Öffentliche Sicherheit in Gefahr? -  Stefan Goertz

Öffentliche Sicherheit in Gefahr? (eBook)

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2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-045372-2 (ISBN)
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Ist unsere Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Diese Frage wird politisch und medial kontrovers diskutiert. Die Antwort auf diese Frage kann Menschen verunsichern. Unsere Öffentliche Sicherheit ist so sehr bedroht, wie sie es seit dem Bestehen unserer Bundesrepublik noch nicht war. Es kommen viele, offensichtlich zu viele, Bedrohungen und Akteure zur gleichen Zeit zusammen. Dieses Sachbuch stellt aktuelle und künftige Gefahren für die Öffentliche Sicherheit Deutschlands dar: Extremismus und Terrorismus, aber auch Organisierte Kriminalität (z.B. Rauschgifthandel/ -schmuggel), Cyberattacken und Desinformationskampagnen. Auch die Bundesinnenministerin stellt aktuell eine 'Zeitenwende' für die Öffentliche Sicherheit fest und verdeutlicht die Vielfalt der Bedrohungen: Rechtsextremismus, auch andere Extremismusbereiche, Fake News, Organisierte Kriminalität und seit Beginn des Ukrainekrieges verstärkt auch Spionage. Der Autor zeigt, dass das Bedrohungsmaß eine neue Qualität erreicht hat und beleuchtet die Akteure und Phänomene, die unsere Öffentliche Sicherheit massiv bedrohen. Beginnend mit Rechtsextremisten werden sowohl alte als auch neue Akteure behandelt und die & immer schneller werdenden - Übergänge von rechtsextremistischer Sprache zu rechtsextremistischer Gewalt bis hin zu terroristischen Anschlägen aufgezeigt. Auch bei Islamisten, 'Reichsbürgern' und 'Selbstverwaltern', 'Delegitimierern' und Linksextremisten werden aktuelle Akteure - bisweilen medial kaum thematisiert - und die Gefahren, die von ihnen ausgehen, dargestellt. Auch internationale Dimensionen werden beleuchtet, hierbei auch neue Akteurskonstellationen von Antisemitismus in Deutschland. Neben den Extremismusbereichen gehen aber auch von der Organisierten Kriminalität (der weltweite Handel mit Kokain boomt wie nie, der Hamburger Hafen ist ein europäisches Haupteinfalltor), von Cyberattacken, Desinformation und Spionage aktuell auf neuem Niveau Gefahren für die Öffentliche Sicherheit aus. Eine sicherheitspolitisch-realistische Analyse der Öffentlichen Sicherheit bringt naturgemäß mit sich, dass sie schlechte, 'unangenehme' Informationen präsentiert. Aber ein realistischer Blick, aktuellste Fakten und eine Expertenanalyse der Probleme und Herausforderungen sind der erste Schritt auf dem Weg zu mehr Schutz für unsere Öffentliche Sicherheit. Es geht hier also auch darum, unrealistische Fehlannahmen aufzudecken.

Prof. Dr. Stefan Goertz ist Professor für Sicherheitspolitik (Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung) an der Hochschule des Bundes, am Fachbereich Bundespolizei. Er lehrt, forscht und berät u.a. zu den Themen Extremismus, Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Spionage. Seit über 20 Jahren für deutsche Sicherheitsbehörden im Bereich Sicherheitspolitik tätig. Politikwissenschaft studierte er unter anderem in Berlin und Damaskus/Syrien, seine Promotion begann er an der Carleton University in Ottawa/Kanada und beendete sie an der Universität der Bundeswehr München. Als Offizier der Reserve der Bundeswehr war und ist er seit 2000 im Bereich Sicherheitspolitik tätig und war bisher in zwei Auslandseinsätzen: Für die Europäische Union bei EUFOR in Bosnien und für die United Nations (UN) bei UNIFIL im Libanon.

Prof. Dr. Stefan Goertz ist Professor für Sicherheitspolitik (Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung) an der Hochschule des Bundes, am Fachbereich Bundespolizei. Er lehrt, forscht und berät u.a. zu den Themen Extremismus, Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Spionage. Seit über 20 Jahren für deutsche Sicherheitsbehörden im Bereich Sicherheitspolitik tätig. Politikwissenschaft studierte er unter anderem in Berlin und Damaskus/Syrien, seine Promotion begann er an der Carleton University in Ottawa/Kanada und beendete sie an der Universität der Bundeswehr München. Als Offizier der Reserve der Bundeswehr war und ist er seit 2000 im Bereich Sicherheitspolitik tätig und war bisher in zwei Auslandseinsätzen: Für die Europäische Union bei EUFOR in Bosnien und für die United Nations (UN) bei UNIFIL im Libanon.

