Die große Trockenheit (eBook)
512 Seiten
Ludwig Buchverlag
978-3-641-30116-3 (ISBN)
Tim Smedley zeichnet in seinem Buch ein schockierendes Bild vom Zustand der Trinkwasserreserven gerade auch in den europäischen Ländern und lenkt den Fokus auf hoffnungsvolle und hochinteressante Lösungsansätze. Er spricht mit Experten, Forschern, Opfern der Trockenheit und Aktivisten auf der ganzen Welt, um ein absolut klares Bild der Krise und der möglichen Lösungen zu gewinnen. Was machen Singapur und Israel richtig und Kalifornien nicht? Wie effizient sind Salzwasseraufbereitung und Regenwasserreservoirs? Was bringt es, wenn wir auf Konsumgüter aus wasserarmen Regionen verzichten? Kann man Eisberge vor wasserarme Küsten schleppen? Ein spannender Aufruf zur Rettung unseres Trinkwassers.
Tim Smedley ist ein britischer Umweltjournalist und schreibt u.a. für den »Guardian«, die »Sunday Times« und »die Financial Times«. »Die große Trockenheit« ist sein zweites Buch, sein erstes Buch »Clearing the Air« über globale Effekte der Luftverschmutzung war 2019 auf der Shortlist für den Royal Society Science Book Prize.
Einleitung:
Gewässer in Not
Karameh-Staudamm, Jordanien, August 2021
Ich stehe am Ufer eines großen Sees in einer der trockensten Regionen der Welt. Das Wasser liegt ruhig und friedlich da, ein wohltuender Anblick in der zunehmenden Hitze des Augustmorgens. Wir befinden uns am niedrigsten Festlandpunkt der Erdoberfläche, im Jordangraben 400 Meter unter dem Meeresspiegel, wo die Hitze schon bei Sonnenaufgang erdrückend ist und monatelang kein Regen fällt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees verschwimmt das bleichweiße Ufer mit dem Himmel und im Dunstschleier ist geisterhaft die Hügellandschaft des Westjordanlandes zu erahnen. Kurz ist ein einsamer, schlanker weißer Wasservogel zu sehen, der kaum in der Lage ist, die Stille oder seine eigene Lethargie zu durchbrechen, bevor er aufgibt und wieder landet. Neben mir am Ufer ragen eine Handvoll verkümmerter Sträucher traurig aus dem Wasser, die unteren Zweige von einer verräterischen hellen Kruste überzogen. Denn dieser See hat ein verhängnisvolles Problem: Der Karameh-Staudamm, der bei seiner Entstehung 1995 der zweitgrößte im Königreich Jordanien war[1], wurde auf salzigem Untergrund errichtet. Das aufgestaute Wasser, das dringend als Trinkwasser und zur Bewässerung gebraucht wurde, ist vollständig unbrauchbar.
Ein Auto taucht auf und wirbelt weißen Staub auf. Eshak Al-Guza’a steigt aus. Der Projektmanager der Nichtregierungsorganisation EcoPeace Middle East ist ein einnehmender Mittdreißiger, der gern lacht und noch lieber Zahlen herunterrattert. »Das hier ist einer unserer größten Fehlschläge«, klagt er, während wir auf den seltsam schönen, aber toten See schauen. »Fast 52 Millionen Kubikmeter unbrauchbares Wasser. Obwohl wir in den Neunzigern über das Wissen und die Technologien verfügten, um einen hochwertigen Damm zu bauen, hat man sich über die salzhaltigen Quellen und das Gestein einfach nicht gut genug informiert. So haben wir hier eine Menge Süßwasser aufgestaut und es versalzen lassen und jetzt gibt es keine Möglichkeit, das wieder rückgängig zu machen.« Als ob das noch nicht genug wäre, wurde 2010 eine Entsalzungsanlage am Ufer errichtet, die aber wenige Monate später wieder aufgegeben werden musste, weil sie den extrem hohen Salzgehalt des Sees – höher als der des nur wenige Kilometer entfernten Toten Meeres – nicht bewältigen konnte. Während unseres Gesprächs verschafft sich Nasser – unser Fahrer für den Tag und gleichzeitig Investmentmanager von EcoPeace – einen Eindruck vom Ufer, wo möglicherweise eine Ferienanlage mit nachhaltigen Unterkünften und Wassersportangebot entstehen soll. Doch der See weicht aufgrund von Verdunstung jedes Jahr etwa einen Meter weiter zurück, da der Klimawandel für mehr Hitze und weniger Regen sorgt. Der Grundablass des Staudamms befindet sich mittlerweile mehrere Meter oberhalb des Wasserspiegels; würde man ihn öffnen, kämen nur ein Haufen knochentrockener Steine herausgepurzelt.
