So kam der Mensch auf den Hund -  Konrad Lorenz

So kam der Mensch auf den Hund (eBook)

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2010 | 2. Auflage
160 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-40416-7 (ISBN)
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Der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger erzählt bewegende, amüsante und aufschlussreiche Episoden aus seinem Leben, in dem Tiere und insbesondere Hunde immer eine große Rolle gespielt haben. Er stellt sich sogar die Frage »Welcher Hund passt zu wem?«. Seine Erinnerungen und Gedanken sind nach wie vor eine Quelle der Inspiration und Information für alle Tierfreunde und Hundeliebhaber. Und eine Bestätigung dafür, dass die Liebe zu einem Tier nicht abwegig, sondern ein »wundervoller Seelenzustand« ist, wie es eine Leserin beschreibt.  

Konrad Lorenz (1903-1989) war der Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung. 1973 erhielt er den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin, gemeinsam mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen. Seine bekanntesten wissenschaftlichen Werke sind 'Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Agression' (1963) und 'Über tierisches und menschliches Verhalten' (1965). Beliebte Klassiker sind seine populären Bücher 'Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen' und 'So kam der Mensch auf den Hund'.

Konrad Lorenz (1903-1989) war der Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung. 1973 erhielt er den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin, gemeinsam mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen. Seine bekanntesten wissenschaftlichen Werke sind 'Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Agression' (1963) und 'Über tierisches und menschliches Verhalten' (1965). Beliebte Klassiker sind seine populären Bücher 'Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen' und 'So kam der Mensch auf den Hund'.

Wie es gewesen sein könnte


Durch das hohe Steppengras ziehen Menschen, eine kleine Schar unbekleideter wilder Gestalten. In den Händen tragen sie Speere mit Knochenspitzen, einige haben sogar Pfeil und Bogen. Wohl gleichen sie körperlich den Menschen unserer Tage, aber ihr Benehmen mutet tierhaft an, rastlos und ängstlich blicken ihre dunklen Augen, genau wie bei einem scheuen Wild, das dauernd auf der Hut sein muß. Das sind noch keine freien Menschen, keine Herren der Erde, sondern Gejagte, die in jedem Dickicht Gefahren fürchten müssen.

Die Stimmung ist gedrückt. Stärkere Verbände hatten sie jüngst gezwungen, das ursprüngliche Jagdgebiet zu verlassen und weit nach Westen in die Steppe auszuweichen, in unbekanntes Land, das viel mehr Raubtiere hat als die einstige Heimat. Obendrein war vor wenigen Wochen der alte erfahrene Jäger, der die Schar führte, einem säbelzähnigen Tiger zum Opfer gefallen. Daß der Räuber später an einem Speerstich zugrunde ging, war kaum ein Trost in dem Unheil.

Am meisten litt die Horde unter Schlafmangel. In der alten Heimat hatten alle am Feuer geschlafen, das in einem weiteren Gürtel auch die lästigen Goldschakale1 umlagerten; dadurch ersparte man Wachen, da die Schakale schon von weither das Nahen eines Raubtieres anzeigten. Freilich waren sich jene primitiven Menschen dieses Nutzens nicht bewußt. Wenn sie auch nicht gerade einen Pfeil verschwendeten, so scheuchten sie doch mit Steinwürfen den Schmarotzer, der sich an das Feuer wagte.

So ziehen sie dahin, müde und schweigsam. Die Nacht wird bald einfallen, aber die Horde hat noch immer keinen Platz gefunden, der für ein Lagerfeuer taugte, um endlich die karge Beute des Tages, ein Stück Wildschwein, den Rest vom Mahle eines Säbelzahntigers, zu braten.

Plötzlich, gleich verhoffenden Rehen, wenden alle die Köpfe gespannt in die nämliche Richtung: Sie haben einen Laut gehört. Der konnte nur von einem wehrhaften Tiere sein, denn die Gejagten haben gründlich gelernt, sich still zu verhalten. Und wieder dieser Laut. Ja, es ist ein Schakal, der da schreit. Seltsam bewegt steht die Horde und lauscht dem Gruß aus besseren und weniger gefährlichen Zeiten. Und dann tut der junge, hochstirnige Leiter der Horde etwas den anderen Unverständliches: Er trennt ein Stück von der Beute ab und wirft es auf den Boden. Möglich, daß sich die anderen ärgern, sie leben schließlich nicht so im Überfluß, daß man den Braten in der Steppe verstreuen dürfte. Wahrscheinlich wußte der Junge selbst nicht, weshalb er es tat, er handelte offenbar gefühlsmäßig, vielleicht wünschte er, die Schakale näher bei sich zu haben. Jedenfalls legte er noch öfters ein Stückchen Wildschwein auf die Spur. Begreiflich, daß die anderen dies für einen üblen Scherz nahmen und der Hordenleiter sich nur mit Mühe des Grimmes der Hungrigen erwehren konnte.

