Heilige und Hure - die beiden Seiten weiblicher Sexualität (eBook)
176 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-4139-3 (ISBN)
Margot D. Kreuzer ist Fachärztin ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalyse, Traumapsychotherapie und Sexualtherapie und in eigener Praxis tätig. Über den 2. Bildungsweg hat sie Medizin studiert und ihre Doktorarbeit bei Prof. Sigusch über das Thema Prostitution in Frankfurt am Main verfasst. Der Selbsthilfeverein HwG (Huren-wehren-sich-gemeinsam) in Frankfurt wurde von ihr iniziiert. Während ihrer mehrjährigen Kliniktätigkeit, war sie, u.a. an der Universitätsklinik Frankfurt und der KVH (Kassenärztlichen Vereinigung Hessen), mit der Fortbildung von Ärzten zum Thema AIDS betraut. Ihr Praxisschwerpunkt sind sexuelle Störungen aller Art und insbesondere sexuell traumatisierte Frauen. Sie engagiert sich bei mehreren Organisationen (TERRE DES FEMMES, Runder Tisch »Häusliche Gewalt«, in Stadt und Land Rosenheim, Aktionsbündnis Rosenheim, Traumanetzwerk, Bundesverband Nordisches Modell) für Frauenrechte und gegen sexuelle Gewalt. Mehr zu Margot D. Kreuzer, zu Hintergrundinformationen, Vorträgen und Veröffentlichungen finden Sie auf ihrer Website www.dr-margot-d-kreuzer.de
1. Nachkiegssexualität – Männermangel / Frauenüberschuss
1.1 Das Liebesideal der Nachkriegszeit war die Kameradschaft
Als Deutschland im Mai 1945 bedingungslos kapitulierte, übernahm der alliierte Kontrollrat der vier Siegermächte die oberste Regierungsgewalt. Deutschland lag in Schutt und Asche.
Abbildung 1: Bauhilfsarbeiterinnen wurden sie offiziell genannt.
Aber als »Trümmerfrauen« sind sie in die Geschichte eingegangen.
© picture alliance / dpa / Wolfgang Etzold
Fünfundzwanzig Millionen Menschen irrten als Flüchtlinge, Evakuierte, Kriegsgefangene oder befreite Häftlinge durchs Land. Mehr als elf Millionen davon waren Vertriebene, unzählige Familien waren zerrissen. Wohnungselend, Hunger, Krankheit und eine steil ansteigende Kriminalität beherrschten im Restdeutschland das Klima. Lebensmittel waren rationiert. Pro Kopf gab es 1.100 Kalorien täglich. Für Nichtgemeldete gab es nicht mal das und wer nicht hungern oder frieren wollte, musste sich regen. Jedes freie Plätzchen nutzte man um Gemüse oder Tabak anzupflanzen. Plünderungen von Lebensmittelvorräten waren an der Tagesordnung. Alles drehte sich um die Nahrungsbeschaffung. Alles und jeder lebte in irgendeiner Form vom Schwarzmarkt. Hamsterfahrten aufs Land oder der Verkauf von allem was nicht satt machte – Klaviere, Tafelsilber, Eheringe etc. – in Ruinen oder auf Bahnhöfen war üblich. Ein Treffpunkt für Verwahrloste oder verwaiste Jugendliche und Kinder, Entwurzelte und Kriminelle war in vielen Städten der Bahnhof. Er war der Hauptumschlagplatz für die »schwarze Goldwährung« die Zigarette. Alles und jeder lebte in irgendeiner Form vom Schwarzmarkt. »Oben war nun wer Butter oder Speck produzierte oder hamsterte…«.4
Abbildung 2: Anfang Achtundvierzig Rückblick auf die erste Frankfurter Messe nach dem Krieg und das Jahr 1948, Ausstellung in der Kongreßhalle 24.08.-01.09, 1985, Hrg. Messe Frankfurt GmbH, Brönner Verlag, Frankfurt, S.85
