Kaffee Mohn Kaktus (eBook)

Eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
432 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-499-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kaffee Mohn Kaktus -  Michael Pollan
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Drei psychoaktive Pflanzen - Kaffee, Schlafmohn und Peyote-Kaktus -, die uns beleben, beruhigen oder unser Bewusstsein verändern, erkundet Michael Pollan in diesem spannenden Buch: ihre Kultur, ihre Wirkung und die Tabus, mit denen sie behaftet sind. Von allem, was Pflanzen den Menschen zur Verfügung stellen - Nahrung, Medizin, Duft, Geschmack, Schönheit -, ist sicher das Kurioseste, dass wir sie nutzen, um unser Bewusstsein zu verändern: es anzuregen, zu beruhigen oder den Zustand unserer mentalen Erfahrung komplett zu verändern. Pollan erkundet drei sehr verschiedene psychoaktive Pflanzen - Kaffee/Koffein, Schlafmohn/Opium und den Peyote-Kaktus/Meskalin - und macht dabei klar, wie überaus seltsam ihre jeweilige Wirkung wahrgenommen, eingeschätzt und beurteilt wird. Die besondere Kultur, die sich um jede dieser Pflanzen gebildet hat, erforscht er unter anderem, indem er sie konsumiert (oder, im Fall von Kaffee, versucht, nicht zu konsumieren). Er erzählt von der enormen Anziehungskraft, die psychoaktive Pflanzen in allen Kulturen auf Menschen hatten und haben, und von den mächtigen Tabus, die mit ihnen verbunden sind. Grandios verbindet Pollan Geschichte, Naturwissenschaft, Memoir und Reportage und stellt den Diskurs über Drogen damit in ein völlig neues Licht. Über diese Pflanzen gibt es sehr viel mehr zu sagen, als nur ihre Regulierung zu debattieren. Denn wenn wir sie in unseren Körper aufnehmen und sie unser Bewusstsein verändern lassen, sind wir zutiefst mit der Natur verbunden.

Michael Pollan, geboren 1955 auf Long Island, ist ein vielfach ausgezeichneter Journalist und Professor an der Berkeley Graduate School of Journalism der University of California, Berkeley. Er hat mehrere Sachbücher geschrieben, Kochen - eine Naturgeschichte der Transformation wurde 2015 von Bild der Wissenschaft als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet und von Netflix als vierteilige Serie unter dem Titel Cooked verfilmt. Zuletzt erschien Verändere dein Bewusstsein (2019).

Michael Pollan, geboren 1955 auf Long Island, ist ein vielfach ausgezeichneter Journalist und Professor an der Berkeley Graduate School of Journalism der University of California, Berkeley. Er hat mehrere Sachbücher geschrieben, Kochen – eine Naturgeschichte der Transformation wurde 2015 von Bild der Wissenschaft als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet und von Netflix als vierteilige Serie unter dem Titel Cooked verfilmt. Zuletzt erschien Verändere dein Bewusstsein (2019).

EINFÜHRUNG


Von den vielen Bereichen, in denen Menschen auf Pflanzen zurückgreifen – Ernährung, Schönheit, Medizin, Parfüm, Geschmack, Kleidung –, ist ihr Gebrauch zur Bewusstseinsveränderung sicherlich der seltsamste: zur Anregung oder Beruhigung, zur Manipulation oder vollständigen Veränderung unserer geistigen Erfahrungen. Wie die meisten Menschen gebrauche ich Tag für Tag etliche Pflanzen auf diese Weise. Jeden Morgen beginne ich meinen Tag unweigerlich mit dem Heißwasseraufguss einer von zwei Pflanzen, von denen ich abhängig bin (und das ist keine Übertreibung), um den geistigen Nebel zu lichten, meine Konzentration zu schärfen und mich auf den vor mir liegenden Tag einzustellen. Gewöhnlich betrachten wir Koffein nicht als Droge und unseren täglichen Konsum nicht als Abhängigkeit, doch das liegt nur daran, dass Kaffee und Tee legal sind und unsere Sucht gesellschaftlich akzeptiert ist. Doch was ist dann eigentlich eine Droge? Und warum ist es erlaubt, aus den Blättern von Camellia sinensis Tee zuzubereiten, während das Gleiche mit den Samenkapseln von Papaver somniferum, wie ich unter Gefahr feststellen musste, eine Straftat ist?

