Die Welt als Zahl (eBook)
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01355-1 (ISBN)
Ian Stewart, geboren 1945, ist der beliebteste Mathematik-Professor Großbritanniens. Seit Jahrzehnten bemüht er sich erfolgreich, seine Wissenschaft zu popularisieren. Er studierte Mathematik in Cambridge und promovierte an der Universität Warwick. Dort ist er heute Professor für Mathematik und Direktor des Mathematics Awareness Center. Seit 2001 ist Stewart zudem Mitglied der Royal Society. Er lebt mit seiner Familie in Coventry.
Ian Stewart, geboren 1945, ist der beliebteste Mathematik-Professor Großbritanniens. Seit Jahrzehnten bemüht er sich erfolgreich, seine Wissenschaft zu popularisieren. Er studierte Mathematik in Cambridge und promovierte an der Universität Warwick. Dort ist er heute Professor für Mathematik und Direktor des Mathematics Awareness Center. Seit 2001 ist Stewart zudem Mitglied der Royal Society. Er lebt mit seiner Familie in Coventry. Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde. Trägerin des Martin-Wieland-Übersetzerpreises 2021. Bernd Schuh, geboren 1948 ist Physiker, Dozent, Journalist, Autor und Übersetzer. Er studierte Mathematik, Physik und Chemie in Köln, wurde 1977 promoviert und habilitierte sich 1982 in Physik. Er ist Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus.
Kapitel 1 Verblüffende Nützlichkeit
Die Sprache der Mathematik erweist sich als über alle Maßen effektiv, ein wunderbares Geschenk, das wir weder verstehen noch verdienen. Wir sollten dafür dankbar sein und hoffen, dass sie auch bei zukünftigen Forschungen ihre Gültigkeit behält und dass sie sich – in Freud und in Leid, zu unserem Vergnügen wie vielleicht auch zu unserer Verwirrung – auf viele Wissenszweige ausdehnt.
Eugene Wigner, The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences
Wozu ist Mathematik gut?
Was tut sie für uns, in unserem Alltag?
Vor nicht allzu langer Zeit gab es auf diese Fragen einfache Antworten. Der Normalbürger nutzte ständig die Grundrechenarten, und sei es nur, dass es darum ging, die Rechnung nach dem Einkauf zu überprüfen. Zimmerleute mussten etwas von elementarer Geometrie verstehen. Landvermesser und Navigatoren brauchten darüber hinaus Trigonometrie. Ingenieure mussten Differential- und Integralrechnung beherrschen.
Heute ist es ganz anders. Die Supermarktkasse addiert die Rechnungsposten, berücksichtigt Rabatte, fügt die Mehrwertsteuer hinzu. Wir hören das Piepen, wenn der Laser die Strichcodes scannt, und solange das Piepen mit den Waren zusammenpasst, gehen wir davon aus, dass die elektronischen Helfer wissen, was sie tun. Viele Berufe erfordern noch immer solide mathematische Kenntnisse, doch selbst in diesen Fällen haben wir den größten Teil der Mathematik an elektronische Geräte mit eingebauten Algorithmen ausgelagert.
Mein Thema glänzt durch Abwesenheit. Der Elefant ist nicht einmal im Raum.
Es wäre leicht, daraus den Schluss zu ziehen, Mathematik sei aus der Zeit gefallen und überflüssig, aber das wäre ein Irrtum. Ohne Mathematik würde unsere heutige Welt auseinanderfallen. Um das zu beweisen, werde ich Ihnen Anwendungen in der Politik, in der Juristerei, bei Nierentransplantationen, der Logistik von Supermärkten, bei Spezialeffekten in Filmen und bei der Herstellung von Druckfedern zeigen. Wir werden sehen, in welcher Weise Mathematik eine wesentliche Rolle für medizinische Scanner, Digitalfotografie, Glasfaser-Breitband-Technologie und Satellitennavigation spielt. Wie sie uns hilft, die Auswirkungen des Klimawandels vorherzusagen und uns vor Terroristen und Internet-Hackern schützen kann.