2Gefahren durch Rechtsextremisten und Rechtsterroristen


»Wir beobachten eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus. Sicherheitsbehörden sehen sich dabei neben den alten Strukturen auch mit ganz neuen Formen wie rechten Netzwerken im Internet oder sich selbst radikalisierenden Einzeltätern konfrontiert«, Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 2024.‎«‎[72]

 

Welche Gefahren gehen von den aktuell 40.600 Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Deutschland aus? Nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden sind von diesen aktuell etwa 14.500 als gewaltorientiert einzustufen.[73]

Was wollen diese Rechtsextremisten, was sind ihre politischen Ziele und wie gehen sie vor? Die 40.600 deutschen Rechtsextremisten sind heterogen. Antisemitische, rassistische und muslimfeindliche Ideologieelemente und Sprache treten bei ihnen in unterschiedlicher Ausprägung auf. Die gewaltorientierten Rechtsextremisten äußern und verbreiten solche Ideologieelemente ganz offen und wollen damit Gewalt auslösen. Die nicht gewaltorientierten Rechtsextremisten äußern solche Ideologieelemente nicht offen, sondern verborgen oder indirekt.

Welche konkreten Gefahren gehen von Rechtsextremisten aus? Diese Frage wird politisch und medial zu selten gestellt und wenn sie gestellt wird, dann zu wenig konkret beantwortet. Daher hier konkret: Die gewaltorientierten 14.500 Rechtsextremisten verüben seit vielen Jahren pro Jahr zwischen 20.000 und 24.000 Straftaten.[74] Darunter fallen seit Jahren etwa 900 bis 1.200 Gewalttaten. Zu den Gewalttaten gehören sowohl (schwere) Körperverletzung als auch versuchte und verübte Tötungsdelikte gemäß der Fachsprache der Sicherheitsbehörden. Beispiele für die verübten Tötungsdelikte sind bekannt aus der medialen Berichterstattung über die rechtsterroristische Gruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«, das Attentat auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum in München, den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, den geplanten Anschlag auf die Synagoge in Halle und zwei im Umfeld ermordete Menschen sowie den Anschlag in Hanau, der auf Menschen abzielte, die Migrationshintergrund haben.

Im Jahr 2023 erfassten die deutschen Sicherheitsbehörden 25.660 Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund (im Jahr 2022 waren es noch 20.967), darunter waren 1.148 Gewalttaten (2022 waren es noch 1.016). Dazu zählten auch vier versuchte Tötungsdelikte. Als weitere Teilmenge der rechtsextremistischen Straftaten registrierten die deutschen Polizeibehörden zudem 15.081 rechtsextremistisch motivierte Propagandadelikte nach §§ 86, 86a StGB (2022 noch 13.026). Hinzu kamen 8.118 »andere Straftaten« wie beispielsweise Volksverhetzung und Beleidigung (im Jahr 2022 waren es noch 5.907).[75]

Die Zahl rechtsextremistischer fremdenfeindlicher Straftaten nahm im Jahr 2023 um 39 Prozent zu (10.402 Delikte, 2022 noch 7.484). Bei den rechtsextremistischen fremdenfeindlichen Straftaten stieg die Zahl der Gewalttaten um 17 Prozent an (933 Delikte, 2022: 796). Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg 2023 um 36,5 Prozent auf insgesamt 2.762 Taten (2022: 2.023); die Zahl der Gewaltdelikte mit antisemitischem Hintergrund sank hingegen (-18,9 Prozent) auf insgesamt 43 Delikte (2022: 53).

Die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Körperverletzungen mit fremdenfeindlichem Hintergrund erhöhte sich im Jahr 2023 um 16,4 Prozent. Von den insgesamt vier versuchten Tötungsdelikten mit rechtsextremistischem Hintergrund wurden drei mit einer fremdenfeindlichen Motivation begangen. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten gegen Asylunterkünfte hat sich im Jahr 2023 mehr als verdoppelt (2023: 148, 2022 noch 71). Ebenfalls hat sich die Zahl der Gewalttaten gegen Asylunterkünfte mehr als verdoppelt (2023: 15, 2022: 6); hierzu gehörten 2023 auch neun Brandanschläge (2022 waren es 4).[76]

Ein Teil der 40.600 Rechtsextremisten hat einen politischen Gestaltungswillen, will auf parlamentarischem und außerparlamentarischem Weg (zum Beispiel durch Organisationen, Vereine und Institute) die deutsche Politik beeinflussen. Hierzu gehören also sowohl die Parteien, die von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextremistisch eingestuft sind als auch Akteure und Netzwerke, die beispielsweise enge Kontakte zu AfD-Parlamentariern haben. In der juristischen Sprache der Verfassungsschutzbehörden bedeutet »gesichert rechtsextremistisch« die dritte und höchste Stufe der Skala.