Jeder, der eine handfeste Definition von Drogen erstellen will, muss letztlich scheitern. Ist Hühnersuppe eine Droge? Wie steht es mit Zucker? Künstlichen Süßstoffen? Kamillentee? Oder mit einem Placebo? Wenn wir eine Droge nur als etwas definieren, das nach der Einnahme eine Veränderung bewirkt, sei es in Körper oder Geist (oder bei-dem), dann kommen wohl all diese Stoffe infrage. Aber müssten wir nicht imstande sein, Nahrungsmittel von Drogen zu unterscheiden? Angesichts dieses Dilemmas zieht sich die Arzneimittelzulassungsbehörde FDA damit aus der Affäre, dass sie Drogen in einer Zirkeldefinition als »Stoffe außer Nahrungsmitteln« bezeichnet, die in der amtlichen Arzneimittelliste, das heißt seitens der FDA, als Drogen eingestuft sind. Keine große Hilfe.

Das Ganze wird auch nicht viel klarer, wenn das Attribut »illegal« hinzukommt: Eine illegale Droge ist etwas, das die Regierung dazu erklärt. Es kann kein Zufall sein, dass davon fast ausschließlich Stoffe betroffen sind, die das menschliche Bewusstsein verändern können. Oder vielleicht sollte ich eher sagen, die das menschliche Bewusstsein derart verändern können, dass es den reibungslosen gesellschaftlichen Abläufen und den Interessen der Mächtigen zuwiderläuft. Kaffee und Tee zum Beispiel, die ihren Nutzen für den Kapitalismus in vielerlei Hinsicht sattsam unter Beweis gestellt haben, nicht zuletzt, weil sie uns zu leistungsfähigeren Arbeitern machen, laufen keine Gefahr, verboten zu werden, während Psychedelika – die nicht giftiger sind als Koffein und bei Weitem nicht so abhängig machen – seit Mitte der 1960er-Jahre, zumindest in der westlichen Welt, als Bedrohung der gesellschaftlichen Normen und Bräuche betrachtet werden.

Doch auch diese Einstufungen sind nicht so unerschütterlich wie man glauben könnte. Zu unterschiedlichen Zeiten haben die Behörden der arabischen Welt und Europas den Kaffee verboten, weil sie die Menschen, die sich versammelten, um ihn zu trinken, als politisch bedrohlich empfanden. Während ich diese Zeilen schreibe, scheinen Psychedelika gerade einen Identitätswechsel zu durchlaufen. Da die Forschung nachgewiesen hat, dass Psilocybin bei der Behandlung psychischer Krankheiten nützlich sein kann, dürften manche Psychedelika schon bald von der FDA als Arzneien zugelassen werden: Das heißt, sie werden als hilfreich und nicht mehr als bedrohlich für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft betrachtet.

Zufällig ist das genau die Sichtweise, die indigene Völker auf diese Stoffe hatten. In vielen indigenen Gemeinschaften bekräftigt der zeremonielle Gebrauch des Psychedelikums Peyote die gesellschaftlichen Normen, indem er die Menschen zusammenbringt, um die Traumata von Kolonialismus und Enteignung zu heilen. Die amerikanische Regierung erkennt das im ersten Verfassungszusatz festgehaltene Recht der Ureinwohner an, Peyote als Teil der freien Ausübung ihrer Religion einzunehmen, doch der Rest von uns genießt dieses Recht nicht, obwohl wir Peyote in ähnlicher Art und Weise gebrauchen. In diesem Fall ändert also statt der Droge die Identität des Konsumenten ihren rechtlichen Status.

Der Umgang mit Drogen ist unaufrichtig. Aber es stimmt nicht ganz, dass unsere Pflanzentabus völlig willkürlich sind. Wie die angeführten Beispiele zeigen, billigen die Gesellschaften bewusstseinsverändernde Drogen, die die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Regeln unterstützen, und verbieten solche, die sie untergraben. Deshalb lassen sich an den akzeptierten Stoffen die Ängste und Wünsche der Gesellschaft ablesen.

Seit ich als Jugendlicher anfing zu gärtnern und Cannabis anzubauen versuchte, bin ich fasziniert von der Anziehungskraft dieser machtvollen Pflanzen und der ebenso machtvollen Tabus und Befürchtungen, mit denen wir sie umgeben. Inzwischen weiß ich, dass wir uns, wenn wir diese Pflanzen unserem Körper zum Zwecke der Bewusstseinsveränderung zuführen, zutiefst auf Natur einlassen.