Bemerkenswerterweise basieren viele dieser Anwendungen auf einer Mathematik, die aus völlig anderen Gründen entwickelt wurde – manchmal nur, weil jemand voller Begeisterung seiner Neugier folgte. Bei meiner Recherche für dieses Buch war ich immer wieder überrascht, wenn ich auf Anwendungen meines Fachs in Gebieten stieß, von denen ich niemals geträumt hätte, dass sie überhaupt existieren. Oft fand ich sie in Feldern, von denen ich nicht angenommen hätte, sie wären von praktischem Nutzen, wie raumfüllende Kurven, Quaternionen und Topologie.
Mathematik ist ein grenzenloses, äußerst kreatives System von Ideen und Methoden. Sie steckt dicht unter der Oberfläche der innovativen Technologien, die das 21. Jahrhundert so grundlegend von allen früheren Zeitaltern unterscheiden – Videospiele, internationaler Luftreiseverkehr, Satellitenkommunikation, Computer, das Internet, Mobiltelefone.[1] Kratzen Sie an einem iPhone, und Sie werden auf das helle Glitzern der Mathematik stoßen.
Bitte nehmen Sie das nicht wörtlich …
Manche Menschen nehmen an, Computer mit ihren beinahe wundersamen Fähigkeiten seien dabei, Mathematiker, ja sogar die Mathematik selbst, überflüssig zu machen. Aber Computer ersetzen Mathematiker ebenso wenig, wie Mikroskope Biologen ersetzen. Computer verändern die Art und Weise, in der wir Mathematik betreiben, doch größtenteils entlasten sie uns nur von den mühsamen Anteilen. Sie verschaffen uns mehr Zeit zum Denken, sie helfen uns bei der Suche nach Mustern, und sie geben uns ein mächtiges neues Instrument an die Hand, um rascher und effizienter zu arbeiten.
Die Allgegenwart preisgünstiger, leistungsstarker Computer ist der Hauptgrund dafür, dass Mathematik immer wichtiger wird. Ihre allgemeine Verfügbarkeit hat neue Möglichkeiten eröffnet, Mathematik auf Alltagsprobleme anzuwenden. Methoden, die früher undenkbar waren, weil sie zu viel Rechenarbeit erfordern, sind inzwischen Routine geworden. Die größten Mathematiker der Papier-und-Bleistift-Ära hätten sich bei Methoden, die eine Milliarde Berechnungen erfordern, verzweifelt die Haare gerauft. Inzwischen setzen wir solche Methoden routinemäßig ein, denn wir verfügen über eine Technologie, die diese Berechnungen in Sekundenbruchteilen durchführen kann.
Mathematiker stehen zusammen mit zahllosen anderen Berufen, wie ich betonen möchte, seit Langem bei der Computerrevolution an vorderster Front. Denken Sie nur an George Boole, den Pionier der symbolischen Logik, die die Basis unserer heutigen Computerarchitektur bildet. Denken Sie an Alan Turing und seine universelle Turing-Maschine, ein mathematisches System, das alles berechnen kann, was sich berechnen lässt. Denken Sie an Muhammad al-Chwārizmī, latinisiert Algorismi, dessen Algebra-Text aus dem Jahr 820 n. Chr. die Bedeutung systematischer Berechnungsverfahren betont, die inzwischen nach ihm benannt sind: Algorithmen.
Die meisten Algorithmen, die Computern ihre beeindruckenden Fähigkeiten verleihen, stehen fest auf dem Boden der Mathematik. Viele der verwendeten Techniken sind dem existierenden Vorrat an mathematischen Ideen «gebrauchsfertig» entnommen worden, so wie Googles PageRank-Algorithmus, der quantifiziert, wie wichtig eine Webseite ist, und eine Multimilliarden-Dollar-Industrie begründet hat. Selbst der pfiffigste Deep-Learning-Algorithmus in der künstlichen Intelligenz (KI) verwendet geprüfte mathematische Konzepte, wie Matrizen und gewichtete Graphen. Eine so prosaische Aufgabe, wie ein Dokument nach einer bestimmten Folge von Buchstaben zu durchsuchen, erfordert ein mathematisches Konzept, das als endlicher Automat oder Zustandsmaschine bezeichnet wird; zumindest bei einer häufig verwendeten Suchmethode ist das so.