Schließlich saßen sie aber doch alle am Feuer, und mit der Sättigung überkam wieder der Friede die aufgebrachte Schar.

Mit einem Male hört man das Heulen der Schakale. Sie haben die ausgelegten Stücke gefunden und nähern sich auf der Spur dem Lager. Da sieht einer fragend nach dem Hordenführer, steht dann auf und legt in einiger Entfernung Knochen nieder, dort, wohin gerade noch der Feuerschein reicht. Ein bedeutendes Ereignis: die erste Fütterung eines nützlichen Tieres durch den Menschen.

Heute darf die Horde ruhig schlafen, denn die Schakale umschleichen das Lager, sie sind verläßliche Wächter. Und als am anderen Morgen die Sonne aufgeht, ist die Menschenhorde gut ausgeruht und vergnügt. Von diesem Tage an wird kein Stein mehr nach einem Schakal geworfen …

Viele Jahre sind vergangen, viele Generationen. Die Schakale sind zahmer, furchtloser geworden. In größeren Scharen umlagern sie die Plätze der Menschen, die jetzt sogar Wildpferde und Hirsche erlegen. Die Schakale haben auch ihre Lebensweise geändert: Während sie früher nur nächtens umherzogen, tagsüber aber tief versteckt im Dickicht ruhten, sind die Stärksten und Klügsten zu Tagtieren geworden und folgen dem jagenden Menschen auf seinen Beutezügen.

Und da mag es denn einmal geschehen sein, daß die Horde die Spur einer trächtigen Wildpferdstute aufgenommen hat, die durch eine Speerwunde in ihrer Flucht behindert wurde. Die Jäger sind sehr erregt, zumal die Kost seit langem schmal ist. Daher folgen auch die Schakale hungriger als sonst, da sie bei den Mahlzeiten der Menschen meist leer ausgegangen waren.

Die Stute, geschwächt von ihrer Trächtigkeit und vom Blutverlust, greift zu einem uralten, ihrer Art angeborenen Mittel: Sie legt einen »Widergang« an, das heißt, sie kehrt auf ihrer Spur kilometerweit zurück und wendet sich an einer buschigen Stelle scharf rechts von der Fährte ab. Oft schon hat dieser instinktive Kunstgriff ein Tier dem Jäger entzogen. Auch jetzt stehen die Jäger ratlos dort, wo im harten Steppenboden die Fährte scheinbar endet.

Die Schakale ziehen den Menschen nach, in gehörigem Abstand, denn sie wagen sich noch nicht in die Nähe der lärmenden, aufgeregten Jäger. Und sie folgen der Spur des Menschen, nicht der des Wildes. Begreiflicherweise hat ja der Schakal kein Interesse, die Fährte eines Wildpferdes zu verfolgen, da es ja für ihn nicht als Beute in Frage kommt. Diese Schakale aber haben wiederholt Teile großer Jagdtiere vom Menschen zu fressen bekommen, und ihr Geruch hat dadurch eine neue Bedeutung für sie erlangt, sie haben auch schon eine feste Gedankenverbindung zwischen einer starken Blutspur und der Aussicht auf baldige Beute gebildet.