Es gibt auf der Welt nur wenige Kulturen, die in ihrer Umgebung nicht mindestens eine dieser Pflanzen oder Pilze, in den meisten Fällen sogar eine ganze Reihe davon, entdeckt haben, die in irgendeiner Form das Bewusstsein verändern. Durch ein vermutlich langes und gefährliches Ausprobieren haben die Menschen Pflanzen ermittelt, die von der Last körperlicher Schmerzen befreien, die uns leistungsfähiger oder geselliger machen, die Ehrfurcht oder Verzückung auslösen, unsere Vorstellungskraft nähren, über Zeit und Raum hinausweisen, Träume, Visionen und mystische Erfahrungen in Gang setzen und uns unseren Vorfahren oder Göttern nahebringen. Offenbar reicht uns Menschen das normale, alltägliche Bewusstsein nicht. Wir versuchen, es zu verändern, zu vertiefen und manchmal zu transzendieren, und haben in der Natur eine ganze Sammlung von Molekülen entdeckt, die uns dazu befähigen.

Kaffee, Mohn, Kaktus ist eine persönliche Erforschung dreier dieser Moleküle und der bemerkenswerten Pflanzen, von denen sie erzeugt werden: das Koffein in Kaffee und Tee, das Morphin im Schlafmohn und das vom Peyote- und vom San-Pedro-Kaktus produzierte Meskalin. Das erste dieser Moleküle ist heute überall legal, das zweite zumeist illegal (es sei denn, es wurde von einem Pharmakonzern gereinigt und von einem Arzt verschrieben), und das dritte gilt in den Vereinigten Staaten als illegal, sofern man keinem Stamm der Urbevölkerung angehört. Jedes repräsentiert eine der drei groben Kategorien psychoaktiver Stoffe: der Downer (Opium), der Upper (Koffein) und das, was ich als Outer betrachte (Meskalin). Oder, um es wissenschaftlicher auszudrücken: Ich befasse mich mit einem Beruhigungsmittel, einem Aufputschmittel und einem Halluzinogen.

Zusammen genommen decken diese drei pflanzlichen Drogen einen Großteil des Spektrums menschlicher Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen ab, vom täglichen Konsum des Koffeins, der beliebtesten psychoaktiven Droge auf dem Planeten, über den zeremoniellen Gebrauch von Meskalin seitens der Urbevölkerung bis zum jahrhundertealten Gebrauch von Opiaten zur Schmerzlinderung. Dieses Kapitel ist zur Zeit des Drogenkriegs angesiedelt, in den chaotischen Jahren, als die Regierung ein paar Gärtnern, die Mohn anbauten, um einen milden narkotischen Tee zu kochen, mehr Aufmerksamkeit widmete als einem Pharmakonzern, der wissentlich Millionen von Amerikanern nach seinem von der FDA zugelassenen Opiat OxyContin süchtig machte. Einer der Gärtner war ich.

Jede dieser Geschichten erzähle ich aus mehreren Perspektiven und mit unterschiedlicher Sichtweise: historisch, anthropologisch, biochemisch, botanisch oder persönlich. In allen Fällen habe ich etliche Gehirnzellen aufs Spiel gesetzt, da ich ohne Selbstversuche nicht weiß, wie ich die Erfahrung der Bewusstseinsveränderung beschreiben soll. Doch beim Koffein war der Selbstversuch von Abstinenz statt von Konsum geprägt, und das erwies sich als viel schwieriger.

Eins dieser Kapitel besteht aus einem Essay, den ich schon vor fünfundzwanzig Jahren verfasst habe, als der Drogenkrieg in vollem Gange war, und er weist noch die Narben dieser angstvollen, paranoiden Zeit auf. Die anderen Geschichten sind vom Abebben dieses Kriegs beeinflusst, dessen Ende inzwischen in Sicht zu sein scheint. Bei der Wahl von 2020 stimmten die Oregoner dafür, den Besitz jeglicher Drogen zu entkriminalisieren und speziell Therapien, bei denen Psilocybin verwendet wird, zu legalisieren. Ein in Washington, D.C., eingereichtes Volksbegehren fordert die Entkriminalisierung1 »entheogener Pflanzen und Pilze«. (»Entheogen«, was im Griechischen »Offenbarung des Gottes [Göttlichen] im Innern« heißt, ist eine andere Bezeichnung für Psychedelika, die 1979 in der Hoffnung, diese Wirkstoffklasse vom Makel der Gegenkultur zu befreien und den spirituellen Gebrauch zu betonen, dem sie Tausende von Jahren diente, von einer Gruppe Religionswissenschaftler geprägt...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2022
Übersetzer Thomas Gunkel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Anziehungskraft • Bewusstseinsveränderung • Drogenwirkung • Erfahrungswerte • Kaffee • koffein • Mescalin • Michael Pollan • Naturverbundenheit • Peyote-Kaktus • Schlafmohn • Selbstversuch • Sucht • Suchtmittel • Wirkungsgeschichte
ISBN-10 3-95614-499-6 / 3956144996
ISBN-13 978-3-95614-499-8 / 9783956144998
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