Die Rolle, die die Mathematik bei diesen aufregenden Entwicklungen spielt, fällt nur allzu häufig unter den Tisch. Wenn die Medien daher das nächste Mal irgendeine wunderbare neue Eigenschaft von Computern anpreisen, denken Sie daran, dass dahinter eine Menge Mathematik steckt und darüber hinaus eine Menge Ingenieurskunst, Physik, Chemie und Psychologie. Ohne die Unterstützung dieses Trupps verborgener Helfer wäre der digitale Superstar nicht in der Lage, derart im Rampenlicht zu stehen und mit seinen Fähigkeiten zu glänzen.
Die Bedeutung der Mathematik in unserer heutigen Welt wird leicht unterschätzt, weil fast alles, was sie leistet, im Verborgenen geschieht. Wenn man eine Straße in einer Großstadt entlangschlendert, wird man von Werbung überflutet, die die Bedeutung von Banken, Gemüseläden, Supermärkten, Modegeschäften, Autowerkstätten, Rechtsanwälten, Schnellrestaurants, Wohltätigkeitsorganisationen und Tausenden anderer Aktivitäten und Professionen unterstreicht. Man findet jedoch keine Messingplakette, die dem Kunden die Dienste eines beratenden Mathematikers anbietet. Supermärkte verkaufen keine Mathematik in Dosen.
Wenn man allerdings etwas tiefer schürft, wird die Bedeutung der Mathematik rasch deutlich. Die Gleichungen der Aerodynamik sind entscheidend wichtig für den Flugzeugbau. Navigation basiert auf Trigonometrie. Wir benutzen Trigonometrie heute anders als in den Tagen von Christoph Kolumbus, denn wir bauen die Mathematik direkt in elektronische Geräte ein, statt Feder, Tinte und Navigationstabellen zu verwenden, doch die zugrunde liegenden Prinzipien sind praktisch dieselben geblieben. Die Entwicklung neuer Arzneimittel stützt sich auf Statistik, um sicherzustellen, dass die Medikamente sicher und wirksam sind. Satellitenkommunikation basiert auf einem tiefgreifenden Verständnis der Dynamik von Umlaufbahnen. Wettervorhersagen erfordern die Lösung von Gleichungen, die Wind, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und die Wechselbeziehungen all dieser Parameter beschreiben. Es gibt zahllose weitere Beispiele. Wir bemerken nicht, wie viel Mathematik dahintersteckt, weil wir dieses Wissen gar nicht benötigen, um von den Ergebnissen zu profitieren.
Was macht Mathematik für ein breites Spektrum menschlicher Aktivitäten so nützlich?
Diese Frage ist nicht neu. Im Jahr 1959 hielt der Physiker Eugene Wigner an der New York University einen denkwürdigen Vortrag mit dem Titel «The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences».[2] Wigner konzentrierte sich auf die Naturwissenschaften, doch das, was er sagte, hätte auch auf die erstaunliche Leistungsbreite der Mathematik in Landwirtschaft, Politik, Sport und einer Vielzahl anderer Gebiete gepasst. Wigner selbst hoffte, diese Wirksamkeit würde sich auf «auf ein breites Spektrum des Lernens» erstrecken. Das war ganz sicher der Fall.
Das Schlüsselwort in diesem Titel erregt Aufmerksamkeit, weil es überraschend ist: unreasonable, gemeinhin übersetzt mit unvernünftig. Die meisten Anwendungen von Mathematik sind höchst vernünftig, sobald man einmal herausgefunden hat, welche Methoden für die Lösung eines wichtigen Problems oder der Erfindung eines nützlichen Hilfsmittels eine Rolle spielen. So ist es beispielsweise außerordentlich vernünftig, dass Ingenieure beim Bau von Flugzeugen die Gleichungen der Aerodynamik...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2024 |
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Übersetzer | Monika Niehaus, Dr. Bernd Schuh |
Zusatzinfo | Zahlr. s/w-Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Chat GPT • Computer • Daten • Digitalisierung • Handy • KI-Algorithmen und Mathematik • Künstliche Intelligenz • Mathe einfach erklärt • Mathe im Alltag • Mathematik • Mathematik für jeden verständlich • mathematik leicht gemacht • Mathematische Erklärung • Mathematische Optimierung in der KI • Mathe verstehen und anwenden • Naturwissenschaft • Populäres Sachbuch • Praktische Mathematik • Schule • Technik |
ISBN-10 | 3-644-01355-1 / 3644013551 |
ISBN-13 | 978-3-644-01355-1 / 9783644013551 |
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