Während den Männern im Krieg fast überall Bordelle (mit Jüdinnen oder Fremdarbeiterinnen, die dort als Zwangsprostituierte Dienst taten) zur Abreaktion ihrer sexuellen Bedürfnisse zur Verfügung standen, erwartete man von den Frauen zu Hause jahrelange Enthaltsamkeit. »Die sexuellen Erlebnisse der Männer während der Kriegszeit zählen nicht, ihren Frauen aber gestehen sie solche Erfahrungen nicht zu, sie sollen dem männlichen Bild der hehren, keuschen Frau entsprechen. In einer Welt brüchiger Moral- und Wertvorstellungen, in der geplündert, gestohlen und organisiert wird, soll die Frau gefälligst für die Moral einer heilen Welt geradestehen«.5
1.2 Ehe auf Zeit – Bratkartoffelverhältnis
In den 3 Westzonen gab es über 7 Millionen mehr Frauen als Männer. Die Ehe auf Zeit wurde propagiert, man sprach vom Bratkartoffelverhältnis, weil viele Paare, die sich in den Wirren der Nachkriegszeit gefunden hatten ohne zu heiraten zusammen lebten, auch, weil die Frau möglicherweise sonst ihre Witwenrente nicht mehr bekommen hätte. Der Mythos vom starken Mann, der in der Nazizeit verherrlicht wurde, war zerstört. Der Niederlage an der Front, folgte oft eine Niederlage am heimischen Herd, weil die Frauen durch ihre Erfahrungen im Krieg ein neues Selbstbewusstsein entwickelt hatten. Die heimkehrenden Männer waren misstrauisch, befürchteten Untreue und verstanden deren Selbstständigkeit nicht. Sie forderten von den Frauen eine Rückkehr zum alten Rollenbild, weshalb es oft zu Konflikten zwischen den Geschlechtern kam.
Das Liebesideal in der Notzeit der Nachkriegszeit war die Kameradschaft. Man sprach von einer Verrohung der Sitten, einer Krise von Ehe und Familie, insbesondere bedingt durch den »temporären Autoritätsverlust« des Mannes.
Der Verlust von 3 Millionen Männern führte zu einem Männermangel und einem erheblichen Frauenüberschuss. Ehefrauen wurden aufgefordert Toleranz zu üben, der »überschüssigen« Frauen wegen. Die Ehe auf Zeit wurde propagiert. Das Bratkartoffelverhältnis – ein Zusammenleben ohne Trauschein, was bis dahin als moralisch verwerflich galt, wurde geduldet.
1.3 Ungebundenes Sexualleben
Da viele Frauen keine Aussicht hatten zu heiraten oder des Wartens überflüssig waren, führten sie vielfach ein ungebundenes Sexualleben. Die Zahl der unehelich geborenen Kinder stieg gegenüber der Vorkriegszeit auf das Doppelte, trotz Erleichterung der Abtreibung (sie betrug 1938 8% und 1946 16%. In Bayern sogar 22%6
Erst mit der Währungsreform 1948 (und dem Marshallplan, einem wirtschaftlichen Hilfsprogramm der USA) wurde die Grundlage für eine Normalisierung geschaffen. Am 20.05.1948 bekam jeder Bürger 40 DM und 1 Monat später nochmal 20 DM ausbezahlt.
Vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation wurde dann das neue Gesetzeswerk, das für Recht und Ordnung sorgte, das Grundgesetz unterzeichnet und am 23. Mai 1949 verkündet. Dieses Datum gilt auch als Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland.
Abbildung 3: Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel (von links) sind die vier Mütter des Grundgesetzes. Foto: Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte, Bonn
Das Grundgesetz wurde von 61 Männern und 4 Frauen erarbeitet. Die Juristin und Abgeordnete Elisabeth Selbert war bei den Frauen federführend, sie kämpfte um die Aufnahme eines Satzes im Grundgesetz, der das Leben aller Frauen in unserer Gesellschaft verändern sollte: in Artikel 3 Absatz 2 heißt es: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt«.7 Im Oktober 1949 kam es dann zur Teilung Deutschlands und zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Ein neuer Zeitabschnitt begann.
