Die Neandertaler und wir - (eBook)

Meine Suche nach den Urzeit-Genen - Das Buch des Nobelpreisträgers in einer erweiterten Neuausgabe wieder lieferbar

(Autor)

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2024
416 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-31229-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Neandertaler und wir - - Svante Pääbo
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Das Buch des Nobelpreisträgers überarbeitet und erweitert wieder lieferbar: Die aufregende Geschichte der Entschlüsselung des Neandertalergenoms und das Porträt einer faszinierenden Wissenschaft
Als Svante Pääbo und seinem Team eines Nachts 1996 die Entschlüsselung von genetischem Material aus dem jahrtausendealten Armknochen eines Neandertalers gelingt, machen sie eine unerwartete Entdeckung: Das Neandertaler-Material enthält DNA-Sequenzen, die im Vergleichsmaterial Tausender moderner Menschen noch nie gefunden wurden. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie haben erstmals DNA eines ausgestorbenen Verwandten des Menschen gewonnen. Ein sensationeller Befund, der ein völlig neues Licht auf die Entwicklung des Menschen wirft, und ein Höhepunkt in Pääbos vielfach preisgekröntem Forscherleben, das mit der Arbeit an ägyptischen Mumien, Höhlenbären und Mammuts begann. In »Die Neandertaler und wir« schildert der 2022 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftler die faszinierende Arbeit an urzeitlicher DNA in dem von ihm maßgeblich begründeten Feld der Paläogenetik. Ein spannendes Stück Forschungsgeschichte ist damit in aktualisierter Form wieder erhältlich.

Svante Pääbo, geboren 1955 in Stockholm, ist Mediziner, Biologe und Begründer der Paläogenetik, der für seine bahnbrechende Forschung zum Genom der Neandertaler 2022 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Nach Stationen an der University of California in Berkeley und an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist er seit 1997 Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seit 1999 Honorarprofessor für Genetik und Evolutionsbiologie an der Universität Leipzig.

Kapitel 2
Mumien und Moleküle


Es begann nicht mit den Neandertalern, sondern mit altägyptischen Mumien. Als ich 13 war, hatte meine Mutter mich mit nach Ägypten genommen, und seitdem hatte die Frühgeschichte des Landes mich immer fasziniert. Als ich aber an der Universität Uppsala in meinem Heimatland Schweden daranging, das Thema ernsthaft zu studieren, wurde mir zunehmend klar, dass mein Interesse an Pharaonen, Pyramiden und Mumien der romantische Traum eines Heranwachsenden war. Ich machte meine Hausaufgaben; ich lernte Hieroglyphen und historische Tatsachen auswendig; in zwei aufeinanderfolgenden Jahren arbeitete ich sogar während der Sommerferien am Stockholmer Mittelmeermuseum daran mit, Keramikscherben und andere Funde zu katalogisieren. Wenn ich in Schweden zum Ägyptologen geworden wäre, hätte das Museum durchaus mein zukünftiger Arbeitsplatz sein können. Wie ich feststellte, taten dieselben Menschen im zweiten Sommer mehr oder weniger dasselbe wie im ersten. Außerdem gingen sie zur selben Zeit in dasselbe Restaurant zum Mittagessen, bestellten dieselben Gerichte, diskutierten dieselben ungelösten Fragen aus der Ägyptologie oder tauschten Akademikertratsch aus. Letztlich wurde mir klar, dass es im Fachgebiet der Ägyptologie für meinen Geschmack zu langsam voranging. Ein solches Berufsleben konnte ich mir für mich selbst nicht vorstellen. Ich wünschte mir mehr Spannung und mehr Bedeutung für die Welt um mich herum.

