Die Pflanzen und ihre Rechte (eBook)
160 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12089-9 (ISBN)
Stefano Mancuso, geboren 1965, ist Professor für Pflanzenkunde und einer der führenden Autoren des »Nature Writing«. Mancuso forscht und lehrt an der Universität Florenz, leitet das Laboratorio Internazionale di Neurobiologia Vegetale. Mit zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen gilt er international als der führende Pflanzenforscher. Sein Buch »Die Intelligenz der Pflanzen« stand monatelang auf der Bestsellerliste.
Stefano Mancuso, geboren 1965, ist Professor für Pflanzenkunde und einer der führenden Autoren des »Nature Writing«. Mancuso forscht und lehrt an der Universität Florenz, leitet das Laboratorio Internazionale di Neurobiologia Vegetale. Mit zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen gilt er international als der führende Pflanzenforscher. Sein Buch »Die Intelligenz der Pflanzen« stand monatelang auf der Bestsellerliste.
Eine Fläche von 510 Millionen Quadratkilometern, beinahe 1100 Milliarden Kubikkilometer Volumen und eine Masse von 5,97 mal 1024 Kilogramm – das sind die Ausmaße unseres gemeinsamen Zuhauses in nackten Zahlen. Auf den ersten Blick mag es enorm viel erscheinen, aber das ist es nicht. Verglichen mit benachbarten Himmelskörpern, wie der über 1,3 Millionen Mal größeren Sonne, wirken die Dimensionen der Erde geradezu bescheiden. Allerdings verfügt unser kleiner Planet über eine ganz besondere Eigenschaft, denn er ist der bislang einzige bekannte Ort im Universum, an dem sich Leben entwickelt hat. Mehr noch, er ist der einzige bekannte Ort, an dem das Leben zu prosperieren scheint. Nicht seine Größe, sondern das Leben macht unseren Planeten zu etwas Besonderem.
Der Umstand, dass es dem Leben – ungeachtet aller Spekulationen über die Möglichkeit des »Terraforming« auf dem Mars oder anderen Himmelskörpern – an planetaren Alternativen mangelt, macht die Erde einzigartig und zu einem unantastbaren Gemeingut, das es zu pflegen und zu bewahren gilt – so wie es für das einzig mögliche Zuhause des Lebens angemessen ist. Es ist ein zudem äußerst zerbrechliches Zuhause, beschränkt auf eine dünne Schicht, die etwa von 10 000 Meter unter dem Meeresspiegel bis 10 000 Meter darüber reicht. Und eine 20-Kilometer-Zone des Lebens ist wahrlich nicht viel, gemessen an der Größe des Weltalls.
Viele Wissenschaftler sind allerdings davon überzeugt, dass das Universum voller Leben sein müsse. Ernst zu nehmende Berechnungen deuten darauf hin, dass es im All zugehen könnte wie in der Tokioter U-Bahn zur Hauptverkehrszeit. Vielleicht ist es so. Aber ich würde nicht darauf wetten.
Auch wenn es bislang keinen einzigen Beleg für außerirdisches Leben gibt, scheint die berühmte Frage des Kernphysikers Enrico Fermi »Wo sind sie alle?« aktueller denn je. Aus meiner Sicht ist dieses ständige Gerede über erdähnliche Planeten, auf denen bereits Leben existieren könnte oder sich zumindest leicht etablieren ließe, im Grunde nichts weiter als ein Versuch, uns angesichts der zahlreichen, vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen selbst zu beruhigen. Wir wollen uns versichern, dass die menschliche Zukunft, wie auch immer sie aussehen mag, irgendwo anders weitergehen kann, sollten uns die Ressourcen auf diesem Planeten ausgehen. Dass es keinen einzigen Beweis für die Existenz von Leben jenseits der Erde gibt, hindert die Menschen nicht daran, von Abermilliarden Galaxien im Universum ausgehende Berechnungen anzustellen, um die Anzahl der wahrscheinlich bewohnbaren Planeten zu ermitteln und diejenigen auszuschließen, die noch zu jung oder schon zu alt sind oder auf denen lebensfeindliche Temperaturen herrschen. Dabei kommt eine erstaunlich hohe Zahl von Planeten heraus, die nicht nur einfaches Leben, sondern Zivilisationen, ebenso intelligent und entwickelt wie die unsere, beherbergen könnten. Die Mutter aller dieser Überlegungen ist – nur um zu verdeutlichen, wie dieses Denken funktioniert – die berühmte, vom Astronomen Frank Drake in den 1960er-Jahren entwickelte Gleichung: N = R x fp x ne x fl x fi x fc x L.
