Extrem - Was unser Körper zu leisten vermag (eBook)

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2021 | 1. Auflage
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491196-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Extrem - Was unser Körper zu leisten vermag -  Hanns-Christian Gunga
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Der Weltraummediziner und Physiologe Hanns-Christian Gunga beobachtet den menschlichen Körper unter physischen und psychischen Extrembelastungen - und erklärt, warum die Wissenschaft längst noch nicht alle Geheimnisse gelüftet hat: Wie wirkt sich Isolation auf unseren Körper aus? Was machen die Arbeit unter Tage, monatelange Schwerelosigkeit oder Flüssigkeitsmangel mit uns? Und wie ist es möglich, dass Körpertemperatur, Blutdruck und Pulsfrequenz auch unter so extremen Bedingungen nur minimal variieren? Eine Reise in unbekannte Tiefen, schwindelerregende Höhen und tief hinein ins menschliche Innenohr.

Hanns-Christian Gunga, geboren 1954, ist Geologe-Paläontologe und Facharzt für Physiologie sowie Professor für Weltraummedizin und extreme Umwelten an der Charité in Berlin. Er hat Studien in ghanaischen Goldminen, auf der chilenischen Hochebene und auf der Raumstation ISS geleitet. In seinem neuen Buch erzählt von den Abenteuern, den überraschenden Erkenntnissen und den neuen Fragen, die bei diesen Gelegenheiten entstanden sind - eine Reise in den menschlichen Körper unter extremen Bedingungen.

Hanns-Christian Gunga, geboren 1954, ist Geologe-Paläontologe und Facharzt für Physiologie sowie Professor für Weltraummedizin und extreme Umwelten an der Charité in Berlin. Er hat Studien in ghanaischen Goldminen, auf der chilenischen Hochebene und auf der Raumstation ISS geleitet. In seinem neuen Buch erzählt er von den Abenteuern, den überraschenden Erkenntnissen und den neuen Fragen, vor die ihn seine Forschung gestellt hat – eine Reise in den menschlichen Körper unter extremen Bedingungen.

spannend zu lesen

es ist spannend zu lesen

Durch seinen erzählerischen Stil gelingt es ihm, wissenschaftliche Erkenntnisse anschaulich zu machen

Haarstrang oder Sein ist Gewordensein


Mein Weg zur Physiologie

Wie kommt der Sohn einer evangelischen Pfarrersfamilie dazu, Geologe, Mediziner und Physiologe zu werden? Und was hat die Physiologie, die Wissenschaft von den Funktionen und Abläufen in den Zellen und Organen aller Lebewesen, mit der Entstehung und Entwicklung des Universums, unseres Sonnensystems und unseres Planeten zu tun? Ein persönlicher Rückblick.

Ich bin in einem protestantischen Pfarrhaus in einer katholischen Gegend im Münsterland aufgewachsen. Mein Vater war Pfarrer und meine Mutter Psychiaterin in einem Krankenhaus für psychisch Erkrankte. Eine eigenwillige Mischung, die prägt. Der Alltag meiner Eltern war gekennzeichnet durch Arbeit. Von uns Kindern, meinen beiden Geschwistern und mir, wurden gute Leistungen in der Schule und ein für einen Pastorenhaushalt angemessenes, störungsfreies Verhalten in der Gemeinde erwartet. Bei monatlich stattfindenden Pfarrkränzchen mit Kollegen meines Vaters sangen wir zu Beginn gemeinsam Lieder von Paul Gerhardt und beteten. Alle waren in Schwarz gekleidet. Nur meine Mutter trug Weiß. Anschließend blieben wir Pfarrerskinder unter uns. Waren alle Gäste wieder abgereist, wurde es in der Regel anstrengend: Die Eltern besprachen dann beim Abendessen, was in den anderen Pfarrfamilien offensichtlich nicht so gut lief. Schul- und Drogenprobleme, Pubertätszumutungen und sexuelle Aktivitäten des Nachwuchses waren das Thema. Indirekt sollte meinen Geschwistern und mir damit klargemacht werden, wo die Grenzen verliefen und wovon wir tunlichst die Finger lassen sollten.