Diese Entzauberung stürzte mich in eine Art Krise. Deshalb und auf Anregung meines Vaters, der Arzt war und später Biochemiker wurde, entschloss ich mich zu einem Medizinstudium mit der Perspektive, Grundlagenforschung zu betreiben. Ich immatrikulierte mich an der medizinischen Fakultät der Universität Uppsala, und nach ein paar Jahren war ich selbst überrascht darüber, welchen Spaß mir der Umgang mit Patienten machte. Es schien mir einer der wenigen Berufe zu sein, in denen man nicht nur alle möglichen unterschiedlichen Menschen kennenlernt, sondern in ihrem Leben auch eine positive Rolle spielen kann. Diese Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, war eine unerwartete Begabung, und nach vierjährigem Medizinstudium kam die nächste kleine Krise: Sollte ich Arzt werden oder in die Grundlagenforschung wechseln, wie ich es ursprünglich vorgehabt hatte? Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit, dachte aber, dass ich nach der Promotion an die Klinik zurückkehren könnte und höchstwahrscheinlich auch würde. Vorerst ging ich an das Institut von Per Pettersson, damals einer der angesagtesten Wissenschaftler in Uppsala. Seine Arbeitsgruppe hatte nicht lange zuvor erstmals die genetische Sequenz für eine wichtige Klasse von Transplantationsantigenen kloniert, Proteinmoleküle, die auf der Oberfläche von Immunzellen liegen und dafür sorgen, dass sie Virus- und Bakterienproteine erkennen. Pettersson hatte nicht nur spannende biologische Erkenntnisse gewonnen, die auch für die praktische Medizin von Bedeutung waren, sondern sein Labor war auch eines der wenigen in Uppsala, die schon damals die ganz neuen Methoden der Klonierung und Manipulation von DNA durch ihr Einschleusen in Bakterien beherrschten.

Pettersson forderte mich auf, mich an den Untersuchungen eines Proteins zu beteiligen, das von einem Adenovirus codiert wird; diese Viren verursachen Durchfall, erkältungsähnliche Symptome und andere Unannehmlichkeiten. Man glaubte, das Virusprotein hefte sich in der Zelle an die Transplantationsantigene, so dass es nach dem Transport an die Zelloberfläche von Zellen des Immunsystems erkannt werden kann, die dann aktiv werden und andere infizierte Zellen im Körper abtöten. Als ich während der nächsten drei Jahre mit den Kollegen an diesem Protein arbeitete, wurde uns klar, dass unsere Vorstellungen von seiner Wirkungsweise völlig falsch waren. Wie wir feststellten, wird das Virusprotein nicht zum unglückseligen Ziel des Immunsystems, sondern es sucht sich die Transplantationsantigene in der Zelle, bindet an sie und blockiert ihren Transport zur Zelloberfläche. Da eine derart infizierte Zelle an ihrer Oberfläche keine Transplantationsantigene trägt, kann auch das Immunsystem nicht erkennen, dass sie infiziert ist. Das Protein tarnt also sozusagen das Adenovirus. Letztlich entsteht dabei eine Zelle, in der das Adenovirus vermutlich sehr lange überleben kann, möglicherweise ebenso lange wie der infizierte Mensch. Dass Viren das Immunsystem ihres Wirtes auf diese Weise hinters Licht führen können, war zu jener Zeit eine ganz neue Erkenntnis, und unsere Arbeiten führten zu mehreren hochkarätigen Artikeln in den besten Fachzeitschriften. Wie sich seither herausgestellt hat, bedienen sich auch andere Viren ähnlicher Mechanismen, um dem Immunsystem zu entgehen.

Ich hatte nun zum ersten Mal einen Eindruck von der vordersten Front der Wissenschaft, und der war faszinierend. Gleichzeitig erlebte ich auch zum ersten (aber nicht zum letzten) Mal, dass Fortschritt in der Wissenschaft häufig mit einem schmerzhaften Prozess verbunden ist, in dem man erkennen muss, dass die eigenen Ideen und die der Kollegen falsch sind, und mit einem noch längeren Kampf, bis man die engsten Mitarbeiter und dann die ganze Welt von einer neuen Idee überzeugt hat.

Irgendwie konnte ich aber inmitten aller biologischen Aufregung mein romantisches Interesse am alten Ägypten nicht abschütteln. Wenn ich Zeit hatte, besuchte ich Vorlesungen am Institut für Ägyptologie, und ich belegte weiterhin Kurse für Koptisch, die Sprache des Ägyptens der Pharaonen, die während der christlichen Ära gesprochen wurde. Ich freundete mich mit Rostislav Holthoer an, einem fröhlichen finnischen Ägyptologen, der eine ungeheure Fähigkeit besaß, über gesellschaftliche, politische und kulturelle Grenzen hinweg Freundschaften zu schließen. Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre klagte ich während langer Essens- und Abendeinladungen in Rostis Wohnung in Uppsala häufig, dass ich die Ägyptologie liebte, in ihr aber keine Zukunft sah; gleichzeitig liebte ich auch die Molekularbiologie mit ihren scheinbar grenzenlosen Aussichten, zum Wohlergehen der Menschheit beizutragen. Ich war zwischen zwei gleichermaßen verlockenden Berufswegen hin- und hergerissen – ein Dilemma, das auch dadurch nicht weniger unangenehm wurde, dass viele es zweifellos ohne viel Mitgefühl als Sorge eines jungen Mannes betrachteten, der nur gute Alternativen hatte.