1.4 Formen der Nachkriegsprostitution
1.4.1. Überlebensprostitution
Die Widersprüchlichkeit der Moral nahm in der Nachkriegszeit z. Teil sonderbare Formen an. So gab es die Negierung von Ehe und Familie und auch das genaue Gegenteil. Prostitution aus Not oder das »Essen anschlafen« gehörte in den ersten Nachkriegsjahren fast zum Alltag. Sex für Naturalien, jeder wusste davon und dennoch war es ein Tabu – trotzdem gab es beim Schlangestehen für Lebensmittel z.B. einen Erfahrungsaustausch – man sprach von »Schandschuhen« und dem »Majorszucker«.8 Frauenwohngemeinschaften und Großfamilien zerfielen wieder, als die Männer heim kehrten. Die Jagd nach dem Mann nahm viele Formen an. »Ein Königreich für einen Mann« – ganz gleich wie er ist! Jede andere Frau ist eine gefährliche Rivalin im Kampf um den Mann. Drum heran an den Mann mit allen Mitteln der Verführung! Koste es was es wolle, das »gemütliche Eigenheim« oder gar die Persönlichkeit… Und der Mann? Nun, der sitzt als begehrte Mangelware auf seinem Thron und läßt sich die besten Angebote vorführen«9
Es gab eine Verflechtung zwischen realem Hunger und dem Hunger nach Leben. Tanzlokale der Amerikaner, Briten und Franzosen boten die Möglichkeit der Überlebensfreude Ausdruck zu geben. »Sie tanzt. Will vergessen. Die dumpf kalten Zimmer, Vaters hilfloses Gebrüll, Mutters ausgemergeltes Gesicht. Will die Wörter vergessen, Rationierung, Entnazifizierung, Kollektivschuld.«10
1.4.2. Besatzungsprostitution
Beliebt bei den Frauen waren vor allem die Amerikaner, denn die hatten alles was begehrt war: Lebensmittel, Zigaretten, Süßigkeiten, Strümpfe, Seife usw.
Es gab ein Zug von Mädchen, die den Soldaten folgten. Man sprach von Berufsbräuten, Ami-Liebchen und Ami-Huren.
In der Nähe von Truppenübungsplätzen entstand eine besondere Form der Prostitution, die Besatzungsprostitution. Dor gab es dann alsbald viele Lokale und Bars, wo Frauen sich als Animiermädchen, Barmädchen, Taxigirls und Callgirls des Soldaten zur Verfügung stellten. Kuppelei, d.h. die Duldung einer Übernachtung von unverheirateten Paaren im eigenen Haus, was nach wie vor unter Strafe stand, wurde geduldet, ebenso, wie wechselnde Verlöbnisse, d.h. wenn sich das Paar ein Heiratsversprechen gegeben hatte, wurde unter diesem Deckmantel vieles erlaubt. Man sprach von Sittenverfall, weil auch »scheinbar ordentliche bürgerliche Familien«, Zimmer für monatlich 200DM und mehr vermieteten, was damals ein horrender Preis war. Nicht selten wurden auch von den Eltern wechselnde Verlöbnisse toleriert. Allgemein betrachtete man aber die Verhältnisse mit größtem Argwohn. Man strafte die Frauen mit Verachtung und bewunderte sie zugleich – wegen ihres anscheinend sorglosen Lebenswandels.
Eine Heirat zwischen einer Deutschen und einem Amerikaner war verboten und eine Auswanderung nach Übersee d.h. Amerika gab es nur selten.11
Das Besatzungsverhältnis und die sogenannte Berufsbraut betrachtete man als ein...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Feminismus • Frauenrechte • Geschlechterrollen • Objektifizierung von Frauen • Prostitution |
ISBN-10 | 3-7693-4139-2 / 3769341392 |
ISBN-13 | 978-3-7693-4139-3 / 9783769341393 |
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