Der Rechtsstaat im Kampf gegen Antisemitismus (eBook)
194 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8610-2 (ISBN)
Jens Borchert, Jg. 1969, Dr. phil., ist Professor im Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur der Hochschule Merseburg. Seine Arbeitsschwerpunkte befinden sich im Bereich Strafvollzug und Resozialisierung.
Einleitung
Linda Giesel, Jens Borchert und Franziska Sujeba
Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas brutalste Massaker an Jüdinnen_Juden auf israelischem Staatsgebiet. Seit dem Terroranschlag der islamistischen Organisation, und damit dem größten Massenmord an jüdischen Menschen seit der Shoah, häufen sich in Deutschland und weltweit antisemitische Übergriffe verschiedener Ausprägung.
Schon seit Jahren verzeichnen sowohl Sicherheitsbehörden als auch zivilgesellschaftliche Organisationen konstant hohe Werte antisemitischer Gewalt.1 Besonders in den vergangenen Monaten kam es zu einem alarmierenden Anstieg antisemitischer Taten, durch die Jüdinnen_Juden einer massiven Bedrohung ausgesetzt sind. So zeigen die Dokumentationen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) für den Zeitraum vom 07. Oktober bis zum 09. November 2023 eine Zunahme um 320 % antisemitischer Vorfälle pro Tag im Vergleich zum Jahresdurchschnitt des Vorjahres (vgl. RIAS 2023b, S. 4).2
Die Frage, welche Möglichkeiten und Mittel der Staat im Kampf gegen Antisemitismus zum Einsatz bringt und wie wirkungsvoll sie sind, stellt sich seit Jahren kontinuierlich – sei es im Kontext des rechtsextremen antisemitischen Attentats in Halle an Jom Kippur 2019, der Corona-Pandemie und damit einhergehender verschwörungsideologischer Proteste oder den jüngsten Entwicklungen seit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas 2023. Angesichts der sich verschärfenden Sicherheitslage nach den Terrorangriffen und den antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland wurde diese Frage seither umso lauter. Auch wenn durch das Betätigungsverbot für die Hamas und das Vereinsverbot für das Netzwerk Samidoun konkrete Konsequenzen folgten, offenbarte sich im Zuge diverser Demonstrationen und Vorfälle an Schulen, Universitäten oder anderen Orten eine Überforderung im Erkennen und Benennen von israelbezogenem Antisemitismus.
Dieser Sammelband setzt sich damit auseinander, wie der Rechtsstaat im Kampf gegen aktuelle antisemitische Erscheinungsformen vorgeht, welche Herausforderungen sich daraus ergeben und wie diesen begegnet werden kann. Die Beiträge fokussieren die Strafverfolgung antisemitischer Taten, den justiziellen Umgang damit sowie den (Jugend)Strafvollzug – jeweils vor dem Hintergrund der Perspektiven von Betroffenen und der zivilgesellschaftlichen Bearbeitung und Prävention.
Entstanden ist der vorliegende Band im Nachgang zweier Forschungsprojekte, die von der Hochschule Merseburg in Kooperation mit dem Anne Frank Zentrum Berlin durchgeführt worden sind. In diesen Projekten, die den Fokus auf den Jugendstrafvollzug in Deutschland richteten, wurden Erscheinungsformen von Antisemitismus untersucht und Handlungsempfehlungen zur Prävention gegeben. Im Zuge mehrerer Fachtage wurde dieser Bezugsrahmen deutlich erweitert und auf die Polizei und andere rechtsstaatliche Akteur_innen bezogen. Daran knüpft dieser Sammelband an.
Die Autor_innen vertreten verschiedene Standpunkte zum Verhältnis von Rechtsstaat und Antisemitismus, wodurch nicht nur Leerstellen kenntlich werden, sondern auch die Basis für eine konstruktive Diskussion um den rechtsstaatlichen Umgang mit Antisemitismus geschaffen werden soll.
Den Auftakt des Bandes macht der Beitrag von Samuel Salzborn, der die bisher einzigartige Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus des Landes Berlin erörtert. Im Bereich Innere Sicherheit und Justiz ist es Ziel des Berliner Landeskonzepts zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention, das antisemitische Dunkelfeld zu erhellen. Hierfür wird regelmäßig eine Beziehung aus den unterschiedlichen Erfassungsquellen antisemitischer (Straf-)Taten hergestellt (Zivilgesellschaft, Polizei, Staatsanwaltschaft), woraufhin sich Maßnahmen ableiten lassen, die das Anzeigeverhalten erhöhen sollen.
Der Text von Colin Kaggl, Bianca Loy, Daniel Poensgen und Benjamin Steinitz beleuchtet kritisch, welchen Beitrag die polizeilichen Kriminalstatistiken zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) für die Beschreibung des Phänomens Antisemitismus in Deutschland leisten können. Die Autor_innen diskutieren vor diesem Hintergrund, welche Probleme, Herausforderungen und Leerstellen sich dabei aus zivilgesellschaftlicher und betroffenenorientierter Perspektive ergeben.
Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky blicken in ihrem Artikel zum einen auf die Rolle der Polizei im Kontext von Antisemitismus – sowohl historisch als auch gegenwartsbezogen. Zum anderen präsentieren sie empirische Befunde zu der Frage, wie jüdische Schüler_innen und junge Erwachsene in der Auseinandersetzung mit Antisemitismuserfahrungen auf die Institution Polizei Bezug nehmen und leiten daraus Impulse für eine antisemitismuskritische Weiterentwicklung von Polizeiarbeit her.
Der darauffolgende Beitrag von Alexander Lorenz-Milord und Alexander Steder liefert Einblicke in die Arbeit des zivilgesellschaftlichen Projekts „Regishut – Sensibilisierung zu Antisemitismus in der Berliner Polizei“. In diesem Zusammenhang erörtern die Autoren Zielsetzungen, Herangehensweisen, Erfahrungen und (Erfolgs-)bedingungen im Rahmen der Schulungen von Mitarbeitenden der Polizei.
Dem Thema der antisemitismuskritischen Bildung für die Polizei nehmen sich auch Sarah Jadwiga Jahn, Jana-Andrea Frommer, Marc Grimm und Jakob Baier an. In ihrem Text gehen die Verfasser_innen auf Ergebnisse einer Interviewstudie zu Wahrnehmungen von Antisemitismus und jüdischem Leben in der beruflichen Praxis der Polizei Nordrhein-Westfalens ein. Aus den Erkenntnissen der vorliegenden Untersuchung leiten sie anschließend Schlussfolgerungen für die polizeiliche Bildung ab.
Nachdem der Band zuerst Antisemitismus im Kontext der Polizeiarbeit eingehend beleuchtet, folgt in einem weiteren Abschnitt die justizielle Auseinandersetzung damit. Hier widmen sich zunächst Julia Bernstein und Florian Diddens dem rechtlichen Schutz vor Antisemitismus aus jüdischen Perspektiven, indem sie Erfahrungen von Jüdinnen_Juden mit den Behörden analysieren und daraufhin Zugänge einer antisemitismuskritischen Bildung in dem Zusammenhang diskutieren.
Till Hendlmeier untersucht in seinem Text die Erfahrungen jüdischer Betroffener mit der justiziellen Bearbeitung antisemitischer Vorfälle und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die damit einhergehenden Auswirkungen auf das Anzeigeverhalten. In seiner Interviewanalyse berücksichtigt er sowohl die Wirkung der Justizerfahrungen als auch andere Einflussfaktoren darauf.
Die rechtliche Perspektive ergänzt der Antisemitismusbeauftragte der Justiz für das Land Sachsen-Anhalt, Thomas Kluger. In seinem Beitrag reflektiert er die Aufgaben und Funktionen als Beauftragter, gibt praktische Einsichten in seine Arbeit und zieht eine Bilanz nach den ersten zwölf Monaten in dieser Rolle.
Im dritten Teil des vorliegenden Bandes beschäftigen sich die Autor_innen mit dem Thema Strafvollzug und Antisemitismus. Hierfür untersucht Jens Borchert in seinem Text die räumliche und zeitliche Spezifik der Haft als Rahmenbedingung für die Verhaltensweise Jugendlicher im Strafvollzug. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, wie sich durch den Kontext einer geschlossenen Einrichtung besondere antisemitische Handlungsweisen und sprachliche Codes manifestieren können.
Linda Giesel gibt in zwei Beiträgen Einblicke in die Befunde der Pilotstudie „Antisemitismus im Strafvollzug – Empirische Forschung und Prävention“, die in Kooperation zwischen der Hochschule Merseburg und dem Anne Frank Zentrum durchgeführt wurde. Der erste Artikel geht den Fragen nach, wie Antisemitismus von internen und externen Mitarbeiter_innen im Jugendstrafvollzug wahrgenommen wird, welches Verständnis dem zugrunde liegt und welche Erscheinungsformen gegenwärtig zum Ausdruck kommen. Der darauffolgende Beitrag vertieft diese Analyse, indem er die Funktionsweisen von Antisemitismus im Haftkontext, die unmittelbaren Reaktionen auf antisemitische Handlungen, den grundsätzlichen Umgang damit und die Problemschwerpunkte in dem Zusammenhang beleuchtet.
In einem abschließenden Text gehen Katinka Meyer und Jona Schapira den Strukturen und Dynamiken der Antisemitismusprävention im Strafvollzug anhand der Arbeit des Anne Frank Zentrums nach. Dazu stellen sie die pädagogischen Konzepte der Arbeit mit Inhaftierten und Justizvollzugsbeamten...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8610-8 / 3779986108 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8610-2 / 9783779986102 |
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