Aber Rosti hatte Geduld mit mir. Er hörte zu, wenn ich ihm erklärte, wie wir heute die DNA eines beliebigen Organismus – Pilz, Virus, Pflanze, Tier oder Mensch – mit einem Plasmid (einem Trägermolekül aus der DNA eines Bakterienvirus) verknüpfen können, das wir dann in Bakterien einschleusen; dort vermehrt es sich zusammen mit der Wirtszelle, so dass Hunderttausende von Kopien der fremden DNA entstehen. Ich erklärte, wie wir dann die Sequenz der vier Nucleotide in dieser fremden DNA aufklären und Sequenzunterschiede in der DNA zweier Individuen oder biologischer Arten finden können. Je ähnlicher zwei Sequenzen sind – das heißt, je weniger Unterschiede zwischen ihnen bestehen –, desto enger sind sie verwandt. Anhand der Zahl gemeinsamer Mutationen können wir nicht nur rekonstruieren, wie die einzelnen Sequenzen in der Evolution im Laufe der Jahrtausende oder Jahrmillionen aus gemeinsamen Vorläufersequenzen entstanden sind, sondern wir können auch ungefähr abschätzen, wann diese Vorläufer-DNA existiert hat. Der britische Molekularbiologe Alec Jeffreys analysierte beispielsweise 1981 die DNA-Sequenzen eines Gens, das ein Protein im roten Blutfarbstoff von Menschen und Menschenaffen codiert; daraus leitete er ab, seit wann die Evolution dieser Gene bei Menschen und Menschenaffen unabhängig voneinander verlaufen ist. Das Gleiche, so erklärte ich, würde man schon bald mit vielen Genen von vielen Individuen einer beliebigen Spezies machen können. Auf diese Weise kann man herausfinden, wie verschiedene Arten in der Vergangenheit miteinander verwandt sind und seit wann sie sich getrennt weiterentwickelt haben – und das alles viel genauer, als es mit morphologischen Studien oder der Untersuchung von Fossilien möglich ist.

Als ich das alles Rosti erklärte, kristallisierte sich in meinem Kopf nach und nach eine Frage heraus. Mussten sich solche Untersuchungen unbedingt auf DNA aus Blut- oder Gewebeproben von heute lebenden Menschen und Tieren beschränken? Wie stand es mit den ägyptischen Mumien? Hatten in ihnen vielleicht DNA-Moleküle überlebt – und konnte man vielleicht auch diese Moleküle in Plasmide einbauen und in Bakterien zur Vermehrung anregen? War es möglich, sehr alte DNA-Sequenzen zu analysieren und damit die Frage zu klären, wie die alten Ägypter untereinander und mit den heutigen Menschen verwandt waren? Wenn das gelang, könnten wir Lösungen für Fragen finden, die mit den herkömmlichen Mitteln der Ägyptologie nicht zu beantworten waren. Eine solche Frage lautete: Wie sind die heutigen Ägypter mit den Menschen verwandt, die unter der Herrschaft der Pharaonen vor 2000 bis 5000 Jahren in dem Land lebten? Hatten große politische und kulturelle Veränderungen wie die Eroberung durch Alexander den Großen im 4. Jahrhundert v. u. Z. oder durch die Araber im 7. Jahrhundert zur Folge, dass ein großer Teil der ägyptischen Bevölkerung verdrängt wurde? Oder handelte es sich nur um militärische und politische Ereignisse, die dazu führten, dass die einheimische Bevölkerung neue Sprachen, neue Religionen und eine neue Lebensweise übernahm? Sind also die Menschen, die heute in...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Übersetzer Sebastian Vogel
Zusatzinfo mit Abbildungen
Sprache deutsch
Original-Titel Neanderthal Man. In Search of Lost Genomes
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte 2024 • Achäogenetik • beringia • Biologie • DNA • eBooks • entschlüsselung genom • Evolution Mensch • Fossilien • Genetik • Genom • Homo erectus • Homo sapiens • johannes krause • Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie • max planck institut leipzig • Menschheitsgeschichte • Molekulargenetik • Neuerscheinung • Nobelpreis 2022 • Nobelpreis Medizin • Paläogenetik • Urmenschen
ISBN-10 3-641-31229-9 / 3641312299
ISBN-13 978-3-641-31229-9 / 9783641312299
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