Heute sind die Schakale besonders hungrig und erregt, die Blutspur ist frisch, und so ereignet sich etwas Neues für die Beziehung zwischen dem Menschen und seinen Trabanten. Die alte, grauschnäuzige Hündin, die geistige Führerin des Rudels, bemerkt, was die Menschen übersehen hatten, nämlich das Abzweigen der Blutspur. So biegen die Tiere an jener Stelle ein und folgen selbständig der Schweißfährte. Die Menschen haben inzwischen erfaßt, daß das Wild einen Widergang angelegt hat, und sind umgekehrt. An der Abzweigung angelangt, hören sie seitwärts die Schakale heulen. So finden sie rasch die Richtung und alsbald auch die Spur, die von den vielen Tieren im Steppengras hinterlassen wurde. Und nun ist zum ersten Male die Reihenfolge hergestellt, in der Mensch und Hund seit jenem Tage dem Wilde folgen: erst der Hund, dann der Jäger. Schneller als den Jägern gelingt es den Schakalen, das Wildpferd einzuholen und zu stellen. Wenn Hunde ein größeres Wild »stellen«, so spielt offenbar folgender psychologischer Mechanismus eine wesentliche Rolle. Der verfolgte Hirsch, Bär oder Eber, der zwar vor dem Menschen flieht, sich dem Hunde allein aber ohne weiteres zum Kampfe stellen würde, vergißt offenbar im Zorn über die Annäherung des frechen kleinen Feindes den viel gefährlicheren Verfolger. Das müde Wildpferd, das den Goldschakal nur als feigen Kläffer kennt, stellt sich zornig zur Verteidigung und schlägt wild mit dem Vorderhuf nach einem, der sich zu weit herangewagt hat. Schwer atmend tritt es im Kreise, nimmt jedoch die Flucht nicht wieder auf. Die Menschen nun hören den Lärm der Schakale, sie bemerken, daß er an derselben Stelle bleibt, der Führer gibt das Signal, die Jäger verteilen sich lautlos nach allen Seiten und umzingeln die Beute. Im Augenblick scheint es, als wollten die Schakale auseinanderstieben; aber sie beruhigen sich wieder, weil niemand sie ansieht. Die kleine Führerin des Rudels hat jede Furcht verloren, wütend bellt sie das Wildpferd an, und als dieses schließlich von einem Speer durchbohrt niederbricht, graben sich ihre Zähne gierig in die Kehle des Opfers. Erst da der Leiter der Menschenhorde sich zu dem toten Tier niederbeugt, weicht sie einige Schritte zurück. Der Hordenleiter, vielleicht der Urururenkel dessen, der zum ersten Male ein Beutestück für die Goldschakale zurückgelassen hat, schlitzt den Bauch der noch zuckenden Beute auf, zerrt roh ein Darmstück heraus, schneidet es ab, und ohne den Schakal direkt anzusehen, ein Akt höchsten intuitiven Taktgefühls, wirft er das Stück, wiederum taktvoll, nicht unmittelbar nach dem Tiere, sondern seitwärts daneben hin. Die graue Leiterin prescht scheu etwas zurück, als aber der Mensch keine Drohgebärde macht, sondern einen freundlichen Ton hören läßt, den die Schakale schon oft am Rande des Lagerfeuers gehört haben, stürzt sie heftig auf das Darmstück zu. Und als sie eilig, schon kauend, mit der Beute im Fang sich zurückziehen will und nochmals ängstlich nach dem Menschen schielt, bewegt sich ihr Schwanz in kleinen raschen Schlägen von rechts nach links. Zum ersten Male hat ein Schakal den Menschen angewedelt; damit war ein weiterer Schritt zum Haushund hin getan.

Tiere, selbst so kluge, wie es hundeartige Raubtiere sind, erwerben eine völlig neue Verhaltensweise nie durch plötzliche Eingebung, sondern durch assoziative Gedankenverbindungen, die sich erst nach mehrfacher Wiederholung einer Situation bilden. Monate mögen vergangen sein, ehe diese Schakalhündin wieder bei Verfolgung eines verwundeten Wildes, das Widergänge anlegte, auf der Spur vor dem Jäger herlief. Vielleicht war es erst ein späterer Nachfahre, der regelmäßig und bewußt die Jäger leitete und das Wild stellte.

An der Grenze zwischen älterer und jüngerer Steinzeit scheint der Mensch ansässig geworden zu sein. Die ersten Häuser, die wir kennen, sind Pfahlbauten, die aus Sicherheitsgründen in das Flachwasser der Seen und Flüsse, ja sogar der Ostsee, gebaut wurden. Wir wissen, daß zu jener Zeit der Hund bereits zum Haustier geworden war. Der...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2010
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte eBook • Geschenk • Haustier • Hunde • hundeliebhaber geschenk • Hundezucht • Klassiker • Naturwissenschaft • sachbuch hund • Tierfreunde • Tierliebe • Tierverhalten • Tierwissenschaft • Verhaltensbiologie • Verhaltensforschung
ISBN-10 3-423-40416-7 / 3423404167
ISBN-13 978-3-423-40416-7 / 9783423404167
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