Ich hatte der Biologielehrerin einmal im Unterricht von meiner Begeisterung für das Fossiliensuchen erzählt. Da war ich ungefähr zwölf. Kurz darauf rief der Schulrektor bei uns an. Vermutlich eine Schrecksekunde für meine Eltern, denn nicht nur der Mathelehrer hatte bei mir schon des Öfteren einen ausprägten Hang zur Saisonarbeit diagnostiziert. Der Rektor führte allerdings keine Beschwerde, sondern äußerte den Wunsch, mich bei der Fossiliensuche begleiten zu dürfen. Dazu würde er mit mir sogar in einen weiter entfernt liegenden Steinbruch fahren. Bis dahin hatte ich nur in der Nachbarschaft in den Uferböschungen der Lippe gesucht. Diese waren zur Begradigung von Flussläufen, was in den sechziger Jahren mit Vorliebe geschah, mit Kalksteinmaterial aus der Region aufgefüllt worden, und das enthielt zum Teil reiches fossiles Material aus der späten Kreidezeit, der »Oberkreide« von vor etwa 100 bis 66 Millionen Jahren.

Pfarrkränzchen im elterlichen Pfarrhaus ca. 1966

Mit Feldbuch, Hammer, Meißeln und der Lokalzeitung im Rucksack – »Der Patriot« eignete sich hervorragend zum Einwickeln der Fundstücke; das war gutes, kräftiges und saugfähiges Papier, dessen Druckerschwärze allerdings so manches Mal die Hände färbte – fuhren wir mit dem Fahrrad nach Klieve. Es war ein warmer, sonniger Tag, der Himmel strahlend blau. Die Sommergerste stand schon im Feld, die Fahrradtour mit dem Rektor muss also im Juli gewesen sein. Damals waren die Getreidefelder noch durchsetzt mit leuchtend blauen Kornblumen und mit Klatschmohn, so rot, dass selbst ich, ein Rot-Grün-Farbsinn-Gestörter, die Farbe erkennen konnte. So radelten wir beschaulich durch eine leicht hügelige, ruhige westfälische Landschaft, und am Horizont kam der von Westen nach Osten verlaufende Höhenzug des Haarstrangs immer näher, die südliche Begrenzung der Westfälischen Bucht mit Gesteinen aus dem Turon (vor etwa 90 bis 94 Mill. Jahren) und dem Cenoman (vor etwa 94 bis 100 Mill. Jahren). Am Steinbruch angekommen, säumten zunächst zwanzig Meter hohe Schutthalden den unbefestigten Pfad in die tiefste Sohle des Steinbruchs. Ein feucht-kühler, kalkig riechender Luftzug begleitete uns, stärker werdend, je tiefer wir in die im Schatten liegende Sohle eindrangen. Hier ließ mich der Rektor über die Stratigraphie, über Erdzeitalter, Leitfossilien, die fossilreichen und -armen Schichten, die verschiedenen Qualitäten des Gesteins berichten und fasste den Plan, eine ganze Schulklasse an diesen Ort zu führen. Ich sollte den Unterricht im Steinbruch übernehmen, was in der Tat einige Wochen später geschah. Er hat seine Aufgabe als Pädagoge sehr ernst genommen. Mir gehen die Gedanken an den sommerlichen Ausflug und den Beginn meiner »Lehrtätigkeit« in der Talsohle am Haarstrang nahe. Ich bin dem Rektor noch heute dankbar. Ich glaube, ich habe es ihm nie gesagt.

Einem anderen, weniger direkten Mentor bin ich ebenfalls dankbar. Es muss in der Mitte der sechziger Jahre gewesen sein – zu Zeiten, in denen das Fernsehen noch schwarzweiß war. Emma Peel jagte in der Krimiserie Mit Schirm, Charme und Melone in fabelhaften Overalls als Agentin Verbrecher, das Raumschiff Orion plante den Rücksturz zur Erde, im Westdeutschen Rundfunk wurde die Sendung zur Entstehung der Arten gezeigt, und im ZDF lief die Fernsehreihe Unser blauer Planet. Ein weißhaariger Physiker mit eigenwilliger Intonation berichtete aus einem kargen Studio über die Naturgeschichte der Erde. Meistens saß er hinter einem Schreibtisch, die Kamera direkt auf ihn gerichtet, auf einem Drehstuhl, der ihm geringe, aber pointierte Änderungen der Blickrichtung zum Zuschauer ermöglichte, wenn es ihm notwendig erschien, die Aufmerksamkeit besonders zu fördern. Sein Sprachfluss war minimal verlangsamt. Er behielt die Zeit genau im Auge und trug stets eine ans innere Handgelenk gedrehte Armbanduhr, auf die er zwischendurch einen flüchtigen Blick werfen konnte. Alles sehr kontrolliert. Im Hintergrund standen im Studio vereinzelt Pinnwände mit Bildern auf Pappkarton, eine Tafel, vielleicht auch mal ein Globus, aber stets vor ihm auf seinem Schreibtisch: ein schneeweißer DIN-A1-Block mit dicken Kohlestiften. Hierauf skizzierte der Moderator, Heinz Haber, anschaulich komplizierte Planetenbahnen und erläuterte physikalische Gesetze. Nur ausnahmsweise verließ er den Platz hinter dem Schreibtisch und schrieb das Erklärte zusätzlich mit Kreide an die Tafel oder nahm den Globus zu Hilfe.