»Verdachtsfall Rechtsextremismus« ist die zweite von drei Stufen. Gesichert rechtsextremistisch sind nach der aktuellen Festlegung der deutschen Verfassungsschutzbehörden bundesweit die Parteien »Die Heimat« (früher NPD), »Die Rechte« und »Der III. Weg«. In den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen wird die Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) bereits von den Landesämtern für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Bundesweit wird die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Augenblick noch als »Verdachtsfall Rechtsextremismus« eingestuft. Ende Februar 2024 berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass sie Kenntnis über interne, dienstliche E-Mails des Bundesamtes für Verfassungsschutz habe, dass dieses an einem Gutachten arbeite, mit dem die AfD dann bundesweit als gesichert rechtsextremistisch eingestuft würde.[77]

Bei den gewaltorientierten 14.500 Rechtsextremisten ist festzustellen, dass diesen nicht daran gelegen ist, im parlamentarischen Raum politische Ämter zu übernehmen, sondern daran, mit Gewalt Menschen anzugreifen und einzuschüchtern, die sie als »Angriffsziele«, als politische Gegner und »Feinde« ansehen. Dies sind vor allem Ausländerinnen und Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund, Politikerinnen und Politiker.

Wer wird wie zu einem Rechtsextremisten, zu einer Rechtsextremistin?

Was wollen Rechtsextremisten ideologisch-politisch erreichen, was sagen und schreiben sie und wie verlaufen Radikalisierungsverläufe in den Rechtsextremismus bzw. hin zu rechtsextremistischer Gewalt?

Wie bei anderen Extremisten auch, ist festzustellen, dass es keine Standardradikalisierungsverläufe gibt. Jeder Radikalisierungsverlauf ist individuell. Aber es gibt drei Hauptfaktoren für (rechts-) extremistische Radikalisierungsverläufe bzw. drei Hauptorte von Radikalisierung: Das rechtsextremistische Milieu (Gruppen, Vereinigungen, Organisationen), rechtsextremistische Ideologieelemente und virtuelle Orte. Radikalisierungsverläufe finden an allen drei Orten statt. Hinzu kommen Faktoren wie der sozio-ökonomische Hintergrund (Bildung, Beruf, mögliche Arbeitslosigkeit) und psycho-soziale Faktoren (psychische Anfälligkeiten, Krankheiten, Lebenskrisen).

Rechtsextremistische Inhalte im virtuellen Raum, in Sozialen Netzwerke, Messengerdiensten, Imageboards und Internetplattformen wie Telegram spielen seit Jahren eine bedeutende Rolle bei rechtsextremistischen Radikalisierungsverläufen. Eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden stellen dabei selbstradikalisierte Täter dar, die ohne erkennbare Anbindung an bereits bekannte rechtsextremistische Szenestrukturen agieren. Hierbei bewerten die Sicherheitsbehörden die Zunahme sowohl auffällig junger als auch besonders gewaltaffiner Akteure der »Attentäter-Fanszene« (beispielsweise zu den Attentätern Anders Breivik und Stephan Balliet) als »besonders besorgniserregend«. Chatgruppen in Messengerdiensten und Foren, innerhalb derer Gewalt- und Anschlagsfantasien offen geteilt, befürwortet und potenziell gefördert werden, spielen bei solchen Radikalisierungsverläufen eine entscheidende Rolle.[78]

Die Anzahl der von den Verfassungsschutzbehörden registrierten rechtsextremistischen Kundgebungen (Demonstrationen) stieg im Jahr 2023 mit 367 gegenüber dem Vorjahr (145) nunmehr deutlich an und erreichte somit sogar ein noch höheres Niveau von vor beziehungsweise zu Beginn der Coronapandemie. Das Agitationsfeld »Anti-Asyl und Migration« war im Jahr 2023 das zentrale Motto rechtsextremistischer Demonstrationen. Besonders hervor stach hierbei die rechtsextremistische Kleinstpartei die »Freien Sachsen«, die das ...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2024
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Cyberkriminalität • Extremismus • Terrorismus
ISBN-10 3-17-045372-6 / 3170453726
ISBN-13 978-3-17-045372-2 / 9783170453722
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