, die mit Ja/Nein beantwortet werden müssen, oft geeigneter. Unbedingt vermeiden sollte man Suggestivfragen; sie können zur irrigen Bestätigung einer falschen Verdachtsdiagnose führen. Durch gezieltes Nachfragen, z.B. bei dem Problem „Durchfall“, kann man erfahren, ob wirklich Kot, in welcher Frequenz und Beschaffenheit, mit oder ohne Drängen und vielleicht auch unter welchen Umständen er abgesetzt wird. Womöglich findet man dann eine Koprostase, an der Schleim vorbeigepresst wird. Ähnliches gilt für alle vom Besitzer genannten Beschwerden. Je genauer man sich das tatsächlich Gesehene einschließlich Beginn und Dauer der Erscheinungen möglichst objektiv beschreiben lässt, umso wertvoller und zuverlässiger ist es.
Die Dauer und der Verlauf der Erkrankung sollten unbedingt erfragt werden. Hierzu gehören auch Auskünfte über plötzlichen oder schleichenden Beginn sowie zunehmende, abnehmende oder wechselnde Schwere der Erkrankung sowie das Ansprechen auf etwaige Behandlungen. Bei Letzteren ist zu erfragen, womit, wie, seit wann, bis wann und ob die Behandlung auch vom Besitzer durchführbar war (ob z.B. Ohrentropfen appliziert werden konnten).
Frühere, gleichartige oder andere Krankheiten sowie auch Krankheiten von anderen Tieren (oder auch Menschen) im Haus sollten erfragt werden. Man versucht ferner, sich ein Bild über die Haltungsbedingungen zu verschaffen, fragt nach dem Auslauf, nach anderen Tieren im Haushalt, dem Verwendungszweck (Jagd-, Diensthund, Hundesport, Begleiter beim Joggen usw.). Des Weiteren ist zu erfragen, ob der Hund seit dem Welpenalter im Besitz ist oder später übernommen wurde. Im letzteren Fall ist eine lückenlose Vorgeschichte nicht zu erheben. Bei unkastrierten Hündinnen fragt man nach den Läufigkeiten, nach Trächtigkeiten und deren evtl. medikamentöser Verhütung.
Man klärt die Impfanamnese möglichst anhand des Impfpasses ab und fragt nach Entwurmungen. Die Frage nach Auslandsaufenthalten, auch länger zurückliegenden, sollte ebenfalls nicht fehlen. Stammt der Hund aus dem Tierheim oder wurde er übernommen, sind Auslandsaufenthalte u. U. nicht ausschließbar.
Die Nahrungs- und Wasseraufnahme muss genau erfragt werden. Die häufige pauschale Aussage „frisst nicht“ sollte präzisiert werden: gar nicht, wählerisch, nur Häppchen? Bei der Fütterung sind die Art des Futters und die Häufigkeit von Interesse. Die Wasseraufnahme sollte nach Möglichkeit quantifiziert werden, im Zweifelsfalle kann der Besitzer gebeten werden, die Wasseraufnahme bis zum nächsten Besuch auszumessen. Auch Angaben über Art und Häufigkeit von Kot- und Urinabsatz sind in der Anamnese zu erheben.
Die weitere...
Erscheint lt. Verlag | 15.11.2017 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Veterinärmedizin |
Schlagworte | Chirurgie • Diagnose • Differenzialdiagnose • Hund • Hundekrankheit • Innere Medizin • Symptome • Therapie • Tierarzt • Tiermedizin |
ISBN-10 | 3-13-219941-9 / 3132199419 |
ISBN-13 | 978-3-13-219941-5 / 9783132199415 |
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