Was war das Faszinierende, das Besondere an ihm? Er hat kosmologisches und astronomisches mit geologischem Wissen der Erdgeschichte verknüpft. Das war neu. Diese Einbeziehung der Erde hat die entferntesten Galaxien, die Strahlung im All und von der Sonne nah an den Zuschauer herangebracht. Er sprach über Themen, die im schulischen Lehrplan so gut wie keine Berücksichtigung fanden. Was Haber berichtete, evozierte Staunen und Erstaunen, indem er die wunderlichsten Dinge so erklärte, dass man glaubte, in tiefe Geheimnisse eingeweiht zu werden. Er hat das Komplizierte scheinbar einfach gemacht, ohne es zu trivialisieren. In Wahrheit blieb natürlich auch bei ihm vieles rätselhaft, aber gerade das (noch) nicht Enträtselte machte seine Sendung oft spannend wie einen Krimi, und die Kargheit des Studios lenkte das Interesse auf das Wesentliche.

Was ich damals noch nicht wusste: Haber hatte über Jahre hinweg eng mit dem renommierten Physiologen Otto Gauer (19101979) zusammengearbeitet. Der hatte das Physiologische Institut an der Freien Universität Berlin in den sechziger Jahren mit aufgebaut und zu einem Zentrum medizinisch-physiologischer Forschung von überregionaler Bedeutung gemacht. Otto Gauer war Kreislaufphysiologe und interessierte sich für die Auswirkungen von Gravitationskräften auf das Herz-Kreislauf-System des Menschen, insbesondere auf die Durchblutung des Gehirns. Durch seine Experimente kam er zu dem (richtigen) Schluss, dass die plötzlich eintretende Bewusstlosigkeit von Piloten, die gefürchteten »Blackouts« bei raschen Richtungsänderungen, auf eine Minderversorgung des Gehirns mit Blut zurückführen ist. Heinz Haber beschrieb mit mathematisch-physikalischem Verständnis die Vorgänge, die beispielsweise bei Flugmanövern eine Rolle spielten.

Direkt nach dem Krieg war Gauer, mit Haber und anderen führenden Luft- und Raumfahrtwissenschaftlern, in den Gebäuden des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts in Heidelberg von den Amerikanern interniert worden, auch um sicherzustellen, dass diese Experten nicht in die Hände der Sowjets fielen. Gemeinsam arbeiteten die beiden während der Internierung in Heidelberg an dem Buch German Aviation in World War II und an einer theoretischen Arbeit mit dem Titel Man under gravity-free conditions – der weltweit ersten Publikation, die sich mit den möglichen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper beschäftigte. Anfang der 1950er Jahre wurde Otto Gauer mit über 60 anderen Wissenschaftlern und Technikern in einer geheimen, von den Amerikanern durchgeführten Aktion namens »Operation Paperclip« über Mexiko in die Vereinigten Staaten gebracht. Dort hatten sie die Aufgabe, den Auf- und Ausbau des amerikanischen Luft- und Raumfahrtprogramms der NASA zu unterstützen. Erst 1960 kehrte Gauer aus den USA nach Deutschland zurück – gemeinsam mit Heinz Haber.

Dessen gleichnamiges Taschenbuch zur Sendung Der blaue Planet war das erste wissenschaftlich ausgerichtete Buch, das ich in einem Zug durchgelesen habe. Die darin behandelten Themen faszinierten mich, machten mich sowohl neugierig als auch mitteilungsbedürftig. Ich verfasste Wettbewerbsartikel über meine Voraussagen für die nächsten 50 Jahre und schrieb Beiträge zur...

Erscheint lt. Verlag 29.9.2021
Zusatzinfo Mit 8 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie
Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Arktis • Ernährung • Evolution • Extremsport • Geschlechterunterschiede • Hitze • Höhenanpassung • Ironman • Isolation • Kälte • Lebenszyklus • Leistungsphysiologie • Leistungssport • Nahrungsmangel • Selbstoptimierung • Unterkühlung • Vereinsamung • Weltall • Weltraummedizin • Wüste
ISBN-10 3-10-491196-7 / 3104911967
ISBN-13 978-3-10-491196-0 / 9783104911960
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