Der Bau des Karameh-Staudamms, erfahre ich, ist auf einen Traum zurückzuführen. Angeblich hatte der junge Sohn eines Ministers eines Nachts geträumt, dass an dieser Stelle ein Staudamm errichtet werden sollte.[2] Also tat man genau das, für eine Summe zwischen 43 und 75 Millionen Pfund, in einem der trockensten, salzigsten Täler der Erde. Das freute den Sohn, einige einflussreiche Bauern und zweifellos auch das britische Bauunternehmen, das den Zuschlag für das Projekt bekam. In einer rauschhaften Mischung aus Übermut und Gier gab der Staat Jordanien Millionen dafür aus, den kostbaren Rest an Oberflächenwasser zu vergeuden, den es in dem vom einst mächtigen Jordan gegrabenen Tal überhaupt noch gab (heute ist der Jordan aufgrund von Überentnahme selbst kaum mehr als ein Rinnsal). »Als der Standort in der Prüfungsphase begutachtet wurde, rieten mehrere Wissenschaftler und Spezialisten der Regierung davon ab, den Staudamm zu bauen«, schreibt Elias Mechael Salameh, Professor für Hydrogeologie und Hydrochemie an der Universität Jordanien. »Doch die für den Jordangraben zuständige Behörde im Wasser- und Bewässerungsministerium, die JVA MoWI, ignorierte sämtliche Kritikpunkte und Warnungen.« Der ehemalige Generalsekretär der JVA MoWI, Seine Exzellenz Saad Saleh Abu Hammour[3], bestätigt mir im Interview, dass ein solcher Bericht vorlag, und weist die Schuld allein den zuständigen Ministern zu: »Das ist Korruption«, sagt er und erklärt, dass ein Minister »dort drüben Land besaß«.
Laut Abu Hammour ist die Wassersituation in Jordanien »schlimmer als je zuvor« in der Geschichte des Landes: »Wir brauchen jeden Tropfen Wasser, überall.« Doch der Karameh-Stausee mit seinen Billionen an wertvollen, verschwendeten Tropfen liegt still und nutzlos da. Er ist eines der großen Wahrzeichen des weltweiten Wassermissmanagements – und die Liste dieser Wahrzeichen ist, wie wir sehen werden, lang und niederschmetternd. Salameh schrieb 2004: Der Karameh-Staudamm »war eine Lektion auf die harte Tour, nicht nur für Jordanien, sondern auch für andere Weltgegenden, wo fundierte wissenschaftliche Untersuchungen, die das Gemeinwohl im Blick haben, zugunsten der Gier einiger weniger Nutznießer ignoriert werden.«[4]
Das Fassungsvermögen des Karameh-Stausees, rund 50 Millionen Kubikmeter, ist in mehr als einer Hinsicht bedeutsam. Im Sommer 2021, als ich in Jordanien war, musste das Land Wasser aus dem benachbarten Israel zukaufen, um die jüngste Wasserkrise abzuwenden. Die Menge, die man erstand (was mit einem Eingeständnis der nationalen Notlage einherging und einer regionalen Blamage gleichkam), belief sich auf – ja, wirklich – 50 Millionen Kubikmeter.[5]
Lake Mead, USA, Dezember 2021
Nur wenige Minuten, nachdem wir an der Zentrale der Nationalparkbehörde (NPS) in Boulder City, Nevada, losgefahren sind, passieren wir den Kamm und ich schnappe nach Luft – vor mir erstreckt sich der »Badewannenring«, der in all seiner bleichen Schande rund um den Lake Mead verläuft, ein tristes Zeugnis des verlorenen Wassers. Ich hatte gelesen, dass der Pegel des Sees in 20 Dürrejahren um 43 Meter abgesunken war, doch was das bedeutet, wird mir erst klar, als ich es mit eigenen Augen sehe. Die Freiheitsstatue ist nur wenig größer – 46 Meter. Wenn Lady Liberty mit ihren Füßen auf dem heutigen Wasserspiegel stände, hätte nur ihre Fackel aus dem Wasser geragt, als der See noch voll war. Die weiße Verfärbung des »Badewannenrings« ist darauf zurückzuführen, dass sich das Kalziumkarbonat im Wasser auf dem roten Sandstein ablagert: Wenn der Wasserspiegel sinkt, entstehen natürliche