In dieser Formel steht N für die Anzahl der Zivilisationen in unserer Galaxie, die bereit und in der Lage wären, mit uns in Kontakt zu treten. Der Faktor R bezeichnet die durchschnittliche Sternentstehungsrate in der Galaxie, fp den Anteil der Sterne mit Planetensystemen, ne die durchschnittliche Zahl von Planeten pro Stern, die innerhalb der habitablen Zone liegen, fl die Anzahl der Planeten, auf denen sich tatsächlich Leben entwickelt hat, fi den Anteil der Planeten mit intelligentem Leben, fc den Anteil der Zivilisationen mit Interesse an interstellarer Kommunikation und L die geschätzte Lebensdauer einer technischen Zivilisation. Je nachdem, welche Werte den einzelnen Parametern zugewiesen werden, könnte es in unserer Galaxie entweder vor intelligentem Leben wimmeln oder die Wahrscheinlichkeit für die Existenz weiterer Zivilisationen gegen null tendieren.[1]
Doch lassen wir die Berechnungen einmal beiseite. Obwohl das Wissen über unsere Nachbarplaneten in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen ist, fand sich auch dort kein Hinweis auf die Existenz von Leben. Im Sommer 2015 näherte sich die NASA-Raumsonde New Horizons Pluto, dem entferntesten Planeten[2] unseres Sonnensystems, bis auf 12 500 Kilometer und sandte uns als Höhepunkt einer langen Reihe von Erkundungen die ersten detaillierten Aufnahmen unseres abgelegenen planetarischen Verwandten. Bereits im Jahr 2014 landete Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko und im Jahr 2016 schwenkte Juno in den Orbit des Jupiters ein. Außerdem übermitteln die beiden Rover Opportunity und Curiosity seit Jahren Daten über die Zusammensetzung des Marsbodens. Im Mai 2018 wurden sie durch den Lander InSight verstärkt, der den Marsuntergrund untersuchen soll.
Das interessanteste Ergebnis dieser intensivierten Erforschung des Sonnensystems ist aus meiner Sicht die im Vergleich zur Erde deutlich schlichtere Zusammensetzung der besuchten Himmelskörper. Die Komplexität unseres Planeten wird nämlich durch das Leben verursacht. Lebewesen sind so eng mit dem Geschehen auf der Erde verknüpft, dass es schon eines postapokalyptischen Science-Fiction-Szenarios bedarf, um sie sich steril vorzustellen. Ohne Leben wäre unser Planet vermutlich so etwas wie ein Mittelding zwischen Venus und Mars. Würde er trotzdem blau aussehen? Vermutlich nicht. Und mit Sicherheit wäre er nicht grün. Und wie würde sich das völlige Fehlen von freiem Sauerstoff auswirken? Der Sauerstoff, den wir atmen, wird ausschließlich von Lebewesen produziert. Genauer gesagt, von denjenigen, die Fotosynthese betreiben. Was würde ohne Sauerstoff mit dem Wasser, den Felsen und dem Erdboden geschehen? Niemand kann es sagen.
Tatsächlich geht vieles, was wir auf der Erde sehen, auf das Wirken lebender Organismen zurück. Das Erscheinungsbild der Flüsse und Küsten, ja selbst der Berge hat das Leben aktiv mitgestaltet. Die weißen Klippen von Dover etwa sind ebenso wie viele andere ähnliche Strukturen durch die sedimentäre Anhäufung von Skeletten unzähliger Kalkflagellaten (Coccolithophorida) entstanden, also durch einzellige Algen, die von Kalziumkarbonatplättchen umschlossen werden. Auch Travertin hat sich durch die Einwirkung von Algen gebildet. Und in Sedimenten vorkommende Minerale wie Pyrit und Markasit sind das Resultat sulfatreduzierender Bakterien. Kurz gesagt, unseren Planeten Gaia zu nennen und ihn als ein einziges Lebewesen zu betrachten, ist keineswegs so naiv, wie von vielen angenommen wurde, sondern eine durchaus ernst zu nehmende Sicht auf die Bedeutung und Funktion des Lebens für unsere Erde.
Im Jahr 2013 beschrieb Bob Holmes im New Scientist[3] auf der Grundlage fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse ein durchaus realistisches Szenario für eine zukünftige Erde, von der alles Leben verschwunden ist. Ohne Pflanzen und andere Fotosynthese betreibende Organismen würde kein Sauerstoff mehr produziert werden. In der Folge käme es zu einer immer höheren CO2-Konzentration in der Atmosphäre und zu steigenden Temperaturen, die zum Abschmelzen der Polkappen führen würden. Der nicht mehr von Wurzeln gehaltene Erdboden würde über die Flüsse ins Meer gespült werden und eine Oberfläche aus nacktem Fels und Sand hinterlassen, wie wir sie ähnlich durch die Aufnahmen der Rover vom Mars kennen. Innerhalb mehrerer zehn Millionen Jahre geriete der Treibhauseffekt zunehmend außer Kontrolle, bis auf der nun dauerhaft unbewohnbaren Erde schließlich so extreme Bedingungen wie auf der Venus herrschen.
Stellen wir Fermis Frage also noch einmal: »Wo sind sie alle?« Die Überzeugung, das Leben müsse ein verbreitetes Gut im Universum sein, ist sicher ein Grund für die mangelnde Rücksichtnahme auf unseren wundervollen Planeten. Weil wir auf ihr leben, neigen wir paradoxerweise dazu, die Erde für etwas Normales zu halten. Sicher sagt vielen der Begriff Filterblase etwas. Er steht für eine Theorie, die seit Trumps Wahlsieg in aller Munde ist. Waren wir nicht fassungslos darüber, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden konnte? Tatsächlich lebten wir in einer Informationsblase, die verhinderte, dass wir die Realität vollständig und somit korrekt wahrnahmen. In ihrer ursprünglichen Form wurde die Filterblasentheorie erstmals 2011 vom...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2021 |
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Übersetzer | Andreas Thomsen |
Zusatzinfo | mit zahlreichen Abbildungen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik |
Technik | |
Schlagworte | Anthropozäm • Klimawandel • Nature writing • Naturschutz • Rechte der Pflanzen |
ISBN-10 | 3-608-12089-0 / 3608120890 |
ISBN-13 | 978-3-608-12089-9 / 9783608120899 |
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