Pegelstandsmarkierungen auf dem Felsen, wie Schaumreste an der Badewannenwand, nachdem man den Stöpsel gezogen hat. Selbst aus der Ferne ist jede einzelne dieser Markierungen sichtbar, wie Baumringe, durch die man die relativ guten von den relativ schlechten Jahren unterscheiden kann. Von unserer Aussichtsplattform in der Nähe des Hoover-Damms aus deutet mein Begleiter, Justin Pattison, der stellvertretende Regionalchef des NPS, auf den Ring, der für das vergangene Dienstjahr steht, direkt über der Wasseroberfläche. Er ist ziemlich breit, vielleicht 3,7 Meter. Die vier Einlauftürme des Wasserkraftwerks ragen mindestens 61 Meter aus dem Wasser, wie Wolkenkratzer. Sie wirken schmal und zerbrechlich und zeigen ihre Rüschenunterwäsche – die Metallgitter, die dafür sorgen sollten, dass nichts, was im Wasser schwimmt, in die Turbinen gerät, wenn sich diese Gitter denn unter der Wasseroberfläche befänden. Jetzt ragen die Türme peinlich entblößt vor einem Fotos schießenden Publikum auf und demonstrieren noch deutlicher als der Badewannenring, dass der Punkt, an dem aufgrund des niedrigen Pegelstandes überhaupt kein Wasser mehr durch den Damm fließt (der sogenannte Deadpool-Punkt), deutlich näher ist als der gefüllte Zustand. Nachdenklich mache ich ein paar Selfies und fühle mich dabei wie ein Katastrophentourist. Auf der anderen Seite des Staudamms hängt ein kleiner Anlegesteg für Besichtigungsboote unnütz an einem Felsen, hoch über der Wasseroberfläche, auf der er vielleicht ein Jahr zuvor noch schwamm.
Als wir ein Stück am Ufer entlangfahren, erfasse ich erst so richtig, wie gewaltig der größte Stausee Amerikas eigentlich ist – selbst dieser kleine Abschnitt ist riesig und erstreckt sich bis zu den Red Mountains am Horizont. Doch gleichzeitig ist überall zu erkennen, wie sehr er schon geschrumpft ist. An vielen Stellen ragen Inseln aus weiß überzogenem Gestein aus dem See, die bis vor Kurzem nur die Tiefenmesser der Sportbootfahrer registrierten. Hemenway Harbor, der Hafen, in dem rund 100 Sportboote liegen und wo auch der Touristendampfer Desert Princess ablegt – zumindest in der Vergangenheit –, rückt immer näher an ein neues Steinarchipel heran, das sich erst seit Kurzem aus dem Wasser erhebt. Noch vor zehn Jahren wirkten die Wassermassen des Sees unbezwingbar.
Die Straße, die zur Bootsrampe von Hemenway Harbor führt – sie ist so breit wie eine Autobahn – endet abrupt 50 Meter vor dem Wasser. Jedes Mal, wenn der Pegel um 30 Zentimeter sinkt – das ist der monatliche Durchschnitt –, zieht sich das Wasser um mehrere Meter zurück. Die Bootsbesitzer brauchen eine Rampe aus Beton, um nicht im Schlamm stecken zu bleiben, doch der NPS kann die bestehende Straße nicht schnell genau ausbauen. »Unser Problem ist«, erklärt Pattison, »dass die Straße, sobald wir mit...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2023 |
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Übersetzer | Elisabeth Schmalen |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Last Drop. Solving the World's Water Crisis |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | 2023 • austrocknen • Avocado • Dürre • Durst • eBooks • Erderwärmung • Ernteausfall • Gletscherschmelze • Grundwasser • Hitze • Kaffee • Klima • Klimawandel • Neuerscheinung • Trinkwasser • Trinkwassermangel • Verschmutzung • Vertrocknen • Waldbrand • was folgt aus dem Klimawandel • Wassermangel • wie verändert sich das Wetter • wird es immer heißer |
ISBN-10 | 3-641-30116-5 / 3641301165 |
ISBN-13 | 978-3-641-30116-3 / 9783641301163 |
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